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Im Bunde mit ihnen macht sich in der Physiognomie der Urwälder die Moosform geltend. Drei Pflanzenfamilien haben auf diesen Namen Anspruch: die Bärlappe oder Lycopodien, die eigentlichen Laubmoose und die Lebermoose; denn unter den Geschlechtspflanzen wiederholen nur einige wenige wasserbewohnende Gewächse ausnahmsweise den Moostypus, werden aber dadurch aufs Höchste merkwürdig. So einige Podostemeen und die völlig moosartige Udora verticillata aus Nordamerika. Viele der ächten Moose und Bärlappe sind gleichsam Nadelbäume im Kleinen; denn der Tannenbärlapp ( Lycopodium Selago) und die Widerthonmoose ( Polytrichum) würde der Unkundige im unfruchtbaren Zustande leicht mit jungen keimenden Nadelhölzern verwechseln können. Die übrigen weichen von dieser Form immer weiter ab, je verzweigter oder polsterförmiger sie werden, und sind ihr eigener Typus, der sich mit Worten nicht wiedergeben läßt. Die Bärlappe sind die riesige Moosform. Sie werden nicht selten mehre Fuß hoch und theilen sich in zwei sehr natürliche Grundformen. Die eine ( Lycopodium) hat allseits gestellte Blätter, welche den Pflanzen das Ansehen junger Nadelhölzer oder langer, schlanker Thierschwänze geben. Sie ist es auch, welche oft sehr schöne Fruchtähren hervorbringt. Die andere ( Selaginella) hat zweireihig gestellte Blättchen, also flachgedrückte Zweige. Diese Form ist es besonders, welche die höchste Zierde unter den Verzierungspflanzen der Tropen bildet. Ihre zierliche Verzweigung, die Zartheit und Farbenlieblichkeit der Blätter, sowie ihre kriechende, sich anschmiegende oder gern lockere Geflechte bildende Form macht sie geschickt, ihrer Umgebung den Ausdruck außerordentlicher Behaglichkeit und Wohlseins zu verleihen, wie schon unsere Treibhäuser lehren, wo sie wie in der Natur die feuchteste Atmosphäre vorziehen. In unserer Zone, wo die wimperzähnige und helvetische Selaginelle (S. spinulosa und helvetica) die höheren Gebirge bewohnen, gelangen sie, zu vereinzelt, zu keiner Bedeutung im Landschaftsbilde. Wenn aber mit der Höhe des Stengels eine baumartigere Verzweigung beginnt und etwa, wie bei der prachtvollen S. caesia, die Oberfläche der zweiten Blättchen in den reizendsten Schillerfarben prangt, dann gehört die Selaginellenform unbedingt zu den reizendsten Typen im Pflanzenreiche. Wer Gelegenheit hatte, sie in einem Orchideenhause unserer Gärten neben Farren, Orchideen und Aroideen zu sehen, hat eine lebendige Vorstellung davon bekommen, wie sie in der Physiognomie des Urwaldes wirken mag. Sie gehört fast ausschließlich den heißeren Zonen an.
Ihr auffallend nahe verwandt ist die große Abtheilung der beblätterten Lebermoose ( Hepaticae foliosae). Doch erreichen dieselben nur seltener so große Formen, daß sie wie die Selaginellen bestimmend auf das Landschaftsbild einwirken könnten. Eine der schönsten Arten ist die Plagiochila gigantea in Neuseeland (s. Abbild. S. 201). Ihr ähneln, mehr oder minder kleiner oder größer, fast sämmtliche Lebermoose, welche oft, wie es die Flechten pflegen, an Rinden und Blätter angepreßt wuchern. Eine zweite Abtheilung der Lebermoose gleicht den flach aufsitzenden Flechten noch viel mehr. In buchtig ausgeschnittenen Lappen von tiefem, saftigem Grün und meist derber, oft lederartiger Beschaffenheit, liegen die lappenartigen Lebermoose ( Hepaticae frondosae) auf ihrer Unterlage flach und fest. Erst wenn sie ihre wunderbaren Früchte, die bald Hörnchen, bald Sternchen, bald Hütchen, bald zweiklappige Kapseln u. s. w. sind, hervortreiben, fallen sie mehr in das Auge und entzücken den kundigen Beschauer. So die Marchantien, Kegelhütchen ( Fegatella), Laubkelche ( Pellia), das Buchtenlaub ( Symphyogyne),
Sie gehören darum bereits zur Flechtenform, auf die wir unten kommen werden. die Blandowien, Hornmoose ( Anthoceros) u. s. w.
