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Hohentwiel und das Hegäu

Kein passenderer Punkt ließ sich ausfindig machen, um mit und auf ihm von dem schönen Schwabenland in diesem Werke Abschied zu nehmen, als der seltsame Porphyrfels, der auf seiner äußersten Gränze gegen Süden, in trotziger Gebrechlichkeit hingelagert, mit andern ähnlichen Brüdern, doch schon seit mehr als einem Jahrtausend mit Mauern gekrönt, als Markstein bei seinem Eingang auf der Schweizerseite steht und in spätem Jahrhunderten bis an den Beginn des jetzigen das Land auch wirklich gehütet hat.

Nach Süden und Norden, nach Osten und Westen liegt Oberschwaben auf dieser Felskuppe zu unsern Füßen; ja, was wir hier Nicht auf dem Bilde; s. unten. von Land überschauen, bis nach den Schneebergen hin, tief in die Schweiz hinein, war einst von dem vereinigten Volke der Schwaben-Alemannen bewohnt und besessen:

Wir stehen auf den Zinnen der Felsenfeste Twiel,
Da treibet auf der Ebne der Blick ein weites Spiel,
Durch Triften und durch Wälder, durch Klöster und durch Städte
Hier ist kein Ziel zu finden als grauer Alpen Kette.

Das Land der Alemannen, mit seiner Berge Schnee,
Mit seinem blauen Auge, dem klaren Bodensee,
Mit seinen gelben Haaren, dem Ährenschmuck der Auen –
Recht wie ein deutsches Antlitz ist solches Land zu schauen. »Die Kammerboten in Schwaben«, G. Schwabs »Gedichte«, II, S. 182.

Wirklich ist hier nicht nur die Fernsicht auf das ganze Alpengebirge, von den Walliser und Berner Alpen bis zu den fernsten Tirolergipfeln, höchst großartig, sondern auch die entgegengesetzte Aussicht auf die Hohentwiel umringenden, isolierten Bergeskuppen, besonders aber der Niederblick über den See und die Ebene hin, lachender und reizender als irgendwo. Die bedeutende Höhe des Felsenberges erlaubt freilich über die zu seinen Füßen ausgebreitete Landschaft nur eine Art von Landkartenaussicht; doch geben ihr die Menge von Dörfern und Städten den gehörigen Wechsel; man überschaut zu gleicher Zeit nicht etwa bloß, wie auf niedrigeren Höhepunkten, einzelne Abschnitte, die nur aus Feldern oder nur aus Wäldern bestehen, sondern Feld wechselt mit Wiesen und Wald, Hügel mit Tälern, Ruinen mit erhaltenen Burgen und Lustschlössern, Städte und stattliche Klöster mit Dörfern und unzähligen malerisch gelegenen Höfen.

Den reizendsten Anblick aber gewähren die Ufer des Sees, auf deren ununterbrochenes Garten- und Rebengelände kein Hügel (sie liegen alle zu tief, sie sind zur Ebene geworden) den Hinunterblick zu hemmen vermag. Der Obersee verliert sich hier breitverkürzt in blauer Ferne; nur die unterste Erdzunge zwischen Überlingen und Sernadingen streckt sich dem Auge entgegen. Desto vollständiger übersieht man hier den Untersee, der, vom eigentlichen Bodensee durch den auf eine Stunde Weges wieder zum Strome gewordenen Rhein getrennt, mit seinem eiförmigen Bassin ganz ausgebreitet vor den Augen des Wanderers liegt und dessen Mitte den schwimmenden Garten der Reichenau trägt, über den die Natur ihr ganzes Füllhorn von Segen ausgeleert zu haben scheint. Auch die Ufer dieses Sees sind unendlich reich und mannichfaltig; eine Menge Dörfer, die Städte Radolfszell und Steckborn, im Hintergrunde das stolzere Konstanz fassen den Rand ein. Auf dem südlichen Ende des Sees sieht man den Rhein, halb Strom, halb See, sich bis zur Stadt Stein fortwälzen, dort, von engern Ufern aufgenommen und wieder entschieden zum Fluß geworden, sich nach Dießenhofen hinabschlängeln, der Stadt Schaffhausen und seinem Felsensturze in jugendlichem Übermut entgegeneilend. Hinter ihm bewaldete Hügel, Vorläufer des Jura, erhoben über die andern der Baiernberg, an seinem Fuße das hochgelegene Schloß der zürcherischen Stadt Regensberg noch sichtbar. Hinter dem See, dem Fluß und den Hügeln des Thurgaus, des Zürcher Kantons und des Aargaus steigen die Alpen auf; links die Tiroler in blaue Ferne gerückt; auch der Sanas tritt seitwärts; den Mittelgrund beherrschen hier die weißen Häupter des Glarnisch, des Dödi und der andern Gebirge von Uri und Unterwalden, in breiten Massen und geschiedenen Gipfeln; rechts heben sich, schneeweißer und spitzer als alle übrigen, die Berner Alpen, Schreck- und Wetterhorn, Jungfrau und Mönch, hoch ins Blaue empor; hinter dem näheren Pilatus verlieren sich die Walliser Berge in Dunst und Wolken.

