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Wir führen jetzt den Freund romantischer Natur einem der schönsten Täler der Schwäbischen Alb zu, nachdem wir einige Stunden vom Hohenstaufen vorwärts in das offene Land hinausgetreten sind und ihm die blaue Gebirgskette im Überblicke vorgestellt haben.
»Der Gebirgszug der Schwäbischen Alb, an welchen sich südlich der Heuberg, nördlich der Albuch und das Hertfeld anreiht, hat ein Streichen von Südwest nach Nordost und erhebt sich gegen Nordwest in einem steilen Abfalle von ungefähr 1000 Pariser Fuß über die Talsohl, während er sich gegen Südost sanft verflacht. Der nordwestliche steile Hang, die zum Teil sehr tiefen Taleinschnitte und das mehrfältige Vorkommen plutonischer Bildungen lassen auf vielfache, noch nicht genau erörterte Veränderungen bei diesem Gebirge schließen. Unverkennbar haben basaltische Massen die ganze Albkette gehoben. Ehe jene Erhebung eintrat, scheint dieses Land wo nicht ganz, doch zum Teil von Wasser bedeckt gewesen zu sein. Als aber dieselbe im Süden und Südwest plötzlich und mit großer Gewalt auftrat, wurden die abfließenden Wasser von dem bereits gegenüberstehenden Schwarzwaldgebirge zurückgeworfen und stürzten nach Nord und Nordost. Diese Strömung muß zwar nur temporär, jedoch außerordentlich heftig gewesen sein; sie bespülte die Nordwestseite der Albkette und vermehrte noch hierdurch die bei der Erhebung entstandenen zahlreichen Zerreißungen und Einschnitte. Nur in der Nähe der Basalte und am Rande der Täler ist zuweilen eine Störung der Schichten bemerkbar, sonst sind sämtliche Gebirgsformationen fast horizontal geschichtet. Dagegen zeigen ein und dieselben horizontalen Schichten auf kurze Entfernung hin ein so verschiedenes Niveau, daß dieses nicht anders als durch große Verschiebungen zu erklären sein dürfte. Während jener Katastrophe mußten die Hebungen in den Gewässern einen außerordentlichen Wellenschlag hervorbringen; es entstand eine Strömung von Südwest nach Nordost, welche das gehobene Gebirge an seiner Nordwestseite bedeutend angriff; der am ganzen Fuße der Alb bemerkbare Rücken hatte sich aber höher gehoben als das Hauptgebirge selbst und hierdurch die auflöslicheren Schichten des Lixs und Oxfordmergels der heftigsten Brandung entgegengestellt. Solcher Gewalt konnten diese Massen nicht widerstehen, die Fluten untergruben dieselben, die auflagernden Kalkmassen stürzten ins Tausendfache zertrümmert nach und wurden von den Wellen mit fortgenommen. So war der Erhebungsprozeß der Schwäbischen Alb ein ganz anderer als derjenige des französischen und Schweizer Jura, des Schwarzwaldes, der Vogesen und der Alpen; denn hier findet man weder Aufrichtungen noch Verbiegungen und Überstürzungen, alles ist horizontal gehoben.« Aus dem für die Alb klassischen Vortrage des Grafen Friedrich von Mandelsloh in der zwölften Versammlung der deutschen Naturforscher zu Stuttgart im Herbst 1834: »Über die geognostischen Profile der Schwäbischen Alb.«
In seiner jetzigen Gestalt erscheint indessen dieses unter so wilden Kämpfen der Elemente entstandene Kalkgebirge aus der Ferne, wie sein Bruder, der schweizerische Jura, dem Anblick etwas trübselig und eintönig. Der Wanderer erwartet gewiß viel weniger, als darin zu finden ist, und auch nur, als wir selbst ihm hier in beschränkter Auswahl geben. Die ganze schroff aufsteigende Bergewand, schwarzblau von der Entfernung gefärbt, hier ihre nordwestliche Abdachung gegen den Neckar, die ungleich höher ist als die südöstliche gegen die Donau, uns entgegenbietend, bildet am Horizont eine lange gerade Linie von etwa dreißig Stunden, nur von wenigen, kaum über die Bergfläche sich emporhebenden Gipfeln unterbrochen; dem verweilenden Blicke teilt sie sich bald in eine Menge aneinandergereihter, sargförmiger Berge, mit welchen hie und da eine Kegelform, selten eine Halbkugel wechselt; kein Fluß am Fuße belebt oder mildert den Anblick; waldige Hügel lagern sich fast allenthalben im Vorgrunde des Gebirges bis zum weit vom Fuße desselben zurückweichenden Neckar, der für den ferneren Beschauer wieder von Hügeln gedeckt ist.
