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Der Scitamineen- oder Bananenform, oft durch Blatt und Blüthe ebenso wie durch monokotylischen Bau nahestehend, reiht sich die große und herrliche Welt der Knabenkräuter oder der Orchideen an. Keine Pflanzenfamilie kann sich, wie diese, rühmen, bei ziemlich sich gleich bleibender Stengel- und Blättertracht eine solche Mannigfaltigkeit des seltsamsten Blüthenbaues hervorgebracht zu haben. Die Architektonik der Orchideenblume übertrifft Alles, was die glühendste Phantasie des phantastischsten Künstlers je hervorgebracht. Nur aus sechs Blättern besteht sie; allein durch eine unendliche Abwechslung des Wachsthums, namentlich der Unterlippe, verwandelt sie die Natur in die zauberhaftesten Gestalten. Bald ähnelt sie dem niedlichsten Pantoffel, mit Band und Schleifen, Rubinen, Smaragden, Topasen und andern Kleinodien geschmückt, wie sie lieblicher schwerlich die Mährchenphantasie der Scheherazade ihrem Khalifen vorgemalt haben kann; bald ist sie ein geflügeltes Insekt, je nach der Art in die dunkelsten und brillantesten Farben geschmückt. Es wäre kein Wunder, wenn die Hand des Botanikers zurückbebte, der eben eine prachtvolle Blüthenähre zu pflücken kam und plötzlich eine Aehre prachtvoller Bienen, Fliegen, Heuschrecken und bei einiger Phantasie selbst kleine Frösche, Schlangen- und Ochsenköpfe, Affen, behelmte Ritter u. s. w. vor sich zu haben meint. An einem andern Orte scheint Flora, die lieblich gedachte Göttin der Pflanzenwelt, eine ganze Aehre mit prachtvollen Ampeln, Körbchen, Wiegen, Taschen und dergleichen Nippessachen vom zerbrechlichsten Porzellan bis zum blendendsten Seidenstoffe behängt zu haben. Hier scheinen sich prächtige Kolibris auf einer andern Aehre mit gespreizten Flügeln zu wiegen – und das Auge verwechselte abermals den Prachtbau einer Orchideenblume mit dem brillantfunkelnden Körper eines Vogels. Dort wähnt es ein Vogelpärchen in brünstiger Innigkeit zu erblicken, und es war nur ein Vögelchen, welches, angezogen von Blüthenduft und Blüthenhonig, den Nektar nippt, den ihm die Natur aus dem wundervollsten Kelche kredenzt, wie ihn noch keine künstlerische Phantasie erschuf. In der That würde der Blumenbau der Orchideen, der zugleich mit den seltsamsten Zeichnungen ähnlicher phantastischer Art verbunden ist, mit künstlerischem Takte sinnig angeschaut und im Leben verwerthet, eine Fülle von Modellen für Kelch und Ampel, Leuchter und Riechgefäße u. s. w. liefern, um so mehr, als die Zauberwelt der Orchideen, mit Vorliebe in unsern Treibhäusern gepflegt, bereits eine Fülle von Gestalten unsern Blicken darbietet. Das beste Zeugniß für die phantastische Architektonik und Malerei der Orchideenblume ist, daß der Engländer Bateman aus ihren Gestalten einen ebenso seltsamen Hexentanz im Bilde nach den Ideen der Lady Gray componirte und daß in Südamerika eine Orchidee aus der Gattung Peristeria, welche eine Taube mit ausgebreiteten Flügeln als Zeichnung in ihrer Blume trägt, bei religiösen Feierlichkeiten eine Rolle spielt. (S. die Orchideenform in der Abbildung am Anfange dieses Abschnittes.)
Aber dennoch können die Orchideen wenig zur allgemeinen Physiognomie der Landschaft beitragen. Die meisten flüchten sich in den dichtesten Urwald, um hier die ehrwürdigen Riesenstämme vergangener Jahrhunderte gleichsam wie Zwerge, Kobolde und verzauberte Prinzessinnen zu umspielen. In der vegetabilischen Ornamentik kommen sie dafür aber auch zu ihrer vollsten Bedeutung. Einige wenige von ihnen schlingen sich wie der Epheu rankend an den Bäumen empor. Besitzen dieselben, wie die meisten Vanille-Arten, Blätter, welche meist von fleischiger Beschaffenheit und in das saftigste Grün getaucht sind, dann verleihen sie den Stämmen den Ausdruck üppigster Fülle, die unter seinen Moosen und seiner Rinde zu walten scheint. Sehr seltsam ist die blattlose Vanille ( Vanilla aphylla) Javas; sie klettert nach Zollinger gleich dünnen Tauen an den Bäumen empor und treibt hier und da aus dem Stengel einzelne große rosige Blüthen. Von manchen Arten begreift man überhaupt kaum, wovon sie leben. Schon hier in unsern Treibhäusern genügt ihnen ein Stück Holz mit Rinde, um in feucht und warm gehaltener Luft bald die üppigsten Blumen aus ihren fleischigen Stammtheilen zu zeugen. Am sonderbarsten hierin sind die Luftpflanzen ( Aërides); sie verlangen selbst kaum noch das Stück Holz, das jene fordern, um in der Luft, deren Feuchtigkeit und Gase sie als Nahrung aufnehmen, aufs Ueppigste zu gedeihen.
