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Einer der anmutigsten Vorposten der mit merkwürdigen Altertümern gepaarten Naturschönheiten, die in ununterbrochener Reihenfolge erst etwas weiter unten das Neckartal zwischen Heilbronn und Heidelberg zu schmücken anfangen, ist die von den württembergischen und badischen Landen rings enklavierte ehemalige Reichsstadt, jetzt hessen-darmstädtische Landstadt Wimpfen am Berg, drei Stunden unterhalb Heilbronn auf einem üppig bewachsenen Hügel höchst romantisch gelegen. Die buntesten Baumgruppen bedecken alle Abhänge und verbergen dem Reisenden die braunen Mauern der vor Alter zerfallenden Stadt, bis er dicht an ihnen ist, und der Nachtigallengesang aus diesen Gehölzen läßt in den Frühlingsmonaten den Wanderer, der lieber außerhalb des Mauerreichs in einer anmutigen Herberge übernachtet, die an der nach dem Neckar hinunter führenden Straße gelegen ist, nicht ununterbrochen schlafen.
Das hohe Alter der Stadt verrät sich durch ihr Aussehen. Den Ursprung verdankt sie wahrscheinlich, wie so viele Neckarstädte, irgendeiner römischen Niederlassung. Geographien und Reisebeschreibungen sagen einander die lächerliche Notiz nach, daß sie der Gemahlin Julius Casars, Cornelia, der Tochter Cinnas, zu Ehren Cornelia genannt worden sei, ohne an den groben Anachronismus zu denken, der eine solche Ehre unmöglich macht. Sollte wirklich irgendein Stein dem römischen Wimpfen den Namen Cornelia vindizieren, so ist dabei viel eher an die Gemahlin des Kaisers Gallienus zu denken, von welchem die letzten Niederlassungen der Römer in dieser Gegend vor ihrer Vertreibung durch die Alemannen herrühren; denn bekanntlich hieß diese Kaiserin Cornelia Salonina, leitete jedoch den Adel ihres Ursprungs nur von dem Kammerdiener eines Corneliers ab, von Chrysogonus, dem Freigelassenen Sullas. Spuren haben die Römer hier unzweifelhafte hinterlassen, und der die Ufer des Neckars weithin überwachende Hügel war für dieselben bei ihren Eroberungs- und Verteidigungsoperationen gegen die Deutschen unstreitig von hoher Wichtigkeit. Als bei Anlegung der benachbarten Salinen der Boden zwischen dem an der Bergstadt Fuße gelegenen Städtchen Wimpfen im Tal vielfach durchwühlt wurde, kamen nicht nur Münzen aller Art, vorzugsweise mit dem Bildnisse des Kaisers Antoninus Pius, sondern auch römische Wasserleitungen zum Vorscheine, tönerne Tafeln von derselben Terra sigillata wie bei vielen hier und dort aufgefundenen, römische Gefäße, Mauerwerk von offenbar römischer Bauart. In einem Gebäude der Stadt aus dem grauesten Mittelalter fand der Verfasser dieses Textes einen durch seine gelbe Farbe von den übrigen abstechenden Stein der Mauerwand einverleibt, auf welchem in erhabener Arbeit ein Löwe und zwei Sphinxe eingehauen noch ziemlich deutlich zu erkennen waren. Das imposanteste Denkmal aber, und wahrscheinlich der Befestigungslinie angehörend, die Kaiser Probus von Neustadt an der Donau und Regensburg über Berge, Flüsse und Moräste bis in diese Gegend führte, ist der hohe und dicke Turm von rotem Sandsteine, mit unbedeutenden Mauerresten, der dem Wandrer, der vom Tale emporgestiegen kommt, zuerst in die Augen fällt. Sein Gemäuer zerfällt der Behandlung der Steine nach offenbar in drei Teile, die aus dreierlei Perioden herrühren. Der unterste Teil, aus reinlichen, glatten Quadern zusammengefügt, ist offenbar römisch; dann folgt das größere Mittelstück aus jenen mittelalterlichen Bausteinen mit ausgebauchter Mitte, die der Periode des zehnten bis zum dreizehnten Jahrhundert angehören; der oberste Teil endlich aus schlechten blauen Bruchsteinen mag eine Restauration des fünfzehnten Jahrhunderts sein. Die daherziehende Straße heißt die Burgstraße, das Viertel der Stadt, in welchem der Turm steht, das Burgviertel. Diese Burg, welcher der Römerturm einverleibt und die überhaupt auf den Trümmern römischer Befestigungen aufgeführt worden zu sein scheint, diente ohne Zweifel zur Sicherung der Neckarschiffahrt; so stand sie ganz zweckmäßig auf der nordöstlichen Spitze des Hügels, und ihr Turm gewährte einen Überblick über den ganzen Neckar.
