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Asterophyllum equisetiforme.

Zweites Buch.
Geschichte der Pflanzenwelt.


I. Capitel.
Der Schöpfungswechsel.

W Wechsel ist die Seele der Natur. Sterne kommen und schwinden, neue treten an ihre Stelle. Der Tag gibt seinen Platz der Nacht, die Nacht den ihrigen dem Tage. Ruhig überläßt der Frühling seine Stelle dem Sommer, der Sommer dem Herbste, der Herbst dem Winter. Mit dem Wechsel der Jahreszeiten vertauscht auch die Erde ihr Pflanzenkleid. Mit jedem neuen Kreislaufe des Mondes um die Erde verändert es sich, ja es wechselt mit jedem Tage, denn selbst die Blumen halten ihre Stunde ein. Die eine öffnet sich, wenn kaum das Frühroth am Horizonte zittert, die andere in der Morgensonne, die dritte zu Mittag, die vierte zu Abend, die fünfte zu Mitternacht. Selbst der Thierwelt schlägt ihre Stunde. Wenn kaum der Wiesenthau im Strahl der ersten Morgensonne glänzt, erfreut sich der Regenwurm der Liebe. Die Vögel zwitschern. Die Sonne zieht höher und die Lerche jubelt. Die Nacht bricht herein und die Eulen schwirren, der Nachtschmetterling flattert, die Fledermaus schwingt ihre Flügelhäute. Andere Gestalten wechseln auf ähnliche Weise unter dem warmen und heißen Himmelsstriche. Auch der Meeresschooß kennt diesen Wechsel. Zu bestimmten Stunden tauchen Hunderte von Weichthieren auf und ab. Gleich der Pflanzenuhr erscheinen mit der Dämmerung gewisse Pteropoden und Kielfüßler, zarte, durchsichtige Wesen. Aber auch ihnen schlägt bald die Stunde, und wieder tauchen sie unter. Von Stunde zu Stunde wechseln die Arten. Wie die Jahreszeiten mit ihren Blumen wechseln, so besitzt auch die Käferwelt diesen Kreislauf. Beim ersten Erwachen aus dem Winterschlafe herrschen im Februar bei uns die Staphylinen, im März die Laufkäfer, im April die Chrysomelen, im Sommer die Curculionen vor, während im Herbst wieder die Reihe an die Laufkäfer kommt und nun keine Familie das Uebergewicht mehr erreicht. So erscheinen die Generationen der Thiere wie des Menschen und verschwinden. Hier taucht ein Volk aus dem Ocean des Lebens empor, dort sinkt ein anderes hinab. Eine Partei weicht der andern, wie sich die Jahrhunderte folgen. Eine Aufgabe zieht der andern nach, ein Gedanke dem andern in jedem Zeitalter. Der Jugend folgen die Stufen des Alters, wie Wärme mit Kälte wechselt. Wohin wir auch blicken – überall Wechsel! Doch wozu dieser Blick auf das unendliche Wechselleben der Natur? Er sollte uns gewissermaßen die Brücke zu dem großartigsten Wechsel sein, den je die Erde durchlief, zu dem wiederholten Wechsel ihrer Pflanzenformen, einem Wechsel, der uns erst nach den im vorigen Abschnitte gemachten Erfahrungen verständlich wird.

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Sigillaria spinulosa, sehr verjüngt dargestellt.