Der bei weitem größere Theil der baumbewohnenden Orchideen bildet jedoch einen knolligen grünen Stammtheil, d. h. eine dicke, lederartige, flaschenartige Scheide, in welcher die zarten Blätter vor der Einwirkung der Witterung geschützt verborgen liegen und aus dem auch die Blüthen wie aus einem Schreine hervorbrechen. Diese Form ist es vor allen, welche gern an freien Punkten der Laubkrone der höchsten Tropenbäume aufzutreten pflegt. Sie treibt gewöhnlich kurze, fleischige, ovale oder lanzettliche Blätter und nicht selten die prachtvollsten Blumenrispen. Die Arten der Gattungen Stanhopea, Corianthe, Odontoglossum, Lacha, Oncidium, Catasetum, Cyrtochilum, Cycnoches, Caleandra, Maxillaria u. s. w. leuchten hierin voran.
Eine dritte Reihe steht zwischen den beiden vorigen Entwickelungsstufen; sie besitzt keine falschen Knollen (Pseudobulben), wohl aber einen gegliederten, unten schuppig beblätterten stielrunden Stengel und die Blattbildung der vorigen Abtheilung. So z. B. Barkeria spectabilis. Eine vierte Reihe der parasitischen Orchideen bildet den Stengel gar nicht aus, sie gleicht den Aloëarten, z. B. in Epidendrum guttatum. Eine fünfte Reihe bewohnt den Boden. Zu ihr gehören sämmtliche Orchideen unserer Zone. Sie treiben aus einer faserigen oder knolligen, den Salep liefernden Wurzel aufrechtstehende Blumenrispen mit ebenso überraschenden Blüthenbildungen hervor, wie wir sie oben im Allgemeinen bewunderten. Obenan steht der prachtvolle Venusschuh ( Cypripedium Calceolus), mit einer Blume, deren Unterlippe in einen prachtvollen goldgelben schuhförmigen Sack umgewandelt ist, während die übrigen Theile wie purpurbunte Bänder ihn umzieren. Die seltsame Bienenorchis ( Ophrys apifera), die Fliegenorchis ( O. muscifera), die Spinnenorchis ( O. aranifera und fuciflora), der Menschenkopf ( Aceras anthropophora), die Riemenzunge ( Himantoglossum hircinum) u. s. w. tragen ihre Gestaltung bereits in ihren Namen.
Wie aber auch die Orchideen gestaltet sein, wo sie auch auftreten mögen, überall sind sie eine merkwürdige Erscheinung, welche vom äußersten Norden bis zur glühendsten Tropenwelt ein schönes Zeugniß dafür ablegt, daß überall auf unserem Planeten dasselbe gestaltenbildende Gesetz, wenn auch nach den physikalischen Bedingungen jeder Zone verändert, selbst noch unter der lebensärmsten Sonne der hyperboreischen Länder vorhanden sein kann. Von hier aus, von den isländischen und grönländischen Gefilden oder von den höchsten Höhen der Alpen herab bis zu der Aequatorialzone verfolgt der Wanderer in ununterbrochener Gestaltung die Orchideenform gleichsam als den herrlichsten Ausdruck, den herrlichsten Maßstab für das Gestaltungsgesetz jeder Zone, dort in winzigen und einfarbigen Blumen, hier in einer Fülle und Ueppigkeit der Form, wie in einer Pracht der Färbung und einer Intensität des Geruchs, die alle Sinne verwirrt. Mit Bärlappen, Moosen, Farren und Aroideen vereint, bilden die Orchideen in dem heißen feuchten Erdgürtel, wenn sie parasitisch die Bäume bedecken, gleichsam einen Garten im Garten, freilich durch riesige Höhe der Bäume meist nur dem Auge, nicht aber dem Besitze zugänglich. Er hat nicht wenig dazu beigetragen, die Forscherlust Europas außerordentlich zu kräftigen, eine Menge von Reisenden in die fernsten Urwälder, namentlich Mittel- und Südamerikas und der Sundainseln zu locken, die Blumenliebe und somit den Naturdienst des Europäers zu befestigen, überhaupt den Sinn für die Natur zu verbreiten. Das ist das Schönste, was die Orchideenwelt, die sonst so arm an nützlichen Gewächsen, in der Geschichte der Menschheit leistete.