Aber wenn die Luft nicht dunstig, der Horizont an den Bergen blau ist und die Abendsonne einen Strahl auf diese Ferne wirft, so erheitert und belebt sich bald das Gemälde. Die dunkle Farbe des Gebirges wird durchsichtiger, indem der Sonnenschein eine leichte Röte darüber gießt, in welcher bald mehr Wechsel der Formen hervortritt, als das Auge früher geahnt hat. Bald schimmern uns die reichen Buchenwälder, von welchen diese Berge bis zu ihren obersten Höhen umkleidet sind, entgegen, Vertiefungen mannichfaltiger Täler werden sichtbar, die sich zwischen den mehr und mehr von dem ganzen Bergeszug abgelösten Massen eröffnen; wo die Vorhügel einen Blick durchlassen, entdeckt man, wie funkelnde Punkte, Dörfer und Städte; am Fuße der Alb hin und in die Berge hinein ziehen sich üppige Obstwälder; die Höhen sind mit weißen Kalkfelsen, die vom Grün der Wälder sich jetzt deutlich ablösen, übersäet, und auf den vereinzelten Gipfeln des Gebirges zeigt uns die scheidende Sonne vorher unbemerkte Schlösser und Ruinen. Ein solcher Moment, in welchem das Gebirge auf viele Meilen weit in seinen Einzelheiten kenntlich erscheint, prägt der Phantasie den Charakter der Schwäbischen Alb für immer ein, und wenn der Freund ihrer mannichfaltigen Schönheit sie später wieder in blauer Ferne erblickt, so wird sein Auge noch mit Lust auf diesem verschwommenen Gebirgszuge verweilen:
Das ist die teure Schwabenalb,
Die allenthalb
Blau nach der Ebne winket,
Wo man auf Heiden hoch und kühl,
Fern vom Gewühl,
Die reinen Lüfte trinket,
Wo Blütenduft
Zu Tale ruft;
Man wandert schnell,
Bis man am Quell
In Waldesschatten sinket.
Wir aber führen ihn hier in ihre nächste Nähe, bis er
– durch der Täler Pfad
In Wälder trat,
Aus denen Felsen stiegen,
Und bis er auf den Spitzen links
Sah rechts und links
Die alten Burgen liegen.
Die angeführten Stellen dieses Abschnitts sind den schwäbischen Romanzen meiner »Gedichte« entnommen, I, S. 343 f. und 331 ff.
Die Ruine der Burg Reißenstein liegt eine starke Meile von dem Talstädtchen Kirchheim unter Teck, links von dem Teckberg, auf der südöstlichen Bergwand des Neidlinger Tales. Doch hat sie der Künstler nicht in diesem Tale selbst aufgesucht, sondern seinen Standpunkt in dem Heimenstein, einer der Burg gerade gegenüberliegenden Höhle, genommen. Auf dem Wege von der nordwestlichen Albzinne nach dieser Grotte findet man sich bald im dichtesten Walde, unter einem bunten, aber wohltuenden Gemische der verschiedenartigsten Bäume. Auch der Boden bekleidet sich von Schritt zu Schritt mit einer üppigen Vegetation von Gras, Blumen und Kräutern; man merkt, daß man nicht nur von Städten, sondern von allen Menschenwohnungen fern wandelt, und die unendlich wohltätige Gegenwart einer jungfräulichen Natur labt Herz und Auge, während die würzige Bergluft in dieser blühenden Einsamkeit Brust und Füße stärkt und alle Müdigkeit weghaucht.
In dem Eingeweide des Felsen, welcher den Namen Heimenstein führt, öffnet sich am südlichen Abhange eine schmale Höhle, welche denselben nach Südosten durchschneidet, etwa 60 Schritte lang und von innen eng, aber wohlgeformt, lichtlos, durch herabhängende und auf den Boden bunt hingeworfene Steinmassen unterbrochen, bald von dreifacher Mannshöhe, bald so niedrig, daß man nur gebückt durchkriechen kann und nur mit Licht versehen und unter dem Vortritt eines Führers durchkommt. An der wieder erweiterten Kluft steht man vor dem schroffen Abgrunde des Tales, und dem Blicke gerade gegenüber erscheinen als Vorsprung der entgegengesetzten Talwand die herrlichen Trümmer der alten Feste Reißenstein, als Krone eines Felsen, der sich aus einer Fülle von Wald erhebt. Dieser überkleidet die ganze obere Hälfte des länglichen Bergkessels, den das Tal bildet. Schmuck und malerisch winkt dem Hinunterblickenden aus dem tiefen Grunde, den hier die kleine Lindach durch das Gebirge gewählt hat, das Dorf Neidlingen herauf, das einst der tapfere Verteidiger Hohentwiels im Dreißigjährigen Kriege, der um das Württemberger Land hochverdiente Wiederhold, als Lehen besaß. Nach Norden und Nordost öffnet sich das Tal gegen das Städtchen Weilheim und die schönen waldigen Kuppen des Erkenberges und Aichelberges. Gegen Südwesten ist das Tal durch einen waldigen Bergesgrund ganz abgeschlossen.
