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Wir befinden uns hier in einem Tale, das ganz der südöstlichen oder der Kehrseite der Schwäbischen Alb angehört, an deren Fuße wir schon bei dem Schlößchen Bronnen und im Donautale gestanden haben. Diese Seite des Albgebirges ist großenteils weit rauher und einförmiger, dazu niedriger und minder charakteristisch als der schroffe Abfall der nordwestlichen Seite, mit dem diese Blätter unsere Leser bald vertraut machen werden. Der Obstbau hat fast gänzlich aufgehört, und die steinigen Äcker geben wenig gute Frucht. Wer von den Höhen der Alb diesem Tale sich nähert, glaubt gewiß nicht, daß hier eine Ausbeute für unser malerisches Deutschland zu finden sei. Und doch, was vermögen nicht Wasser und Felsen aus einer Gegend zu machen!
Wirklich liegt Stadt und Kloster Blaubeuren in einem engen, tiefen, äußerst malerischen Tale und bildet, wie unsere Darstellung durch den Künstler zeigt, ein höchst romantisches Landschaftsgemälde. Hohe, mit tausendjährigen Felsen und Ruinen alter Schlösser gekrönte Berge umschließen den Gesichtskreis, bis ins Tal und die Ebene herab steigen die Steinklippen, drängen sich in die Stadt herein und mischen sich unter die Häuser. Das ganze Gebirge besteht aus Kalkstein und blaßgelbem, klüftigem Marmor. Sein Gestein umlagert auch die geheimnisvolle, nach der Sage des Volkes unergründliche Quelle des hier entspringenden Bergflüßchens, das der Stadt seinen Namen gegeben hat und von seiner Farbe mit vollem Rechte die Blau heißt. Sie nimmt noch in der Stadt selbst die Aach und bei Herrlingen die Lauter auf, bildet das vier Stunden lange, felsgeschmückte, wald- und wiesenreiche Blautal, durchströmt einen Teil der Stadt Ulm und fällt dort in die Donau. Der Ursprung derselben, hinter dem Kloster Blaubeuren, das sich in seinem Wasser spiegelt, am Fuße des steilsten Albgebirges, heißt der Blautopf. Er ist ein merkwürdiges, von der Natur geformtes Bassin von 125 bis 130 Fuß im Durchmesser, aus dem die Quelle des Flusses grünblau – ob von der Beschaffenheit des Wassers oder von der eingeschlossenen Umgebung gefärbt, ist unentschieden – hervorquillt. Die Sage von seiner Unergründlichkeit ist längst widerlegt. Georg Bernhard Bilfinger, der nachmalige Geheimerat, der seinerzeit mit so vielem Glücke die Tiefen der Weltweisheit erforschte, hat schon im Jahre 1718 das Senkblei in diesen Born hinabgelassen; eine Messung unserer Tage gab als Resultat die immerhin bedeutende Tiefe von 71 Fuß. Dies Bassin stößt so viel Wasser mit so viel Gewalt von sich, daß der Fluß nur dreißig Schritte davon zwei Mahlmühlen und bald darauf eine dritte treibt; die Quelle behält auch bei der größten Dürre so viel Wasser, daß in jeder Mühle wenigstens ein Rad geht. Bei abgehendem Schnee oder starkem Regen füllt sich der Kessel, das Wasser wird lehmig und braust, daß man es weithin hört, es wirft sich in die Höhe und sprudelt wie in einem siedenden Topfe. Es ist daher nicht unglaublich, daß ein Teil des sich auf der Alb sammelnden Regen- oder Schneewassers sich von unten herauf in diese Quelle ziehe und der Blautopf mit den vielen Erdfällen der Alb in unmittelbarem, unterirdischem Zusammenhang stehe. So viel Wasser dieser Kessel ausgießt, so ist doch bei ruhigem Wetter kein Ausfließen sichtbar, die Oberfläche erscheint ruhig und spiegelglatt, und kaum bemerkt man über der Mitte, dem Berge zu, drei Ringe, welche das aufsteigende Wasser bildet. Schwimmvögel, die die Quelle durchschneiden, sieht man an dieser Stelle stärker rudern. Bei dem größten Wasser, das sich seit Menschengedenken aus dieser Quelle ergoß, im Jahre 1784, konnte man nur von einiger Höhe den Stoß der Wellen entdecken. Dennoch soll, einer Sage zufolge, der überströmende Topf im Jahre 1641 Stadt und Kloster mit dem Untergange bedroht haben und die Nymphe des Quells nur durch die Opferung zweier vergoldeter Becher versöhnt worden sein. An der Abendseite wird das Bassin von einem aus Quadern erbauten Wehr beschlossen, in welchem Schleusen stehen, die beim allzu starken Andrange des Wassers geöffnet werden. Bei diesem Wehr steht ein Brunnenhaus mit Druckwerk, welches die Brunnen der Stadt und des Klosters aus dem Blautopfe speist. Während die Blau selbst an manchen Stellen des Winters mit Eis bedeckt wird, überfriert die merkwürdige Quelle niemals.
