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Die Nebelhöhle

Die malerischen Schönheiten Schwabens beschränken sich nicht auf seine Oberfläche, sie setzen sich selbst unter dem Boden fort; keine Provinz Deutschlands ist so reich an unterirdischen Grotten und größeren Höhlen; ja fast jedes Jahr setzt die Entdeckung eine neue hinzu; und selbst hier, wo man es weniger erwarten sollte, herrscht das Gesetz der größten Mannichfaltigkeit, und die Stalaktiten der verschiedenen Höhlen zerfallen in Geschlechter und Arten, wie die Blumen und Früchte, die am Fuße dieser Gebirgsgrotten in den lieblichen Tälern blühen und reifen.

Das ältestbekannte, berühmteste und imposanteste von diesen Subterraneen ist die Nebelhöhle, obgleich sie durch die jährliche Beleuchtung mit viel tausend Talglichtern viel vom feenartigen Schimmer der Tropfsteine verloren hat und in dieser Hinsicht mit ihren jüngeren oder doch frischeren Schwestern sich nicht messen darf.

Der alte, bescheidene Name, den das Volk der Höhle gegeben hat, ist das Nebelloch und rührt wahrscheinlich von ihren Ausdünstungen her. Der bekannte deutsche Reisende Keysler machte vor hundert Jahren auch das Ausland mit dieser Höhle bekannt, beschrieb sie und wies auch ihre große Ähnlichkeit mit der Baumannshöhle nach. Schon er berechnete die Länge sämtlicher unterirdischen Grotten und Gänge von dem äußersten Eingange bis an den Ort, wo man von diesem am weitesten entfernt ist, auf 488 Fuß. Seitdem ist sie oft und genau untersucht und vielfach beschrieben worden.

Die Höhle liegt drei Stunden oberhalb Reutlingen, an dem Ende eines Seitentälchens von Oberhausen, an der Seite eines hohen waldigen Bergfelsens, der Stellenberg genannt. Ihr großer portalmäßiger Eingang ist mit einer, gewöhnlich verschlossenen, Türe versehen, zu welcher Pfullingen und das nähere Dörfchen Oberhausen die Schlüssel verwahren. Dieser Eingang öffnet sich gegen Nordost an der steilen, felsigen Waldwand, ungefähr 140 Fuß unter dem Rande des Gebirges und 2457 Fuß über der Meeresfläche, zwischen bemoosten Felsen. Die Höhle selbst besteht aus mehreren Abteilungen, der untern, der obern und den zwei kleinern obern Höhlen. Die untere Höhle teilt sich wieder in die vordere und hintere Höhle, welche beide nur durch einen schmalen Durchgang verbunden sind. Die Hauptrichtung der ganzen Höhle geht von Südost nach Nordwest; ihre Länge beträgt 540 Fuß, wovon 315 Fuß auf die vordere und 225 Fuß auf die hintere Höhle kommen; ihre mittlere Breite hat 75 Fuß, ihre Höhe steigt bis auf ungefähr 70 Fuß.

