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X. Capitel.
Die Flechtenform.

Nach solchen Erfahrungen kann es nicht mehr überraschen, wenn wir auch den Flechten eine Bedeutung im Landschaftsbilde zugestehen. Wie die Moose, greifen auch sie in dreifacher Weise in dasselbe ein. Einmal überziehen sie den Boden nicht selten als zusammenhängende Decke, die dann Alles von sich ausschließt und gemeiniglich den dürrsten Boden anzeigt. So pflegt es z. B. die Renthierflechte ( Cladonia rangiferina) auf unsern sandigen Haiden oder in dürren Kiefernwaldungen, im größten Maßstabe aber im Norden von Skandinavien und Rußland zu thun, wo sie im Winter das einzige Futter des Renthiers ausmacht und vermöge seines Gehaltes an Flechtenstärke auch sehr gut ausmachen kann. Selbst die Tropenzone kennt diese Erscheinung, obschon ihr die Flechtenwelt im Allgemeinen ebenso wenig zukommt, wie die Mooswelt. Am Matakuni im britischen Guiana z. B. fand Sir Robert Schomburgk mehre Bergsavannen durch eine Renthierflechte so dicht bedeckt, daß sie ihm aus der Entfernung wie mit dichtem Schnee bedeckt schienen. Wahrscheinlich war es die Cladonia pityrea, welche auch in Brasilien genauso wie unsere einheimische Renthierflechte den Boden in aufstrebender Form überzieht. Man nennt solche büschlig gestaltete Arten bezeichnend Säulchenflechten. Mitunter tragen sie ganze Haufen von brennend scharlachrothen Fruchtknöpfchen, namentlich im höheren Gebirge. Alsdann sind sie eine sehr originelle Zierde der Landschaft. So die Cladonia coccifera, welche ihren Beinamen von den scharlachrothen Knöpfchen trägt. Die zweite Flechtenform ist eine stach aufliegende, die sich meist in sternförmiger Gestalt auf ihrer Unterlage ausbreitet. Mag diese Baum oder Felsen sein, in beiden Fällen wird sie durch diese Flechtenform sehr charakterisirt. Hier zu Lande werden Bäume Felsen und Mauern am meisten durch die goldgelbe Wandslechte ( Parmelia parietina) ausgezeichnet. Im höheren Gebirge überzieht die Landkartenflechte ( Lecidea geographica) Stein und Felsen, durch ihren schwarzen Untergrund und gelbe inselartig verschwimmende Früchte kenntlich. Die höchste Pracht aber erreicht diese Form an den Scheerengebirgen Norwegens, wo sie in den schönsten Tinten die Klippen färbt. Die dritte Flechtenform ist eine hängende und damit die hervorragendste Verzierungsform der Waldungen; so ausgezeichnet, daß sie selbst die poetisch-mystischen Naturanschauungen der Völker in ihren Waldmährchen verwendeten. Denn Rübezahl mit dem grauen Barte im Riesengebirge, oder Tapio, der Waldgott der Finnen, mit einem Barte aus Fichtenflechten sind nichts Anderes als der reine Tannenwald, den lange Bartflechten greisenhaft verzieren. In den Tropen erscheint diese Form zwar auch wieder, wird aber doch vorzugsweise von einer flechtenartig aussehenden Ananaspflanze ( Tillandsia usneoides u. a.) vertreten. Diese Flechten hängen in langen Bärten sowohl in der gemäßigten, wie in der heißen Zone von den Stämmen und Zweigen herab, wo sie ihnen, von Feuchtigkeit begünstigt, ein greisenhaftes, ehrwürdiges Ansehen durch ihre weißgelbliche Farbe aufdrücken. So die Bartflechten ( Usnea). Geht dagegen ihre Färbung ins Goldige über, dann erlangen auch sie eine ähnliche Pracht, wie die aufliegenden Flechten der Scheeren. So z. B. die fadenartig dünne Evernia flavicans in Brasilien. Die riesige Form bilden die Sticten. Die gemäßigte Zone kennt diese Form in der Lungenflechte ( Lobaria pulmonaria) der höheren Gebirge. Diese Flechten bilden gleichsam das Mittelglied zwischen hängender und angedrückter Form; denn sie liegen als vielfach in einander sich schiebende breite und buchtig. ausgeschnittene Lappen halb auf, halb schweben sie frei in der Luft und entzücken das Auge ebenso durch ihre buchtigen Linien, wie durch Färbung. Sie ist meist braun und lederartig; bei Sticta aurata geht sie in ein herrliches Goldgelb über, welches mit schwarzen Flecken lieblich wechselt. Oesters jedoch erscheint in nicht minder reizender Abwechselung eine reifartige bläuliche Färbung auf der Oberfläche und eine tiefschwarze auf der Unterseite, welche durch die sich aufschlagenden Enden der Lappen sichtbar wird. Die bizarrste aller Flechtenformen ist die der Schriftflechten oder Graphideen. Sie tragen ihren Namen in der That; denn zur ausliegenden Form gehörig, überziehen sie in den seltsamsten Figuren die Rinde der Bäume und bilden hier je nach der Art oft ein solches Gewirr seltsamer, meist schwarzer, in den Tropen aber auch prachtvoll orangener oder purpurner Hieroglyphen, daß man unwillkürlich an die chinesischen und die übrigen orientalischen Schriftzüge erinnert wird. Man möchte darauf schwören, daß die Orientalen ihre Schriftweise dieser seltsamsten aller Flechtenformen abgesehen hätten, und wer sich davon überzeugen will, findet in jedem Walde, namentlich auf Buchen, hinreichend Gelegenheit. Aber nicht allein durch Laubform und Färbung fallen die Flechten ins Auge; selbst die Früchte erhöhen ihre Wirkung. Meist bilden sie allerliebste Tellerchen und Schüsselchen in minutiösester Form, oft durch herrlich gezackte Ränder und prachtvolle Färbung ausgezeichnet. Andere schmücken sich mit flachen Knöpfchen von ähnlicher Kleinheit, Säulchenflechten pflegen kugelartige Fruchtgehäuse hervorzubringen. So groß aber auch immer die Mannigfaltigkeit der Flechtenform sein mag, überall tragen sie eine so gleichartige Physiognomie an sich, daß sie der Kenner nie verwechselt.

