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III. Capitel.
Die Vegetationslinien.

Man hat, um die Curven und überhaupt die Verbreitungspunkte der Wärme u. s. w. genauer zu übersehen, Isothermen, Isochimenen, Isotheren, Isogeothermen u. s. w. gezogen. Man kann ebenso ähnliche Linien ziehen, um die verschiedenen Heimatspunkte, die nördlichen, südlichen, östlichen und westlichen Grenzen der Pflanzenarten, Gattungen und Familien kennen zu lernen. Fallen diese, belehrt uns Grisebach sehr richtig, mit Wärmelinien zusammen, so wird die Begrenzung dieser Pflanzen in klimatischen Einflüssen zu suchen sein. Derselbe hat diesen Zusammenhang an 1500 Geschlechtspflanzen des nordwestlichen Deutschland untersucht und gefunden, daß über 250 südlichere Arten hier ihre nördlichste Grenze der Verbreitung finden und dieselben folglich recht wohl das Fundament für die angegebene Untersuchung bilden können. Aus ihr ging, wie man erwarten konnte, als ziemlich wahrscheinlich hervor, daß die Ursache der Begrenzung südlicher Pflanzen in dem allmäligen Verschwinden derjenigen Summe von Sonnenwärme zu suchen sei, welche nöthig ist, um eine bestimmte Pflanzenart zu erhalten. Dagegen könne man sich die Beschränkung einzelner nordischer Pflanzen auf bestimmte Breiten von der Verlängerung der Tage abhängig denken. »Die westlichen und östlichen Vegetationslinien«, belehrt uns der Genannte weiter, »richten sich nicht nach den Meridianen (Mittagskreisen), sondern schneiden sie unter einem solchen Winkel, daß sie der deutschen Nordseeküste mehr oder minder parallel verlaufen. Die östlichen Pflanzen verschwinden an einer Nordwestgrenze, die westlichen an einer Südostgrenze. Südöstliche, östliche und nordöstliche Vegetationslinien sind die Wirkungen zunehmender Winterkälte. Die verschiedene Lage der Linien hängt mit der unregelmäßigen Verkeilung dieses klimatischen Werthes zusammen und man kann sie danach eintheilen in südöstliche Vegetationslinien mit südlicher Curve und in nordöstliche Vegetationslinien. Die südwestlichen Grenzen sind seltener und hängen von der Verlängerung der Vegetationszeit ab; die Nordwestgrenzen sind allgemeiner und werden durch die Abnahme der Sommerwärme bedingt.«

Das sind im Allgemeinen die Gesetze, von denen die Begrenzung südlicher Pflanzenarten im nordwestlichen Deutschland abhängt. Die Ursachen ändern jedoch wesentlich in den verschiedenen Ländern. Im nordwestlichen Deutschland, welches fast durchaus als Ebene oder als Hügelland auftritt, herrschen klimatische Ursachen vor; in Ländern mit bedeutender Bodenerhebung werden natürlich andere auftreten, welche von den Einflüssen dieser Erhebung abhängig sind. Nach Sendtner's Untersuchungen des südlichen Baiern werden die Grenzen der Gewächse vorzugsweise mehr durch Flüsse als durch die Wasserscheiden der Höhen bezeichnet. So z. B. finden drei Pflanzen ( Thesium montanum, Pedicularis Jacquinii und Aconitum variegatum) am Rhein ihre äußerste Westgrenze; am Lech erreichen sogar sieben Arten ihre West- und sieben Arten ihre Ostgrenze; an der Isar liegt die Westgrenze für fünf Arten, ihre Ostgrenze findet hier eine Art; unter 562 Pflanzengrenzen werden in diesem Theile Baierns 60 durch Flüsse, keine einzige durch eine Gebirgswasserscheide bezeichnet. Ohne diese Erklärung würde man überhaupt nicht verstehen, warum in Südbaiern die Nordgrenzen der Pflanzenwelt so überwiegen. Unter 1654 Gefäßpflanzen besitzen in diesem Lande 362 Arten eine bestimmte Vegetationslinie, und zwar so, daß von 1246 Dikotylen 291, von 365 Monokotylen 68 und von 43 Gefäßkryptogamen vier Arten dazu gehören. Als merkwürdig hebt der Beobachter die große Unregelmäßigkeit dieser Vegetationslinien hervor. Bald biegen sie sich auffallend zurück, bald schieben sie sich ebenso sehr vor, bald bilden sie im Hochlande eine halbmondförmige Ausbuchtung gegen Süden und erscheinen nur bei großer Geichheit und Regelmäßigkeit der natürlichen Verhältnisse in der Gestalt von kreisförmigen Linien.

Außer diesen beiden Beobachtern hat bisher kein anderer das«Gebiet der Vegetationslinien durchforscht. Wir stehen mithin erst am Anfänge einer eigenen Art geographischer Pflanzenanschauung. Weit mehr hat man sich dagegen bisher mit den Linien der Culturgewächse beschäftigt, und noch jeder Atlas sucht dieselben gegenwärtig zu vervollständigen. Doch kann aus diesen Linien nichts als der große Schluß hervorgehen, daß die betreffenden Pflanzen sich noch unter einer Wärme befinden, die ihrem Gedeihen mehr oder weniger genügt.

Es liegt aber auf der Hand, daß diese Art der Untersuchung innig Hand in Hand mit der speciellsten Kenntniß der einzelnen Standörter der Pflanzenarten gehen muß. Bevor nicht ein Land in allen seinen Theilen auf das Gründlichste erforscht ist, kann an einen sicheren Ausbau der Vegetationslinien nicht gedacht werden. Tausende von Augen gehören zu dieser Arbeit, und selbst die Arbeiten dieser Tausende werden erst dann von Nutzen sein, wenn sie an ein Centralbureau für solche Untersuchungen gelangen, um nicht der Vergessenheit und Zerstreuung anheimzufallen.


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