Die Ruinen zwei berühmter Bergschlösser, Ruck und Gerhausen, krönen die Felsberge, die über der Stadt emporsteigen. Ruck oder Rugge war ohne Zweifel das Stammschloß der Pfalzgrafen von Tübingen, und es bleibt ungewiß, ob sie, aus Hohenrätien stammend, hierher gezogen oder ob ein Zweig derselben, von hier aus nach Rätien übersiedelnd, dort das Haus Ruchaspremont gegründet hat. Uns ist das erstere wahrscheinlicher, da schon die Römerwelt Rucinaten und Rugusker als Alpenstämme kannte. Von den drei Pfalzgrafen von Tübingen, Hugo, Anselm und Sigibotho, Gebrüdern, welche das Benediktinerkloster, das sie in einer Einöde gestiftet hatten, nach Blaubeuren verlegten und ihm hier im J. 1085 die Sankt-Johannis-Kirche einräumten, schrieb sich Sigibotho Graf von Rugge. Sein Sohn hieß Siegfried, sein Enkel Hermann. Nach diesem scheinen sich die Pfalzgrafen ganz nach Tübingen gezogen und den Geschlechtsnamen Rugge aufgegeben zu haben. Sie hatten auf ihrer Stammburg nur noch Advokaten oder Vögte; diese, so wie Dienstleute und Truchsessen von der früheren Hofhaltung her, legten sich nach der Sitte damaliger Zeit jetzt den Namen von Rugge bei. Unter solchen ist wohl auch der Minnesänger »Her Heinrich von Rugge« zu suchen, der bei Manesse (I 97–100) erscheint und ziemlich reichlich zu Rüdigers Sammlung beigesteuert hat. Er singt die jubelnden Worte von seiner Geliebten:
Min lip von liebe mac ertoben
Swenne ich das allerbeste wip
So gar ze guote höre loben,
Diu nah in minem herzen lit!
Er hatte wohl Ursache, von seinem Schlosse herab (wenn er anders dort hausen durfte) im Winter zu singen: »Nun steht die Heide lange fahl. Der Schnee hat sie zu einer einzigen Blume gemacht. Die Vögel trauern überall.« Doch wenn ein Weib ihn tröstet, dann »will ein schöner Sommer kommen; seine Klage ist sanfter, den Vogel hat er viel vernommen, und der grüne Wald steht mit Laube«. Aber der gute Sänger, der sonst nur dem wonniglichen Vögelein horcht, das dem ohne Maß langen Winter ein Grablied singt, hat auch ein Ohr für den Jammer und die Not der Welt. »Die Welt will mit Grimm zergehen«, ruft er in einem andern Liede aus; »es ist an den Leuten viel groß Wunder geschehen: Freuen sich zween, so spotten ihrer viere. – Die Welt ist von Freuden geschieden; Juden, Christen und Heiden denken allzu sehr an das Gut, wie sie das gewinnen!« Zuweilen hat er auch Lust, die Frauen zu bespötteln: »Denn ist ihrer eine nicht recht gemut, dabei finde ich kaum drei oder viere, die zu allen Zeiten sind hübsch und gut.«
Von der Feste Rugg oder Ruck selbst ist nur noch weniges zu sehen. Man weiß, daß sie einst ein stattliches Viereck mit einem Binnenhofe und drei Türmen gebildet. Aus dem Besitze der Pfalzgrafen von Tübingen ging es in den der Grafen von Helfenstein über, die vielleicht eines und desselben Stammes mit jenen waren, und diese verkauften das Schloß mit der Stadt und andern Festen im J. 1442 an Württemberg; der Bauernkrieg und später der Dreißigjährige Krieg arbeiteten an ihrem Verfall. Das letzte Überbleibsel ist seit dem Jahre 1823 vor der Zerstörung gesichert.
