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Kloster Hirsau – Der Wasserfall bei Triberg – Die Hölle – Freiburg im Breisgau – Badenweiler – Forbach im Murgtale – Das alte Schloß Baden
Das hohe Schwarzwaldgebirge fällt nach allen Seiten in tiefer liegende Landschaften ab, im Süden und Westen ins breite Rheintal, im Norden in die wellenförmige Ebene der obern Rheinpfalz, die den Schwarzwald vom Odenwald trennt, im Osten in die Flußtäler der Nagold, der Waldach, des Neckars und der südlich dem Rheine zueilenden Wutach. Es streicht von Südsüdwesten nach Nordnordosten mit einer Längenausdehnung von fünfundvierzig Stunden; die Breite von Osten nach Westen beträgt zehn, am nördlichen Ende allmählig verschmälert nur fünf Stunden, der ganze Flächenraum etwa neunzig Geviertmeilen. Die höchste Höhe hat das Gebirge im Süden, wo der Gebirgsknoten des südlichen Schwarzwalds, der Feldberg, 4600 Pariser Fuß über das Mittelländische Meer sich erhebt. Im Norden vertritt der Kniebis in etwas kleinerem Maßstabe (3016 Fuß hoch) den Feldberg. Am steilsten und schroffsten ist der westliche Abfall ins Rheintal, wo sich das Gebirge in mehreren hintereinander gelagerten Wällen bis zur höchsten Kette auftürmt. Im nördlichen Teil entsendet der Westabsturz Bergäste ins Rheintal hinaus, auf welchen sich wieder einzelne Kuppen erheben. Gegen Osten ist der Abfall im südlichen Teile ziemlich bedeutend, jedoch nicht schroff, im nördlichen dagegen, dem Innern Württembergs zu, wo sich das Gebirge allmählig verflächt, gering, so daß der von hier aus den Schwarzwald besuchende Reisende den Boden des Gebirges betritt, ohne es gewahr zu werden. Im Norden, gegen die Oberpfalz, ist der Abfall wieder ziemlich steil und hoch. Die nördliche Hälfte des Gebirges selbst nimmt den Charakter einer Hochfläche an. Vom Süden, aus dem Knoten des Feldbergs, strömen die Quellbäche der Hauptflüsse nach allen vier Weltgegenden, die Wutach, die Wiese, die Dreisam dem Rhein, die Breg und die Brigach der Donau zu. Die Hochfläche des Gebirgs wie seine Köpfe bedecken meist ausgedehnte, dicke und dunkle Nadelwaldungen, hier und da von einem Köhlerplatz, einem Feldstück, auch größern Feldungen unterbrochen. Auf den höchsten Höhen hören die zusammenhängenden Wälder auf. Das rauhe Klima duldet nur verkrüppelte Nadelbäume, und mit jedem Schritte sinkt der Fußtritt in schwarzen, schwammigen Moorgrund ein, welcher von einzelnen Rasen hoher Sumpfgewächse besetzt ist. Seine Wunder erschließt der Schwarzwald erst im Schoße der Täler, wo die Natur vom Erhabensten und Schauerlichsten allmählig ins Lieblichste und Mildeste übergeht, so daß der Wanderer, der am Morgen vom Gebirgssturm umsaust unter verkrüppelten Fichten einherschritt, am Abend zwischen Hirsefeldern, zahmen Kastanien und Weinbergen wandelt. Die Hauptzierden dieser Täler sind ihre hingestreuten Hütten, Höfe, Mühlen und Dörfer und der rasche Fluß, der, anfangs braun, doch klar vom Moorgrunde kommend, immer kristallheller wird, häufig anfangs ein Sturzbach ist und die ungeheuersten Felsblöcke mit in sein Bett hinabnimmt, bis er in der Ebene zum breiten und leicht zwischen niedrigen Ufern dahingleitenden Gewässer wird.
Die Hauptmasse dieses Gebirges, als eines Urgebirges, besteht aus Gneis und Granit, jener im südlichen, dieser im nördlichen Schwarzwalde vorherrschend. Gegen Norden und Osten verliert sich das Urgebirge allmählig unter der Decke des roten oder bunten Sandsteins, der zuoberst ganz in eine Tonlage übergeht. Als Zwischenglieder treten mehrere untergeordnete Steinarten auf, darunter schöner, dem Urgebirge sich anschließender Porphyr. Auch Metalle umschließt die Gebirgsmasse, und besonders beträchtlich ist ihr Eisenreichtum. Kalte und warme Mineralquellen voll edler Heilkräfte entströmen jene dem Sandstein, diese dem Urgebirge.
