Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Seht ihr, wie freundlich sich die Stadt
Im Neckarfluß beschauet?
Da unsere Absicht war, den Freunden unsers Werkes Schillers
Geburtshaus zu zeigen, so konnte auf unserm Bilde nur das Innere der Stadt dargestellt werden.
Wie sie sich ihre Berge hat
Mit Reben wohl bebauet?
Dort, wie die alte Chronik spricht,
Hat vor viel Jahren dumpf und dicht
Ein Tannenwald gegrauet.
Gelegen hat ein Riese drin.
Ein furchtbar alter Heide,
Er bracht' in seinem wilden Sinn
Das Schwert nicht in die Scheide.
Er zog auf Mord und Raub hinaus
Und baute hier ein finstres Haus,
Dem ganzen Gau zum Leide.
Die Steine zu dem Riesenhaus,
Ganz schwarz und unbehauen!
Grub er sich mit den Händen aus,
Fing eilig an zu bauen,
Er warf sie auf die Erde nur,
Daß einer auf den andern fuhr,
Bis fertig stand das Grauen.
Es sei der Riese, sagt das Buch,
Aus Asia gekommen,
Ein Heidengötz, ein alter Fluch,
Zum Schrecken aller Frommen:
Mars oder Bacchus sei das Wort,
Davon Marbach, der Schreckensort,
Den Namen angenommen.
Die Steine längst verschwunden sind,
Der Wald ist ausgereutet,
Ein Märchen ward's für Kindeskind,
Das wenig mehr bedeutet;
Doch horchet wohl auf meinen Sang,
Der nicht umsonst mit seinem Klang
Es jetzt zurück euch läutet.
Denn ob des Schlosses Felsengrund
Versunken ist in Schweigen,
Wird man doch drauf zu dieser Stund
Euch noch ein Hüttlein zeigen,
Und keine sechzig Jahr' es sind,
Daß drin geboren ward ein Kind,
Dem Wundergaben eigen.
Von gutem Vater war's ein Kind,
Von einem guten Weibe,
Auf wuchs es und gedieh geschwind,
Kein Riese zwar von Leibe:
Von Geist ein Riese wundersam,
Als ob der alte Heidenstamm
Ein junges Reis noch treibe.
Aus des Verf. Romanze »Der Riese von Marbach«, 1815.
Die Hütte, in welcher Schiller, der Riese, am zehnten November 1759 geboren ward, zeigt seinen Freunden in aller Welt dieses Bild in der Gestalt, in welcher sie noch vor zwei Dezennien bestand. Seitdem ist das Haus verwandelt worden. Zur Schilderung der eigentümlichen Lage der Stadt Marbach stehe hier eine kleine Skizze, die an Ort und Stelle nach dem Leben gezeichnet worden und jetzt umgearbeitet sein möchte. Es werden vier Freunde dargestellt, die über den poetischen Charakter von Schillers Genius streiten.
Der erste spricht:
Was? zankt ihr über Schiller immer noch?
Und ehret alle drei so herzlich ihn!
Ach ja! Doch diese reihen, engen Blicks,
Den Unvergleichlichen, den Einzigen,
Der eine Klassikern, der andre gar
Tief mystischen Romantikern ihn zu!
Doch Er ist nicht romantisch, noch antik,
Der Gegenwart, der Zukunft Geist ist Er;
Der neuen Zeit, der in Geburtsweh'n längst
Geängstet das Geschlecht entgegenharrt,
Geflügelten Vorläufer nenn' ich ihn.
Ergehet euch in seinem »Tell« und schaut!
Da waltet reine, freie Menschlichkeit,
Nicht in romantischer Gefühle Schlucht
Versteckt, nicht in der eis'gen Atmosphäre
Antiker Bildung gletscherisch versteint.
Dritter:
Was schmähst du auf antike Gletscherluft?
Wo weht sie frischer, kräftiger uns an,
Als aus den Chören der sizil'schen Braut?
Von menschlichen Entwurfes Eitelkeit,
Von jeder Hoffnung trügerischem Grund,
Von menschenfreier Berge reinem Hauch,
Weht wo der Alten Geist, so ist es hier!
Vierter:
O weg mit diesem kranken Zwitterkind,
Das Zeus, der Alte, wider Wunsch vermählt,
Mit der kathol'schen Mutter Kirch' erzeugt.
Romantisch ist Er, drum gelang's ihm nicht,
Ihm, dem Johannas heilig Bild entstieg,
Dem aus der Tiefe sehnenden Gemüts,
Aus jungfräulichem Schoß ein himmlisch Wunder
Entsprang: die Liebe, die der Heiden Welt
Nicht kennt, die erst der christgewordne Norden
Heraufbeschwor aus jener andern Welt,
Der schlummernden in jeder Menschenbrust,
Die Liebe Theklas und des Toggenburgers.
Ich preise Schiller, den Romantiker!
Erster:
Hört an, zum Zwischenspiel in eurem Streit,
Den ich zu schlichten hier mich nicht erkühne,
Den Schwank, den mir ein Bauer heut erzählt:
Jüngst stritten drei, und alle hatten recht.
