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Der Untersee mit Konstanz

Gern hätten wir die Freunde Schwabens von Lindau aus die vielen reizenden Punkte besuchen lassen, welche rechts und links an den Ufern des Obersees den Blicken des Reisenden zuwinken, jeder eigentümliche Naturschönheiten entfaltend und jeder seine eigene, mannichfaltige Geschichte erzählend: am deutschen Ufer das uralte Wasserburg, Langenargen mit dem ausgebrannten Schlosse des stolzen Grafen von Montfort, die alte Reichsstadt Buchhorn (Friedrichshafen) mit einer Schatzkammer von spießbürgerlichen Späßen; das Schloß von Friedrichshafen, die anspruchslos schöne Sommerwohnung des Königs von Württemberg, das getürmte Meersburg mit seinen Felsenschrunden, Überlingen mit den stattlichen Türmen, dem schönen Bade, den rätselhaften Heidenlöchern; dann in dem tief landeinwärts eindringenden Seebusen, der nach dieser Stadt den Namen führt, Hohenfels, die Burg des Minnesängers, das vom Handel belebte Sernadingen (Leopoldshafen) und gegenüber das Sagenreiche Schloß Bodmann. Wiederum von Lindau aus links gewendet, wo das Schwabenufer nach der Schweiz einbiegt, die schöne bergan steigende Stadt Bregenz mit ihren malerischen italienischen Dächern, der äußerste Vorposten des von hier aus bis an Hadrias jenseitiges Ufer ununterbrochen sich streckenden Österreichs; der Gebhardsberg auf seinem schroffen Felsen mit der Übersicht des Sees und dem tiefen Blick ins Rheintal und den Komplex der Graubündner Gebirge; dann der Rheinausfluß mit Rheineck und weiter auf der Schweizerseite das freundliche Rorschach, Romanshorn, Arbon, das Arbor felix der Römer, ihre erste Fruchtbaumpflanzung in der Gegend, mit seinen mittelalterlichen Riesenmauern, in deren Ring der unglückliche Konradin die letzte Rast in Deutschland hielt; endlich eine Menge von Burgen auf den benachbarten Schweizerhügeln, deren jede von einem andern Rittergeschlecht oder einem andern Sänger meldet. Das alles müssen wir beiseite lassen und mit unsern Freunden auf einem der bequemen, wenn auch nicht glänzenden Dampfboote uns auf den Fittigen des Rauches den See entlang, an Konstanz vorbei, durch den Rhein an den Untersee tragen lassen – eine Fahrt von zwölf Stunden, die in vieren zurückgelegt wird, während die herrlichsten Gegenden wie Träume an uns vorüberfliegen.

Der frohe Stoß, der unsern Nachen treibet,
      Er geht durch Berg und Tal,
Sie fliegen hin, die Ruhe thront und bleibet
      Nur in des Äthers Saal.

Und heller glänzet im Vorüberschweben
      Der Turm von Dorf und Stadt,
Die Firnen glühn, die niedern Hügel beben,
      Umwallt von Blüt' und Blatt. Aus dem »Gesellschaftslied auf dem Schiffe«-, »Handbuch«, S. 519.

Den Untersee selbst, an dessen Ufer wir uns vor diesem Bilde befinden, betrachten wir in seiner ganzen Ausdehnung erst von Hohentwiel herab, und zwar in Vogelperspektive; hier kehren wir uns, über seine Wellen hinweg, der Stadt Konstanz und im Hintergrunde noch einmal dem Obersee und den Schweizergebirgen zu. Der Standpunkt, den der Künstler sehr glücklich und ergiebig gewählt hat, ist die Anlage, die vom Arenenberg ausgeht, dem bekannten Napoleonidenschlosse auf thurgauischem Boden, das seit langer Zeit der Ruhesitz der Prinzessin Hortensia ist.