Als Bewohner teilen sich in den Schwarzwald im Süden und Westen die Alemannen des Breisgaus und der nordwestlichen Schweiz, die Oberschwaben im Osten, im Norden die Niederschwaben. Die Wohnungen sind hölzern, die Tracht ist ernst und schwarz, die Beschäftigung des Schwarzwälders richtet sich nach dem Boden, den er besitzt.« Vergl. Völter a.a.O., S. 3-43
Von allem diesem, was hier übersichtlich gesagt worden, erzählen wir umständlicher bei einzelnen Bildern. Vorerst folge uns der Naturfreund in eines der bescheideneren Täler des württembergischen Schwarzwaldes, zum Kloster Hirsau.
Helicena, erzählt uns die Sage, war eine fromme, reiche Witwe, die brünstig ganz dem Herrn sich anzutrauen strebte und oft auf den Knien ihn fragte, auf welche Weise sie ihre Erdengüter am besten anwenden könnte.
Da lag sie in der Nacht einmal,
Gewiegt in fromme Träume,
Und sah ein seltsam fremdes Tal,
Darin drei Fichtenbäume.
Die Bäume waren wundersam
Aus
einem Stamm gesprossen;
Aus ihren duft'gen Wurzeln kam
Ein klarer Born geflossen.
Und ob der fremden Wunderau
Sah sie am Himmel wallen
Hoch einen Dom auf Wolken blau,
Hört' eine Stimme schallen:
»Dies Gotteshaus, du fromme Braut,
Sei, wo die Bäume stehen,
In bestem Grund von dir gebaut,
Nimm's aus geweihten Höhen!«
Die Frau erwacht, zieht ihr Feierkleid an, schmückt sich mit duftigen Blumen, wandert in ein fremdes Tal, bis ihr alles klar im Sonnenschein entgegenblickt, die drei Bäume und der Born voll Himmelstau, der hell über Blumen fließt.
In stiller Demut ging sie aus,
So stille kehrt sie wieder
Und setzet hier das Gotteshaus
Aus Himmelshöhen nieder.
So lautet die Legende von der Stiftung des Klosters Hirsau. Kerners »Dichtungen«, S. 101ff. Dies soll im J. 645 geschehen und Helicena aus dem Geschlechte der Edelknechte von Calw gewesen sein. Inzwischen stiftete sie wahrscheinlich nur die St.-Nazarius-Kapelle und das dazu gehörige Haus, und erst zur Zeit Ludwigs des Frommen brachte Notung, Graf von Calw, Bischof von Vercelli, die Gebeine des heil. Aurelius nach Deutschland und fand durch ein himmlisches Zeichen hier, am rechten Ufer der Nagold, wo die St. Nazariuszelle Helicenas stand, die Stätte, wo er dem Heiligen Kloster und Kirche gründete (830). Inzwischen geriet es in den folgenden Jahrhunderten ganz in Verfall, so daß Albert der Ältere, Graf von Calw, 1066 ff. dasselbe von neuem stiften mußte und es auf dem linken Ufer der Nagold baute, auf welchem noch jetzt seine Trümmer stehen. Von nun an beginnt die Glanzperiode Hirsaus. Das Kloster kam durch Schenkungen bald so in Aufnahme, daß die Zahl der Mönche mit den Laienbrüdern sogar auf dreihundert stieg. Es wurde von ausgezeichneten Äbten regiert und bald der Sitz mittelalterlicher Bildung und Gelehrsamkeit. Aus Hirsau gingen jetzt Kolonien von Mönchen nach Frankreich und Schwaben. Um das neue Kloster, das Abt Wilhelm 1083–1091 gebauet, erhoben sich in der Folge viele und stattliche Gebäude, die eine Ringmauer umschloß. Im J. 1525 wurde Hirsau von den Bauern geplündert. Angezogen durch die Schönheit der Gegend – die klare Nagold bewässert hier das lieblichste Wiesental zwischen himmelhohen Tannenbergen, und das Kloster blickt auf einer kleinen Erhöhung frei durch den Talgrund hin –, ließ der gute, baulustige Herzog Christoph von Württemberg hier ein Schloß aufführen, hob aber als Reformator seines Landes im J. 1558 das alte Kloster auf und verwandelte dasselbe in eine evangelische Klosterschule. Der erste lutherische Abt, D. Heinrich Weickersreuter, wurde dem letzten katholischen Abte, den man christlicherweise im Kloster absterben ließ, als Koadjutor gegeben. Die neue Stiftung blieb unangefochten, bis infolge der Ereignisse des Dreißigjährigen Krieges die evangelischen Äbte dem Katholizismus wieder weichen mußten. Das Kloster sah jetzt wieder zwei katholische Äbte. Erst der Westfälische Frieden brachte die evangelische Ordnung der Dinge zurück. Die Klosterschule blühte unter der Leitung würdiger Prälaten, unter welchen berühmte Namen Schwabens glänzen, ruhig fort, bis das verhängnisvolle Kriegsjahr 1692 die gänzliche Zerstörung des Klosters und damit die Verlegung der Klosterschule nach Denkendorf unweit von Stuttgart herbeiführte. Äbte von Hirsau wurden indessen fortkreiert, solange die alte Verfassung Württembergs dauerte.
