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Lindau mit dem Obersee und Gebirge – Der Untersee mit Konstanz, vom Arenenberg – Hohentwiel und seine Schwesterburgen
Nach einer langen Wanderung über die Höhen und durch die Tiefen des Schwarzwaldes verpflanzen wir den Freund der Naturschönheiten Schwabens im Fluge von der nördlichen Gränze des Landes an seine südliche, aus dem Gebirgstale Badens an den offenen, lachenden Bodensee. Obgleich unser Werk nur den Blick auf zwei seiner schönsten Buchten eröffnet, so wird der Beschauer doch schon aus diesen Bildern, wenn er bedenkt, daß der wogende Wasserspiegel, den er hier zwischen der üppigsten Vegetation lachender Ufer durchschimmern sieht, von der Kette der Alpen in der Ferne begränzt, sich in gleicher Weise sechszehn Stunden weit fortsetzt, begreifen, warum wir Einheimischen so stolz auf dieses unser »Schwäbische Meer« sind. Der Verfasser dieser Schilderungen hat nur einmal in seinem bisherigen Leben das Meer gesehen: Es war im Kanal, an einem wolken- und windlosen Maitage, als er in einem Zweiruderkahne von Dieppes Gestade sich auf die hohe See führen ließ. Die Wasserfläche, die er der Breite nach überschaute, war nicht ausgedehnter als die Wasserlänge, die man von Lindau aus überschaut, die Wellen gingen nicht höher als auf dem Bodensee, die Stadt Dieppe war von blühenden Äpfelbäumen im Kreise umgeben wie unsere Städte des Sees, und je weiter sie sich von dem Auge des sanft auf der ebenen Meerfläche dahin Schwebenden entfernte, je ähnlicher wurde Stadt und Ufer den wohlbekannten, geliebten Umgebungen des vaterländischen Gewässers. Von süßem Heimweh bezwungen, glaubte er am hügeligen Horizont im Süden die Schneegipfel der Schweizerberge mit seiner Sehnsucht heraufzaubern zu können. Ja, er hatte Mühe, auf dem Meere selbst das Meer zu erkennen. Zu seinem Verdrusse mußte er sich sagen, daß er auf dem heimischen See schon ein lebendigeres Bild des bewegten Ozeans geschaut als hier an seinem Einflusse zwischen Frankreich und England. Zweimal schon war er im Sturm und einmal selbst mit Gefahr über den vom Unwetter empörten Bodensee gefahren; dort schlugen die grünen Wellen in das Schiff herein oder mannshoch an demselben empor, und sein kleiner Nachen flog mit ängstlich gesenktem Segel wie ein Sturmvogel über die Wellen; hier tanzte sein nicht größeres Fahrzeug ohne Segel im Takte friedlichen Ruderschlages über die Fläche des Meeres, die gar keines Zornes fähig zu sein schien. Unbefriedigt und von der kleinen Meerfahrt nichts zurückbringend als eine Anwandlung von Seekrankheit, betrat er das Ufer wieder, stand eine Weile an dem sonnigen Gestade mit gekreuzten Armen und ließ über die spiegelblaue Fläche im Geist einen schwarzen Bodenseesturm dahinbrausen, um doch das Meer zum Meere zu machen.
Wir verlassen diese Vergleichung, um uns ganz mit dem Bodensee und der reizenden Bucht zu beschäftigen, welche uns der Künstler vor Augen gestellt hat. Um seine jetzige Schönheit besser zu empfinden, versetze uns die Schilderung eines alten Römers, in der sich freilich viel Täuschung und Unkunde unter die Wahrheit mischt, in die Mitte des vierten Jahrhunderts nach Christus und sage uns, wie damals dieser jetzt so helle See, dieses jetzt so blühende Ufer gestaltet war.
