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Heilbronn mit Götzens Turm

Heilbronn, am rechten Ufer des hier breit durch die Ebene sich hinschlängelnden Neckarflusses, zur andern Seite von mäßigen Hügeln gedeckt, in einer mehr lachenden als charakteristischen Gegend gelegen, ist eine junge blühende Handelsstadt, gepfropft auf den knorrigen Stamm einer uralten Reichsstadt. So kommt es, daß uns unweit der Brücke der Neckarkanal und ein geräumiger Hafen aus frischgehauenen Quadern, mit einer kleinen Flotte von Handelsnachen besäet, im blendenden Schmucke der Jugend entgegenstrahlt, während an der Einfassung uralter Stadtmauern sich von Zwischenraum zu Zwischenraum Türme aus rauhem Gestein, von Jahrhunderten geschwärzt, erheben. Auch im Innern der Stadt findet sich derselbe Kontrast, und auf dem geräumig gemachten Marktplatze steht die winklichte Wohnung irgendeines alten Reichsbürgers oder gar des Reichsschultheißen, an welchem das Auge des Antiquars Spuren einer karolingischen Königspfalz entdecken will und das die Sage zum ersten Hause in einer germanischen Waldwildnis macht – gegenüber dem regelrechten, ins Gevierte gebauten modernen Palast eines reichen und angesehenen Handelsherren.

Einer schriftlich aufbewahrten Sage zufolge soll die Auffindung der mitten in der Stadt befindlichen, längst schön in Stein gefaßten Quelle des Siebenrohrbrunnens und die Belebung des christlichen Missionswerkes durch Karl den Großen eine Ansiedelung an diesem Orte zur Folge gehabt haben; der Name Heilicobrunn als Palatium regium kommt urkundlich im Jahr 841 vor. Zu der schönen Hauptkirche St. Kilian – ein ehrwürdiges Altertum, an dessen Äußeres und Inneres viel bewundernswürdige Kunst verschwendet ist und dessen großer, einst noch zu namhafterer Höhe bestimmter Turm die ganze Stadt und Gegend überragt – wurde im Jahr 1013 der erste Stein gelegt. Doch ließ das salische und hohenstaufensche Zeitalter wenig Spuren an dem Gebäude zurück; die Ausführung ist aus dem 15ten, der letzte mit Inschrift behauene Stein aus dem Anfange des 16ten Jahrhunderts (1510). Im Chor hängt ein vielleicht schon bei den ersten Arbeiten ausgegrabenes Riesenbein, das die Naturkunde unsrer Zeit in einen Mammutsknochen zurückübersetzt hat. Dieser Chor, im Jahr 1475 zu bauen angefangen, zeigt von der Blüte deutscher Baukunst; das Innere der Kirche ist sehr schön; die Gewölbe sind hoch gesprengt, Säulen und Pfeiler niedlich gearbeitet. Die große Glocke des Turms hat im J. 1479 Bernhard Bachmann, der Vater des berühmten Theologen, der Reformator der Stadt Heilbronn geworden ist, gegossen. Unter dem Hochaltar will man das geheimnisvolle Murmeln der Quelle des Siebenrohrbrunnens vernehmen, was aber gewiß eine akustische Täuschung ist, denn jenes Brausen aus einer Höhlung des Kirchenbodens dauert noch fort, während die sonst so reiche Quelle seit Jahr und Tag in allen ihren sieben Röhren versiegen gegangen ist; das letztere vielleicht zum Zeichen, daß die Stadt ihr neuestes Heil nicht mehr vom Brunnenrohr eines heiligen Borns, sondern von den industriellen Dampfröhren und dem merkantilischen Zuckerrohr erwartet. Unser prosaisches Jahrhundert hat auch dem Brunnen ohne alle Not die schönste architektonische Zierde, seine gotische Überdachung, geraubt.

