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Eine Welt für sich bildet im Landschaftsbilde, reizend und wohlthätig zugleich für das Dasein der Völker, das Reich der grasartigen Gewächse. Vier Familien theilen sich in diesen Namen: die eigentlichen Gräser oder die Süßgräser (Gramineen), die Halb- oder Sauergräser (Cyperaceen), die Binsengewächse (Juncaceen) und die Restiaceen. Ihre Aehnlichkeit besteht in der Eigenthümlichkeit, halmartige Stengel und grasartige Blätter zu bilden. Durch beide Eigenschaften, weit weniger durch ihre Blüthenrispen und Aehren, gewinnen sie im Landschaftsbilde ein und dieselbe Bedeutung, obwohl die Süßgräser darin bedeutend vorwalten und nur die Halbgräser sich ihnen einigermaßen zur Seite stellen können. Durch tiefes gesättigtes Grün, leichten zierlichen Bau und anmuthige Bewegung drücken sie auf beiden Erdhälften und in allen Zonen der Landschaft ihren Charakter auf. Die Gräser sind die Formen fröhlicher Leichtigkeit.
Die Restiaceen gehören, wenn man das seltene Eriocaulon septentrionale Schottlands und einige andere wenige ausnimmt, fast durchaus nur der südlichen Halbkugel an und treten im Landschaftsbilde so wenig wie im Systeme hervor, da sie nur aus wenig Gattungen und Arten bestehen. Auch stehen sie den Juncaceen und Sauergräsern so nahe, daß wir sie füglich übergehen können.
In gewisser Beziehung bilden die Binsengewächse das schöne Mittelglied zwischen der Lilien- und der Grasform; denn mit den grasartigen Blättern und dem grasartigen Wuchse verbinden sie eine meist sechstheilige Blüthe, die z. B. in der Binsengattung ( Juncus) vollständig an die Lilienform des norddeutschen haidebewohnenden Beinheil ( Narthecium) erinnert. Markige, knotenlose, oft aber gegliederte Halme mit meist pfriemenförmigen, stielrunden Blättern theilen sowohl Restiaceen wie Juncaceen mit den Cyperaceen. Auch darin sind sie verwandt, daß sie gemeinschaftlich am liebsten Sümpfe und saure Wiesen bewohnen, weshalb die Cyperaceen auch Sauergräser heißen.
Diese gehören der ganzen Erde vom Pol bis zum Gleicher, von der Meeresebene bis zu den Alpensümpfen hinauf an. Doch sind es nur wenige Typen, welche vorherrschend das Landschaftsbild bestimmen. Auf moorigem Grunde treten die Wollgräser ( Eriophorum) mit ihrem wolligen Blüthenschopfe von silberglänzender Färbung charakteristisch auf. An Flußufern und Gräben bilden die Simsen ( Scirpus) mit ihren oft mehre Fuß hohen Blüthenstielen von dreiseitiger oder drehrunder Form nicht selten ein ununterbrochenes Dickicht, dem im Sommer auch die Verzierung mit prächtigen Blumen nicht fehlt. Am stattlichsten jedoch streben die Cypergräser ( Cyperus), wenigstens in der heißeren Zone, empor. Derselbe Wuchs, der uns hier zu Lande z. B. an der stattlichen Simse des Tabernämontan ( Scirpus Tabernaemontani) unserer Gräben erfreut, gehört auch ihnen an. Allein er tritt dadurch weit bedeutsamer hervor, daß sich der Blüthenstengel an seinem Gipfel in einen Schopf überaus zierlicher Aeste spaltet, welche von ebenso zierlichen Aehrchen gekrönt werden. Am bekanntesten ist die Papyrusstaude ( Cyperus papyrus, s. Abbild. S. 191) der Nilufer und Siciliens, dieselbe Pflanze, welche den Alten das erste Papier gab, woher dasselbe auch seinen Namen empfing. Da diese Form leicht mehre Fuß hoch werden kann, so ist sie gewissermaßen die baumartige Vollendung der Sauergräser.
