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Ich meine nicht jene Pilzwelt, die man als Schimmel oder Ausschläge auf Blättern kennt; denn diese sind keine selbständigen Gewächse. Ich meine vielmehr jene wunderbaren Schwämme, die oft so geisterhaft auf Bäumen oder Erde erscheinen und oft da sind, ehe das forschende Auge sich dessen versah. In vielen Stücken vereinigen sie sich mit den Flechten, den Bäumen einen individuellen Ausdruck zu geben. So die Gattung Hypochnus und Thelephora. Sie überziehen beide häufig die Rinde in Gestalt von Lappen, wie die Flechten es thun, oft in prachtvollster Färbung. Wenn Hypochnus rubrocinctus z. B. die Bäume bedeckt, da scheint er sie gleichsam in Purpur oder Scharlach gekleidet zu haben; denn so dicht und häutig liegt seine Substanz auf der Oberfläche der Rinde ausgebreitet. Ganz anders die fleischigen Schwämme. Wenn sie aus der Rinde hervorbrechen, so erscheinen die größeren Arten meistentheils in halbangedrückter Form, während der freie Theil im Halbkreise einen Vorsprung, gleichsam ein Eonsole der Flora bildet. Doch weit gestaltvoller werden die Schwämme des Bodens. Sie treten entweder in kugel-, keulen-, Hut- oder schildförmiger Gestalt aus. Zu den ersteren gehören die Boviste, welche ihren Samen im Inneren erzeugen und ihn als eine pulverförmige Masse entleeren. Zu der zweiten Form gehören die Morcheln, Phallusarten u. s. w., zur dritten und vierten viele Agaricusarten. Diese beiden letzten Formen sind es, welche unterhalb des Schildes oder des Hutes, die den Fruchtstock krönen, jene seltsamen Lamellen oder Plättchen hervorbringen, in denen sich die dem Auge unsichtbaren Samen ausbilden. Das schönste Gebilde dieser Welt ist in unserer Zone der Fliegenpilz (A garicus muscarius) mit prachtvoll scharlachrothem, weißgetüpfeltem Hute auf langem weißem Stiele. Alle Pilze ohne Ausnahme machen den Eindruck des Geheimnißvollen und Rätselhaften und gewinnen darum in der localen Physiognomie der Landschaft große Bedeutung, während sie in der allgemeinen ohne allen Einfluß bleiben.
Sie haben jedoch nicht allein Anspruch auf ihre seltsame Form; denn in der wärmeren und heißen Zone gleichen ihnen die Geschlechtspflanzen der Balanophoren und Rhizantheen auffallend. Von den ersteren kennt Europa nur eine Art, das seltsame Cynomorium coccineum in den Ländern des Mittelmeeres. Es hält die Mitte zwischen einem Pilze der Gattung Clavaria (Keulenpilz) und den Sommerwurzarten ( Orobanche). Wie die letzteren, sitzt auch das Cynomorium schmarotzend auf den Wurzeln anderer Pflanzen, besonders der Myrten. Es hat einen cylindrisch-keulenförmigen Körper, welcher an seinem Grunde über und über mit Schuppen bedeckt ist. Sie fallen zur Blüthezeit meist ab. Dafür ist dann der obere weißliche, getrocknet rothbraune Theil mit purpurnen Deckblättchen bekleidet. Zwischen ihnen und am fleischigen Körper brechen die unscheinbaren Blüthen so dicht hervor, daß der blumentragende Obertheil einem Kätzchen ähnelt. Diese Pflanze ist, geradezu gesagt, die merkwürdigste von ganz Europa; denn die Balanophoren, welche fast ein Mittelglied zwischen Kryptogamen und Blüthenpflanzen bilden, gehören zu den seltsamsten Typen des Pflanzenreichs. Selbst der Volksglaube hat das bestätigt. Die Hundsruthe war in früheren Zeilen ein geheimnißvolles, mit Wunderkräften begabtes Wesen und wurde, weil ihr Saft ein blutrother ist, gegen Blutflüsse so stark angewendet, daß sie einen wichtigen Handelsartikel für Malta und Italien, wo sie wächst bildete. In gleicher Weise gestalten sich die Rhizantheen, wie sie Blume, oder die Cytineen, wie sie Brongniart nannte. Auch von dieser Gattung kennt Europa nur eine Form, die Cistuswurz ( Cytinus hypocistus), in demselben Gebiete, das die Hundsruthe hervorbringt. Sie wächst auf den Wurzeln der Cistusrosen parasitisch, treibt rothgelbliche Blüthen und macht sich schon von Weitem durch ihre blutrothe Farbe, welche sie vor dem Blühen hat, bemerklich. Auch sie fiel durch dieses geheimnißvolle Wesen, wie die Hundsruthe, der Wundersucht der Menschen in die Hände, ist aber noch lange nicht so pilzartig wie letztere gestaltet. Die herrlichste und zugleich räthselhafteste Form der Cytineen ist ohne Widerrede die Rafflesia ( Arnoldi) von Java und Sumatra. Sie ist nebst der Victoria die größte Blume der Welt und doch dabei von so pilzartigem Wesen, daß sie noch bis heute als ein Wunder der Natur selbst unter den Pflanzenforschern gilt und -auch bei den Javanen als ein geheimnißvolles, mit Wunderkräften begabtes Wesen verehrt wird. »Auf den langen kriechenden Wurzeln der Cissus«, schreibt Zollinger darüber, »erheben sich reihenweise rauhe Knöpfchen etwa von der Größe einer Haselnuß. Allmälig schwellen sie an, erst zur Größe einer Baumnuß, dann eines Apfels, zuletzt eines kleinen Kohlkopfs.« So erscheint sie gewissermaßen wie ein riesiger Bovist aus dem Pilzreiche. »Durch die rauhe Hülle«, belehrt uns der Genannte weiter, »bricht bald die braune Blüthe, erst über einander gelegt wie die Blätter des Kohles, endlich zur riesigen Blume geöffnet, deren dicke, fleischige und fleischfarbene Blätter einen widerlichen Leichengeruch verbreiten und schnell verwesen. Im Inneren breitet sich eine fleischfarbene Scheibe aus, welche die räthselhaften Blüthentheile trägt oder verhüllt.« Wir finden ihren Umfang, vielleicht übertrieben, von holländischen Schriftstellern auf 9 Fuß angegeben; aber auch der englische Entdecker, Dr. Arnold, welcher die Blume zuerst auf Sumatra sah, gibt ihren Durchmesser auf 5 Fuß, die Länge der dicken, als Staubfäden gedeuteten, pilzartigen Blumentheile auf 12 Zoll an. Nach Zeichnungen zu urtheilen, die man hier allein davon sieht, gleichen diese Blumentheile in ihrer Form einigen Pilzen aus der Gattung der Bocksbärte. Dagegen treten die Samen in der Tiefe der riesigen Blumenhülle als zartes Pulver auf, wie die Samen der Pilze pflegen. Bildlich gesprochen, ist die Rafflesie ein zur Blume gewordener Pilz; denn außer der braunen allgemeinen Hülle besitzt sie weder Stengel, noch Ast, noch Blatt. Wie oben die Hundsruthe die merkwürdigste Pflanze Europas genannt wurde, kann diese als das seltsamste Gewächs der ganzen Erde bezeichnet werden;
und wenn eine Vermuthung gestattet ist, möchte ich sie fast einen Ueberrest aus fernen Schöpfungsperioden nennen, da zwischen den Balanophoren und Rhizantheen und den heutigen Blüthenpflanzen offenbar eine unausgefüllte Lücke ist.