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In entfernter Weise, durch Blatt und Lebensweise, sowie durch monokotylischen Bau ihr verwandt, erinnert an sie auch die große schöne Welt der Lilienform. Mehre Familien verdienen diesen Namen. So die eigentlichen Liliengewächse oder die Liliaceen: Yucca (s. Abbild. S. 177), Aloë, Lilie, Tulpe, Kaiserkrone, Schachblume u. s. w., meist ansgezeichnet durch knollige Knospenstämme und sechstheilige Blumenkrone. Sie erreichen in dem schönen amerikanischen Geschlechte der Yucca ihre höchste Vollendung; denn dasselbe ist gleichsam eine baumartig gewordene Tulpe oder eine zur Tulpe gewordene Aloë oder Agave.
Ihnen reihen sich die Asphodilgewächse (Asphodeleen) an, deren Blüthenähren aus einer häutigen Scheide hervorbrechen. Hyacinthe, Meerzwiebel, Asphodele, Graslilien ( Anthericum), Vogelmilch ( Ornithogalum) und die Laucharten ( Allium) sind ihre bekanntesten Vertreter. Auch sie erlangen eine baumartige Vollendung, und zwar in den Drachenbäumen ( Dracaena). Palmenartig erhebt sich ihr Stamm, und palmenartig krönt ihn ein reicher Schopf säbelartiger Blätter, aus dessen Innerem endlich die Blüthenrispen hervorbrechen. Gleichsam palmenartige Gräser mit Lilienblüthen, rufen sie ein Landschaftsbild hervor, welches durch die seltsame Combination von Palme, Gras und Lilie wunderbar überrascht und nicht selten durch riesige Größe zur Bewunderung hinreißt. Berühmt ist in dieser Hinsicht der aus Ostindien stammende Drachenbaum ( Dracaena Draco) von Orotava auf der Insel Teneriffa. Humboldt maß ihn im Juni 1799, als er den Pic von Teneriffa bestieg, und fand seinen Umfang mehre Fuß über der Wurzel gegen 45 Fuß. Dem Boden näher maß er nach Ledru 74 Fuß, und nach Staunton besitzt der Stamm in 10 Fuß Höhe noch 12 Fuß Durchmesser. Seine Höhe beträgt nicht viel über 45 Fuß. Nach Humboldt erzählt die Sage, daß dieser Riesenbaum der Asphodeleen von den Guanchen, den verschwundenen Ureinwohnern der Insel, göttlich verehrt und daß er bereits im Jahre 1402 so dick und hohl gefunden wurde, wie jetzt. Im 15. Jahrhundert soll man in seinem hohlen Stamme an einem kleinen Altare Messe gelesen haben. Einen Theil seiner Krone verlor er durch einen Sturm am 21. Juni 1819; ein Täfelchen bezeichnet das Ereigniß an der betreffenden Stelle. Seine mächtige und sonderbare Gestalt mit birkenweißem Stamme, seine gebirgige Heimat und seine Umgebung von Myrten, Orangen, Rosen, Cypressen, Pisangs und Palmen machen ihn zu dem edelsten Merkmale organischer Schöpfung auf Teneriffa. Indien, Südafrika und seine Inseln, das australische Inselmeer und Südamerika beherbergen baumartige, das Kap der guten Hoffnung und Indien strauch- und krautartige Formen. Einen ähnlichen Bau besitzen die schon bei Abhandlung der Steinkohlenperiode erwähnten und abgebildeten Grasbäume ( Xanthorrhoea) Neuhollands. Statt der säbelartigen Blätter treiben sie mehr grasartige und eine Blumenähre hervor, die durch ihre Länge ebenso wie durch ihren pyramidalen Bau Gelegenheit gab, diese überaus seltsame Form mit dem sinnigen Namen »Scepter der Flora« zu belegen.