Stattlichere Trümmer sind von der Feste Hohengerhausen übrig, die über ihrem Vorwerke, dem Frauenberg, auf einer schroffen Felsspitze äußerst malerisch gelegen sind. Unter den Ruinen ist eine Höhle befindlich, die, von dichten Buchen umschattet, den Anblick der zerstörten Burg nicht wenig verschönert. Von dieser selbst ist das Burgtor noch kenntlich, außerdem steht von ihr ein gewaltiger Mauerstock von schönen Buckelquadern aus Tuffsteinen. Im Munde des Volkes heißen diese mächtigen Überreste des Mittelalters Rusen-(oder Riesen-)schloß. Wer die Burg gebaut, ist unbekannt; ihr Geschlecht, aus welchem ein Hartmann von Gerhausen zu Ende des eilf ten Jahrhunderts den Grafentitel führte, scheint mit den Ruggen verwandt gewesen zu sein. Später, als auf Ruck die Grafen von Helfenstein saßen – so erzählt die Tradition –, pflogen diese und die Herren von Gerhausen beständige Fehde miteinander und veranlaßten so das Sprichwort in schwäbischer Mundart:
Hüt dich, Ruck,
Daß dich Gerhausen nit verdruck'.
Gerhausen das Schloß kam übrigens an die Helfensteiner und von diesen mit Ruck und der ganz verschwundenen Burg Blauenstein an Württemberg. Beide zerfielen gleichzeitig. Auf Gerhausen wohnte zuletzt noch ein württembergischer Forstknecht, bis es um 1751 in Trümmer gerissen und die Steine zum Aufbau der armseligen Gerhauser Dorfkirche verwendet wurden. Im J. 1768 wurde die Ruine um 60 Gulden an einen Bürger von Blaubeuren verkauft. Er und seine Nachkommen nagten daran, bis in unserer Zeit durch die verdienstlichen Bemühungen des Kameralbeamten Teichmann die Burg um 44 Gulden an den Staat zurückverkauft und so gerettet wurde. –
Von der Stiftung des Klosters Blaubeuren war oben die Rede. Dasselbe behielt Johannes den Täufer, dem die frühere Kirche gewidmet war, zu seinem Schutzpatron und erhielt im Lauf der Zeiten massive Gebäude, nicht so kerkermäßig gebaut wie die andern Klöster jener Zeit. Seine großen Baulichkeiten schließen noch jetzt einen schönen grünen, mit Bäumen bepflanzten Platz ein. Die Klosterkirche ist in Form eines Kreuzes gebaut, hochgewölbt, mit zwei angebauten Kapellen und einem hohen Chor versehen; da, wo Kirche, Seitenflügel, Kapellen und Chor sich vereinigen, erhebt sich über dem Ganzen der hohe Turm. Unter ihm soll einst eine herrliche Orgel mit silbernen Pfeifen gestanden haben, die ein Raub der französischen Kirchenräuber, wahrscheinlich am Schlusse des siebzehnten Jahrhunderts, geworden wäre. Im Chor der Kirche bewundert man nicht nur vortreffliches Schnitzwerk von dem Ulmer Künstler Georg Syrlin, namentlich die an den hölzernen Stühlen ausgeschnitzelten Bildnisse der Guttäter des Klosters, der Grafen von Helfenstein, sondern derselbe bewahrt auch ein ganz herrliches Gemälde, dessen Ruhm weiter verbreitet zu werden verdient. Da nämlich die Kirche von alters her Johannes dem Täufer heilig war, so fertigte Georg Syrlin zu Ehren dieses Kirchenpatrons einen im Jahre 1496 von ihm vollendeten, mit dem schönsten vergoldeten Schnitzwerke verzierten Hochaltar. Die Gemälde rühren nicht, wie die gemeine Sage behauptet, von demselben