Wir könnten noch von allerlei Sehenswertem der altneuen Stadt, vom Rathaus (1550) und seinem sehenswerten Uhrwerk, von der deutschen Hauskirche zu St. Joseph, vom Deutschen Hause, von der Franziskanerkirche, die, durch die Franzosen im J. 1688 ausgebrannt, noch in ihren Trümmern einen edeln Stil verrät, dann von dem neuen Archiv, dem neuen Gymnasium, den schönen Lustgärten, den heitern Wartberg an der Spitze, von dessen Höhe immer Tanzmusik herabschallt und das lustige Städtervolk Heilbronns zu sich hinauflockt, endlich von dem zauberisch im Walde gegen Weinsberg gelegenen Jägerhause erzählen; doch eilen wir der Merkwürdigkeit zu, welche unser Maler nicht ohne Absicht in den Vordergrund gestellt hat.

Von der Stadt her führt eine schmale und krumme Gasse, die Allerheiligenstraße, zu einer Seitenpforte am Neckar und dem mit der Stadtmauer verbundenen »viereckigten Turme«, von den Einwohnern auch »Götzens Turm« genannt. Die allgemeine Volkssage läßt nämlich in diesem Turme den Ritter Götz von Berlichingen in der Gefangenschaft der Stadt Heilbronn schmachten. Ein schauerlicheres Gefängnis hätte sie dem edelsten aller Ritter nicht anweisen können. Der aus rauhen Quadern aufgeführte Turm mag an hundert Fuß hoch sein, die Breite jeder Seite zehen Fuß. Er ist oben mit einer Zinne versehen und scheint überhaupt in allem seine ursprüngliche Anlage behalten zu haben; an der ganzen Nordseite zeigt er nur zwei kleine Fensterlöcher, beide weit voneinander, in der Höhe; gegen Osten in der Mitte ist ein hoher Schwibbogen gesprengt, der jetzt mit Holz ausgefüllt ist; vielleicht, daß die Gefängniszellen des jetzt innen ganz unwohnlichen Gebäudes hier befindlich waren und ein jetzt versperrtes Licht erhielten. Ohne diese Annahme müßte Götz von Berlichingen hier ganz in Nacht gesessen sein. Innere Unwahrscheinlichkeit hat indessen jene Sage nicht: Eine Inschrift an der nördlichen Seite des Turms, in 10–12 Fuß Höhe, zeigt in deutlicher Mönchsschrift die Jahreszahl MCCCLXXXXII (1392), der Turm war mithin schon weit über 100 Jahre alt, als Götz in Heilbronn gefangen saß.

Lassen wir der Phantasie den Lauf! Schlage deinen Goethe auf, Wanderer! In diesem schwarzen Turme sitzt der gefangene Götz bei seiner treuen Gattin Elisabeth, und sie spricht: »In der mutlosen Finsternis erkenne ich dich nicht mehr!« Dann wird der Wächter beredet, ihn »in sein klein Gärtlein zu lassen, auf eine halbe Stunde, daß er der lieben Sonne genösse, des heitern Himmels und der reinen Luft«.

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Heilbronn

Hier in der Natur ist freilich kein Raum zu einem Gärtlein; unsre Phantasie muß eine Holzlege wegräumen, die sich in dem schmalen Zwinger breit macht, und einige Mauern niederreißen, bis sie eins geschaffen hat. Dann aber versenkt sie sich mit andächtigem Schmerz in die Worte des Dichters: »Löse meine Seele nun! – Arme Frau! Ich lasse dich in einer verderbten Welt. Lerse, verlaß sie nicht! Schließt eure Herzen sorgfältiger als eure Tore! Es kommen Zeiten des Betrugs, es ist ihm Freiheit gegeben. Die Nichtswürdigen werden regieren mit List, und der Edle wird in ihre Netze fallen. – Gebt mir einen Trunk Wasser. – Himmlische Luft – Freiheit! Freiheit!«