Diese Aussicht hätte sich indessen nicht in ein Bild, nicht in drei zusammenfassen lassen, und da der Künstler den Bodensee mit Fernsichten wiederholt für unser Werk dargestellt hat, so zog er hier mit Recht den Anblick dem Hinausblicke vor und hat uns eine willkommene Ansicht von Hohentwiel und den übrigen, so malerisch gestalteten Burgen des Hegäus gegeben. Er war sehr überrascht, hier die Formen des italienischen Hochgebirges wiederzufinden, Berggestalten und Gruppen, wie sie sonst in ganz Schwaben nicht wiedergefunden werden. Sein Standpunkt, von welchem aus er so viele Burgen in einem Blicke zusammenzufassen wußte, war selbst eine alte Burg (Rosenegg); der ganze Nordwesten des Hegäus, Dies ist der Name eines alemannischen Gaues zwischen der Donau und dem Untersee. Er hat sich im gemeinen Sprachgebrauch erhalten., mit Hohenstoffeln, Hohenhöwen, Staufen, Hohentwiel (das den Mägdeberg hier bedeckt) und Hohenkrähen, liegt vor unsern Augen; nördlich streckt sich das tiefere Land hin, und wo auch dieses gegen den Horizont in die Höhe steigt, wird das Städtchen Aach sichtbar.

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Hohentwiel und das Hegäu

Wer auf diesem steilen Fels zuerst eine Burg erbaut und ihr den Namen Twiel gegeben hat, weiß niemand. Sollte der Name Duellium urkundlich sein, so wiese dieser auf römischen Ursprung hin. Geschichtlich erscheint der Berg zuerst im zehnten Jahrhundert, in der Empörung der Kammerboten Erchanger und Berchtold, wo diese kühnen Vasallen kurz vor ihrem Sturze den Berg besetzen und befestigen. Erchangers Gemahlin Bertha behielt den Berg als Leibgeding. Am Schlusse dieses Jahrhunderts hauset darauf die schöne, strenge, gelehrte Herzogin Hadewig von Alemannien, die jungfräuliche Witwe Burkhards II., und läßt sich von dem blühenden Pförtner des Sankt Galler Klosters, Eckehard, in den alten Römern und Griechen unterrichten, ohne daß sich die Verleumdung an ihren Ruf wagte. Von dort herab herrschte die Männin, bis Alemannien oder Schwaben wieder ein Herzog gegeben ward. Damals stand auf Twiel ein von unbekanntem Gründer gestiftetes, von ihrem Gemahl erneuertes Kloster, das aber unter Kaiser Heinrich II. (im J. 1003) in das mildere Stein am Rhein hinab verlegt wurde. Twiel blieb inzwischen ein festes Schloß. Schon um diese Zeit schrieben sich Dienstmannen der Burg Herren von Twiel, die auch im zwölften und dreizehnten Jahrhundert erscheinen, während das Schloß selbst noch immer Eigentum der Herzoge von Schwaben war. Erst nach Konradins unglücklichem Ende gab sie der Kaiser Rudolf als ein heimgefallenes Schwabenlehen dem Hause seines Kanzlers Heinrich von Klingenberg. Bei diesem Geschlechte blieb sie, bis im J. 1515 auch ein Heinrich von Klingenberg dem Herzog Ulrich von Württemberg das Öffnungsrecht und dem Vertriebenen auch den freien Gebrauch der Feste überließ und Johann Kaspar von Klingenberg sie im Jahre 1538 ganz an diesen Herzog verkaufte. Seitdem ist sie, mitten im fremden Lande, immer in Württembergs Händen geblieben, hat im 30jährigen Kriege durch Wiederholds unsterbliche Verteidigung und auch im Spanischen Erbfolgekriege ihre Ehre bewahrt und erst im französischen Revolutionskriege schimpflich verloren, wo die unbezwingliche Festung von zwei schwachsinnigen Alten mit ihrer Invalidenbesatzung dem vorübereilenden und gar nicht ernstlich verweilenden General Vandamme überliefert und von den Erbfeinden Deutschlands sofort zertrümmert ward (Mai 1800).

