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XVIII Capitel.
Die Form der Lianen.

Eine andere Pflanzengruppe, an der wir nicht vorübergehen können, findet ihre Verwandtschaft nur in der gemeinsamen Weise, sich windend an andern Gewächsen zum Lichte empor zu heben. Wir wollen sie im Allgemeinen die Lianenform nennen, obschon dieselbe mehr von den Schlinggewächsen der heißeren Zone hergenommen ist. In der That würde diese Gruppe die bunteste sein, wenn man sie systematisch auseinanderlegen wollte. Es gibt eine Menge von Pflanzenfamilien, welche windende Glieder in sich bergen: Passionsblumen, Feigengewächse, Nesselgewächse (Hopfen), Vereinsblüthler (Mutisien), Convolvulaceen oder Windengewächse, Ampelideen (Weinrebe, wilder Wein, Cissus), Asclepiadeen ( Hoya carnosa), Loasaceen, Hülsengewächse (Bohnen u. s. w.), Tropäolen oder spanische Kressen, Araliaceen (Epheu), Dioscoreen, selbst bambusartige Gräser, palmenartige Pandaneen ( Freycinetia), Rotangpalmen, oft 3-500 Fuß lang, lilienartige Alströmerien, Pfefferpflanzen, Sapindeen ( Urvillea), Kürbisgewächse oder Cucurbitaceen, Wolfsmilchgewächse oder Euphorbiaceen, Smilacineen, selbst Farren, und viele andere, vor allen aber die Bignoniaceen, die eigentlichen Lianen des tropischen Urwaldes. Darunter bringen die herrlichsten Blumen die Bignonien, Hülsengewächse, Rubiaceen, Asclepiadeen, Passionsblumen und Apocyneen. Sehr merkwürdig wird der Stamm vieler tropischer Lianen durch eine höchst auffallende Formbildung. Es ist überhaupt in der Tropenzone nicht selten, daß der Stamm eines Baumes nach allen Seiten in tafelartige Ansätze auswächst. »Oft schneidet man auf Java«, erzählt uns Zollinger, »aus diesen tafelartigen Fortsätzen ganze Scheiben für die Wagenräder und ganze gewaltige Tischblätter heraus. Sie geben dem Stamm am Grunde einen ungeheuern Umfang, der freilich je zwischen zwei Fortsätzen tief einwärts gehende Lücken darbietet. Soll ein solcher Baum gefällt werden, so geschieht es gewöhnlich hoch über dem Grunde, da, wo die Fortsätze aufhören und der Stamm seine runde Gestalt erlangt. Derartige Stämme findet man häufig unter Feigen, Sterculiaceen, Büttneriaceen und vielen andern Familien.« Einst maß derselbe den Umfang eines Pterocymbium und fand, daß er 65 franz. Fuß betrug. Auch die Wollbäume ( Bombax) zeigen diese Erscheinung. Ueber ihrem Grunde senden sie oft eine Menge solcher Ansätze gleich mächtigen breiten Brettern herab und erlangen dadurch das Ansehen, als ob sie sich mit einer Menge von Strebpfeilern umgeben und gestützt hätten. Dadurch bilden sie zugleich auch eine Menge von Kammern, welche man natürliche Nischen des Baumes nennen kann. Sie sind nicht selten so bedeutend, daß sich ein ausgewachsener Mensch leicht in ihnen zu verbergen vermag. Auf Surinam erscheint den Negern diese Stammform so wunderbar, daß sie hier ihrer Göttin Grandmama (Großmutter) opfern. Aehnlich die Lianen, nur, da ihre Stämme meist tauartig, in weit schwächerer Weise. Dadurch erlangen sie eine vielseitige, meist vierseitige Form. Sie wird dadurch noch wunderbarer, daß sie auf den Querschnitten die sonderbarsten Furchen und Spalten zeigt und, da sich die Rinde oft in den verschiedensten Winkeln durch den Holzkörper zieht, eine mosaikartige Gestalt annimmt.

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Mosaikartige Figurenbildung im zusammengesetzten Stamme lianenartiger Sapindaceen von Trinidad. Nach Crüger.

Natürlich üben solche Lianen einen ganz andern physiognomischen Einfluß, als stielrunde Schlinggewächse, und wir besitzen in unserer Zone nichts, was dieser Form an die Seite zu setzen wäre. Höchstens durchwächst bei dem aus Carolina eingeführten Calycanthus floridus unserer Anlagen die Rinde in schwacher Weise den runden Holzkörper. Auch die Art und Weise des Aufliegens muß verschieden wirken. Ein fest sich anklammernder Stamm, wie der des Epheu, gibt dem Stamme eine reliefartig verzierte Oberfläche, frei sich emporwindende Lianen machen auch einen freieren Eindruck, und unsere Dichter sind darum gerade nicht zu loben, daß sie vorzugsweise den festsitzenden Epheu als Sinnbild der Weiblichkeit hinstellten. Er kommt uns vor wie ein Verzweifelnder, der sich mit aller Leidenschaft festzuhalten sucht. Dagegen gewähren freiere Formen den weit weiblicheren Ausdruck ruhigen Sichanschmiegens, und der Hopfen oder noch edler die Rebe wäre ein weit würdigeres Bild für jenen weiblichen Ausdruck gewesen. Je freier sich eine Liane an ihrem Stamme' emporwindet, um so freier muß auch dessen eigene Bewegung erscheinen, und umgekehrt; bei einer gleichsam in Fleisch und Blut wachsenden Form muß er uns mehr wie ein Dulder vorkommen. In der That haben wir schon einmal im Mörderschlinger oder dem Cipo matador Brasiliens (S. 43) gesehen, wohin eine solche durch Klammern festgekettete Freundschaft führt. Im gewöhnlichen Leben macht man keinen Unterschied zwischen rankenden und schlingenden Gewächsen; wissenschaftlich genommen, weichen beide Formen wesentlich von einander ab. Eine Schlingpflanze macht bei ihrem Aufsteigen eine doppelte Bewegung, eine Drehung um sich und eine Drehung um den Stamm. Die letztere geschieht bald rechts, bald links, mitunter auch, wie beim Bittersüß, nach beiden Richtungen bei verschiedenen Individuen; der ganze Stamm nimmt an dieser Bewegung Theil. Nicht so bei den rankenden Gewächsen. Hier kann die Ranke aus allen Theilen der Pflanze, einem Zweige, der Wurzel, einem Blatte oder einem Blüthenstiele entstehen. Sie macht nur eine Drehung um den Gegenstand, um den sie sich legt und windet sich unregelmäßig bald rechts, bald links. So z. B. die Zaunrebe. Eine dritte Klasse der aussteigenden Gewächse sind die kletternden Pflanzen, solche, welche sich nicht mittelst einer freien Spiraldrehung an dem Mutterstamm emporwinden, sondern durch Kletterwurzeln allmälig in die Höhe steigen. Daher kann man z. B. beim Epheu nicht von einem Winden sprechen; er ist und bleibt ein kletterndes Wesen, das wie ein Tausendfuß mit seinen Wurzeln sich anklammert und emporsteigt. Zu diesen drei Klassen gehören alle jene Gewächse, die wir vorher im Allgemeinen als Lianen bezeichneten. Fassen wir den Begriff aber enger, so sind jedenfalls nur solche darunter zu verstehen, die sich mit ihrem ganzen Stamme spiralig emporwinden. Sie gehören zu den wesentlichsten Elementen des tropischen Urwaldes und werden in der gemäßigten Zone fast nur durch Hopfen und Winden vertreten.


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