Hier blickt uns die historische Kritik über die Achsel ins Buch und zerstört, mit jenem Lächeln der Ironie um den Mund, das in unsrer Zeit bei ihr stehend geworden ist, die schöne Illusion der Dichtung. Der geschichtliche Götz ist nicht hier gestorben, er hat diese rührende Szene, die ins Jahr 1525 fallen würde, um siebenunddreißig Jahre überlebt, ist auf seiner Burg Hornberg am Neckar, mehr als achtzig Jahre alt, in Frieden und Freiheit den 23. Juli 1562 verschieden, und die Leiche, nach Kloster Schöntal geführt, ruht dort unter einem metallenen Denkmal im Kreuzgange. Die Gefangenschaft Götzens zu Heilbronn fällt auch sechs Jahre früher als der Bauernkrieg, mit welchem sie Goethe in Verbindung setzt, und wurde durch seine Anhänglichkeit an den vertriebenen Herzog Ulrich von Württemberg im J. 1519 herbeigeführt. Und wenn es, was sehr möglich ist, dieser Turm war, der ihn aufgenommen hat, so beschränkt sich doch während viertehalb Jahren Haft sein Gefängnis in demselben auf eine einzige Nacht. Zu einiger Entschädigung teilen wir dem Leser die naive, von Goethe selbst mehrfach benützte Erzählung dieser Begebenheit aus des Ritters eigenem Munde mit.

Götz war dem Schwäbischen Bunde zu Möckmühl »in der Mausfalle« unterlegen und nach Heilbronn zu Verfügung des Rates abgeführt worden. »Wie ich nun«, erzählt er in seiner Selbstbiographie, »zu Heilbronn etliche Wochen in einer Herberge verhaftet gelegen bin, da schickt' der Bund einen, der war von Kostanz, ein Schweizer – Stadtschreiber oder was er war –, und hätt' eine Urfehd bei ihm. Die las er mir für, in der Stuben, in Beiwesen vieler von Heilbronn, also daß die Stube voller Leut war, und begehrt', ich sollt' solche schwören und annehmen; und wo ich's nit tät', hätt' der Bund geschrieben, sollten sie mich nehmen und in Turm legen. Aber ich schlug solche Urfehd stracks ab; wollt' ehe ein Jahr im Turm liegen.« Götz berief sich darauf, daß er in ehrlicher Fehde betreten worden sei und vertragsmäßig ein ehrlich, ritterlich Gefängnis anzusprechen habe. Aber seine Feinde bestellten die »Weinschröter«, handfeste Gehülfen der Küfer; »die traten«, erzählt er, »zu mir in des Diezen Herberg in die Stuben und wollten mich fangen. Ich demnächst vom Leder und mit der Wehr heraus. Da schnappten sie wieder hinter sich, und baten mich die Bürger des Rats fleißig, ich sollt' einstecken und Fried halten; sie wollten mich nit weiter führen denn auf das Rathaus. Da glaubt' ich ihnen auch; und wie sie mich in der Herberg zur Stuben hinaus führten, ging meine Hausfrau gleich (eben) die Stiegen heruf, und war in der Kirchen gewest. Da riß ich mich von ihnen und ging zu ihr und sagt': ›Weib, erschrick nicht; sie wollen mir eine Urfehd fürlegen, die will ich nit annehmen; will mich ehe in Turm legen lassen. Tue ihm aber also: Reit hinauf zu Franciscus von Sickingen und Herrn Georgen von Fronsperg« – diese waren Hauptleute des Bundes – »und zeig ihnen an, die ritterliche Gefängnis, wie mir zugesagt, wolle nicht gehalten werden; (ich) versehe mich, sie werden sich als Redliche vom Adel und Hauptleute wohl wissen zu halten.‹ Das tät nun mein Weib; und führten mich die Bündischen mit uf das Rathaus und von dem Rathaus in Turm, und mußt' dieselbige Nacht darin liegen. Und wie sie mich uf den Pfingstabend hineinlegten, mußten sie mich auf den Pfingsttag frühe wiederum heraustun, und führten mich also darnach wieder auf das Rathaus, da waren etliche des Rats bei mir in der Stuben.«