Besteige der Leser mit uns die großartigen Trümmer, an deren Fuße, auf halber Höhe des Berges, ein braves Gasthaus, das mit der Försterwohnung und einigen andern Häusern, den sogenannten Meierhof der Feste bildend, an die steile Felsenwand sich lehnt, willkommene Rast gewährt. Bis dahin bekleiden auch Reben den sanfteren Abhang des Berges auf der Sommerseite und gewähren dem Burgbesteiger einen nicht zu verachtenden Labetrank. Bei der Topographie der Trümmer gründet sich unsere Darstellung auf eine erschöpfende briefliche Mitteilung des Herrn Pfarrvikar Schönhut von Hohentwiel.

Von diesem Hofe schreitet man, am Gottesacker vorbei, die Höhe, die von hier an aus lauter schroffen Felsen besteht, hinan, auf einer wohlgepflasterten Heerstraße. So gelangt der Wanderer in weniger als einer Viertelstunde an den ersten Eingang der Festung, nachdem sich schon rechts und links die schönste Aussicht eröffnet hat. Zwei Gewölbe führen uns hier in den Vorhof; dann geht der Weg durch ein Portal zur ersten Zugbrücke der Feste. Die Ruinen, die hier zur linken Seite stehen, waren einst Kaserne, Wirtshaus, Wohnung des Arztes; zur rechten befanden sich die Wohnungen einiger Offiziere. Die Mitte des Torhofes bildete einen geräumigen Platz, in welchem noch der schönste, jetzt teilweise verschüttete Ziehbrunnen der Burg gefunden wird. Der immer steiler werdende Weg führt nun zu einer zweiten Zugbrücke, die ein starker Pfeiler stützt. In der Nähe genießt man hier an einer Schanze abermals eine umfassendere Aussicht und steht an einer senkrechten Felswand von wohl 400 Schuh, an deren Fuß sich die Straße den Berg hinanzieht. Hier kommt der schöne Natrolith zutage, der eine seltene Zierde dieses Berges bildet. Ein Blick umher zeigt die lieblichste Gruppierung der Burgen Staufen, Stoffeln, Höwen, Mägdeberg. Jetzt erwartet uns die dritte Zugbrücke, in deren Nähe die Handwerksleute der Festung wohnten. Jenseits der Zugbrücke stand rechts das Haus des Kommandanten, links erblickt man die Ruinen eines Gebäudes, an dem oben noch das Stück eines schönen Säulenknaufes sichtbar ist und das sich in einem Halbkreis um die südöstliche Seite der Burg herumzieht. An diese Kaserne heftete sich noch der Name »Klosterbau«, der an uralte Zeiten erinnert. Der Name wird gerechtfertigt durch den schöngewölbten Gang, der sich unter dem Gebäude hinzieht, aber größtenteils verschüttet ist. An verschiedene Gebäude schließt sich sodann die Kirchenruine, die von verhältnismäßig großem Umfange ist und in deren offene Fensterwölbungen der Himmel hoch hereinsieht. Am besten erhalten ist der Turm, einst noch um ein Stockwerk höher, von welchem zehn Glocken ins tiefe Tal hinab erklangen. Diese Kirche war von dem frommen Wiederhold ganz aus feindlicher Beute erbaut und begabt worden. Alle die bisher beschriebenen Gebäude umschließt ein schöner Hofraum, der zum Paradeplatz der Besatzung diente und in dessen Mitte eine hohe Linde grünte, die leider auch unter den rohen Händen der Burgzerstörer fiel.