Künstler her; der Schöpfer dieses Meisterwerkes oberdeutscher Schule, das nicht nach Gebühr bekannt geworden, ist nicht einmal seinem Namen nach mit Sicherheit erhoben; die einen Nachrichten heißen ihn Stöcklin, die andern Grün oder Grien. Wahrscheinlich war auch er aus Ulm und arbeitete auf Bestellung oder in Gemeinschaft mit Syrlin. Diese Gemälde teilen sich, wie alle Hochaltarbilder, in die vorn und hinten bemalten Flügeltüren, in das Innere und in die Rückseiten des Altars, wo wieder bemalte Flügeltüren und Altarblätter sich befinden. Das Ganze enthält einen Zyklus von Bildern aus dem Leben Johannis des Täufers, dem die Kirche heilig war. Die Darstellungen auf dem Innern der Flügeltüren sind folgende:
Dem Zacharias wird im Tempel die Geburt Johannis verkündigt. – Begrüßung der heiligen Jungfrau durch Elisabeth. – Fußwaschung der Elisabeth und Geburt des Täufers. – Seine Beschneidung. – Johannes predigt am Jordan. – Er tauft. – Er weist die Messiaswürde zurück. – Er zeigt auf das Lamm Gottes. – Er tauft Jesum. – Er straft den König Herodes wegen Ehebruchs. – Seine Gefangenschaft. – Enthauptung. – Darbringung seines Hauptes. – Seine Grablegung. – Die Johannisjünger holen ihres Meisters Haupt.
Im Innern des Hochaltars sieht man unten die lebensgroßen Büsten Christi und der Apostel; oben Maria mit dem Kinde, die beiden Johannes, die heilige Scholastina und den heiligen Benedikt in ganzen Statuen; dann auf zwei weitern Flügeltüren links in halberhabener Arbeit die Geburt Christi, rechts die drei Weisen aus Morgenland.
Auf der Hinterseite des Hochaltars erscheinen zwei Flügeltüren mit Gemälden in Lebensgröße, die Heiligen Urban, Sylvester, Gallus, Otmar, Konrad und Ulrich darstellend. Hinter den Türen sind unten die Büsten von zwei weiblichen Heiligen und sechs Bischöfen angebracht.
Die schönsten Gemälde endlich befinden sich an der vordern Außenseite der Flügeltüren in vier großen Hauptbildern: Gebet am Ölberg. – Verspottung Christi. – Kreuztragung. – Kreuzigung. Das letztere ist ausgezeichnet schön durch den Ausdruck der trauernden Frauen.
Da dieser herrliche Altar, der leider durch Mutwillen und Roheit nicht unverschont geblieben ist, noch nirgends ausführlicher beschrieben worden, so wird auch die trockene Notiz, auf welche wir uns hier beschränken mußten, dem fremden Kunstfreunde willkommen sein. In der Nähe des Altars, an der Sakristeitüre, befindet sich Georg Syrlins Bild, von ihm selbst in Holz geschnitzt und mit einem Elogium versehen. Dies hat Veranlassung zu einer Volkssage gegeben, in welcher Georg Syrlin nicht nur als der Schnitzer, sondern auch als der Maler des Altars erscheint. Die Mönche haben, heißt es, den Künstler nach vollbrachter Arbeit gefragt, ob er sich getraue, noch einen schönern Altar zu fertigen. Als der Meister dieses im freudigen Gefühle seiner Kraft bejahet, haben ihm die neidischen Mönche beide Augen ausgebohrt und so den lichten Farbenquell für immer versiegen gemacht.
Aus den hohlen Blicken schwindet
Seiner Bilder Sonnenpracht,
Lebt nur noch im stillen Geiste
Tief in schmerzensvoller Nacht.