»Zwischen den Klüften der höchsten Berge«, schreibt Ammianus Marcellinus, ein römischer Grieche aus Antiochien, den die Feldzüge gegen die Alemannen unter dem Feldherrn Barbatio in diese Gegenden führten, »entspringt der Rhein mit gewaltigem Stoß, bahnt sich über abschüssige Klippen ein Bett, ohne Zuwachs fremder Wasser, und strömt hin mit stürzendem Falle, wie der Nil durch seine Katarakten. Und er könnte vom Ursprung an beschifft werden, da er Überfluß an eigenem Wasser hat, wenn er nicht einem Rennenden ähnlicher dahinliefe als einem Fließenden. Und schon ins Freie hinausgetreten und die tiefen Spaltungen seiner Ufer bespülend, tritt er in einen runden (!) und Ungeheuern See ein – Brigantia (Bregenzer See) nennt ihn der anwohnende Rätier –, der 460 Stadien (11 1/2 Meilen) lang ist und fast in gleiche Breite (!) sich ergießt, unzugänglich durch das Grauen trauernder Wälder, außer wo jene alte, nüchterne Römertugend einen breiten Weg angelegt hat; denn die Natur der Örter und des Himmels Unfreundlichkeit streitet wider die Barbaren. Durch diesen Sumpf bricht der Strom brausend, mit schäumenden Wirbeln, wandelt rasch durch die träge Ruhe seiner Gewässer und durchschneidet sie wie mit einer scharf begränzten Fläche; und wie ein durch ewige Zwietracht getrenntes Element löst er sich wieder ab vom See, mit nicht vermehrtem, nicht vermindertem Strome, mit ganzem Namen und ganzen Kräften, und auch ferner keine Ansteckung erleidend, taucht er sich in des Ozeans innerste Tiefen. Und was gar wunderbar ist, das ruhende Gewässer des Sees wird von dem raschen Durchgange nicht bewegt und der eilende Fluß von dem unter ihm schwimmenden Schlamme nicht aufgehalten; beider Stoff vereinigt und vermischt sich nicht; und lehrte nicht der Anblick, daß es wirklich so geschehe, so würde man glauben, keine Gewalt sollte die beiden voneinander ferne halten können.«
Seitdem ist der See aus einem Sumpf ein helles, trinkbares Wasser geworden, und die gleichartig gewordenen Elemente haben sich längst friedlich vermählt. Auch früher schon erschien der See freundlicheren Augen nicht so fürchterlich, und Julius Solinus, der hundert Jahre vor Ammian geschrieben hat, nennt »das rätische Gefilde reich an Feldfrüchten, fett, ergiebig, geadelt durch den Brigantinischen See«.
Der Schilderung des Sees und seiner Ufer sowie den großen Begebenheiten, deren Zeuge der Bodensee viele Jahrhunderte hindurch war, hat der Verfasser dieser Zeilen ein eigenes Buch gewidmet, auf welches er den Leser, der Umfassenderes zu erfahren wünscht, zu verweisen sich erlaubt. Hier mag aus jener Beschreibung nur das Gegenbild zu dem Gemälde stehen, das der Römer von dem ungeklärten See und seinen ungelichteten Uferwäldern entworfen hat, ein Bild, das die Dichtung am Schöpfungstage dem weissagenden Boten Gottes in den Mund legt: Aus dem Gedichte »Die Schöpfung des Bodensees«, »Handbuch«, S. 487ff.
»Dann werden sich die Haine lichten,
Wie sich der Menschen Herz erhellt,
Dann prangt ein Kranz von goldnen Früchten
Um dich, du segensreiches Feld;
Die Rebe strecket ihre Ranken
In deinen hellen See hinein,
Und schwerbeladne Schiffe schwanken
In reicher Städte Häfen ein.
Und die des Höchsten Krone tragen,
Statthalter seiner Königsmacht –
An diesen Ufern aufgeschlagen,
Sonnt oft sich ihres Hofes Pracht.
Und Völker kommen aus dem Norden
Und aus dem Süden, See, zu dir!