Von einer kleinen Bank, welche die lieblichste Aussicht auf den See und die Schweizergebirge gewährt, läßt sich hier die Runde um die übrige Burg vollenden. Ein kleines, gegen Südwesten gekehrtes Portal führt hier zu einer Leiter. Diese hinabgestiegen, steht man auf dem obern Teile des sogenannten Rondells; eine runde Öffnung führt weiter hinab auf eine halbzerstörte Wendeltreppe, die in das Innere eines Bauwerkes führt, dessen Struktur bei weitem interessanter ist als alle übrigen Teile der Burg. Das backsteinerne Gewölbe hat ganz die Form einer kleinen Zitadelle; ringsum sind Schießscharten angebracht, in welchen früher Kanonen gestanden zu haben scheinen. Der Bau war von solcher Festigkeit, daß selbst die Zerstörung der Eroberer hier ihre Absicht nur unvollkommen erreichen konnte. Dies Rondell stammt, seiner Bauart nach zu urteilen, wenigstens aus den Zeiten Herzogs Ulrich von Württemberg. Es bildete den größten Turm der Feste, welcher wahrscheinlich an die Stelle eines nicht weit entfernten älteren Turmes trat, der die Bestimmung hatte, die hier weniger abschüssige Seite der Festung gegen feindliche Angriffe zu decken. Später wurde dies Rondell zu einem Laboratorium verwendet, weil es mit den übrigen Festungswerken weniger in Verbindung stand. Schon um der Aussicht willen, die eine seiner wohlerhaltenen Fensteröffnungen bietet, ist dieses Gewölbe des Besuches wert. Man sieht hier in behaglicher Sicherheit über die westliche Felsenwand hinab, welche die allersteilste des Kegels ist. Uns zu Füßen liegt die untere Feste, deren Trümmer man nirgends in so trauriger Gruppierung vereinigt überschauen kann wie hier. Von dem Rondell emporgeklommen, wenden wir uns zuerst einem der Fensterbogen zu, wo uns ein eigentümlicher Ausblick erwartet. Den Vordergrund bildet hier die Ruine Rosenegg. Eine Frau dieses Geschlechtes, verehelichte Freifrau von Tengen, hat im Schwabenkriege bei der Belagerung von Tengen durch die Schweizer auf dieselbe Weise Treue an ihrem Ehegemahl bewiesen wie die Weiber zu Weinsberg, und die Geschichte berichtet uns ein Mann, welcher der Begebenheit im Jahre 1499 als Augenzeuge zugesehen hat. Zum schönen Hintergrunde dient der Burg Rosenegg die Gebirgskette der Schweiz. Die Wanderung durch die Felsruine führt jetzt um die Kanten eines schon früher erblickten viereckigen Gebäudes herum; hier führt ein Durchbruch zu dem eingegangenen Turme, dessen oben Erwähnung getan worden ist. Von dieser Öffnung geht man gerade dem Gebäude zu, das den Namen der »fürchterlichen Burg« führt, an bedeutenden Trümmern vorüber, wo die Windmühlen gestanden haben sollen, die Wiederhold errichtete, als die Mahlmühle von den Österreichern zerstört worden war. Ein kleiner, auf einem Felsen ruhender Durchgang führt in jene »Burg«, welche die höchste Spitze des Bergkegels bildet. In ihrem Hofe öffnet sich eine köstliche Aussicht durch das Hauptportal der Burg, das die Jahreszahl ihrer Erbauung, 1554, trägt: Wie von einem Rahmen eingeschlossen steigt hier aus der Tiefe der unserer Feste verbrüderte Kegel des Krähenberges empor, der für sich allein gesehen nirgends, selbst auf unserem Bilde nicht, wo er doch so vorteilhaft hinter seinem Bruder in schwarzem Schatten hervorragt, so malerisch gesehen wird; durch das Gemach, das sich dem Portale anschließt, erblickt man, als ein zweites reizendes Bild, das Städtchen Aach.

Dies ist die Stelle, wo, nach dem Plane des für seinen Wohnsitz begeisterten und unermüdlich tätigen Pfarrverwesers von Hohentwiel, Wiederholds Denkmal aufgerichtet werden soll, Es wird aus einer in Eisen gegossenen Büste Wiederholds bestehen, die ein Fußgestell aus Steinen der Burg erhält, zu welchem noch zwei vorhandene Denksteine mit einer Inschrift vom J. 1649 verwendet werden. Die Büste selbst soll zunächst auf einen alten Säulenknauf zu ruhen kommen. und für uns der beste Ort, von diesem heldenmütigen Verteidiger Hohentwiels zu sprechen.