Weit weniger beschränkt wie sie, überziehen dagegen die Süßgräser jeglichen Boden in jeglicher Zone. Dadurch sind sie befähigt, der Erdoberfläche den eigentlichen Grundton des organischen Lebens aufzudrücken. In der That ist die Grasform in dem bunten Pflanzenteppich gleichsam der Aufzug, während die andern Gewächsformen den Einschlag bilden. Sie sind hierzu um so mehr befähigt, als sie häufig kriechende und Sprossen treibende Wurzeln besitzen, somit leicht eine dichte zusammenhängende Decke zu weben im Stande sind. So wenigstens in den gemäßigteren Zonen. In der warmen und heißen Zone, wo sie in riesigeren Arten erscheinen, schießen sie in schilfartigen Halmen empor. Dann bilden sie die bekannten Prärien, d. h. nicht Graswiesen, sondern Grasfluren. Aehnlich dem Mais und dem Zuckerrohr auf cultivirtem Lande, rotten sich selbst auf jungfräulicher Erde einige dicht zusammen und bilden natürliche Grasfluren. So auf Java die 15–20 Fuß hohe Klagha ( Saccharum Klagha) und der Allang-Allang ( Imperata Allang). Ihre baumartige Vollendung erreichen die Gräser in der Bambusform, von welcher bereits über 100 verschiedene Arten in 15 Gattungen bekannt sind. Da nun bis jetzt reichlich 5½ Tausend Gräser beschrieben wurden, so machen die Bambusgräser etwa den 55sten Theil aller Gramineen aus. Sie erreichen nicht selten eine Höhe von 50, ja selbst von 100 Fuß. Die merkwürdige Arundinaria Schomburgkii im britischen Guiana wird gegen 30–40 Fuß hoch. Das unterste Glied erhebt sich ohne Knoten bis zu 16 Fuß Höhe; dann erst folgen die ersten Knoten, Aestchen und Blätter. Von hier ab folgen sich die übrigen Aeste in regelmäßigen Zwischenräumen von 15–18 Zoll. Der ausgewachsene Stengel, sagt Richard Schomburgk, hat an seinem Grunde 1½ Zoll im Durchmesser oder nahe an 5 Zoll im Umfange und ist von glänzend grüner Farbe, glatt und inwendig hohl. Aus diesem Grunde dient er den Indianern als vortreffliches Blasrohr für ihre vergifteten Pfeile. Die Pflanze heißt bei den Indianern vom Stamme der Maiongkongs und Guinaus »Curata«. In erstaunlicher Ueppigkeit und Schnelligkeit, binnen wenigen Stunden oft um mehre Fuß, schießen die Bambushalme, besonders an Flußufern, von warmer Feuchtigkeit überaus begünstigt, baumhoch empor und verleihen der Landschaft den Ausdruck von Kraft und fröhlicher Leichtigkeit. Die schlanken, armdicken, knotigen Halme, welche allein das Eigenthum der Gräser sind, verzweigen sich, verschieden je nach der Art, in ein dichtes Laub, das, sich überwölbend, angenehmen Schatten verleiht. Palmenähnliche Pisangs vereinen sich gern mit diesem nützlichsten aller Tropengräser und gewähren den heitersten Gegensatz: jene durch ihre breiten schaufelartigen Blätter auf hohen Stielen, diese durch ihr bandartig verschmälertes Laub. Ein unaufhörliches Neigen, Schaukeln und Rauschen der federartigen Bambusgipfel gibt dem Bambusgebüsch etwas Geisterhaftes, welches die Phantasie geheimnißvoll ebenso beschäftigt, wie das Rauschen des Nadelwaldes. Zollinger, der so viel Sinniges über die Physiognomik der Gewächse beobachtete, stellt die Bambusarten in der Stockvegetation als die riesigen Formen obenan. »Zwar treten«, sagt er, »bereits an den Bambushalmen Zweige auf; allein diese secundären Gebilde verhüllen das eigentliche Achsengebilde (Stamm und Verzweigung) nicht, sondern tragen eher noch dazu bei, dasselbe um so mehr hervorzuheben, als ihre geringe Länge gleichsam nur den Halm umfangreicher zu machen scheint.« »Bambu«, sagt derselbe weiter, »gehören sicher zu den schönsten Pflanzenformen der Tropenwelt. Wo sie als Waldung auftreten, herrschen sie unbedingt über- den Boden und vertreiben jede bedeutendere Individualität zwischen sich. Sie haben im hohen Grade eine gleichartige, aber dennoch wohlthuend wirkende Physiognomie. Sie vereinigen Kraft und Zierlichkeit in gleich hohem Maße in sich, und fast immer bilden sie mit den umgebenden Formen einen scharfen und doch anziehenden Gegensatz der Erscheinung. Auf hohem Stocke erheben sich 10-15 arm- bis schenkeldicke Halme, die erst recht anstreben, dann allmälig sich entfernen und oben in lieblichen Bogen sich nach Außen und Unten neigen. Da dies nach allen Seiten hin gleichmäßig geschieht, so bildet der ganze Stock eine Art Garbe, deren Enden in dünne Zweige auslaufen, an denen die zarten Blättchen horizontal in zwei Reihen sich ausbreiten. Sie