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Die Hölle

Von Triberg fördert uns ein Gebirgsweg südwestlich in das von Südosten nach Nordwesten streichende Felstal, das von seiner furchtbaren, selbst im rauhesten Schwarzwald unerwarteten Wildheit den Namen Höllental davongetragen hat. Dieser Weg, der zunächst nach den Dörfern Schönenwald und Furtwangen führt, geht am Scheitel der Triberger Wasserfälle vorbei, welcher dadurch höchst interessant ist, daß das Bergflüßchen Guttach hier völlig verschwindet und sich unter einer Masse, ja, man könnte sagen, einem horizontalen Mauerwerk jener rundgewaschenen Felsblöcke verbirgt, welche in dieser Höhe, auf diesen Gipfeln der Gebirge ein wahres Rätsel sind. Unter dieser Steindecke hört man das Rauschendes Waldstromes. »Hier muß einmal das Meer gewesen sein«, sagte unser Führer trocken und gläubig, und der Anblick widersprach seiner Behauptung nicht. Auch ist der Wasserreichtum auf dieser Gebirgshöhe sehr groß, Felder und Wiesen vertrocknen im heißesten Sommer nie ganz, und wenn in unsern fruchtbaren Ebenen und Tiefen die letzteren in den jüngsten heißen Jahrgängen afrikanischen Steppen glichen, labte sich das Auge dieser Gebirgsbewohner an unverwelklichem Grün. Schönenwald und Furtwangen liegen in solchen bewässerten Tälern, deren Höhen mit Tannenwäldern bekränzt sind. Die Gegend ist hier an sich nicht malerisch, namentlich hört alles Felswesen auf, das der untern Gegend zwischen Hornberg und Triberg den Namen der kleinen Hölle verdient hatte; doch erhalten die einförmigeren Tiefen und Hochflächen einen eigentümlichen Reiz durch die zum Teil abenteuerlich schweizerische Bauart der Häuser und Höfe, die anmutig zerstreut umherliegen und bei denen die verschiedensten häuslichen und landwirtschaftlichen Zwecke viel mehr im Relief und in ihren ungekünstelten Forderungen erscheinen als bei uns im überkultivierten Lande. Ihr Anblick gewährt den mannichfaltigen Wechsel und die Unterhaltung, ja selbst hier und da den malerischen Reiz, den die Gegend selbst den Blicken des Wanderers versagt. Eine starke Bevölkerung in mannichfaltigen Nationaltrachten belebt diese zerstreuten Gehöfte, doch ist gerade die Kleidung der Weiber, obwohl charakteristisch, keinesweges schön zu nennen. Nur der Kopf, den der weiße oder auch grellgelb gefärbte Schwarzwälder Strohhut von männlicher Form noch über der Haube deckt, hat einen der roten Wangen und blauen, hellen Augen würdigen Schmuck. Das schwarze manchesterne Leibchen ist allzu kurz und knapp, nach hinten nicht einmal zu der kurzen Taille herabreichend. Der dunkle Faltenrock breitet sich nach unten im Dreieck unter vielen Falten aus und entfernt sich gänzlich von der Form des menschlichen Körpers, so daß die schmucksten Mädchen zu einer Mißgestalt abgestumpfter wandelnder Kegel werden und besonders von hinten gesehen recht abscheulich sind. Die Farbenzusammenstellung jedoch, schwarzmanchesterne Spenzer, unter diesen rote Mieder, dunkle Röcke und blaue oder rote Strümpfe, hat etwas sehr Gefälliges. Die einsamen Orte Schönenwald und Guttenbach, über welche der Weg führt, haben alte Kirchen, mit Hof und Hoftor umgeben, durch welches die vergoldeten Kirchhofkreuze hell herausblicken. Furtwangen aber ist ein stattliches, sehr lebendiges Uhrmacherdorf im ausgesprochensten Schwarzwaldcharakter. Hier geht die Straße nach »der Neustadt« durch, einem gewerbtätigen Städtchen, das seine hölzernen, zum Teil sehr kunstreichen Uhren durch halb Deutschland versendet.