Konrad Wiederhold, 1598 zu Ziegenhain in Hessen geboren, im 17ten Jahre als gemeiner Reiter in hanseatische Kriegsdienste getreten, im Dienste der Republik Venedig mit der Behandlung des groben Geschützes vertraut geworden, seit 1619 württembergischer Rittmeister, wurde, nach ruhmvollen Kriegstaten in Folge der unglücklichen Nördlinger Schlacht (1634), auf Hohentwiel gesetzt, dies Kleinod seinem Herzog zu erhalten. Bald war Schwaben von den kaiserlichen Heeren überschwemmt, alle Festen des Landes waren gefallen; nur Twiel stand wie ein einsamer Fels in dem tobenden Meere fest. Vierzehn Jahre verteidigte er den Platz gegen die verschiedensten Heere; im Flug überfiel er die feindliche Nachbarschaft auf viele Meilen weit, jetzt Heiligenberg beim See, jetzt Wildenstein an der Donau, schlug einen Sturm der Kaiserlichen, die schon in den Vorhof seiner Feste gedrungen waren, glücklich ab, widerstand mit nicht geringerem Mute dem wiederholten Befehle seines von den Feinden bedrängten und freien Entschlusses beraubten Herzogs, die Festung zu übergeben, trotzte den Spaniern, die auf der Ruine Staufens Posto gefaßt hatten, den Kaiserlichen und dem Rate der Stadt Schaffhausen, die ihn teils mit Waffen, teils mit Worten belagerten, überrumpelte und eroberte durch eine glänzende Waffentat das nahe Überlingen und füllte unangefochten »Bauch und Säckel«, wie seine Feinde klagten, vom Raube der Umgegend. Er hatte die Freude, die Feste wohlbehalten und wie im Friedensschmucke glänzend im Jahre 1648 seinem Herrn zurückzugeben. Noch einmal ritt der fröhliche Held von seinem Berge hinunter nach Überlingen, seinen guten schwedischen Freunden Valet zu sagen und die Geschütze in Empfang zu nehmen, welche sie seinem Herzog als Geschenk bestimmt hatten. Dann zog er sich in den Friedensdienst zurück, baute sich ein hübsches Schloß zu Neidlingen am Fuße des Reißensteins, den der Leser aus unserm Werke kennt, und liegt zu Kirchheim an der Teck, wo er als Obervogt 1667 starb und nun auch ein Denkmal erhalten hat, begraben.

Nach dieser vom Orte selbst gebotenen Abschweifung schicken wir uns an, die Wanderung durch die Trümmer der Festung zu vollenden. Zunächst am Portale befindet sich der Rittersaal mit der Aussicht auf die Burgen, den See und die Gebirge. Wir übergehen einige Gemächer und Gewölbe, steigen – freilich auf keiner gemächlichen Leiter – an dem zerrissenen Gestein aufwärts und befinden uns jetzt auf dem Turme, der, ohne eigentlichen Zusammenhang mit dem übrigen Festungsbau, vielleicht zu den Überbleibseln der ältesten Befestigung dieses Berges gehört. Derselbe steht so ziemlich in der Mitte des ganzen Burgbaues. Durch mehrere angränzende Gemächer wieder herausgetreten, kehren wir uns der andern Vorderseite der Burg zu, wo eine andere Reihe von Zimmern größere Bedeutsamkeit erhalten hat. Im ersten derselben schmachtete ein Held des Friedens – wie Wiederhold ein Held des Krieges war –, der edle, gelehrte und freimütige Johann Jakob Moser, der Konsulent der württembergischen Landstände, beinahe fünf Jahre lang in unverschuldeter Gefangenschaft (vom 12. Juli 1759 bis zum 25. Septbr. 1764), unverhört und ungerichtet. Kein Schreibzeug, kein Buch, außer der Bibel und Gebetbüchern, wurde dem Gelehrten, dessen geistige Speise das Studium der Wissenschaft war, vergönnt; mit seiner erfinderisch geschärften Lichtputze beschrieb er die jetzt zerfallenen Wände mit frommen, geistlichen Trostliedern. In einem andern Gemache saß der preußische Werbeoffizier von Knobelsdorf; als Jüngling von 20 Jahren eingesperrt, verließ er den Kerker mit grauen Haaren. Im dritten Gefängnisse saß der Oberst Rieger, dessen Schicksale Deutschland aus einem Aufsatze Schillers, »Spiel des Schicksals« überschrieben, kennt. Ignobelere Gefangene, den Gauner Hannickel mit seiner Bande, beherbergte das noch wohlerhaltene Gewölbe unterhalb der Kirche.