Du bist das Herz der Welt geworden,
O Land, und aller Länder Zier!
Drum sind dir Sänger auch gegeben,
Zween Chöre, die mit deinem Lob
Die warme Frühlingsluft durchbeben,
Wie keiner je sein Land erhob.
Das eine sind die Nachtigallen,
Auf Wipfeln jubelt ihr Gesang;
Das andre sind in hohen Hallen
Die Ritter mit dem Harfenklang.
Wohl ahnst du deinen Ruhm, du wallest
Mit hochgehobner Brust, o See!
Doch daß du dir nicht selbst gefallest,
Vernimm auch deine Schmach, dein Weh!
Es spiegeln sich die Scheiterhaufen
Der Märtyrer in deiner Flut,
Und deine grünen Ufer traufen
Von lang vergoßnem Bürgerblut.
Sei nur getrost, du blühest wieder,
Du wischest ab die Spur der Schmach,
Und große Sagen, süße Lieder,
Sie tönen am Gestade nach.
Zwar dich verläßt die Weltgeschichte,
Sie hält nicht mehr am Ufersand
Mit Schwert und Waage Weltgerichte,
Doch stilles Gnügen wohnt am Rand.
Der Hauch des Herrn treibt deine Boote,
Dein Netz soll voll von Fischen sein,
Dein Volk nährt sich vom eignen Brote
Und trinkt den selbstgepflanzten Wein.
Und unter deinen Apfelbäumen
Wird ein vergnügt Geschlecht im Glück
Von seinem alten Ruhme träumen:
Wohlan, vollende dein Geschick!«
Die seit dem Jahre 1805 mit der bayrischen Monarchie vereinigte Stadt Lindau mit ihrem Zubehör ist auf drei Inseln des Obersees, zwei Stunden von dessen östlichstem Ende, höchst eigentümlich und reizend gelegen; das letztere inzwischen nur für den Anblick, denn der Bewohner, wenn er nicht auf die Brücke oder an den Hafen geht, wird von der herrlichen Umgegend gar nichts gewahr und findet sich von Häusern ohne alle Aussicht eingeschlossen, wovon nur die Rückseiten ganz weniger Wohnungen, darunter das alte Gasthaus zur Krone, eine Ausnahme machen. Die vorderste Insel, auf welcher die eigentliche Stadt gebaut ist, enthält drei Fünftel vom Flächenraume aller drei Inseln; sie ist durch eine sehr schöne hölzerne Brücke, welche nach Zerstörung der alten durch die Wasserfluten des J. 1817 durch den Kronenwirt Zaggelmayer um einen sehr billigen Preis hergestellt worden ist, mit dem festen Lande verbunden. Sie maß früher 300 Schritte, wovon aber jetzt fünfzig Fuß ausgefüllt sind; ihre Breite ist sehr ansehnlich, ein schönes Geländer schmückt sie, und durch Seitenpfade ist für die Fußgänger gesorgt. Auf der zweiten Insel wohnen, von der Stadt durch einen Graben abgesondert und durch Zugbrücken wieder verbunden, Schiffer, Fischer und Weingärtner; auch stehen hier Salzmagazine und Weinkeltern. Der übrige Teil dieser vorzugsweise so genannten »Insel« besteht aus Weingärten und Obstpflanzungen. Die dritte Insel, die »Burg« genannt und mit der Stadt durch eine steinerne Brücke verbunden, ist von ganz kleinem Umfange und enthält fast kein Gebäude außer der kleinen, alten Jakobskirche, die seit der Reformation verlassen steht, zeigt indessen Überbleibsel uralter, großer Befestigungen, die, noch immer unbeschädigt, der Stadt zur Schutzwehr gegen den See dienen und, nebst dem Namen »Burg«, den Aufenthalt der Römer auf dieser Insel sehr wahrscheinlich machen. Vielleicht war es der Kaiser Constantius Chlorus, der Gründer von Konstanz am entgegengesetzten Ende des Obersees, der zu Anfang des 4ten Jahrhunderts auch hier einen Waffenplatz gegen die Alemannen angelegt hat.