In der That, die Pflanzendecke der Gegenwart war nicht die erste, welche sich die Erde während ihres Daseins gab. Davon zeugen mit lauter Stimme alle jene organischen Ueberreste, die wir namentlich in Steinkohlen und Braunkohlen wiederfinden. Betrachten wir nur einmal recht aufmerksam die Halden unserer Steinkohlenschachte. Sie werden von unzähligen Stücken grauen Schiefers gebildet, die hin und wieder in eigenthümlichem Glanze erscheinen. Näher besehen, treten uns sogar Pflanzengestalten entgegen, welche gleichsam wie ein Kupferstich auf der Schieferplatte abgedruckt sind. Aber welche Gestalten! Sie haben meist keine Ähnlichkeit mit den Pflanzengestalten, die wir heute auf demselben Terrain neben uns lebend beobachten. Hier dieser rindenartige Abdruck mit den vielen Narben, welche sich in quincuncialer Stellung elegant und sorgsam an einander reihen, ist weit davon entfernt, uns etwas Aehnliches auf den Rinden unserer einheimischen Bäume nachzuweisen. Allenfalls würden die Nadelbäume noch einigermaßen mit ihm zu vergleichen sein, die bekanntlich, wenn ihre Blätter abfallen, Narben, wenigstens an jungen Pflanzen, hinterlassen. Hier dieser zweite Abdruck mit der kätzchenartigen Aehre auf gegliedertem Stengel und dem fadenförmigen Laube gleicht bei einiger Vorstellungskraft noch am besten einem einheimischen Bärlapp, ohne doch die Verwandtschaft täuschend zu machen. Aber rings um uns her gewahren wir auch nicht einmal lebende Bärlappgewächse, durch welche wir eine Vergleichung mit diesen Abdrücken anzustellen vermöchten. Hier diese neue Gestalt (S. 95) erinnert uns zwar durch die gegliederten Stengel und die wirtelförmig gestellten Blättchen an die einheimischen Schachtelhalme ( Equisetum) oder an das Schaftheu, weicht aber durch den Mangel jener Tuten, in welchen bei dem Schachtelhalm Glied für Glied steckt, bedeutend ab, sodaß wir nur gezwungen eine Verwandtschaft zwischen beiden Formen annehmen könnten. Nichts gleicht der Gestalt dieses Abdruckes in unserer Umgebung. Wir müssen gestehen, daß alle diese Kupferstiche der Natur auf eine Pflanzenwelt hindeuten, welche gegenwärtig nicht mehr denselben Boden bewohnt oder vielleicht nirgends mehr vorhanden ist. Womit sollten wir ferner diesen merkwürdigen Abdruck vergleichen, der sich uns hier präsentirt? Quirl- oder wirtelförmig hat auch er seine Blätter um die gegliederten Stengel gestellt, wie Strahlen gehen sie sternförmig von einem gemeinschaftlichen Mittelpunkte nach allen Richtungen; parallel, wie bei den Gräsern, laufen die Adern dieses Laubes vom Grunde bis zur Blattspitze – wir müssen abermals gestehen, daß wir hier zu Lande nichts Aehnliches kennen. (S. Annularia.) Doch soll das nicht immer so sein. Hier diese neue Gestalt ist uns nicht fremd. Wenn nicht Alles trügt, prägt sich in ihr der Charakter eines Farrenkrautes ab, wie ihn auch unsere einheimischen Arten zeigen. Ganz recht; allein eine genaue Untersuchung zeigt uns auch sofort einen sehr auffallenden Unterschied. Offenbar war dieser Farren (s. Pecopteris) eine Art von so auffallender Größe, daß wir die noch heute bei uns lebenden Formen durchaus nicht mit ihm verwechseln können; offenbar haben wir es in ihm mit einem jener baumartigen Farrenkräuter zu thun, wie sie heißere und südlichere Länder noch heute in Menge hervorbringen. Wohin wir auch blicken, überall trifft unser Auge auf Formen, die der Gegenwart entweder völlig fremd oder doch verschieden von ihren verwandten Gestalten sind. Der Schluß liegt mithin nahe, daß wir auch hier von einem Wechsel der Gestalten reden müssen.

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Annularia longifolia.