Durch den Eingang steigt man auf einer Treppe von 68 Stufen, welche 1803 an die Stelle des sehr beschwerlichen und schlüpfrigen Weges gesetzt worden ist, hinab und kommt dann in die vordere Höhle. Noch auf der Treppe erweitert sich die Höhle in einem hohen Gewölbe, das schornsteinartig über 50 Fuß in die Höhe steigt und oben eine kleine Öffnung hat, durch welche ein schwacher Schimmer des Tageslichts hereinfällt. Die Wirkung desselben verliert sich aber bald, und mit stillem Staunen langt man in der Tiefe der finstern und geheimnisvollen Unterwelt an und sieht sich hier von einer großen, an 40 Fuß hohen Halle umfangen. Links von hier breitet sich eine weite Kammer von mehr als 100 Fuß Tiefe aus, an deren Ende gleichsam ein Wasserfall von Tropfsteinen aus der Wand hervorbricht. Die Hauptausdehnung der Höhle geht rechts gegen Nordwest. Der durch Brücken erleichterte Weg führt über Felsen und Tiefen. Auf der ersten Brücke sieht man wundersame Tropfsteine, den »Bären« und den »Handscherben«, eine gewöhnlich mit Wasser gefüllte Tropfsteinschüssel. Später gelangt man an eine große, freistehende Felsengruppe von den schönsten Tropfsteinen, welche in ihrer Mitte einen schauerlichen Kessel einschließt. Hier teilt sich der Weg in zwei Gänge, wovon der eine links in die »Grotte« führt, wo die glänzendsten und wunderlichsten Tropfsteingebilde, »Kapelle, Kanzel, Altar, Orgel samt Vorhängen und Deckenverzierungen, Heiligenbilder in Nischen und Felsenritzen«, sich zeigen; hier ist auch der größte Wasserbehälter, und bald folgt das Ende der Höhle.

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Die Nebelhöhle

Der Gang rechts führt über zwei Brücken zu einem schmalen Durchgang und damit in die hintere Höhle, die sich gleich beim Eingang in einer Höhe von 20–30 Fuß und in einer Breite von 40–50 Fuß ausdehnt und wo uns zuerst der Taufstein begegnet. Nach 150 Schritten trennt sich diese minder merkwürdige Höhle in zwei Äste und setzt sich von beiden aus in einem oberen Stockwerke fort. Diese obere, schwer zugängliche Höhle dehnt sich wieder von Südost nach Nordwest und kann zum Teil nur erklettert und mit Leitern befahren werden. Sie besteht aus vier Hauptteilen, wovon ein Gewölbe rechts reich an den sonderbarsten Tropfsteingestalten ist. Endlich finden sich im Norden der hintern Höhle zwei mühsam zu ersteigende kleine Höhlenkammern; in der Wandspalte einer derselben ward ein Knochen von einem menschlichen Schenkelbein gefunden. Die ganze Höhle befindet sich in Jurakalkstein, und die darin vorkommenden Mineralien sind fast lauter Erzeugnisse von aufgelösten Teilen dieses Kalksteins: Mondmilch, Fadenstein, Kalkspat, Stalaktiten. Auch will man verschiedene Versteinerungen darin gefunden haben. Die Temperatur der Höhle ist 4,8º R. Vergl. Memmingers »Beschr. v. Reutlingen«, S. 12–21.

Wir entlehnen zur Ergänzung des vorliegenden Bildes die Farben abermals dem Dichter, dem wir schon eine so lebendige Schilderung Lichtensteins verdanken. Denn auch in diese Finsternisse ist die Poesie hinabgedrungen. Mit Recht rühmt Uhland diese vaterländischen Schilderungen des jungen Dichters in seinen schönen Versen »Auf Wilhelm Hauffs frühes Hinscheiden«: »Gedichte«, 10te Aufl., S. 157.

Noch eben war von dieses Frühlings Scheine
Das Vaterland beglänzt. – Auf schroffem Steine,
Dem man die Burg gebrochen, hob sich neu
Ein Wolkenschloß, ein zauberhaft Gebäu.
Doch in der Höhle, wo die stille Kraft
Des Erdgeists rätselhafte Formen schafft:
Am Fackellicht der Phantasie entfaltet,
Sahn wir zu Heldenbildern sie gestaltet;
Und jeder Hall, in Spalt und Kluft versteckt,
Ward zu beseeltem Menschenwort erweckt.

Die Szene, in welcher Hauff seinen Helden durch den Pfeifer von Hardt dem vertriebenen Herzog Ulrich von Württemberg in die Nebelhöhle zuführen läßt, gehört zu den schönsten und phantasiereichsten seines Romans »Lichtenstein«. Dort wird der Eintritt Georgs von Sturmfeder in die Höhle folgendermaßen beschrieben: Hauffs »Werke«, V, S. 84ff.