»Die Lage dieser dreifachen Insel« – wir reden hier mit Ebels Worten »Schilderung der Gebirgsvölker der Schweiz«, Leipz. 1798, 1er Teil, S. 2ff. – »ist außerordentlich schön. Gerade ihr gegenüber öffnet sich das breite, große Tal, durch welches der Rhein aus den rätischen Alpen dem Bodensee zueilt. Die Felsenkette der Schweiz zieht sich auf der rechten Seite dieses Tals bis an den See herab, dehnt sich dicht an demselben in fruchtbaren Vorbergen aus und bildet dessen südliche Ufer, die erhaben, groß und fruchtbar sind. Die linke Seite des Tals wird von den nackten, rauhen Felsen Vorarlbergs begränzt, die sich nach Osten fortsetzen und den See in steilen, hohen Ufern ummauern. Der ganze Teil des Sees, der von Lindau östlich sich ausdehnt, bildet ein großes, schönes, ovales, zwei Stunden breites und fast ebenso langes Becken, an dessen äußerem Ende, hoch über demselben, das Städtchen Bregenz schwebt. Nach Westen und Norden breitet sich der See in eine Wasserfläche aus, die wegen ihrer großen Ausdehnung in Erstaunen setzt. Von Lindau nach Konstanz beträgt seine Länge beinahe eilf und bis an das Ende seines großen Busens, bei Bodenau und Sernadingen, sechzehn Stunden. Da die westlichen und nördlichen Ufer, unerachtet ihrer Krümmungen, im ganzen doch eine gerade Richtung halten, so genießt das Auge den außerordentlichen Anblick eines Wasserspiegels, dessen Fläche ungefähr vierzig Quadratstunden ausmachen kann. Wenn die Luft nicht sehr hell ist, so spielen in der weiten Ferne die Wellen in dem Horizont, und alsdann besonders begreift man, warum dieser See einst das Schwäbische Meer genannt worden ist.«
Herrliche Fernsichten gewähren die Hügel am nordöstlichen Gestade des Sees. Je nachdem die Luft dunstig oder ganz hell oder von Wetterwolken durchbrochen ist, erscheinen hier die gegenüberliegenden Hochgebirge dem Auge immer wieder in andern Verhältnissen und andern Gestalten: bald nur in Umrissen, wie ein Traum, bald wie eine blaue, lückenlose Mauer mit scharfen Zinnen; bald ziehen sich, bei starkem Licht und Schatten, früher nie entdeckte Täler in die Gebirge hinein, bald lassen Strichregen und vereinzelte Nebelmassen aus der verschleierten Kette nur isolierte Felsenwände, oft von Eis und Schnee starrend, erblicken, und einsame Felsenhörner strecken ihre Spitzen hoch über die Wolken empor. Ein Sonnenblick kann dann oft Wetter und Wolken zerstreuen und die ganze Landschaft in glänzender Schönheit mit Gebirg und Tal plötzlich aus dem Gewitterdunkel hervortreten lassen.
Von Ortschaften erblickt man hier durch ein Fernrohr sehr deutlich die Türme der Abtei von Sankt Gallen; die Städtchen Rheinegg, mit dem Rheinausflusse, Rorschach und Arbon glänzen unter den übrigen Orten, die das Schweizerufer beleben, jenseits dem breiten Spiegel des Sees. Dieser selbst ist von Kähnen und Segelschiffen belebt, wiewohl die Dampfboote, deren drei den Bodensee nach allen Richtungen durchschneiden, solches Leben nicht eben befördern; vielmehr verdrängen sie die kleineren Schiffe, gerade wie die Raubfische die friedlicheren, kleineren und schöneren Bewohner des Sees verschlingen.