Und so liegt er eingesunken
Wie ein Opfer am Altar;
Ihn bewacht, ihn zwingt zu schweigen
Seiner Henker finstre Schar.
Und die Welt wähnt ihn gestorben,
Doch im dunkeln Winkel sitzt
In der Kirche stumm der Blinde
Dort im fernsten Stuhl und schnitzt.
Statt des Pinsels ist das Messer,
Das ihn stach, in seiner Hand;
Dieses führt er leise, künstlich,
Schmücket still des Stuhles Rand.
Schnell verbirget er's am Herzen,
Wenn er Tritte gehen hört,
Wenn der Andacht lautes Beten
Vor dem eignen Bild ihn stört.
Ach, da brennen Farbenstrahlen
Ihm durchs tiefe, wunde Herz,
Und in Hand und Augenhöhlen
Zuckt der Sehnsucht heißer Schmerz.
Als er tot war und begraben,
Aufgerieben früh vom Gram,
Glaubten sich die Mönche ledig
Und vergaßen Furcht und Scham.
Doch es blieb des Frevels Zeichen
In den Kirchenstuhl gedrückt,
Wo, von Holz geschnitzt, ein Männlein
Traurig lauert, blind, gebückt.
Nur ihr Auge ward geschlagen,
Daß es ihn erkannte nicht;
Doch der Wandrer, doch der Pilger
Grüßt' in Tränen dies Gesicht.
Ein Jahrhundert sagt's dem andern;
Zürnend von der Bilder Pracht
Rücklings kehrt sich der Beschauer
Zu dem Antlitz voller Nacht.
Aus der Romanze »Georg Syrlin« von G. Schwab.
Zugleich mit dem Kloster erwuchs auch das Städtchen Blaubeuren, welches aber nicht im Besitze der Pfalzgrafen von Tübingen, sondern der Grafen von Helfenstein war; ein unruhiger Besitz, verpfändet und während dieser Pfandschaft gegen Ende des vierzehnten Jahrhunderts durch einen Krieg mit der Reichsstadt Ulm gefährdet und endlich im J. 1447 mit den benachbarten Festen, die inzwischen auch helfenbergisch geworden waren, an den Grafen Ludwig von Württemberg verkauft.
Unter württembergischer Herrschaft teilte Blaubeuren die Schicksale des Landes in den unruhigen Zeiten Herzogs Ulrich, wurde im Dreißigjährigen Kriege nach der unglücklichen Nördlinger Schlacht österreichisch und kehrte erst infolge des Westfälischen Friedens wieder unter die Oberherrlichkeit Württembergs zurück. Während der österreichischen Okkupation erhielt das Kloster einen unerwarteten Besuch von Wiederhold.
Das Licht des Evangeliums hatte die Stadt schon im J. 1534 (durch Ambros. Blaurer) begrüßt. Das Kloster aber, das unter seinen katholischen Äbten einen durch Gelehrsamkeit ausgezeichneten Mann in seinem ersten Abte Azelm oder Azolin († 1101) und in dem Abte Heinrich Faber einen Mitgründer der Universität aufzuweisen hatte, blieb noch katholisch, und während der Pest zu Tübingen wurde die halbe Universität in dasselbe verlegt. Der letzte katholische Abt, Christian Tübinger (1548–1562), war, wie der erste, ein Gelehrter und hat eine Geschichte des Klosters Blaubeuren hinterlassen. Im J. 1562 dehnte sich die Reformation auch auf das Kloster aus, und in der Person des bekannten Reformators Matthäus Aulber wurde demselben der erste evangelische Abt gesetzt. Inzwischen hatte Herzog Christoph einige reformierte Klöster dazu bestimmt, künftigen Kirchendienern, die zum Lehr- und Predigtamt bestimmt waren, ihre Vorbildung zu erteilen und sie zu den Universitätsstudien tüchtig zu machen, und hatte zu diesem Zwecke durch den berühmten Johannes Brenz eine Klosterordnung entwerfen lassen, die am 9. Jan. 1556 in das Land ausging. Sämtliche Klosterschulen, deren anfangs dreizehn waren, wurden unter die Aufsicht von Brenz gestellt, und unter dieser Zahl war auch Blaubeuren. Vorerst war die Einrichtung dieser Seminare ziemlich altklösterlich, besonders was die