»Der Mann von Hardt ergriff eine der Fackeln und bat den Jüngling, die andere zu tragen; denn ihr Weg sei dunkel und hie und da nicht ohne Gefahr. Nachdem er diese Warnung geflüstert, schritt er voran durch das dunkle Tor.

Georg hatte eine niedere Erdschlucht erwartet, kurz und eng, dem Lager der Tiere gleich, wie er sie in den Forsten seiner Heimat hin und wieder gesehen; aber wie erstaunte er, als die erhabenen Hallen eines unterirdischen Palastes vor seinen Augen sich auftaten. Er hatte in seiner Kindheit aus dem Munde eines Knappen, dessen Urgroßvater in Palästina in Gefangenschaft geraten war, ein Märchen gehört, das von Geschlecht zu Geschlecht überliefert worden; dort war ein Knabe von einem bösen Zauberer unter die Erde geschickt worden, in einen Palast, dessen erhabene Schönheit alles übertraf, was der Knabe je über der Erde gesehen hatte; was die kühne Phantasie des Morgenlandes Prachtvolles und Herrliches erfinden konnte, goldene Säulen mit kristallenen Kapitalem, gewölbte Kuppeln und Smaragden und Saphiren, diamantene Wände, deren vielfach gebrochene Strahlen das Auge blendeten, alles war jener unterirdischen Wohnung der Genien beigelegt. Diese Sage, die sich der kindischen Einbildungskraft tief eingedrückt, lebte auf und verwirklichte sich vor den Blicken des staunenden Jünglings. Alle Augenblicke stand er still, von neuem überrascht, hielt die Fackel hoch und staunte und bewunderte; denn in hohen, majestätisch gewölbten Bogen zog sich der Höhlengang hin und flimmte und blitzte, wie von tausend Kristallen und Diamanten. Aber noch größere Überraschung stand ihm bevor, als sich sein Führer links wandte und ihn in eine weite Grotte führte, die wie der festlich geschmückte Saal des unterirdischen Palastes anzusehen war. Sein Führer mochte den gewaltigen Eindruck bemerken, den dieses Wunderwerk der Natur auf die Seele des Jünglings machte. Er nahm ihm die Fackel aus der Hand, stieg auf einen hervorspringenden Felsen und beleuchtete so einen großen Teil dieser Grotte.

Glänzend weiße Felsen faßten die Wände ein, Schwibbogen, Wölbungen, über deren Kühnheit das irdische Auge staunte, bildeten die glänzende Kuppel; der Tropfstein, aus dem die Höhle gebildet war, hing voll von Millionen kleiner Tröpfchen, die in allen Farben des Regenbogens den Schein zurückwarfen und als silberreine Quellen in kristallenen Schalen sich sammelten. In grotesken Gestalten standen Felsen umher, und die aufgeregte Phantasie, das trunkene Auge glaubte bald eine Kapelle, bald große Altäre mit reicher Draperie und gotisch verzierte Kanzeln zu sehen. Selbst die Orgel fehlte dem unterirdischen Dome nicht, und die wechselnden Schatten des Fackellichtes, die an den Wänden hin- und herzogen, schienen geheimnisvoll erhabene Bilder von Märtyrern und Heiligen in ihren Nischen bald auf-, bald zuzudecken.

Der Führer stieg, nachdem er das Auge des Jünglings für hinlänglich gesättigt halten mochte, wieder herab von seinem Felsen. ›Das ist die Nebelhöhle‹, sprach er; ›man kennt sie wenig im Land, und nur den Jägern und Hirten ist sie bekannt; doch wagen es nicht viele hereinzugehen, weil man allerlei böse Geschichten von diesen Kammern der Gespenster weiß. Einem, der die Höhle nicht genau kennt, möchte ich nicht raten, sich herabzuwagen; sie hat tiefe Schlünde und unterirdische Wasser, aus denen keiner mehr ans Licht kommt. Auch gibt es geheime Gänge und Kammern, die nur fünf Männern bekannt sind, die jetzt leben.‹

›Und der geächtete Ritter?‹ fragte Georg. ›Nehmt die Fackel und folget mir‹, antwortete jener und schritt voran in einen Seitengang. Sie waren wieder etwa zwanzig Schritte gegangen, als Georg die tiefen Töne einer Orgel zu vernehmen glaubte. Er machte seinen Führer darauf aufmerksam.