Inzwischen war des Ritters treue Hausfrau vom Bundeslager zurückgekommen. Der ganze Haufe des Schwäbischen Bundes zu Roß und zu Fuß zog dem gefangenen Feinde gegen die wortbrüchigen Ratsherren von Heilbronn zu Hülfe. Diese fingen an zu zagen und ersuchten den Ritter, er möchte seine Hausfrau wieder hinausreiten und für sie bitten lassen. Aber der ergrimmte Götz trat zu seiner Frau und flüsterte ihr ins Ohr: »Sag zu meinem Schwager Franciscus von Sickingen und Georg von Fronsperg, sie haben mich gebeten, ich sollt' für sie bitten. Aber sag zu ihnen, was sie haben im Sinn, so sollten sie fortfahren. Ich wollt' gern sterben und erstochen werden; allein daß sie all' mit mir erstochen würden.« Die Frau richtete es aus, und die Herren erwirkten dem Ritter ehrliche Haft, aus welcher er endlich im vierten Jahr (1522) um zweitausend Goldgülden, die er bei guten Herren und Freunden aufbrachte, erlöset ward.

Das Geschlecht der Berlichingen steht noch auf den heutigen Tag in voller Blüte und teilt sich in die zwei Linien der Berlichingen-Rossach, welche unmittelbar von Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand abstammen, und der Berlichingen-Jagsthausen, die ihren Ursprung auf einen Bruder des Götz zurückführen. Der letztern Linie gehörte der edle Graf Joseph von Berlichingen, königl. württemb. Landvogt und Staatsrat, an, ein ebenso fein gebildeter als ritterlicher Mann, der noch im höchsten Alter dem Verherrlicher seines Verwandten seinen Dank durch eine gelungene Übersetzung von Goethes »Hermann und Dorothea« in schönen lateinischen Hexametern darbrachte. Er starb auf dem Stammgute Jagsthausen, wo sich noch Götzens echte eiserne Hand befindet, die, durch Heirat an eine Gräfin Hadick zu Wien gekommen, von ihm wieder für die Familie Berlichingen erworben ward und seinem jungen Verwandten, Götz von Berlichingen auf Jagsthausen, vermacht worden ist, weil sie dieses Stammschloß des Ritters nicht verlassen soll. Freiherr Gustav von Berlichingen-Rossach ist gewähltes Adelsmitglied zur Abgeordnetenkammer der württembergischen Landstände. –

Heilbronn hat, wie Eßlingen, eine bedeutende Fabrik moussierender Weine, von seinen eigenen Weinbauern besorgt, welche mit dem Erzeugnisse ihrer alten Schwesterstadt wetteifert. Der Weinbau ist hier im höchsten Flore und die Heilbronner »Herbste«, die auch unser Bild andeutet, das Heiterste, was man in Schwaben sehen kann. Unter einem steten »Evoe Liber!« werden diese Weinfeste mit wahrhaft orgiastischem Jubel von den zahlreichen Gutsbesitzern auf ihren Weinbergen, auf den Wiesplätzen am Neckar mit Feuerwerk und in den Tanzsälen ihrer schmucken Gasthäuser begangen, und jeder Fremde, der des Wegs gezogen kommt, ist gastlich eingeladen und wird in den jauchzenden Kreis hineingezogen.

Des Herbstes goldner Sonnenstaub
Umwebt der Reben üppig Laub,
Und aus dem Laube blinkt hervor
Der Winzerinnen bunter Chor;
Den Trägern in den Furchen all
Wächst übers Haupt der Trauben Schwall,
Die Treterknaben sieht man kaum,
So spritzt um sie der edle Schaum;
Gelächter und Gesang erschallt,
Die Pritsche klatscht, der Puffer knallt.
Wohl senkt die Sonne jetzt den Lauf,
Doch rauschen Feuergarben auf
Und werfen Sterne groß und licht
Dem Abendhimmel ins Gesicht. Uhlands »Gedichte«, X, S. 398.


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