Noch sind die Kasematten unter der Burg, das Duellium subterraneum, des Besuches wert. Die erste, von dem beschriebenen Turm unterhalb dem Portal in einer Länge von wenigstens 30 Fuß hinlaufend, war in früherer Zeit ein Weinkeller; seine linke Seite ist in die Felsen des Berges gehauen. Von ihm steigt man in ein bedeutend tieferes Gewölbe, an dessen rechter Flanke ebenfalls noch die Felsen hervorragen, aus ihm wieder aufwärts in ein drittes, mit dem ersten in einer Linie liegendes, an dessen rechter Seite der Fels gleichsam ein steinernes, zu beiden Seiten untermauertes Tor bildet. Dies letztere Gewölbe war, in Gemeinschaft mit dem »Drachen« und dem »Löwen«, zwei östlichen Pulvertürmen der Festung, zur Aufbewahrung der Munition bestimmt; es hieß deswegen auch das Kugelgewölbe. Das nötige Quellwasser lieferte die untere Festung, in der obern befanden sich nur Zisternen. Fünfhundertundsechzig Personen im ganzen bevölkerten den Berg, darunter die wenig zahlreiche Besatzung, der in der letzten Zeit ein Kommandant und ein Vizekommandant vorstand. Jetzt ist alles Ruine und der Meierhof allein bewohnt.

Nur ungern trennt man sich von den großartigen Trümmern, deren vielfältige Lücken und Fensterhöhlen Himmel und Erde gleichsam zu sich hereinziehen und eine bunte Menge der verschiedenartigsten eingerahmten Bilder zeigen.

Betrachten wir Hohentwiel in Verbindung mit seinen Brüderbergen, die sich auf unserm Bilde in so malerischer Gruppierung um dasselbe reihen, so fällt die eigentümliche Beschaffenheit dieser Berge, sofern sie für den Geognosten interessant sein müssen, schon dem Laien ins Auge. Es sind im ganzen acht vulkanische Bergkegel, wovon zwei auf der vorliegenden Gruppe durch die übrigen verdeckt, die mitten aus dem Bodensatze alter Flut aufsteigen, lauter wunderbare, hutförmige Berge, steil aus dem fruchtbaren »Hegäu« emporstrebend, das vielleicht von ihnen den Namen »Höwgäu, Höhengau« erhalten hat. Der größte darunter ist unser Hohentwiel. Sein Gestein besteht hauptsächlich aus Porphyrschiefer oder Klingstein, eine Steinart, deren Grundmasse Feldstein ist, mit sehr vielen fremdartigen Beimengungen. Man findet in demselben ein geschätztes Fossil, den Natrolith, teils derb als Ausfüllungsmasse der Spalten, teils in kleinen, kugeligen, strahligen Bildungen, von gewöhnlich braungelber Farbe. Aus ähnlichem, dem Basalt oft verwandtem Klingstein bestehen auch die benachbarten Bergkegel, der Staufen, Mägdeberg, Hohenkrähen usw., der Hohenstoffeln dagegen ganz aus Basalt, dessen einfache, schwere, bläulich schwarze Masse häufig schöne Fossilien einschließt. Die neuesten Forschungen haben es sehr wahrscheinlich gemacht, daß Klingstein, Basalt und andere verwandte Gebirgsarten nur durch unterirdisches Feuer veränderte und in die Höhe gehobene, primitive Massen sind.

