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So gern wir bei den Bädern des württembergischen Schwarzwaldes, dem einsamen und heilkräftigen Wildbad, dem lebendigen, noch manche alte Volkssitte freilich nicht rein bewahrenden Teinach, dem stillen Liebenzell, dem Wallfahrtsort unfruchtbarer Frauen, mit der gewaltigen Ruine eines Raubritters, »des Merklinger Tyrannen«, verweilt hätten, so treibt uns doch die beschränkte Zahl dieser Blätter dem Kerne des Hochgebirges zu, der für malerische und romantische Darstellungen die reichste Ausbeute liefert und im Breisgau zu suchen ist. Dieser neun Meilen lange, in größter Ausdehnung sieben Meilen breite Gebirgsstrich, einst eine eigene Landgrafschaft, ist reich an hohen Kettenbergen, vielen Felsen, auch fruchtbaren, mit Wein gekrönten Hügeln, die sich in ihrer letzten Abdachung in die reizende Rheinebene verlieren. Unter den Bergen des Breisgaus überschaut der Feldberg, der höchste Berg unsers deutschen Vaterlandes, an Höhe wie an Pracht der Aussicht dem Rigi der Schweiz wenig nachstehend, wo neun Monate des Jahres der Schnee nicht schmilzt, die ganze Kette der Tiroler- und Schweizeralpen, vom Hochvogel an bis zur Jungfrau und Blümlisalp, die Ketten der Vogesen, des Taunus, des Odenwaldes, der Schwäbischen Alb und die waldigen Wellen des Schwarzwaldes, über welche der Feldberg wie ein Ararat hervorragt, und hinter diesen die unermeßliche Rheinebene mit ihrem silbernen Strome. Es ist die schönste Fernsicht, die Deutschland zu bieten hat. Nächst dem Feldberg zeichnen sich der Kandelberg, der Blauen und der Bolchen aus, lauter köstliche Punkte für Aussichten. Zwischen allen diesen Bergen sind tiefe Täler voll der ernstesten Reize, das gefeiertste unter ihnen, wiewohl von bescheidnerer Schönheit als die meisten, Hebels Wiesental; die andern durch die Dreisam, die Glotter, die Alb, die Elz gebildet, alle das Gebirge in den verschiedensten Richtungen durchziehend. Auch zwei Seen hat das Breisgau aufzuweisen, den Feldsee und den Titisee. Natur, Häuserbau, Sprache und Sitte der Bewohner mahnt hier allenthalben an die benachbarte Schweiz, und so ist es denn kein Wunder, wenn wir in diesem Gebirge auch den einzigen Wasserfall Deutschlands finden, der sich kühn mit dem gepriesenen Schweizerfalle, dem Gießbach, messen darf.
Triberg ist ein kleines Städtchen von keinen hundert Häusern und kaum achthundert Einwohnern; es bietet an sich keine Merkwürdigkeit dar, als daß es zu den Landstädtchen Schwabens gehört, die von Zeit zu Zeit mit einer Feuersbrunst heimgesucht zu werden vom Geschicke bestimmt scheinen; denn im J. 1525 wurde es samt seinem Schlosse von den rebellischen Bauern verbrannt, im J. 1642 zerstörten die eigenen Bewohner Tribergs die den Herren dieses Namens angehörige Ritterburg in einem Aufruhr und warfen Feuerbrände darein; vor etwa zehn Jahren endlich ist das ganze Städtchen durch Nachlässigkeit in Brand geraten und ganz in Flammen aufgegangen, so daß aus dieser finstern Gegend jetzt ein neuer Ort mit heitern Gebäuden aufgestiegen ist. Die Stadt liegt in einer engen, kaum hundert Morgen messenden Bergschlucht, etwa zweihundert Schuh tiefer als die drei dieselbe nicht besonders malerisch umschließenden Bergrücken, und doch liegt sie noch höher als der höchste Gipfel des Kaiserstuhls am Rheine. Die neue Anlage des Städtchens ist so berechnet, daß hinter der breiten Hauptstraße der Wasserfall herniederwallt und die Bergschlucht emporsteigt.
Denn in nächster Nähe haben hier die Naturgeister ihren Sitz aufgeschlagen; in einer von ferne kaum bemerkbaren Bergschlucht spielen auf dem stürzenden Fallbach, der vom westlichen Rücken des Bergkessels herabtost, die Wassergeister auf ihrer gewaltigen Orgel, während auf nordwestlicher Seite an der Felsenecke der Gebirgskluft, wo der enge Fußpfad an der rauschenden Schonach hinaufführt, die Luftgeister auf der tannenbesaiteten Äolsharfe des Waldes mit ihren seufzenden Hauchen das Rauschen des strömenden Waldbaches begleiten. In mancher stürmischen Nacht kann der Wanderer diesen natürlichen Äolsgesang unter den hohen Tannen belauschen. Vielleicht war es hier, wo der frühvollendete Schenkendorf seine feierliche Hymne auf den Schwarzwald gesungen hat. Wenigstens läßt sich hier der Ton vernehmen, von welchem er so begeistert singt, die uralten Säulen des Waldes anredend:
Euch Bäume hat kein Mensch gestreut,
Euch säte Gottes Hand;
Ihr alten, hohen Tannen seid
Mir meines Gottes Pfand.
Durch eure schlanken Wipfel geht
Sein wunderbarer Gang,
In euren grünen Zweigen weht
Ein schauervoller Klang.