Weit bedeutsamer für die Physiognomie der Landschaft und, wie wir schon bei Betrachtung der Moosdecke (S. 26) sahen, den Naturhaushalt sind die Laubmoose. Gräser, Farren und Moose sind das erquickende Element der Landschaft: bald durch tiefes Grün, bald durch Leichtigkeit und Zierlichkeit des Baues, bald durch massige Gruppirung. Doch fällt die Region der Moose in die gemäßigte und kalte Zone. Darum findet sie der Pflanzenforscher in den Tropenländern wahrhaft gedeihend nur auf höheren Gebirgen wieder. In dem heißen Klima erscheint weder eine zusammenhängende Moosdecke noch eine Wiese. Einige Arten jedoch wuchern auch hier als in ihrer eigentlichen Heimat. So überzieht z. B. ein silberweißes Moos, das Achtwimperchen ( Octoblepharum), in allen heißen Ländern die Stämme der Bäume mit seinen dichten Polstern und hüllt sie in die Farbe des Greisenalters. Grün und weiß sind überhaupt die beiden Farben der Mooswelt; denn bleichende Torfmoose und Weißmoose, zu denen auch das Achtwimperchen gehört, finden sich, wenn auch in der indischen Inselwelt am häufigsten, in allen Zonen. Nur alternde Torfmoose gehen in Violett und Purpur über, einige andere Arten werden gelb oder braun. Das hat jedoch nur Bezug aus die Farbe der Stengeltheile; die übrigen Organe sind oft in die herrlichsten Tinten getaucht. So sticht im äußersten Norden das goldige Schirmmoos ( Splachnum luteum) durch das herrlichste Goldgelb des schirmförmigen Theiles seiner Frucht, das rothe Schirmmoos ( Spl. rubrum) durch den prächtigsten dunkelsten Purpur desselben Organes unter allen Pflanzen des Nordens hervor. Wer die Moose nur flüchtig kennt, ahnt schwerlich die Mannigfaltigkeit, die dieser kleinen Welt innewohnt; denn sie bewahren überall eine solche Gleichheit der Tracht bei aller Verschiedenheit, daß man nie im Zweifel ist, ob man es mit einem Moose zu thun habe oder nicht. Wie die Farren durch den Fruchtbau innig zusammenhängen, so auch die Moose; ihre kleine einfächrige Kapsel macht auch das winzigste mikroskopische Laubmoos sofort kenntlich. In Wahrheit steigen sie bis zu Formen herab, welche nur das bewaffnete Auge zergliedert. Dagegen erzeugt die gemäßigte Zone, besonders des australischen und indischen Inselmeeres, auf deren Gebirgen eine palmenartige Form. Es sind Arten der Gattung Hypnum (Astmoos) und Hypopterygium, deren Stämmchen unverzweigt emporstreben und erst an ihrem Gipfel einen Schopf von beblätterten Aestchen bilden. Diese Form ist so imposant, daß sie selbst einem Laien, wie Gerstäcker, auf den Gebirgen Javas auffiel. Doch sind diese Typen noch lange nicht die riesigsten. Während sie höchstens einige Zoll hoch streben, wird die baumartige Catharinee Chiles über 1-1½ Fuß hoch und fällt darum mit ihrer palmenartigen Gestalt wahrhaft überraschend ins Auge. Eines der größten und herrlichsten Moose der Erde ist Spiridens Reinwardti von den molukkischen Inselgebirgen. Es wird gegen 1 Fuß hoch und bewahrt durchaus die Tracht eines stattlichen Lycopodium. Endlich zeichnet sich noch eine Gruppe unter den Verzierungsformen aus. Es sind die Baumbarte ( Dendropogon). Sie hängen wie lange Flechten in langen Bärten und dicht ineinander verzweigten Geflechten von den Bäumen der heißen Zone herab. Einige andere Arten der Gattung Neckera und Pilotrichum, zu welcher auch die Baumbarte gehören, hängen ihnen nicht selten als wurmförmige Stengel oder bindfadenähnlich, oft ins Goldige spielend, zur Seite. Vor allen aber zeichnet sich unter den hängenden Formen der Typus Phyllogonium aus, der der Tropenwelt, besonders Amerikas, so recht eigenthümlich ist. Er bildet oft fußlange Stengel mit zweireihig gestellten, herrlich glänzenden, goldigbraunen Blättern und gehört zu den schönsten Gebilden der Mooswelt.