Zu den schönsten Punkten dieser Art gehören das Landhaus des Kaufmanns Falk und der Ort, wo noch jüngst die Washingtons-Bank stand, kein Denkmal, dem Befreier Amerikas gesetzt, wohl aber ein Plätzchen, das der menschenfreundliche bayerische General Freiherr von Washington auf der Höhe des Weinbergs seiner Villa, die jetzt mit dem Abzug ihres Besitzers in andern Händen ist, jedem Freunde schöner Fernsicht offen gehalten hatte. Auf einem ähnlichen Punkt, etwas näher gegen die Stadt Lindau, bei einem neuen Weinberghäuschen mit einer Bank, hat sich unser Künstler seinen Standpunkt ausersehen, weil er hier die Landschaft besser zusammengerückt und geschlossener fand.
Unter den Merkwürdigkeiten der Stadt Lindau stehe die sogenannte Heidenmauer obenan, kolossales Bruchstück einer riesenhaften Befestigung oder eines Turmes, dem von der Hauptbrücke durch das Tor Eintretenden rechts gelegen, jetzt zwischen angränzende Häuser eingezwängt. Sie ist aus ungeheuern unbehauenen Kieselfelsen gebaut, mag 12 Schritte in die Länge halten und wurde, als man sie ums Jahr 1760 an den höchsten, verfallenden Stellen renovierte, 8 1/2 Schuh dick befunden. Eine auf irrige Voraussetzungen gegründete, wiewohl ziemlich allgemeine Meinung schreibt ihre Erbauung dem Kaiser Tiberius zu. Hiergegen streitet neben anderem schon ihre Bauart, die auch kaum gestattet, sie für eine Befestigung der römischen Feldherren des vierten Jahrhunderts gegen die Alemannen zu halten. Höchst wahrscheinlich war es eine Mauer gegen die Heiden, eine Brustwehr gegen die hunnischen Überfälle im zehnten Jahrhunderte; denn die Sitte, mit unbehauenen Steinen aller Art zu bauen, war gerade den früheren Zeiten des Mittelalters eigen. Auch so noch ist sie ohne allen Zweifel, nächst den Substruktionen der »Burg«, das älteste Denkmal der Stadt, deren Name (Lintauuia) zuerst in der zweiten Hälfte des 8ten Jahrhunderts urkundlich vorkommt, als ein von den Händen leibeigener Knechte angelegter Hof. Im 9ten Jahrhundert soll sodann ein Graf oder Herzog von Rätien, Adalbert, das ebenfalls uralte Fräuleinstift von Lindau gegründet haben. Im zehnten Jahrhundert verscheuchte ein großer Brand einen Teil der Einwohner Lindaus. Unter Kaiser Konrad II. kehrten sie indessen zurück, und nun hatte die Stadt unter dem Reich ihr eigenes Regiment, stieg aus verschiedenen Feuersbrünsten immer neu empor und wurde schon von dem Kaiser Rudolf von Habsburg eine uralte Reichsstadt genannt. Von ihren Kirchen soll die Peterskirche auf der Insel schon den Brand von 948 erlebt und überlebt haben und die eingegangene Dreifaltigkeitskirche im J. 1241 gegründet sein. Noch älter war die Kirche des Fräuleinstiftes, ihre alte Gestalt ist jedoch samt dem Stiftsbau und vielen Häusern im Brande von 1728 verschwunden. Das Stift selbst dauerte bis zur Säkularisation, und seine gefürstete Äbtissin übte im J. 1780 zum letzten Male das von den römischen Vestalinnen vererbte Recht, einen Verbrecher, den der Scharfrichter schon am Strick hatte, mit dem Messer, das ihr in silberner Schale nachgetragen wurde, abzuschneiden und so von der Todesstrafe zu erlösen.