In ihrer halbrömischen Gestalt bestand die Stadt bis zu ihrer Zerstörung durch die über Deutschland hereingebrochenen Hunnen, worunter entweder die Hunnen unter Attila oder die im zehnten Jahrhundert eingefallenen Ungarn zu verstehen sind. In ihren Mauerring hatte sich die Einwohnerschaft der ganzen Umgegend geflüchtet. Burg und Tore waren gut verwahrt, und lange suchten die Belagerer vergebens, die Mauern zu brechen und die Tore zu zerschmettern. Endlich sprang einer der Torflügel krachend auf, und die christliche Bevölkerung erlag, von der Menge der Feinde erdrückt. Diese hausten in der eroberten Stadt als wütende Barbaren; sie schnitten den deutschen Frauen die Brüste ab, damit sie ihre Kinder nicht mehr sollten säugen können. Von solchem Greuel leitet ein nicht sehr wahrscheinliches Calembour den jetzigen Namen der Stadt Wimpfen ab, der ursprünglich Wibpin (Weiberpein) gelautet haben soll. Uns scheint viel eher dahinter der römische Name des Kastells verborgen zu sein, vielleicht mit der Endung auf fines. Wimpfen war schon im siebenten Jahrhunderte mit einem großen Teil der nachmaligen Rhein- und Neckarpfalz dem Bischof von Worms vom Frankenkönige Sigbert geschenkt worden, und unter diesem geistlichen Szepter scheint Wimpfen auch später eine längst verschwundene Bedeutung erhalten zu haben. Kaiser Otto hatte den Bischöfen sogar den Wildbann überlassen. Aus dieser Zeit scheint auch die rundbogige Kapuzinerkirche zu stammen, nächst dem alten Turme das Älteste, was Wimpfen besitzt. Kaiser Friedrich II. sah nicht gut zu der Freigebigkeit seiner Vorfahren, und unter seinem Sohne Heinrich wurde die Stadt Reichslehen (1227). König Heinrich hielt sich in Wimpfen viel auf, und von der Neckarburg, die er baute, sind noch mehrere Spuren vorhanden. Bald nach dieser Zeit wurde Wimpfen der blühende Sitz des kaiserlichen Landgerichts in Franken, aber die Stadt erscheint bald wieder als wormsisches Besitztum, bis sie nach dem Abgange der schwäbischen Herzoge nach und nach zu den Freiheiten einer Reichsstadt gelangte und zuletzt das Schicksal der ganzen deutschen Reichsverfassung teilte.
Das Innere der Stadt hat ein labyrinthisches Ansehen; die Straßen sind unregelmäßig und krumm, mitten durch dieselben zieht sich hier und da alterschwarzes Mauerwerk mit Toren hin, wodurch anschaulich wird, daß der Stadtbau ganz verschiedene Perioden durchgemacht hat. Doch verbirgt sie in ihrer unförmlichen Häßlichkeit einiges Schöne und Merkwürdige. Die jetzige evangelische Kirche ist ein sehr ausgezeichneter, altdeutscher Bau; ihr Grundstein wurde 1492 gelegt. Die Chorstühle enthalten in trefflichem, halberhabenen Schnitzwerke die zwölf Apostel; die Kanzel ist sehr altertümlich und aus einem Steine gehauen, in den Flächenfüllungen finden sich verblichene, wie es scheint, gute Bilder, das Hauptbild des Hochaltars stellt eine Kreuzabnahme in Schnitzwerk vor; auf den Flügeln stehen der heil. Christoph und Johannes der Evangelist; ein kunstreiches Hostienkästchen wird in einer Seitenkapelle gezeigt. Noch sieht man das aus Keupersandstein schön gearbeitete Bildnis eines Herrn von Fleckenstein, der in der Schlacht bei Wimpfen gegen Tilly fiel; die beiden Türme der Kirche endigen in hohen Spitzdächern. Am entgegengesetzten Ende der Stadt steht die Dominikanerkirche; von einem Türmchen auf der Stadtmauer, das die Aussicht auf den Neckar gewährt und das Nürnberger Türmchen heißt, spekulierten die Wimpfener der alten Zeit nach der Nürnberger Handelsstraße.