Das ist ein ferner Liebeston,
Er klingt wohl tausend Jahr,
Von Geistern, deren Zeit entflohn
Und deren Burg hier war.
Wie schaurig hier und wie allein
Im höchsten schwarzen Wald,
Nicht fern kann hier die Wohnung sein
Der seligsten Gestalt,
Der Freiheit, die mein Herz gewann,
Der süßen Heldenbraut,
Der ich, ein liebentbrannter Mann,
Für ewig mich vertraut.
Der Mund des Volkes hat eine andere Deutung für die Lieder dieser Naturharfe. Zum erstenmal hörten den ungewöhnlichen Klang in den Tannenwipfeln zu Ende des 17ten Jahrhunderts einige auf den nahen Schönwälder und Schonacher Höhen stationierte Soldaten eines kaiserlichen Regiments. Ihr frommer Aberglaube ließ sie übernatürliche Wirkungen ahnen. Bald fanden sie auch am höchsten und schönsten Tannenbaum bei einer lautern Felsenquelle ein aus Lindenholz geschnitztes Marienbild, das Jesuskind im Arme haltend, angeheftet. Ein Bürger von Triberg, mit Namen Friedrich Schwab, hatte das Bildchen als Weihgeschenk für seine an der Quelle des Felsens erlangte Genesung im Jahre 1680 an diesen Tannenbaum angeheftet. Die Soldaten, die in jenem Gesänge der natürlichen Windharfe die Huldigung der Engel hörten, der Mutter des Heilandes dargebracht, ließen dem Bild eine blecherne Kapsel verfertigen und diese mit der Inschrift schmücken: »Sancta Maria, patrona militum, ora pro nobis.« Dazu fügten sie eine Opferbüchse, die bald so reich wurde, daß vom Ertrag eine, freilich vergängliche und vergangene, Kapelle aus Brettern gezimmert werden konnte.
Dichterohr vernimmt diesen Gesang nicht nur an der Felsenecke bei Triberg. Von demselben Engelsklang im Walde hat noch neulich Alphons von Lamartine in seinem »Jocelyn« auf seiner eigenen Dichterharfe die sanften Laute nachhallen lassen, die hier ihre passende Stelle finden:
Ihr Tannen, Wohlklangs voll, ihr Harfen in dem Wald,
Drauf jeder Himmelswind die eigne Stimme hallt,
Ihr seid das Saitenspiel, wo alles weint und singet,
In tausend Echos sich Natur mit Lust verschlinget;
Kein Menschenseufzer ist, der nicht mit süßem Hall
In einem Ätherhauch fänd' einen Widerschall.
Ihr heil'gen Bäume wißt, was Gott uns zubeschieden.
Singt, weinet, tragt mit mir die Trauer wie den Frieden!
Gott aber weiß allein, ob euer süßer Klang
Sei Weinen über uns, sei froher Lobgesang!
Wir kehren jetzt zum Gegenstande des vorliegenden Bildes, dem Triberger Wasserfalle, zurück. Dieser Fallbach verleiht der nächsten Umgebung einen sehr romantischen, schweizerischen Anstrich, wo sich im verjüngten Maßstabe vieles Malerische vereinigt: Felsengruppen, sanftere Wiesenfluren im Hintergrunde, kahle Berghöhen, Partien schattiger Schwarztannen, an welche sich einfache Holzhütten und Bauernhöfe anlehnen, in deren Umzäunungen die Herden, Kühe und Ziegen, von strohflechtenden Hirtenknaben oder Mädchen geleitet, bergan und -ab gleiten. Der Fall stürzt sich in der engsten Schlucht in neun bis zehn Absätzen herunter, die jedoch nicht, wie beim Reichenbach des Berner Oberlandes, durch horizontale Strömungen des Wassers voneinander getrennt sind, sondern, dem Gießbache bei Brienz ähnlicher, zusammen doch wieder nur ein einziges, wallendes Wasserband ausmachen, dessen Mitte – fast wie jener – durch einen betretbaren Steg durchschnitten ist. Die mächtigsten Tannen steigen zu beiden Seiten wie die Posten eines zerfallenen Portals empor, als dessen einstige zerfallene Wölbung ein gewaltiger Felsblock mitten im Wasserschaum auf dem Boden liegt.
Bei dem Städtchen vereinigen sich drei Waldbäche, die Nußbach (vom nordöstlichen Bergeinschnitt herabfließend), der Fallbach und die Schonach, und strömen, drei Stunden durch ein tiefes und breites Tal fließend, unter dem malerischen Städtchen Hornberg in die Kinzig, die von dort an das mit Recht berühmte Kinziger Tal bildet, dessen romantische Bergwände die lieblichen Städtchen Hausach, Gengenbach und Offenburg umschließen. Von dem erstgenannten dieser drei Orte führt ein Seitenweg über das waldige Wolfach, das treffliche Bergwerke besitzt, in das Schappacher Tal, das die schmucksten Schwarzwaldhütten zeigt, aus denen in eigentümlicher Landestracht freundliche Bewohnerinnen mit großen blauen Augen dem schaulustigen Wanderer lächelnde Grüße zunicken. Ist man einmal dort, so sind die Bergpfade allzu lockend, als daß die Bäder Rippoldsau, Griesbach, Peterstal und das tief in dem Abgrund versteckte Antogast übergangen werden dürften.
Könnten dreihundert statt dreißig Bilder aus Schwaben gegeben werden, so dürften aus allen diesen Gegenden mehrfache Darstellungen nicht fehlen.