Lebensweise dieser jungen evangelischen Mönche betraf; denn anderes waren sie in der ersten Zeit nicht. Die wissenschaftliche Bildung hatte sich durch gründlicheres Studium der Humanioren bereits aus dem Dunkel des Mittelalters erhoben. Aber ohne Erlaubnis ihres Prälaten (dies war der oberste Vorstand des Klosters) oder eines der beiden Präzeptoren (später Professoren) durften sie selbst während der Rekreationszeit nicht »vagieren«, d. h. außerhalb des Klosters sich umtreiben, und mußten »ziemlich ehrbare Röcke«, d. h. schwarze Mönchskutten, tragen, »wie ihnen solche sommers- und Winterszeit« von den Klöstern »aus Gnaden gereicht wurden«. Dabei fand man es nötig, diese vierzehn- und sechzehnjährigen Knaben vor dem »schändlichen Laster des Zu- und Volltrinkens, auch alles Zechens und Spielens und anderer dergleichen Üppigkeiten« ernstlich zu verwarnen.
Übrigens war schon in jener uralten Klosterordnung die Absicht des Gründers ausgesprochen, das Bestehen dieser Klosterschulen durch zeit- und zweckmäßige Verbesserungen zu sichern. »Doch«, sagt sie, »da sich über kurz oder lang fügte, daß Gestalt der Sachen, Gelegenheit oder Läuf' oder in anderwege die Notdurft erforderte, in obgesetzten Kirchen- und Schulordnungen oder andern Artikeln etwas zu ändern, zu bessern, zu mindern oder zu mehren, (so) soll das jederzeit Uns und Unsern Erben vorbehalten sein.«
Das Hauptgebrechen dieser Klosterschulen war die naturwidrige Strenge der Anforderungen an Knaben und Jünglinge, die über geringe Unterlassungen und Vergehen selbst mit der Rute gezüchtigt wurden. Hierzu kamen noch die häufigen, täglichen Religionsübungen, durch welche sie überladen, aber nicht erbaut wurden und die Bibel kennen, aber nicht lieben lernten. Diese Gebrechen dauerten fort, während die klassische Bildung, für welche zu Anfang der Reformation mit Begeisterung gewirkt wurde, allmählig in den Hintergrund trat. Demosthenes und Xenophon wurden aus den Unterrichtsstunden verdrängt und Cicero, Virgil und Ovid nur durch das Bedürfnis des Lateinlesens, -schreibens und -redens erhalten. Von griechischen Schriften blieb von Anfang des vorigen Jahrhunderts, außer dem Neuen Testament, nur des Chrysostomus Abhandlung vom Priestertum übrig, und die Klassiker schlüpften erst im Jahr 1777 durch Geßners griechische Chrestomathie, somit durch eine Hinterpforte, wieder herein. Vor der Mode wurden die armen Alumnen (dies war der Name der Seminaristen bis auf unsere Zeit) aufs strengste gehütet. Im J. 1720 erging nach Blaubeuren der Befehl, daß sie sämtlich ihre Haare sollten wachsen lassen, und wenn einer das Bedürfnis einer Perücke empfände, sollte er bei fürstlichem Consistorio um die Konzession untertänigst nachsuchen, da sich leider »ergeben, daß das Perückentragen unter den Alumnis so gemein werden will«. Zugleich wurde ängstlich darauf gesehen, daß die »fröhliche Erquickung« der Zöglinge in »ehrbaren, christlichen und klösterlichen Schranken eingeschlossen« bleibe, daß nur »ehrliche Ergötzungen«, daran »vernünftige und moderative Gemüter« ein Gefallen finden können, wie Musik und eine selten genug gestattete »Promenade«, gestattet wurden, und nicht nur Karten und Würfel, wie billig, sondern auch das Brettspiel waren verboten, auch das an sich immerhin »anständige und honette« Schachspiel »dissuadiert«. Alle »ludi pueriles, die mit Tumult, Geschrei, Springen, Abmattung und Gefahr vorgenommen werden« waren aufs strengste untersagt.