Der eben genannte Hohenstoffeln ist der erste Berg links auf unserer bildlichen Darstellung. Er trägt auf seinen drei Basalthügeln, gleich einer dreifachen Krone, die Trümmer dreier Burgen, und seine Aussicht ist nicht minder reich und reizend als die, welche von Hohentwiel herab genossen wird; nicht weniger als zwölf alte Burgen sind hier in der nächsten Nachbarschaft erkennbar. Sein Name, wie der Name Staufen, rührt von dem altdeutschen Stouf, Stauf her, welches Berg (Bergstufe) bezeichnet. Stöfelen, Bergeskuppe, ist der älteste Name des Berges und des Geschlechts, das sich davon schreibt. Schon im J. 1034 ward Norbert von Stofelen, ein kriegerischer Mann, später Begleiter Heinrichs III. auf seinem Römerzuge, der Erbauer Appenzells, Abt zu St. Gallen. Zweiundzwanzig Jahre nachher saß auf Befehl Heinrichs III. der Bruder Kaiser Konrads II., der Bischof Gebhard von Regensburg, einer Verschwörung mit Welf III., Herzog von Kärnten, beschuldigt, kurze Zeit hier, »in Stofola«, gefangen. In den folgenden Jahren kommen die Herren von Stoffeln häufig vor, und der Berg kann sich mit großer Wahrscheinlichkeit auch den Sänger Konrad von Stoffeln vindizieren, der in der zweiten Hälfte des 13ten Jahrhunderts ein noch ungedrucktes Gedicht geschrieben hat, »Gabriel von Montavel oder der Ritter mit dem Bock« genannt, dessen Stoff aus dem Fabelkreise der »Tafelrunde« genommen ist und den der Dichter, wie er selbst sagt, »zu Hispania« gewonnen.

Der nächste namhafte Berg auf unserm Bilde – nur ein burgloser Rücken steht vorwärts zwischen ihm und Stoffeln – ist Hohenhöwen, von dem vielleicht das ganze Hegäu seinen Namen hat, wie er selbst den seinen von »Höhe«. Das Geschlecht, das sich hier, wahrscheinlich schon im zwölften Jahrhundert, festsetzte, kam aus dem fernen Hessenlande und war ein Zweig der Grafen von Ziegenhain, deren Wappen es führte. Es besaß hier bis ins 14te Jahrhundert eine ansehnliche Herrschaft mit dem Städtchen Engen, gab dem Hochstifte Konstanz mehrere Bischöfe und starb im 16ten Jahrhundert aus.

Zwischen Hohenhöwen und Hohentwiel sieht auf einem kleineren Hügel die Burg Staufen hervor, die ein komisches Mißverständnis eines berühmten topographischen Werkes einst zur Stammburg der Hohenstaufen stempeln wollte. Die Burgtrümmer, die im Hegäu diesen Namen tragen, liegen nur eine Viertelstunde nordwestlich von Hohentwiel und waren einst als Schloß samt der Herrschaft desselben Namens dem Kloster Petershausen zugehörig. Schwerlich nannten sich Edelleute davon.

Der Mägdeberg, ein fünfter Kegel, wird auf dem vorliegenden Bilde ganz von Hohentwiel zugedeckt. Er trägt die Ruinen einer Burg, die das Kloster Reichenau bauen ließ und die, damals württembergisch, schon im J. 1360 durch den Bund der Seestädte gegen König Wenzel zerstört wurde. Eine Wallfahrt zu den heiligen (eilftausend?) Jungfrauen hatte ihm den Namen Mons puellarum gegeben.