Der eine sagte: »Marbach liegt im Teich!«
Teich, schwäbisch für: Tiefe.
Der andre sprach: »In Ebenen liegt Marbach!«
Der dritte: »Was? Auf einem Berge liegt's!«
Und drüber kamen sie sich in die Haare
Und prügelten beim Kruge sich aufs Blut;
Und hätten sie sich recht verstehen wollen,
Gewiß, behalten hätten alle recht!
Zweiter:
Wie mag das sein?
Erster:
Kommst du vom Lemberg
Der Lemberg, ein schöner, waldiger Hügel, ein und eine halbe Stunde von Marbach. Ludwigsburg, eine Meile von Marbach, zweite Residenz des Königs von Württemberg. her,
Der mächtig über alle Hügel ragt,
Von dem der Hauptstadt Türm' und Schlossesschiefer
Du sieben Stunden weit im Abendglanz
Der Sonne schimmern siehst: Nun ja, da liegt
Das Marbach drunten, als im tiefsten Tal.
Und der so sagte, Marbach lieg' im Teich,
Der wohnte drüben, schier auf jenem Berg.
Doch der da sprach: »In Ebenen liegt Marbach!«,
Das war ein Bürger von dem Dörfchen links,
Das an des schönen Lembergs Fuße sich,
Rings in der Gegend sichtbar, freundlich lehnet;
Und eben war er durch das ebne Feld
Gemächlich hin, am späten Feierabend,
In Ruh sein Schöppchen einzuziehn, gewallt.
Und endlich, der da poltert' auf den Tisch
Und zornig schwur, ein Glas dem andern nach
Im Unverstand die Gurgel niederstürzend,
Daß Marbach lieg' auf einem steilen Berg,
Das war ein müder Handwerksbursch, und just
Mit seines schweren Reisebündels Last
Kam er von Ludwigsburg heraufgekeucht
Und hatte zehenmal den Weg verflucht,
Der sich an seiner Tagereise Schluß
Uneben und mühselig aufwärts windet.
Wahr aber ist's, auf jenem schroffen Pfad
Liegt Marbach hoch, wie eine Feste, da.
Drob stritten diese Drei in Marbachs Schenke;
Vergossen ward der Wein, zuletzt das Blut.
Dritter:
Was soll uns das? Was will dein Marbach hier?
Erster:
's will euch erinnern, daß, bestritten, es
Des Vielbestrittenen Geburtsstadt ist.
Schiller wird in Marbach sein eignes Denkmal erhalten, und es ist zu dem Ende ein hübscher Platz, die »Schillershöhe«, geschmackvoll angelegt und bepflanzt worden. Bis jetzt ist die auf unserm Bilde dargestellte alte Alexanderskirche vor der Stadt, mit Bogengängen, die auf schlanken Mittelpfeilern hoch emporstreben, und einem kunstreichen Presbyterium geschmückt, so ziemlich die einzige Zierde der kleinen Landstadt, die außerdem nur noch durch die verschiedenen römischen Altertümer bemerkenswert ist, welche schon vor Jahrhunderten in ihrer Nähe (zwischen Marbach und dem Dorfe Benningen) auf dem jenseitigen Neckarufer aufgefunden worden sind. Schon im Jahre 1597 wurden bedeutende Mauerreste eines römischen Castrums, mit Wasserleitung, Zisternen, Vormauern und andern Überbleibseln hervorgegraben, die seitdem wieder mit Ackerboden bedeckt sind. Mehrere Altäre wurden vor und nach dieser ersten Entdeckung aufgefunden. Der eine ist von den Dorfbewohnern von Murr (vicani Murrenses) – ein Name, den ein Dorf und Flüßchen in der Nähe Marbachs noch heutzutage führt – dem Vulkan, der andere von den Schiffsleuten dem Genius der Schiffsleute ( Navtae Genio Navtarum), ein dritter von einem römischen Krieger der vierundzwanzigsten Kohorte den Landgöttern (Campestribus) gewidmet. Der letztere Stein hat zu einem groben Mißverständnisse Anlaß gegeben. Auf sein Zeugnis hin ist lange Zeit Marbach als die alte Römerstadt Sicca Veneria aufgeführt worden. Genauere Untersuchung hat ergeben, daß die Inschrift nur so viel meldet, der Stifter sei aus der numidischen Stadt Sicca Veneria, deren schon Sallustius erwähnt, gebürtig. Dagegen haben andere Gelehrte auch hier in dem jetzigen Namen der Stadt selbst eine Anspielung auf die alte Niederlassung der Römer gesucht und entweder Ara Martis oder die Stätte der römischen Gränzmark, Markbach, darin finden wollen. Gewiß ist der Name, der mehrfach in deutschen Landen vorkommt, echt deutsch und scheint eher auf eine Pferdeschwemme der Alemannen und eine Stuterei hinzudeuten als auf eine Römerstadt.