Der Wanderer zur Hölle verläßt hier die Straße und schlägt sich rechts durch immer steiler werdende Waldgegenden an der »kalten Herberge« (einer in Schwaben sehr häufig vorkommenden Benennung) vorbei, welche eine Wasserscheide zwischen dem Rhein und der Donau bildet, nachdem er kurz zuvor die der Kinzig und somit dem Rheine zueilende Guttach verlassen und über den einen der Donauzuflüsse oder vielmehr der Donauquellen, die Breg, gegangen war. Sein Weg führt ihn jetzt zwischen zwei Seitentälern hindurch; von der linken Seite her winkt ihm in ziemlich freundlicher Lage das Pfarrdorf Urach (wohl von jener Albstadt und Feste zu unterscheiden), rechts schaut aus wilderer Talumgebung Neukirchen heraus; vom höchsten Bergrücken öffnet sich ihm die Aussicht auf die gestreckten Schwarzwaldshöhen, welche das Rheintal begrenzen, namentlich auf den Rücken des Feldberges, den schon im Augustmonat jedes Unwetter mit Schnee bedeckt. Selbst die ganze Umgegend kann mitten im Sommer bei besonders ungünstiger Witterung unter Schnee gelegt werden. Nachdem wir auf diesen Höhen in großer Einsamkeit dahingepilgert, tat sich uns endlich am südlichen Abhang ein weites, nicht steil und hoch eingeschlossenes Wiesental mit der Dorfschaft Langenorlach auf, deren vereinzelt stehende Häuser das ganze weite Tal ausfüllen. Dann ging es durch fruchtbare Geländer, immer abwärts, dem Höllental zu. Neustadt, das, wie Triberg, nach einem Brande neu aufgebaut ist, bleibt links liegen, und unversehens ist man auf der breiten Straße, die zur Hölle führt und wo der schwarze Dämon dieses Passes, der übrigens ein unschuldiger Waldgeist ist, von Viertelstunde zu Viertelstunde ein einladendes Wirtshaus hingezaubert hat. Das erste führt einen Stern im Schilde und ist noch eine Stunde vom Eingang in das eigentliche Höllental und von seinem steilsten Abhang entfernt.

Die Ankunft bei den Felsen selbst bildet einen um so überraschenderen Moment, je weniger die letzte Strecke, die noch zurückzulegen ist, den Reisenden auf sie vorbereitet. Das Tal ist nämlich auf diesem ganzen Wege breit genug, um rechts und links von der bequemen Straße jene gewohnten Übergänge vom Tale zu den Bergen zu gestatten, jene Unebenheiten und Wellenlinien, die der Blick durchlaufen kann, ohne unmittelbar auf den Bergwänden aufzuprallen. Plötzlich aber, nachdem man vom zweiten Wirtshause, welches zugleich das Posthaus ist, eine starke Viertelstunde die steiler werdende Bergstraße bis zum Tale hinab verfolgt hat, rücken die Berge ganz nahe zusammen, und ehe man es sich versieht, findet man sich von den ungeheuersten, bald hervorspringenden, bald turmähnlich emporsteigenden, bald überhangenden Felsenmassen umringt, eingeschlossen und fast bedroht. Bei jedem Schritte, den der Wanderer tut, treten ihm neue Felsenkolossen entgegen; der Vorschritt scheint ihm abgeschnitten; und blickt er, wie zagend, hinter sich, so ist auch hier die eben noch offene Straße durch wie plötzlich hervorgesprungene Steinblöcke gesperrt. Nur der Wald wuchert furchtlos unter diesen versteinerten Riesen; sein lustigstes Grün bekleidet ihre Wände und überkleidet sie oft, und seine kühnsten Stämme scheinen eben erst die höchsten Gipfel der Felsen erklettert zu haben und blicken triumphierend in die Tiefe hinab. Hier und da bildet das bemooste Gestein die turmhohe Wand der Straße, und der Wandelnde sucht vergebens den Himmel über sich. Ihm zur linken Seite rauscht ein schäumender Bach, der sich mit der Straße durch die Felsengassen windet und in der Ebene, von andern Bergwässern verstärkt, die meergrüne Dreisam bilden wird. Der kühnste Fels, den unser Bild zeigt, heißt der Hirschensprung. Die Sage von einem Wilde, das ein kühner Sprung von Fels zu Felsen rettete, während der nacheilende Jäger von der Tiefe verschlungen ward, knüpft sich an denselben.