Das stattliche Dorf, das hier im Vordergrunde erscheint, ist der schweizerische Marktflecken Ermatingen, der schon in einer Urkunde des achten Jahrhunderts, wenn dieselbe anders echt ist, mit seinem ursprünglichen und vollständigen Namen »Erfmüottingen« als Tafelgut der fränkischen Könige und mit Land und Leuten von Karl Martell dem neuen Kloster Reichenau vergabt erscheint. Eine halbe Stunde weiter oben, links von dem Turme des Dorfes, kommt, gleichfalls am Schweizerufer des Untersees oder eigentlich des hier ausfließenden Rheinstroms gelegen, das altersgraue, starkbefestigte Schloß Gottlieben zum Vorschein, das Bischof Eberhard von Waldburg im J. 1250, als das deutsche Reich nach Friedrichs II. Tod ohne Haupt war, auf seine Faust erbauen lassen. Er verlegte hierher, aus Mißmut über die Stadt Konstanz, seine Residenz und baute da eine bald wieder zerfallende Brücke über den Rhein, um die Stadt an Zoll und Gewerbe zu schädigen. Doch alle Schicksale dieser Burg vergißt man über zweien ihrer Bewohner. Denn während des Kostnitzer Konzils saßen hier nacheinander der Märtyrer Hus und der, dessen Opfer er geworden war, der unwürdige, entsetzte Papst Johann XXIII., gefangen, der erstere, dem Kaiser Sigmund in einem ganz zärtlich lautenden Geleitsbriefe des Reiches Schutz versprochen hatte, wie ein gemeiner Verbrecher in eiserne Fußbänder gelegt und die Nacht über an einem eisernen Armband an die Wand geschmiedet.

Hinter diesem Schmerzenslager Hussens steigt die Stadt Konstanz empor, mit den Türmen der Kirche, in welcher er verdammt, und mit der Brandstätte vor dem Tore, das herwärts nach Gottlieben führt, auf welcher er dem Flammentod überliefert wurde. Bei diesen Erinnerungen zwingt uns die Geschichte zuerst zu verweilen, sooft wir Konstanz erblicken. Alles andere verbleicht vor dem Widerscheine dieses gräßlichen Feuers. Dort, in den Hallen jenes Domes, ward am 6. Juli 1415 das feierliche Verdammungsurteil über den Ketzer Hus ausgesprochen, dort riß dem Gerechten, als er auf den Knien für seine Freunde gebetet hatte, von sieben ihn umringenden Bischöfen einer den Kelch aus der Hand und redete ihn als den verfluchten Verräter Judas an, und die sechs andern zogen ihm die Priesterkleider aus, setzten ihm die mit Teufeln bemalte spitzige Papiermütze auf und begrüßten ihn als Erzketzer. Und Kaiser Sigmund erhub sich, rief den Beschirmer des Konzils, den Kurfürsten und Pfalzgrafen am Rhein, und sprach: »Weil wir das Schwert nicht umsonst tragen, sondern zur Strafe über die, so Böses tun, so nehmet diesen Mann, Johann Hus, und strafet ihn, wie einem Ketzer gebührt.«

Wenden wir uns zur Richtstätte vor dem Tore. Dort steht der Holzstoß schon aufgerichtet. Betend und singend kommt Hus heran und sieht mit Lächeln, wie man seine Bücher verbrennt. Die Henker fassen ihn und schmieden ihn mit der rostigen Kette an den Pfahl; Stroh und Holzbündel werden ihm um den Leib gelegt. »Heilige Einfalt!« ruft der Märtyrer, als er ein altes Weib geschäftig Späne hinzutragen sieht. Schon lodert das Feuer hell auf, mit heller Stimme fleht Hus um Erbarmen – zu Jesus Christus. Dreimal sieht man ihn die Lippen hinter den Flammen zum Gebet bewegen; dann erstickt der Rauch seine Stimme und sein Leben. Die Wut der Henker spaltet sein Haupt und brät sein zerstückeltes Herz. Seine Asche wird zusammengekehrt und in den Rheinstrom geworfen.

Ihm folgte am 30. Mai 1416 sein Schüler Hieronymus von Prag auf dem Scheiterhaufen. Er ward mit nassen Stricken und einer eisernen Kette um den nackten Leib gebunden. Als der Henker das Feuer vom Rücken anzünden wollte, sprach er mutig: »Tritt hervor und zünde das Feuer vor meinen Augen an!« Dann fing er den Lobgesang an zu singen, bis die Flamme über ihm zusammenschlug. »Nicht Mucius Scaevola hat standhafter seine Hand ins Feuer gehalten, nicht Sokrates den Giftbecher so gelassen ausgetrunken«, fügt ein edler Augenzeuge, der Florentiner Poggio, seiner brieflichen Schilderung bei.