Indessen wird man um solcher Mängel willen kein allgemeines Verdammungsurteil über diese Anstalten aussprechen und den Einfluß der Verhältnisse und des Zeitgeistes mit in Anschlag bringen. Gewiß milderte die Persönlichkeit der Aufsichtsbehörde und der Vorgesetzten gar vieles an jenen strengen Verordnungen, und gewiß ist, daß gründliche Kenntnisse in den für den Theologen nötigen Fächern allenthalten auf diesen, frühzeitig auf viere reduzierten, nach zween zweijährigen Kursen abgeteilten Klosterschulen (Blaubeuren gehörte zum untern Kursus) erworben wurden.
Verbesserungen im Einzelnen wurden schon im Anfange des vorigen Jahrhunderts, namentlich durch den berühmten J. A. Bengel, damals Klosterpräzeptor zu Denkendorf, hervorgerufen. Unsere neueste Zeit hat aber diese Anstalten gänzlich umgeschaffen, und es wäre ein frevelhafter Leichtsinn, jetzt – wo sie in andern Ländern vermißt oder nachgeahmt werden – noch an ihre Aufhebung denken zu wollen. Im Jahre 1785 und 1794 wurde der Lektionsplan umgestaltet und bedeutend erweitert, im Herbste 1807 die zwei obern Klöster, 1810 auch die zwei niedern Klöster kombiniert und bei dieser Gelegenheit das Kloster oder Seminar Blaubeuren, das auch im Dreißigjährigen Kriege unter der österreichisch-katholischen Herrschaft eine Zeitlang eingegangen war, aufgehoben, jedoch bei Wiederherstellung der vier Seminarien im Jahre 1817 erneuert.
Mit diesen Einrichtungen der neuesten Zeit verlor sich die alte Klosterdisziplin und jede unvernünftige Beschränkung der wissenschaftlichen Vorbildung gänzlich. Wer jetzt unsere Klöster betritt, findet fröhliche Jünglinge, von einem ihnen im Alter nicht allzu ferne stehenden jugendlichen Repetenten in ihren Studien und Erholungen geleitet und begleitet, rüstig turnend, nicht länger, als gründliche klassische Bildung erfordert, im Ringe der Mauern gehalten, sondern auf Feld und in Wäldern sich tummelnd und nur vor dem Müßiggang und der Ausschweifung gehütet. An der Spitze der Anstalten stehen nicht verlebte Prälaten, sondern Ephoren, Männer im besten Alter, in den Forderungen der Zeit erzogen und mit ihnen vertraut; zu Professoren werden junge und tüchtige Männer erlesen, zu welchen die Jugend Vertrauen fassen kann, während sie ihnen durch gelehrte Bildung und Religiosität Achtung und freiwilligen Gehorsam einflößen. Geographie, Mathematik, Physik und Propädeutik zur Philosophie gehen dem Unterricht in der Religion und im klassischen Altertum zur Seite. Alle Lehrer und Erzieher haben, nach den neuesten Verordnungen, sich's zur Aufgabe zu machen, nicht nur in den Unterrichtsstunden, sondern auch außer denselben in die möglichst genaue Verbindung mit den Zöglingen zu treten, jeden nach seiner Individualität kennen zu lernen und ihm tätige Teilnahme an seinem wahren Wohle zu beweisen.
Wir sind der Überzeugung, daß diese Digression, die wir ein für allemal machen, da der Freund der vorliegenden Blätter noch zwei ähnlichen Pflanzstätten deutscher Lehrer und Prediger in denselben begegnen wird, das Interesse für Blaubeuren nicht zu schwächen geeignet ist, und schließen unsere Beschreibung nur noch mit der Notiz, daß diese Stadt zwei ausgezeichneten Männern das Dasein gegeben hat, dem freimütigen Kanzler und Hofprediger Andreas Osiander (1562) und dem deutschen Philosophen Christoph Gottfried Bardili (1761).