Das Volk läßt in dieser Höhle einen Geist über einem ungeheuren Schatze wachen und schreibt auch diesem, der einst als Riese hier gehaust, den ursprünglichen Aufbau des Reißensteines – Riesensteines – zu:
Droben von dem Berge hoch
Schaut herab das Felsenloch;
Drin aus seiner langen Nacht
Ist der Riese Heim erwacht.
Streckt das zott'ge Haupt hervor,
Luget durch sein schwarzes Tor;
Ihm gefällt das tiefe Tal,
Der gewölbte Riesensaal.
Und er sehnt sich nach dem Licht,
Weilt in seinem Steine nicht;
Bald mit
einem Schritt er stand
Auf der andern Felsenwand.
Nun ruft er die Zwerge, die Menschen, auf, ihm ein Haus zu bauen. Maurer, Steinmetz, Zimmermann gehorchen ihm. Bald steht der Riesenstein fertig, und nur der letzte Nagel am obersten Fenster fehlt noch.
Doch der Ries im Augenblick
Nimmt den Knecht bei dem Genick,
Streckt zum Fenster den hinaus,
Daß es allen ist ein Graus.
»Hämmre, meine Hand ist fest,
Daß sie dich nicht sinken läßt!
Schlag den Nagel in den Stein
Zwischen Erd und Himmel ein!«
Draußen hängt er so mit Schreck,
Doch er wagt's und hämmert keck;
Nieder läßt der Heim ihn sacht:
»Zwerg, du hast es wohl gemacht!«
Urkunden erzählen von dieser Riesenfeste wenig, und man kennt ihre geschichtlichen Erbauer und Besitzer nicht. Gegen Ende des 14ten Jahrhunderts wurde sie vom Grafen Eberhard von Württemberg dem Ritter Hans von Lichtenstein überlassen, der sie seinen Tochtermännern abtrat. Im Jahre 1441 kam sie durch Kauf an den Grafen von Helfenstein und machte von da an einen Teil der Reichsherrschaft Wiesensteig aus.
In das Innere der lange fast ungekannten Ruine gelangt man nach mancher Mühseligkeit von deren Rückseite – die auf dem Bilde sichtbare Vorderseite stürzt in tiefen Abgrund nieder – durch eine auf Händen und Füßen zu durchkriechende Höhlung. Dann klettert der keckere Wanderer an den Abgründen des Schuttes hinauf zum höchsten und mächtigsten Turme, wo sich die Aussicht auf das Neidlinger Tal von der andern Seite und eben deshalb ganz verändert, nach Nordost und Norden viel großartiger geworden, wiederholt. Dieser viereckige, gegen Nordosten stehende Turm hat 70–80 Fuß Höhe. Gegen Süden zeigt sich das ziemlich vollständige Gerippe eines großen Wohnhauses, von dem noch drei hohe Mauern stehen, die vierte zerfallen ist. Das Dach fehlt ganz, und der Himmel schaut hoch herein. Der Boden des Hauses ist mit wuchernden Ahornen, Eschen und Steinlinden angefüllt. Das Ganze ist durch mannichfaltiges Mauerwerk untereinander verbunden und umschlossen. Aus dem Felsen, auf dem eine Art Vorhalle ruht, führt, zusammengeschmolzen mit dem Mauerwerk, die Höhle empor, die jetzt den einzigen Zugang zu dem Schlosse bildet. In der Mauer darüber sind zwei große gewölbte Öffnungen, welche vielleicht die Eingänge zu zwei gewaltigen Zugbrücken gebildet haben, da jener Eingang unmöglich der einzige in das Schloß gewesen sein kann.
Dem südlichen Schlusse des Tales ist man hier ganz nahe. Dort bildet die Lindach vom Gipfel der Alb herab über pittoreske Felsen den hübschen Wasserfall in einen durch Wald und Berg ganz abgeschnittenen Kessel. Man entdeckt ihn nicht eher, als bis man durch das bunte Gemisch der schlanksten Buchen, Eichen, Ulmen- und Ahornbäume, die sich an der Bergwand hinaufziehen und mit Kirschbäumen und anderm Obste abwechseln, hindurchgedrungen ist. Hundert Schritte klettert der Wanderer an gelindern Fällen hinauf, bis er auf dem Felsen ausruht, wo der obere Quell aus dem Kalkstein hervorspringt
Und aus hoher Umschattung
Sein redseliger Sprudel hüpft.