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Fig. 1. Die Wandflechte.
Fig. 2. a. b. Die Renthierflechte.
Fig. 3. Die Bartflechte.
Fig. 4. Die Landkartenflechte.
Fig. 5. Flechtenfrucht im Längsschnitt; um a. die verschiedenen Schichten, b. Samenschläuche und Samen, c. eine Spore (Samen) sehr vergrößert zu zeigen.

Wenn man will – und in Wahrheit geschah das früher in der Wissenschaft – so stehen sich Flechten und Algen so nahe, daß man jene die Land-, diese die Wasserform eines und desselben Pflauzentypus nennen könnte. Wie wir schon bei Betrachtung der Meer- und Seeschaft fanden, gliedern sich die Algen in zwei große Abtheilungen. Die eine setzt ihre Pflanzen aus mannigfach gegliederten Röhrchen zusammen und treibt ihre Früchte meist in Gestalt von Kugeln an dem Laube hervor. So auch die Flechten; denn die Gattung Coenogium der Tropenländer unterscheidet sich von dieser Algenform nur durch ihre schüsselartigen Früchtchen. Die Tange des Meeres würden die Laubform der Flechtenform darstellen und gewissermaßen die laubartigen Parmelien oder Sticten der Algenwelt sein. Da wir bereits über die Tange ausführlicher gehandelt, so wenden wir unsere Aufmerksamkeit lieber auf die Pilzform.


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