Den Asphodeleen schließen sich innig die Ananasgewächse oder die Bromeliaceen an. Sie sind meist durch fleischige, aloëartige Blätter und oft prachtvolle Blumenrispen ausgezeichnet. Ihr meist parasitisches Leben auf Bäumen erinnert uns wieder an die Orchideen; dagegen werden sie den Aloëgewächsen verwandter, wenn sie, wie die Cacteen, den ödesten Hochebenen, Felsenritzen und Savannen Leben verleihen. So die Ananas der südamerikanischen Savannen und die allbekannte Agave oder die fälschlich so genannte Aloë mit colossalem Unterbau und einer entsprechenden candelaberartigen Blumenrispe. In der Agave und einigen Aloëarten erreicht auch die Familie der Bromeliaceen eine baumartige Ausbildung von schopfförmigem, also palmenartigem Wuchse. Die Agave ist das schöne Sinnbild organischer Zeugungskraft der Neuen Welt; denn wenn man auch in der jüngsten Zeit, wie Ernst Meyer in Königsberg, die Agave der Mittelmeerländer als schon vor der Entdeckung Amerikas dort vorhanden angab, so ist das doch noch keineswegs ausgemacht. Die Aloëform gehört fast durchgängig der Südspitze Afrikas an (s. Abbild. S. 181). Ihr eng verwandt ist die Form der Pourretien. Die Pourretia coarctata Chiles mit aloëähnlicher Blätterkrone und aufrechtem Blüthenstengel fällt auf den Klippen dieses Landes weithin ins Auge. Die größte Blüthenpracht dagegen entfalten unter den Bromeliaceen die Pitcairnen Indiens und Südamerikas. Die seltsamste Form entwickeln die Tillandsien in einigen ihrer Arten, welche parasitisch die Bäume bewohnen. Tillandsia usneoides z. B. bildet von Carolina bis nach Brasilien, wo sie auch sehr bezeichnend Baumbart genannt wird, eben solche von den Zweigen herabhängende Geflechte, wie sie hier zu Lande die Bartflechten ( Usnea), namentlich im höheren feuchten Gebirge, so häufig auf Nadelbäumen erzeugen, aber in einer Ueppigkeit, welche sie bereits zu Packmaterial verbrauchen ließ und ihr in der Verzierungsvegetation einen hervorragenden Platz verleiht.
Auch die Liliengräser oder die Commelinaceen sind hier nicht zu vergessen. Ihre Blätter mit paralleligen Rippen, eng und scheidig sich an den kriechenden, oft hängenden, saftigen Stengel schmiegend, entzücken das Auge durch oft prachtvolle Färbung, welche vom tiefsten Saftgrün zum Purpurrothen und Scheckigen übergeht. Am bekanntesten sind Commelina und Tradescantia mit dreiteiligen Blüthen und meist blauer Färbung. Auch sie gewähren häufig als Verzierungsformen Felsen und Bäumen unaussprechlichen Reiz. Sie sind fast nur auf die Neue Welt angewiesen.
Mehr den Boden als vereinzelte Blumen zierend, verbreiten sich die herrlichen Amaryllisgewächse oder Amaryllideen. Zu ihnen gehören Amaryllis, Pancratium, Crinum, Narzisse, Schneeglöckchen, Alströmerien, Pancratien u. s. w. Sie, die nächsten Verwandten der eigentlichen Liliengewächse, deren Blumen wie die der Asphodeleen aus lieblichen Scheiden hervorbrechen und meist eine sechsblättrige röhrige Gestalt annehmen, welche über dem Fruchtknoten steht, während sie bei den Lilien unter den Fruchtknoten gestellt ist, sind die Zierden grasreicher Orte.