›Das ist Gesang‹, entgegnete er, ›der tönt in diesen Gewölben gar lieblich und voll. Wenn zwei oder drei Männer singen, so lautet es, als sänge ein ganzer Chor Mönche die Hora.‹ – Immer vernehmlicher tönte der Gesang; je näher sie kamen, desto deutlicher wurden die Biegungen einer angenehmen Melodie. Sie bogen um eine Felsenecke, und von oben herab tönte ganz nahe die Stimme des Singenden (Ulrichs), brach sich an den zackigen Felswänden in vielfachem Echo, bis sie sich verschwebend mit den fallenden Tropfen der feuchten Steine und mit dem Murmeln eines unterirdischen Wasserfalles mischte, der sich in eine dunkle, geheimnisvolle Tiefe ergoß.«

Die Männer lauschten und verstanden durch das Echo und das Gemurmel der Wasser etwa folgende Worte, die der Geächtete sang:

Vom Turme, wo ich oft gesehen
Hernieder auf ein schönes Land,
Vom Turme fremde Fahnen wehen,
Wo meiner Ahnen Banner stand.
Der Väter Hallen sind gebrochen,
Gefallen ist des Enkels Los,
Er birgt besiegt und ungerochen
Sich in der Erde tiefstem Schoß.

Und wo einst in des Glückes Tagen
Mein Jagdhorn tönte durchs Gefild,
Da meine Feinde gräßlich jagen,
Sie hetzen gar ein edles Wild.
Ich bin das Wild, auf das sie birschen,
Die Bluthund' wetzen schon den Zahn,
Sie dürsten nach dem Schweiß des Hirschen,
Und sein Geweih steht ihnen an.

Die Mörder han in Berg und Heide
Auf mich die Armbrust aufgespannt,
Drum in des Bettlers rauhem Kleide
Durchschleich' ich nachts mein eigen Land;
Wo ich als Herr sonst eingeritten
Und meinen hohen Gruß entbot,
Da klopf ich schüchtern an die Hütten
Und bettle um ein Stückchen Brot.

Ihr warft mich aus den eignen Toren,
Doch einmal klopf ich wieder an;
Drum Mut! Noch ist nicht alls verloren,
Ich hab' ein Schwert und bin ein Mann.
Ich wanke nicht; ich will es tragen,
Und ob mein Herz darüber bricht,
So sollen meine Feinde sagen:
»Er war ein Mann und wankte nicht!«

Dieses schöne Lied ist von Fräulein Emilie Zumsteg, der Tochter des bekannten Komponisten, vortrefflich in Musik gesetzt worden, und seine originelle Melodie verdient wohl eine allgemeinere Verbreitung.

Was in Hauffs Roman von der Höhle gesagt worden, ist alles ganz nach der Natur geschildert. Dem Dichter Wilhelm Hauff selbst tönte der Gesang einer zahlreichen akademischen Jugend, die von seiner Dichtung begeistert war, in seinem letzten Lebenssommer, in welchem er in diese Höhle und später in das Grab hinabstieg, aus den unterirdischen Grotten entgegen und endigte in ein hundertstimmiges stürmisches Lebehoch, dessen Echo gar nicht verhallen wollte. Da heißt es recht: Aus Uhlands »Glockenhöhle«; »Ged.«, X. Aufl., S. 475.

Dort lassen lust'ge Zecher
Sich auf der Felsbank nieder,
Sie schwingen volle Becher
Und singen trunkne Lieder.
Nie klang die Grotte so wie heut
Von Feuerlärm und Sturmgeläut!


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