Die Vergleichung des Höllenpasses mit dem berühmten Münstertal in der Schweiz liegt sehr nahe. Der Verfasser dieser Zeilen, der binnen sechs Tagen beide Täler durchmustert hat, glaubt, daß der erstere, was das Großartige und besonders was das Pittoreske unserer Felsenpartie betrifft, keine Vergleichung mit den Wundern jenes Schweizertales zu scheuen habe, nur daß dort sich durch mehrere Stunden fortsetzt, was hier eine Viertelstunde dauert. Wilder, zerreißender, zermalmender ist es allerdings dort in der großen Werkstätte der Natur zugegangen. Die Wasser der Sündflut scheinen die Stirnen der höchsten Felsengipfel mit ihren Wirbeln ausgehöhlt zu haben, während höhlenartige Grotten ihre Füße spalten; in seltsameren Gestalten treten dort die Felsenkulissen reihenweise aus den grünen, häufig waldlosen Bergwänden hervor, und die zischende Schlange der Birs windet sich unzufrieden und zornig durch die finstern Abgründe. Hier im Höllental trägt alles einen ruhigeren, aber auch erhabeneren Charakter; die Natur scheint selbst im Kampf ihre Ruhe und Würde nicht vergessen zu haben. Ein entschiedener Vorzug des Höllentales endlich ist die herrliche Vegetation der Wälder, mit welchen der Jura im Münstertale sich nicht zu messen vermag.

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Höllental

Dem staunenden Wanderer dauert freilich bei uns diese erhabene Naturszene nur allzu kurz. Kaum hat er, wenn ihn Bewunderung nicht länger fesselt, fünfzehn Minuten vom Eingang in die Höllenpforte zurückgelegt, so öffnet sich auch schon wieder ebenso unerwartet ihr Ausgang. Ein malerischer Fels, welchen die ganz zerfallenen Trümmer der uralten Burg Falkenstein krönen, schließt diese grandiosen Felspartien. Von ihr erzählt eine geschichtliche Sage, die des schauerlichen Bergspaltes, dessen letzter Vorposten sie ist, vollkommen würdig erscheint und von der sich der Berichterstatter, der sie aus dem Munde des Volkes vernommen hat, nur so viel erinnert, daß von wilden Rittern hier ein gefangener Knecht unmenschlich über die Zinnen gestürzt worden. In der neuen Zeit ist der Höllenpaß durch den Rückzug der Franzosen im J. 1796 bekannt geworden.

Nach den letzten Felsengruppen zeigt die Natur noch mitten im Tale ein anderes Angesicht. Bald erscheinen jetzt wieder Wirts- und Bauernhäuser, die Berge treten, noch während der Weg abwärts führt, immer weiter zurück, und wie weggehaucht sind die Felsen. Fruchtbarkeit drängt sich in das offene Tal herein, die Reben erscheinen wieder in Ranken an den Hütten und bald auf den freien Hügeln; endlich breitet sich, von einem weiten Runde entfernterer Gebirge rings eingeschlossen, der heitere Grund aus, dem die Phantasie des Volkes den vielleicht allzu schmeichelhaften Namen des Himmelreichs verliehen hat. In zerstreuten, schmucken Häusern zieht sich das Dorf, das ebenfalls diesen Namen führt, die Heerstraße entlang, lustig rauscht die Dreisam der Straße bald näher, bald ferner; links schaut aus üppigem Baumgrün das heitere Dorf Kirchzarten mit Turm und Häusern hervor; bald nimmt uns Zarten, das alte römische Tarodurum, auf, dann das Dörfchen Ebnat; bisher durch den Schloßberg verdeckt, verkündigt endlich das himmelansteigende Münster die Hauptstadt des schönen Breisgaus, Freiburg, und ihr mittelalterliches Tor verspricht dem Wanderer nach den Schaudern der Hölle und dem Sonnenschein des Himmelreichs sanfte Ruhe und friedlichen Schatten.


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