Den schönsten Überblick über die reizende Gegend gewährt der »Blaue Turm«, ein mittelalterlicher Bau mit neuem Aufsatz, der sich schon aus weiter Ferne als der mächtigste Turm Wimpfens zu erkennen gibt. Am Fuße des Berges erblickt man hier tief in der Ebene das heitere, reinliche Städtchen Wimpfen im Tal mit seiner schönen Stiftskirche, mit einem freien, von Linden beschatteten Platz umgeben, zu dem Kloster gehörig, das hier einst der Bischof Crotold von Worms an der Stelle eines von den Hunnen zerstörten Klostergebäudes gegründet hatte. Die Kirche ward im J. 1278 gebaut; ihr Portal ist bewundernswürdig. Wimpfen im Tal wird einmal des Jahres durch einen großen Jahrmarkt belebt, der am St.-Peter- und Pauls-Tag in der Kirschenzeit abgehalten und, unter dem Namen »Kirschenpeter« weit umher im Lande bekannt, von einer unermeßlichen Menge Menschen besucht wird. Zwischen Obereisisheim in der Au und einem nahen Walde streckt sich das berühmte Feld der Schlacht bei Wimpfen hin, wo der Markgraf Georg Friedrich von Baden mit zweitausend Reitern und zehntausend Mann Fußvolks gelagert war (5ten Mai 1622). Dagegen hatte Tilly und der Spanier Don Corduba den Wald und eine Anhöhe heimlich besetzt. Am folgenden Morgen wurde der Markgraf angegriffen und nachmittags vom Walde aus durch Tillys Reiterei überrascht. Alle Tapferkeit war vergebens. Der Markgraf sah nach langem Kampf sein Lager umgangen, fünf seiner Pulverwagen fuhren in die Luft und verursachten wilde Unordnung und Flucht. Das Weiße Regiment, die unsterblichen vierhundert Pforzheimer opferten sich hier, geführt von ihrem Bürgermeister Deimling, um den geliebten Fürsten zu retten. Abends acht Uhr war die Schlacht zu Ende. Mehr als fünftausend Leichen, davon über die Hälfte feindliche, bedeckten den Kampfplatz. Nachdem der Blick des Beschauers auf dem Grün dieser einst so blutigen Stätte sinnend verweilt, schweift er über vier blühende Salinen, in welche Württemberg, Hessen und Baden sich geteilt haben. Neben Jagstfeld breitet sich ein neues Solenbad einladend aus. Stromaufwärts, Neckarsulm und Heilbronn zu, öffnet sich der Blick ziemlich in gerader Richtung; abwärts schließt sich die Aussicht mit der stattlichen, wohlerhaltenen Neckarburg Ehrenberg bei dem freundlichen Dörfchen Heinsheim, den efeubewachsenen Mauerzinnen der zerfallenden Ruine Horneck und dem gar allzu modernen Gundelsheimer Schloß, endlich der Heimat Götzens von Berlichingen, dem getürmten Hornberg. –
Wimpfen am Berg besitzt auch ein neueingerichtetes, von Ludwigshall her geführtes Solenbad, dessen köstliche Lage viele Besucher herbeilocken wird. Es ist ein schönes zweistockiges Gebäude mit zwei Seitenflügeln, die Fronte beinahe ganz gegen Morgen gekehrt. Von dem Gebäude an bis zum Neckar herab werden den Berg schöne Anlagen zieren. Auf der Stadtseite finden Kranke einen zweiten Badegarten und die von Linden und Kastanien umgebene alte gotische Kirche, die wir oben beschrieben haben. Aus jedem Wohnzimmer und aus dem Gesellschaftssaal lacht den Gästen ungefähr dieselbe glänzende Aussicht entgegen, die wir eben beschrieben haben. Unten der Neckarfluß, mit Schiffen bedeckt, rechts zunächst aufwärts Jagstfeld, Kochendorf, die rauchende Saline von Friedrichshall, das schöne Gut Lautenbach und das Gebäude bis hinauf zu den Türmen des Bergschlosses Waldenburg im Hohenloheschen, gerade vor sich Offenau; flußabwärts Heinsheim und den Ehrenberg, auf dem andern Neckarufer Gundelsheim und Horneck.
Auf unserm Blatte zeigt sich die Bergstadt jenseits des Neckars, mit dem Römerturm, dem Blauen Turm und der Kirche. Am Fuße des Berges liegt Wimpfen im Tal, diesseits des Flusses das Dorf Jagstfeld, der Hintergrund öffnet sich gegen den Ehrenberg und Gundelsheim.