Wer wird nach solchen Szenen noch von der Pracht und Augenlust dieses Konzils hören wollen, wie viel hundert Kardinäle und Kirchenprälaten, wie viel tausend Fürsten, Grafen und Edelleute hier versammelt waren, wie viel wandernde Pastetenöfen in der Stadt zirkulierten, wie viel fahrende Dirnen für die Lüste dieser Ketzerrichter sorgten? Selbst Papst Johanns Flucht und Herzog Friedrichs Acht und die Papstwahl vermögen unser Interesse nicht mehr zu erregen: Wir kehren uns mit Abscheu von dieser ganzen Zeit ab, unbefleckteren Jahrhunderten zu.

Constantia ist eine römische Schöpfung. Als Kaiser Constantius Chlorus, ums J. 304 bei Langers von den Alemannen eingeschlossen, sich durchgeschlagen und dem Rheine genähert hatte, besiegte er denselben Feind bei Vindonissa und ersah sich an diesem Strome auf helvetischer Seite, der schmalen Erdzunge gegenüber, die zwischen dem Untersee und Obersee hinläuft, davon der Rhein aus dem letzteren tritt, einen Punkt, um auf dieser von Natur schon festen Stelle ein Kastell zu bauen. Kein Schriftsteller, keine Inschrift, keine Münze nennt diese Gründung; sie dauert allein in ihrem Namen fort. Als aber der Schwede Horn im J. 1632 Minen gegen das belagerte Konstanz zu graben anfing, da stieß er vor dem Kreuzlinger Tore auf die alten römischen Rippen der Stadt. Ungeheure Substruktionen und die kolossalen Bogen einer steinernen Brücke, Zeugen von weit breiterem Wasserstande des Rheins in jener alten Zeit, traten ans Licht; alles wies auf eine gewaltige, für lange Dauer berechnete Befestigung hin. In diesem römischen, später alemannischen Constantia gewann unter fränkischer Oberherrschaft zuerst der christliche Kultus in der Mitte des 6ten Jahrhunderts eine feste Stätte am Bodensee, als der austrasische König Chlothar I. das Bistum dorthin verlegte, das bis dahin zu Vindonissa (Windisch) bestanden hatte. Kaiser Karl der Große zeigte auf dem Wege nach Rom zur Kaiserkrönung sein gefeiertes Antlitz dem See zu Konstanz, das jetzt schon eine Stadt heißt und in der Marienkirche eine Kathedrale besitzt, zu der sich im neunten Jahrhunderte die St. Stephanskirche gesellt. Im Beginne des 12ten Jahrhunderts wird zu Konstanz ein Reichstag gehalten; um dieselbe Zeit widersteht es mutig einem großen Heere von Bayern und Sachsen, die der Reichsverweser Heinrich der Stolze, ein Welfe, herangeführt. In seines Reiches freier Stadt Konstanz thronte mit seinen Fürsten Friedrich der Rotbart vom 11ten bis zum 23. März 1153 und hörte die Klagen mailändischer Männer über die Tyrannen ihres Vaterlandes gnädig und zur Hülfe bereit an. Zu Konstanz empfing er im J. 1183 die goldenen Schlüssel der italischen Städte. Dreißig Jahre nachher erschien Friedrich II. vor Konstanz, das entscheiden sollte, wer die erste Krone der Welt zu tragen hätte. Es öffnete seine Tore dem Hohenstaufen, und der Gegenkönig Otto, von Überlingen herbeieilend, fand sie verschlossen.

Die Reformation verunglückte in Konstanz, so reißend sie begonnen, so wild Hussens Manen mit Klostersturm und Kirchenraub, ja mit Versenkung eines Heiligenleichnams in den See (1529) geopfert worden war. Die Stadt wurde (1548) von den kaiserlichen Spaniern nach verzweifelter Gegenwehr überwältigt und verlor ihre Reichsfreiheit (1549).