Wir brauchen in Wahrheit unsere Unsicherheit nicht weiter zu treiben. Was die Forschung bisher erschloß, ist bereits so unumstößlich geworden, daß wir in diesen fremdartigen Gestalten ebenso zu lesen fähig sind, als ob uns die Natur eine Pflanzensammlung aus fernen Zeiten, aus Zeiten, wo noch kein menschliches Auge auf die Landschaft blickte, erhalten habe. Gehen wir zu den Braunkohlen über, so beweisen uns auch sie auf das Unzweifelhafteste ihre pflanzliche Natur. Nicht allein, daß uns hier und da diese Kohlenlager die deutlichsten Hölzer als sogenannte Lignite mit der ganzen Structur des Holzes, mit Rinde und Blättern vorführen; nicht allein, daß wir unter ihnen oft herrlich erhaltene Tannenzapfen und andere Früchte beobachten, zeigt uns selbst das Mikroskop denselben inneren Bau, welchen die Gewächse noch heute besitzen. Wir machen auch diese Probe. Wir zerlegen hier ein fossiles Holzstück aus den Braunkohlenlagern bei Halle. Es zeigt uns den herrlichsten Zellenbau, der dem lebenden Gewächs nur immer eigen ist. Diese querlaufenden Zellen sind die Markstrahlen, die der Länge nach verlaufenden die Längszellen, die Kreise mit ihren Löchern die Tüpfel der Nadelhölzer. In der That, nehmen wir irgend ein Schwefelhölzchen zur Hand und zerlegen wir auch dieses in ebenso feine Schnitte, dann tritt uns hier ein vollkommen ähnlicher Zellenbau entgegen. Wir finden auch hier die Markstrahlen ( c), die Längszellen ( a, b) und die sogenannten Tüpfel ( d) wieder. Da nun das zerlegte Schwefelhölzchen, wie wir wissen, von Nadelholzbäumen stammte, so müssen wir schließen, daß das fossile Holz auf jeden Fall der Familie der Nadelhölzer angehörte. Wir haben uns nicht geirrt. Der Zusammenhang der Tüpfel mit den Nadelholzgewächsen geht noch viel weiter; ihre Zahl und Anordnung in bestimmten Reihen läßt den Beobachter selbst die Gattung der Nadelholzgewächse erschließen. Mit Einem Worte, die Kohlenablagerungen sind Ueberreste wirklicher Pflanzen, die zum Theil mit den noch lebenden verwandt, zum Theil von ihnen verschieden sind. Derselbe Zellenbau, den die lebenden Gewächse im Inneren zeigen, ist auch ihnen eigen und trägt dazu bei, selbst ohne Blatt, Blüthe und Frucht die jetzt als Kohlen vorhandenen Hölzer durch Vergleichung mit den jetztlebenden Pflanzen aufzuklären. So trägt sich der Forscher aus den kleinsten Elementen, selbst aus den winzigsten Zellen das Material zusammen, aus welchem er im Geiste das Landschaftsbild einer verschwundenen Pflanzendecke wiederherstellt. Ohne ihre tiefere Kenntniß würden wir in dem Pflanzenteppich der Gegenwart nur ein Bruchstück der gesammten Pflanzenwelt der Erde kennen. Denn die Pflanzen der Gegenwart und Vergangenheit hängen ebenso innig zusammen, wie wir auf den Schultern unserer Vorfahren stehen.

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Pecopteris arborescens.

Die großartigste Thatsache, welche uns die Geschichte der Pflanzenwelt darbietet, ist die allmälige Entwickelung, welche sie zu durchlaufen hatte, ehe sie zu der gegenwärtigen Gestaltung kam. Sie ist innig mit der Entwickelungsgeschichte der Erdoberfläche verknüpft und nur durch diese verständlich. Kaum war die Feste der Erde geschaffen, so lag auch schon im Boden, Wasser, Luft, Licht und Wärme der Keim organischer Zeugungskraft. Wie sich in einem Glas Wasser, der Sonne ausgesetzt, schon nach kurzer Zeit grüne organische Kügelchen, Pflanzenzellen bilden, wie sie sich an den Wänden des Glases als sogenannte »Priestley'sche Materie« festsetzen: ebenso bildeten sich in der Urzeit die ersten Pflanzengestalten. Nach welchen tieferen Gesetzen das stattfinden mußte, haben wir bereits ausführlich (S. 56 u. f.) kennen gelernt. Die ersten Pflanzen konnten natürlich nur Meerespflanzen sein, da es eine Zeit gab, wo die Gebirge, so klippenreich sie auch bereits gebildet sein mochten, noch unter dem Spiegel des Oceans verborgen lagen. Es waren Tange oder Fucoideen (S. 36 u. f.). Doch nicht für immer sollte das Festland im Schooße des Meeres begraben liegen. Vulkanische Kräfte hoben es allmälig durch die gewaltige Spannung unterirdischer Gase über den Meeresspiegel empor. Jeder Erhebung folgte eine Pflanzenschöpfung auf dem Fuße. Doch konnten die ersten Gewächse der gehobenen Erdoberfläche nur Sumpfpflanzen sein: Moose, welche im Wasser zu leben befähigt sind, wie es noch heute die Torfmoose pflegen, schachtelhalmartige Gewächse, die wir als Calamiten kennen, wasserrosenähnliche Gestalten (Nymphäaceen), welche aus ihrem tief im Wasser versteckten Stamme ihre Blätter und Blüthen zur Oberfläche des Wassers sendeten, wie Göppert wenigstens von der Stigmaria ficoides annimmt, während sie Brongniart zu den Brachsenkräutern (Isoeteen) stellt, vielleicht auch binsenartige Gewächse u. s. w. Immer höher wurde der Boden emporgehoben, und lieblicher, freier entfalteten sich die Gestalten der Pflanzenwelt. Der Boden war, wenn auch nicht überall sumpfig mehr, doch noch feucht genug. Mit dem feuchten Klima des inselartig über den Ocean gehobenen Festlandes Hand in Hand erschienen jetzt Farren, Sigillarien, Nadelbäume u. s. w. Das Pflanzenleben war somit aus dem Wasserleben zum amphibischen übergegangen und endete mit einem Erd- und Luftleben, nachdem die Erde sich dem Wasser völlig entwunden. Zu gleicher Zeit entsprach der jedesmaligen Pflanzenschöpfung eine Thierschöpfung, deren Dasein ja immer durch die Pflanzen bedingt ist. Es gab auch in der allmäligen Thierschöpfung ein Wasser-, Sumpf-, Land- und Luftleben. Daraus folgt natürlich, daß sich auch die Summe der pflanzenfressenden Thierarten nach der Summe der Pflanzenarten richten mußte, da fast jeder Pflanzenfresser auf eine bestimmte Pflanzenart oder Pflanzenfamilie angewiesen ist. Erst auf die Pflanzenfresser (Herbivoren) konnten die Fleischfresser (Carnivoren) folgen, und erst nach diesen durfte der Alles genießende Mensch (Omnivore) erscheinen. So bietet sich uns von der ersten Pflanzenschöpfung an bis zum Menschen herauf eine ununterbrochene Entwickelungskette der organischen Schöpfung dar. So war die Schöpfung der ersten Pflanzenzelle, welche im Meeresschooße, wie noch heute in einem Wasserglase die Priestley'sche Materie, gebildet wurde, der erste große Schritt zur künftigen Schöpfung des Menschen. Von ihr an hat sich immer ein Zusammengesetzteres an ein Einfacheres gekettet, das Größte mußte sich fortwährend auf das Kleinste stützen; ein Zeugniß mehr dafür, daß in der ganzen Natur alles Geschaffene innig und untrennbar in einander hängt, daß die Erde mit allen ihren Geschöpfen ein einiges Ganzes bildet, in welchem jedes seine Lücke ausfüllt, seine Stelle nothwendig besitzt. So hängen aber auch folglich die Pflanzengebiete der Vorwelt eng mit denen der Gegenwart zusammen, um erst gemeinschaftlich ein Ganzes zu bilden.