Auf dem niedrigsten, aber steilsten, zuckerhutähnlichen Vulkanskegel, für unser Auge rechts von Hohentwiel, stehen die Trümmer von Hohenkrähen, im Munde des Volkes Kreihen. Sie ist die sagen- und geschichtenreichste dieser Burgen. Schon das 13te Jahrhundert kennt Edle von Kreigin, die aber im folgenden Jahrhunderte verschwinden. Ums J. 1540 zogen sich die tapfern Vorfechter Zürichs im Kriege gegen die Eidgenossen, die, erst sechzehn, endlich sechzig an der Zahl, die »Zürcherböcke« hießen, unausgesöhnt auf dieses Asyl zurück, dessen Schloßrecht sie erkauft hatten, um dem Frieden nicht länger im Wege zu stehen. Die Schweizer selbst, ihre ehemaligen Feinde, sprachen für sie, ja, Landammann Frieß von Uri ließ sich verlauten, man könnte diesen Böcken, solange sie verbannt seien, selbst neue Feindseligkeiten, ja sogar die Gefangennehmung eines großen Eidgenossen, nicht übel nehmen. Das ließen die Böcke sich nicht zweimal sagen, und als derselbe Ammann im Marktschiffe den Zürcher See hinunterfuhr, brachen aus einer Bucht zwei bewaffnete Nachen hervor: Es waren die Böcke. »Gebt Euch, Ammann Frieß von Uri, fürchtet nichts!« riefen sie. »Euch ist gut raten, liebe Gesellen«, sagte der Gefangene, redlich und darum unerschrocken, im Hinübersteigen; »ich aber meinte nicht, daß der Rat mich treffen soll!« Die Böcke führten ihn auf Hohenkrähen, bewirteten ihn gastlich, behielten ihn aber, bis Itel Reding, das Haupt der Eidgenossen, unmutig dreihundert Gulden für den Gefangenen hinlegte und ihm die Rückkehr gestattet ward. Den Untergang der Burg führte auch eine romantische Geschichte herbei. Stephan Haußner, ein Edelmann, entführte seine Geliebte, eine schöne Bürgerstochter von Kaufbeuren, auf seine Burg Hohenkrähen, sandte mit seinen Raubgenossen den Kaufbeurern einen Absagebrief und verwüstete die Gegend den ganzen Sommer 1512. Aber die Städter hatten einen Fürsprecher bei Kaiser Maximilian an dessen Bartscherer und lustigem Rate, Kunz von der Rose, der ein Bruder Georg Kreßlings, eines der gefangenen Kaufbeurer, war. Dieser flehte beim Kaiser um Genugtuung. Der berühmte Bundeshauptmann Georg von Frondsberg erschien im November mit nicht weniger als 8000 Mann und 10 Stücken Geschützes vor der Feste; auch die Augsburger hatten zwei »Notschlangen«, Pulver und Büchsenmeister geschickt. Und nun setzten der »Sigmund« und das »Kätterlin« – dies waren Namen der gröbsten Geschütze – den Jungfernräubern so lange zu, bis sie entflohen oder Gnade erhielten. Nur Stephan Haußner, in der Kirche eines Nachbarstädtchens ergriffen, ward enthauptet. Das mit Felsstücken verrammelte Schloß zerstörten die Bundesvölker.

Drollige Geschichten erzählt sich das Volk von dem »Poppele auf Hohenkrähen«, dem Geiste weiland Herrn Johann Christian Popelius, Schirmvogtes einer verwitweten Freiin von Hohenkrähen, der hier seit Jahrhunderten umgehen oder, wie der Schwabe sagt, »laufen« muß. Er ist ein lustiges Gespenst: Den Dreschern wirft er die Garbenstöcke auseinander, den Bauern spannt er Ochsen und Pferde verkehrt ein; unerwartet sperrt er auf ebenem Wege die Räder der Herrenkutschen; wo müde Glas- oder Eierträger um den Weg sind, da verwandelt er sich in einen Baumstrunk, und wenn sie sich niederlassen wollen, verschwindet er, daß sie sich mit ihrer zerbrechlichen Last auf den Boden setzen. Einmal ist er vor die Stadt Radolfszell am Untersee gekommen und hat dort so hell das Posthorn geblasen, daß der Wächter ans Tor eilte, aber höchlich verwundert war, niemand zu treffen. Man sieht es, dem echt alemannischen Geiste fehlt nur ein Hebel, um ihm zu seiner lästigen physischen Unsterblichkeit auch eine poetische zu verschaffen.

Mit diesem heitern Spuke des harmlosen Volksglaubens verlassen wir das Hegau und unser schönes Schwabenland, soweit es in diesem Werke Raum gefunden hat. Wenn Beschauer und Leser bei den Naturschönheiten dieses vom Himmel gesegneten Landes und den geschichtlichen Erinnerungen, die sich an seine meisten Punkte knüpfen, mit einiger Lust verweilten, so wird es den Künstler nicht gereuen, vor manchem Berg und Tal, Felsen und Wassersprudel, mancher Burg und Stadt in Wind und Wetter, in Regen und Sonnenschein tagelang gesessen und das, was er hier zu mühelosem Genusse bietet, mit Arbeit und Anstrengung ausgesucht und mit gewissenhafter Sorgfalt auf sein Blatt gebannt zu haben; es wird dem Verfasser des Textes nicht leid sein, diesen ausgewählten Bildern ein eigenes Studium gewidmet, so viele Bücher durchsucht, den Erfund verarbeitet und überall, wo der fremde Buchstabe nicht ausreichte, zum Wanderstabe gegriffen und Auge, Kopf und Herz an Ort und Stelle mitgenommen zu haben.


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