Im Dreißigjährigen Krieg erschienen Gustav Horn und, von Hohentwiel aus, der Württemberger Wiederhold vor Konstanz, beide vergebens. In der spätem Zeit zog sich wie vom ganzen Bodensee, so auch von dieser Stadt die Weltgeschichte zurück, ihre Einwohnerzahl, die zur Zeit des Konzils mit den Fremden 80000 betragen, schmolz auf etwa fünftausend zusammen, und nur die Gebäude der verödeten Stadt mahnen noch an die alte Herrlichkeit. Kaiser Joseph II. suchte ihr durch noch heutzutage blühende Fabriken von Manufakturisten, Uhrmachern und Juwelierern aufzuhelfen (1777); unter badischer Landesherrlichkeit wurde sie der Sitz des Seekreis-Direktoriums, und der deutsche Zollvertrag verspricht ihr endlich ein erneuertes Aufblühen. Die Hauptmerkwürdigkeit der Stadt ist die Domstiftskirche, wie die meisten alten griechischen Tempel in Kreuzform gebaut, mit einer uralten, nun in einen Weinkeller verwandelten Krypta unter dem Chore. Das hohe Kirchengewölbe wird von 16 Säulen getragen, deren 18 Fuß hohe Schäfte aus einem Steine sind. Die zwei gegen Abend stehenden hohen, viereckigen Türme, oben verbunden und mit eisernem Geländer eingefaßt, beherrschen die Stadt, die beiden Seen und das Gebirge und gewähren eine der herrlichsten Rundsichten. Sie sind seit dem Brande 1511, wo zehn Glocken zerschmolzen, neu aufgeführt. Der Haupteingang der Kirche zeigt auf seinen Torflügeln aus Eichenholz die Lebensgeschichte Christi in bewundernswürdiger Arbeit. Hinter der Domsakristei ist unter einem sehenswürdigen Saal eine Kapelle mit Wandgemälden aus der Zeit und Schule von Martin Schön, in der untern Sakristei ein schätzbares Altargemälde aus Albrecht Dürers Zeit. In der Nebenhalle und im Innern des Domes sieht man Grabmäler berühmter Männer; das hölzerne Bild, das die Kanzel trug, wurde fälschlich für Hus gehalten und so lange beschimpft, bis man es in der neuesten Zeit entfernen zu müssen glaubte.

Sehenswert sind ferner die Sankt Stephanskirche mit guten Bildhauerarbeiten Hans Morings vom Ende des sechzehnten Jahrhunderts, das städtische Rathaus, das Kaufhaus, in welchem auf dem Konzil Papst Martin V. im J. 1417 gewählt worden, wie eine gleichzeitige Inschrift bezeugt, das Haus in der St.-Pauls-Straße, wo Hus ergriffen ward, der Friedhof, in welchem 1183 der Frieden Barbarossas mit den italischen Städten geschlossen worden, die uralten Gebäude »Malhaus« und »hohes Haus«, das alte Dominikanerkloster (jetzt die Macairesche Fabrik) mit einer herrlichen alten Kirche und dem Grabmale des auf dem Konzil verstorbenen berühmten Philologen Emanuel Chrysoloras von Konstantinopel und dem abscheulichen Gefängnis des Märtyrers Hus, die alte Pfalz mit der herrlichen Aussicht auf den See, die hölzerne Rheinbrücke mit steinernen Pfeilern, seit ihrer Erbauung im zwölften Jahrhundert viermal zerstört oder abgebrochen, im J. 1802 in den jetzigen Stand gesetzt, das alte Benediktinerkloster Petershausen auf dem rechten Rheinufer, mit leider verschwindenden Baudenkmalen.

Konstanz ist der Wohnort des berühmten, edeln Prälaten Freiherrn von Wessenberg und der sehr ausgezeichneten Malerin Fräulein Marie Ellenrieder. Jener öffnet dem Fremden seine schöne Gemäldegalerie, diese ihr Atelier mit der liebenswürdigsten Bereitwilligkeit.

Noch sind Vorstadt und Chorherrnstift Kreuzlingen, in herrlicher Lage, und eine andere Vorstadt von Konstanz, das »Paradies«, zu erwähnen, ein kleines, von etwa 60 Familien bewohntes Dörfchen von Gärtnern, Hirten und Fischern, deren Sprache, Kleidung und Sitten von den städtischen ganz verschieden sind, die sich aber von einem überaus fruchtbaren Boden redlich und hinreichend nähren.

Des Wanderers Paradies aber ist die ganze herrliche Gegend, von den üppigen Ufern des Untersees an bis zu dem majestätischen Hochgebirge Vorarlbergs und Tirols, das hinter dem durchschimmernden Obersee und dem felsigen Bregenzer Walde dieses schöne Bild begränzt.


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