Alles das scheint bei so unscheinbaren Gewächsen höchst gleichgültig für die Physiognomien der Landschaft zu sein. Man würde sich außerordentlich täuschen. Gerade die kleinsten Gewächse üben auf den allgemeinen Ausdruck der Landschaft den höchsten Einfluß. Wie viel freudiger erscheint uns ein Wald, dessen Bäume mit freundlichen Moosen bis zum Gipfel bekleidet sind, als ein Wald mit nackten Stämmen! Dort empfangen wir sofort den Eindruck der Fülle, des Behaglichen, hier des Aermlichen. Darum auch erscheint der tropische Urwald dem Auge des Europäers doppelt fremd: er vermißt in auffallender Weise die Moosdecke des Bodens und das Mooskleid der Bäume. Will man sich eines trivialen Gleichnisses bedienen, so kann man mooslose, glattrindige Bäume mit barbierten, bemooste Stämme mit bärtigen Männern vergleichen. Darum erscheint uns ein Eichenstamm von bedeutenderer Größe, aber mit moosloser Rinde weit weniger ehrwürdig, als ein weniger großer mit bemooster Oberfläche. Wir berechnen unbewußt sofort an seinem Mooskleide die Jahrzehnde, die an ihm vorüberrauschten, während sie bei dem Riesenstamme mit nackter Rinde keine Spur zurückgelassen haben. Genau so mit Monumenten. So lange noch nicht Psyche ihre Flügel an ihnen rieb, so lange sich noch keine Moose, Flechten oder Urpflanzen, d. h. grüne oder braune zellige Materie, an der Oberfläche niedergelassen haben, so lange auch machen sie den Eindruck des Neuen, Geschichtslosen. Darum gehören selbst mikroskopische Urpflanzen, welche der Laie kaum ahnt, geschweige sie kennt, wesentlich zum Landschaftsbilde und erhöhen sogar die Wirkung der Kunstwerke. Nicht anders' bei Flechten. So gewinnt z. B. die Edeltanne mit weißem Stamme und angedrückten schwärzlichbraunen Lebermoosen ( Frullania tamarisci) u. a., welche sich in großen Tüpfeln auf dem weißen Stamme ausbreiten, schon von Weitem ein so höchst eigenthümliches Ansehen, daß man sie sofort, ohne die Wipfel zu prüfen, an dieser Erscheinung von den benachbarten Fichten unterscheidet. Ein Eichenstamm mit dem goldfarbigen Anfluge der Lepra flava, einer Flechtenform, zieht unser Auge sofort auf sich und hebt ihn aus der Umgebung mächtig hervor. Das Wohlthuende dieser That beruht auf demselben Gesetze, durch welches überhaupt die Pflanzendecke belebend oder ermüdend auf uns wirkt: uns erfreut der Wechsel und das Individuelle auch in der Natur. Man kann diesen Gesichtspunkt nicht genug hervorheben, um mit Bewußtsein unsere Naturgenüsse zu feiern. Wer sich die Ursachen nicht deutlich macht, durch welche die Natur wohlthätig auf uns wirkt, wird überhaupt nie die Natur verstehen und immer ein Fremdling auf seiner mütterlichen Erde bleiben.