Im J. 1496 hielt Kaiser Maximilian I. hier einen merkwürdigen Reichstag und leitete von hier aus den nicht sehr glücklich geführten Schweizerkrieg. Vierunddreißig Jahre nachher (1530) errangen die Lindauer Glaubensfreiheit, erklärten sich nach langem Schwanken zwischen Calvin und Luther für den letztern, und seitdem ist die Bevölkerung protestantisch. Damals bereicherte sie ein ausgebreiteter Handel mit Österreich, ganz Deutschland, Frankreich und Italien, der jetzt freilich zu einem nicht sehr bedeutenden Speditionshandel zusammengeschrumpft ist. »Es ist hier«, meldet ein Zeitgenosse der Reformation, »eine solche Niederlag und Zukehr von allerlei Gewerbshändeln aus allen Landen, daß gemeinlich alle Samstage (Sonnabende) auf dem Wochenmarkte mehr denn aus achtundzwanzig Städten und Städtlein von neun und mehr Meilen Weges her ohn Unterlaß Leut herbeifahren, dazu ob vierzehenhundert Karren und Wägen zu dem Tor aus und ein gehen.« Damals hieß Lindau, wohl zugleich in Rücksicht auf seine Lage, »das deutsche Venedig«. Auch stand wirklich die Stadt immer in einiger Verbindung mit dem »Deutschen Hause« jener italienischen Wasserstadt. Der Dreißigjährige Krieg machte Lindau zu einer Festung, deren bedeutende Außenwerke (Karls- und Sternwall) noch dauern. Sie wurde abwechselnd von den verschiedenen streitenden Parteien besetzt; die Stadt litt fürchterlich, und die Pest fraß über 2000 Menschen auf einmal. Noch im vorletzten Jahre dieses Krieges belagerte der Schwede Wrangel die zu Lindau eingeschlossenen Kaiserlichen zu Lande und mit Kriegsschiffen, die zu Bregenz ausgerüstet worden, zu Wasser. Inzwischen siegten die Lindauer in einem kleinen Seetreffen; erst nach mißlungenem Versuche wurde eine Vorschanze erstürmt, und viele Wochen lang hielt die Stadt und ihr kaiserlicher Kommandant, Graf von Wolfegg-Waldsee, das Bombardement aus. Wie durch ein Wunder entstand keine Brunst und verlor kein Bürger das Leben; nur ein fremdes altes Weib ward von einer Granate zerschmettert. Wrangel zog endlich unverrichteter Dinge ab, und erst der Westfälische Frieden öffnete am 30. Sept. 1648 die Tore Lindaus den Schweden und ihrem Oberbefehlshaber Robert Douglas.
Das Wirtshaus zur Krone ist ein ehrwürdiger Zeuge dieser Belagerung und bewahrt noch eine Kugel derselben auf. Auch im Innern hat dieser gute Gasthof seine alte Gestalt behalten und spricht in weiten, nicht zu hohen Räumlichkeiten eine reichsstädtische Stattlichkeit aus. Im Hauptsaal ist jeder Fensterpfeiler der dicken Mauer noch mit einer Säule versehen. Auf der Hinterseite können die Gäste hier einen Teil des Hafens und Sees und, besonders bei günstiger Morgenbeleuchtung, das ganze Gebirge in seiner Herrlichkeit übersehen.
Andere schöne und altertümliche Gebäude sind das alte Warenhaus, die Brotlaube, der Diebsturm und die schöne gotische St. Stephanskirche, deren Turm der Blitz im J. 1668 hinweggebrannt hat. Im übrigen hat Lindau in der Bauart viel Schweizerisches; die Häuser sind weniger hochgiebelig als bei uns, dagegen breiter; die obern Stockwerke und das Dach bilden einen starken Vorsprung.
Der Hafen ist immer noch, trotz des geschmälerten Handels, ziemlich belebt, die nächsten Ufer erheitern schöne Landhäuser, und wenn die Stadt durch ihre abgeschnittene Lage etwas Kerkerartiges hat, so müssen ihre Bewohner auch den Zauber der sie umblühenden Natur, zu welcher die Brücke sie hinüberträgt, wann sie wollen, mit verstärkter Lust empfinden.