sind graulich, steif und starr, und wenn sie der Wind bewegt, so rauscht es träumerisch durch den Wald, während die harten, an Kieselerde reichen Halme dazu ungeduldig knarren oder schwermüthig erseufzen. Dazwischen wandert man wie in dunkeln Gewölben auf dem knisternden dürren Laube, oft aufgehalten durch die uralten Halme, welche nach allen Richtungen niedergestürzt sind und nach rascher Verwesung den Boden wieder befruchten. Man denke sich dabei wohl, daß diese geheimnißvollen vegetabilischen Gewölbe bis 100 Fuß Höhe erreichen können, wie ich denn einzelne dieser Riesengräser habe umhauen lassen, die bis zu 150 Fuß Länge hatten. Niedriger freilich und verworrener sind andere Arten, besonders die stacheligen Bambu. Sie bilden ein. fast undurchdringliches Geflechte und werden deshalb von den Eingeborenen Javas als natürliches Vertheidigungsmittel um die Dörfer gepflanzt.« Die Bambusform ist sowohl der heißeren Alten, wie der Neuen Welt eigenthümlich. In Nordamerika beginnt sie bereits im Mississippigebiete in strauchförmigen Arten der Gattung Arundinaria, gewinnt aber in Indien und seinen Inseln den vollendetsten Ausdruck. Uebrigens stehen der Bambusform einige schilfartige Gräser kaum an Höhe nach. Auf Java wird, nach Zollinger, die Klagha nicht selten gegen 20–30 Fuß hoch und dient darum Panthern und Tigern zum Versteck. Auch das Zuckerrohr steht ihr zur Seite, unter den schilfartigen Gräsern wahrscheinlich die herrlichste Form. Wie jene, so treibt auch dieses einen prachtvollen Blüthenbusch von blendendem Silberweiß aus dem Gipfel hervor. Erhebt sich dann der Wind, bemerkt der Genannte, so ist es, als ob silberne Wellen über die grünen Fluren dahinströmten; um so täuschender, je dichter Halm an Halm gedrängt steht. Ueberhaupt wirkt die Grasform nicht unwesentlich durch ihre Blüthenstellung.
Wie ganz anders der Mais als das Zuckerrohr, obschon er dem jugendlichen Zuckerrohr auffallend ähnelt! Wie ganz anders Reis, Hafer, Roggen, Hirse u. s. w.! Auf jeden Fall erwirbt sich diejenige Blüthenform der Gräser den Preis, welche nicht in Aehren, sondern in lockeren Rispen auftritt. Wie herrlich, wenn man an einem Haferfelde vorüberstreicht und die Sonne in der dem Auge entgegengesetzten Richtung darauf scheint! Welche wunderbar zarte Muster erscheinen in diesem Augenblicke, namentlich wenn ein leiser Wind die Halme leicht erzittern läßt! Man glaubt, namentlich wenn der Hafer bereits seine halbe Reife erreicht hat, das schönste wellige Muster eines herrlichen Mousselinekleides vor sich zu sehen. Es scheint sich dem Mousselin zu nähern, je reifer der Hafer ist; umgekehrt möchte man es für ein Changeantkleid von seidenem Stoffe halten, je grüner noch die Aehren sind und ins Schillerfarbige spielen. Aehnlich mag es bei dem Reis der Fall sein. Ganz anders dagegen wieder der Roggen. Halm und Aehre scheint eins zu sein. Darum ist auch das Wogen des Roggenfeldes das Gleichartigste, was man sehen kann, und wer das Meer in seiner verschiedensten Gestaltung sah, wird oft auf Augenblicke täuschend an sein Wogen erinnert werden^ wenn der Wind gleichmäßig über die Halme schwebt. Dann gewinnt der Ausdruck »Halmenmeer« eine Bedeutung, welche die Wirklichkeit kaum hinter sich läßt. Trotz so großer Schönheit der Gräser der gemäßigten Zone stehen dieselben denen der wärmeren an Seltsamkeit der Gestaltung ihrer Blumenstände weit nach. Es herrscht eine Mannigfaltigkeit und Schönheit in dem Baue der Grasähre, welche reichlich für die Kleinheit und Unscheinbarkeit der Grasblüthe entschädigt. Immer aber steht der silberne Blüthenbusch der Zuckerrohrarten obenan und verleiht bereits in den Ländern des Mittelmeeres dem Saccharum Ravennae oder dem Zuckerrohr von Ravenna und besonders dem Saccharum cylindricum den Preis vor allen Gräsern der gemäßigten Zone. Denn diese Form ist unter den Süßgräsern genau dasselbe, was die Wollgräser mit ihrem silberweißen Wollschopfe unter den Sauergräsern. Mag auch der Blüthenstand eines Grases eine Aehre oder eine leicht erzitternde Rispe in einfacher oder fingerförmig getheilter, gerader oder spiralig eingerollter, lockerer oder kammförmiger Gestalt sein – gegen diese Pracht tritt Alles in der Welt der Gräser zurück. Mit ihnen verlassen wir zugleich die ganze schöne Abtheilung der monokotplischen Gewächse und begeben uns eine Stufe tiefer, zu den kryptogamischen.