So auch die Schwertlilien oder Irideen, wie Crocus, Iris und Gladiolus. Ihre auf dem Stengel reitenden schwertförmigen Blätter und ihre lilienartigen, unter dem Fruchtknoten stehenden Blumen, deren Narben häufig selbst wieder blumenblattartig werden, haben ihnen ihren Namen mit vollem Rechte gegeben. Sie sind die Lilien der Sümpfe, Flußufer, Teiche und Seen, aber auch der Wüsten. Hören wir, was ein neuerer Reisender, Karl Koch, über den letzten Umstand sagt. »Die Irideen, und zwar vorherrschend die mit Zwiebeln oder wenigstens mit zwiebeliger Anschwellung des unteren Stengeltheiles, bilden mit den übrigen Zwiebelgewächsen im ersten Frühjahr und zum geringeren Theil auch in der letzten Zeit des Herbstes eine eigentümliche Flor in den niedriger gelegenen Gegenden, namentlich Transkaukasiens. Diese Flor erscheint auf den Hochmatten Armeniens zwar in geringerem Grade und aus wenigen Arten bestehend, aber dann große Flächen überziehend. Sie kommt hier jedoch nicht im Frühjahre, sondern nur im Herbste vor und gibt eine Ansicht, die an die der Herbstzeitlosen unserer Wiesen erinnert. Ihr Anblick ist um so eigentümlicher, als häufig die Einwohner vorher die dürren Steppenkräuter angezündet haben und nun die schwarze Oberfläche des Bodens mit den farbigen Blumen im Widerspruche zu stehen scheint. Wo die Steppenkräuter von Bedeutung waren und nicht abgebrannt wurden, sieht man die Zwiebelgewächse stets nur einzeln, während sie auf Matten und besonders verbranntem Steppenboden in Masse erscheinen, sodaß oft schon nach drei bis vier Tagen die ganze Oberfläche des letztgenannten Bodens mit Blumen bedeckt ist. Die Ursache dieser sonderbaren Frühlings- und Herbstflor liegt darin, daß den tiefer gelegenen Gegenden während der wärmeren Sommermonate die nöthige Feuchtigkeit fehlt. In dieser Zeit besitzen solche Gegenden ein so trauriges Ansehen, daß sie einer Wüste gleichen. Man belegt dort wohl auch solche wasserarme Striche mit diesem Namen.« Ich habe mit Absicht bei dieser Erscheinung länger verweilt, weil sie nicht allein steht. In großartigster Weise findet sie sich am Kap der guten Hoffnung wieder. Hier ist es, wo der ockerfarbige Karroogrund zur Winterzeit, d. h. in der trocknen Jahreszeit, so furchtbar austrocknet, daß die meisten seiner krautartigen Gewächse zu Pulver zerfallen und verschwinden. Dann ist die Karroosteppe eine völlige Wüste und der Blick des Unkundigen würde schwerlich das wunderbare Leben ahnen, das dennoch in diesem Boden schlummert. Nur die überdauernden Eiskräuter, die hundertgestaltigen Mesembryanthema des Kaplandes könnten ihn eines Andern belehren. In der That, kaum ist der regenreiche Frühling angebrochen, da treiben aus dem erweichten Boden Tausende und aber Tausende lieblicher Blüthentrauben, Blüthenbüschel, Blüthenköpfchen und Glöckchen aus dem grünen Weidegrunde hervor, und wo vorher nur Tod zu herrschen schien, kommen jetzt Heerden langbeiniger Strauße, Züge wandernder Antilopen und vielerlei andere Thiergestalten von den Gebirgen herab, um über den prachtvollsten Teppich herrlicher Liliengewächse und Haidekräuter hinweg zu wandeln. Das ist das Land der Lilienform in weitester Bedeutung. Man würde die seltsame Erscheinung kaum verstehen, wenn man nicht wüßte, daß die meisten Knollen der lilienartigen Gewächse mit einem oft überaus harten und dichten Netzwerke versehen sind, welches sie gegen den großen Druck des sich beim Austrocknen zusammenziehenden Karroobodens schützt. Sie gleichen der Boa und dem Alligator, die, in tiefem Letten vergraben, dennoch durch den ersten Regenguß des Frühlings auf den ähnlichen südamerikanischen Steppen wieder zum Leben gerufen werden und das alte Zauberbild der Natur vollenden helfen.
Es gibt kaum ein schöneres Bild in der Pflanzenwelt, welches so laut von der treuen Fürsorge der Natur spräche, wie das Leben der Zwiebelgewächse. Könnte man die Palmenform die Form der Anmuth und Würde, die Form der Orchideen die Form des Bizarren nennen, so würde die Lilienform in Rücksicht auf ihre zauberhaft rasche Entwickelung, ihr plötzliches Hervorbrechen aus dem Erdenschooße in vollendeter Schönheit die Form des Magischen sein können, und was wir von ihr zu sagen hatten, gilt großenteils auch von den Hämodoraceen, den Hemerocallideen, Hypoxideen, Pontederiaceen, Colchicaceen (Herbstzeitlosen) und zum Theil auch den Smilaceen, so weit zu diesen die maiblumenartigen Gewächse gehören. Sie alle zusammen sind Bilder der Zartheit und Weiblichkeit, und nicht mit Unrecht hat man seit Jahrtausenden die Lilie zum Sinnbilde der Reinheit gemacht, obschon die weiße Lilie ob ihres penetranten Geruches diesen Namen am wenigsten verdient und wahrscheinlich auch nie – wie man jetzt glaubt – die Lilie der Evangelisten war.