Die Franzosen, die grausamen Verwüster der Pfalz, verbrannten am 20. Septbr. 1692 auch hier Kloster und Klostergebäude. Die Veranlassung zu der Untat soll ein Strich des Bürgermeisters der Nachbarstadt Calw durch einen Kontributionsbrief Mélacs und die Ermordung eines französischen Offiziers gewesen sein. Was Mélac zerstörte, vollendeten die Beamten selbst. Die herrliche Klosterkirche, die gegen 300 Fuß lang war und zwei hohe gleiche Türme hatte, lag freilich schon in Asche, aber eine schöne Kapelle, welche 1783 noch unversehrt dastand, wurde um 1800 zu Baumaterialien verwendet. Kirche und Kreuzgang hatten damals noch gemalte Fenster, über welche der große Lessing aus einer Hirsauer Handschrift des evangelischen Abtes Johann Parsimonius von 1579, die Joh. Jak. Moser der Wolfenbüttler Bibliothek überlassen, seinerzeit berichtet hat. Sie sind unter König Friedrich nach Monrepos bei Ludwigsburg gewandert und dekorieren jetzt in den dortigen Anlagen ein zierliches Kirchlein.
Von sämtlichen Gebäuden sieht man noch die Ruinen der Peterskirche und den einen ihrer Türme, eine ganz erhaltene Kapelle, einen großen Teil des Kreuzgangs, vom Kloster selbst einen achteckigen und einen runden Turm, die ausgebrannten vier stattlichen Wände des Jagdschlosses, die Reste der Aureliuskirche und rechts von der Nagold ein Kirchlein auf dem Platz der alten Stiftung. Diese sämtlichen Überbleibsel in dem von immergrünen Tannenbergen beschauten, wiesenreichen Nagoldtale, in wucherndes Gebüsch eingekleidet, gewähren einen rührenden, doch nicht finstern Anblick.
In der Hauptkirche sollen sich in den alten Zeiten sehr viele Gemälde befunden haben; in einer Seitenkapelle sah man die ledernen Kriegskleider eines Riesen, der einst in diesem Revier gehauset. Solange das evangelische Seminarium bestand, war über dem Kreuzgange das Dormitorium der Stipendiaten und darin je auf vier Seiten vierzig Fenster mit alt- und neutestamentlichen Glasmalereien. Innerhalb des Kreuzganges plätscherten drei Brunnen, worunter ein schöner Springbrunnen. Einer von ihnen steht jetzt im Bade zu Teinach, die Schale des andern wird zur Viehtränke in Teinach selbst benützt.
Unter den Monumenten des Klosters fand sich auch das Grabmal des Abtes Bruno, eines Herren von Württemberg (um 1100), das zu den ausgezeichnetsten Denkmälern des Altertums gehörte. Ein ebenfalls gut erhaltenes Grab ist das des Abts Aurelius. Mehrere andere Gräber von Äbten sind zerstört; es werden deren immer mehrere ausgegraben und neuerlich durch Anordnung der Regierung gehörig geschont, die Gebeine aber an einer und derselben Begräbnisstelle beigesetzt. Mit den Denksteinplatten, die sonst offen in der Kirche dagelegen haben mögen und jetzt mehrere Fuß tief aufgegraben werden müssen, ist man bisher nicht geschickter umgegangen als früher räuberisch und mutwillig mit den darunter befindlichen Skeletten, deren goldene Siegelringe und andere Kostbarkeiten die Habsucht reizten. Die Denksteine sind bis auf wenige völlig zerschlagen, und die Stücke liegen ohne Zusammenhang umher. Auch das Denkmal des Reformators Brenz soll hier aufgegraben worden sein. Einer der vielen Steine besagt, daß der Abt Johannes Schultheß das Kloster nach einem Brande wieder aufgebaut, was ohne allen Zweifel nach dem Bauernkriege geschehen ist, wo Schultheß die Leitung des Klosters seit dem Jahre 1524 führte. Merkwürdige Schriften über das Kloster Hirsau, deren Verfasser der nach Weingarten geflüchtete Abt Wunibald († 1637) ist, hat man in letzterem Kloster vor etwa 20 Jahren gefunden.
Im Ganzen findet der Forscher in Hirsau nur wenig, aber dies Wenige, aus der unschätzbaren »Hirsauischen Chronik« des Trithemius ergänzt, ist für die Kunstgeschichte von großer Bedeutung. S. in Mones »Anzeiger für Kunde der d. Vorz.« den gelehrten Aufsatz vom Hauptmann Krieg-Sachfelden im 1. u. 2. Hefte des 4. Jahrg., 1835. Die Aureliuskirche, von der nur Reste stehen, ist aus dem 9ten Jahrhundert und höchst merkwürdig als treue Kopie der römischen Basiliken, wie solche seit dem vierten Jahrhundert angelegt wurden; namentlich sind die Hirsauer Kreuzgewölbe – wohl die ältesten in Deutschland – eine treue Nachbildung der römischen aus der letzten Kaiserperiode. Wie denn die deutsche Kunst bei allmähliger Zunahme technischer Fertigkeit diese Vorbilder verließ, zeigt sich bei der dritthalbhundert Jahre später erbauten Peterskirche zu Hirsau, von der sich der Grundriß in Gestalt eines lateinischen Kreuzes sowie einer der Türme noch erhalten hat. Abenteuerlich schauen die Menschen- und Tiergestalten hier von dem hohen Gesimse herunter. Diese häufig vorkommenden und vielfach gedeuteten Steinbilder beruhen teils auf biblischen Darstellungen, teils auf Legenden und Sagen von den Schutzheiligen, teils endlich auf heraldischen Beziehungen. Auf der Südseite des Turmes sieht man einen sitzenden Arbeiter in Laientracht, mit lockigem Haupthaar, der mit beiden Händen den mittlern Pfeiler trägt. Die Figur stellt einen der sogenannten Oblaten (freiwillig angebotener Laien) vor, durch deren Beihülfe Abt Wilhelm hauptsächlich den Bau ausgeführt. Alle Bilder zusammen formieren eine Hieroglyphenschrift, welche sich auf den Bau der Kirche bezieht. – Aus den hohen Mauern der Schloßruine strebt eine schlanke Ulme empor, die unsterblich bleiben wird, weil Ludwig Uhland sie besungen hat.
Zu Hirsau in den Trümmern,
Da wiegt ein Ulmenbaum
Frisch grünend seine Krone
Hoch überm Giebelsaum.
Er wurzelt tief im Grunde
Vom alten Klosterbau,
Er wölbt sich statt des Daches
Hinaus in Himmelsblau.
Weil des Gemäuers Enge
Ihm Luft und Sonne nahm,
So trieb's ihn hoch und höher,
Bis er zum Lichte kam.
Es ragen die vier Wände,
Als ob sie nur bestimmt,
Den kühnen Wuchs zu schirmen,
Der zu den Wolken klimmt.
Wenn dort im grünen Tale
Ich einsam mich erging,
Die Ulme war's, die hehre,
Woran mein Sinnen hing.
Wenn in dem dumpfen, stummen
Getrümmer ich gelauscht,
Da hat ihr reger Wipfel
Im Windesflug gerauscht.
Ich sah ihn oft erglühen
Im ersten Morgenstrahl;
Ich sah ihn noch erleuchtet,
Wann schattig rings das Tal.
Zu Wittenberg, im Kloster,
Wuchs auch ein solcher Strauß
Und brach mit Riesenästen
Zum Klausendach hinaus.
O Strahl des Lichts! Du dringest
Hinab in jede Gruft.
O Geist der Welt! Du ringest
Hinauf in Licht und Luft.
Die tiefen Töne dieses Liedes verhallen wie der Gesang im Gewölbe einer Klosterkirche; ich aber, der Berichterstatter, werfe noch einen Blick voll eigentümlicher Wehmut auf diese Ruinen, die bald ein treues Blatt vervielfältigen soll: Im J. 1692, gerade hundert Jahre vor meiner Geburt, wurde der dreijährige Sohn des Klosterbeamten aus den flammenden Gebäuden von den flüchtenden Eltern getragen. Das Kind ward ein achtzigjähriger Greis und war der mütterliche Großvater meiner längst auch ruhenden Mutter, die ihm als kleines Mädchen noch oft die Locken des schneeweißen Hauptes gescheitelt hat.