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Durchschnitt eines lebenden Nadelholzes, der Länge nach gemacht.

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Durchschnitt eines fossilen Holzes aus der Braunkohlenformation, der Länge nach gemacht.

Man hat dasselbe in Perioden, Entwickelungsstufen, Zeitscheiden oder Zeitabschnitte einzutheilen sich genöthigt gesehen und diese an die periodische Ausbildung der Erdoberfläche geknüpft. Sie heißen der Reihe nach die silurische oder Uebergangsperiode, die Steinkohlenperiode, die permische Periode, die Triasperiode, die Juraperiode, die Kreideperiode, die tertiäre Periode, die Diluvialperiode und die Periode der Gegenwart. Eine jede derselben besaß ihre eigentümlichen Gewächse, die der vorhergehenden noch nicht zukamen oder den nachfolgenden wieder fehlen. Das Erste ist begreiflich, weil, wie wir bereits sahen, die Pflanzengestalten allmälig nach einander hervortraten, wie Boden und Klima sich änderten. Das Wiederverschwinden bereits geschaffener Typen ist meist stürmischen Revolutionen zugeschrieben worden; man hat behauptet, daß theils Ueberschwemmungen, theils vulkanische Verheerungen die Geschöpfe jeder Periode vernichtet hätten und auf dem Grabe sämmtlicher Typen eine völlig neue Vegetation hervorgesproßt sei, welche die Fortsetzung der vorigen, also eine immer entwickeltere war. Eine unbefangenere Anschauung darf, glaube ich, weder diese Art der Entwickelung, noch diese Weise des Unterganges annehmen. Eine Anschauung, welche beide Erscheinungen ohne jegliche stürmische Einwirkungen erklärt, wird stets den Vorzug haben. Vermag sie es, die Vergangenheit aus der Gegenwart zu entziffern; zeigt sie, daß die Gesetze der Gegenwart auch in der Vorzeit dieselben waren: dann wird sie unumstößlich genannt werden können, weil sie nichts annimmt, nichts voraussetzt und dem größten Naturgesetze, dem der allmäligen, ruhigen Entwickelung, Rechnung trägt. Ich glaube in der That durch neuere Forschungen dahin gekommen zu sein, das Erscheinen und Verschwinden der vorweltlichen Typen auf eine höchst einfache Weise erklären zu können. Wenn es z. B. nachzuweisen wäre, daß auch die Arten wie die Individuen sterben, dann würde sofort der Untergang aller Pflanzen- und Thierformen damit hinlänglich erklärt sein. In der That ist das in der Gegenwart nachzuweisen. Unser- Landsmann Ferdinand Müller in Neuholland beobachtete daselbst auf eine höchst unzweifelhafte Weise das langsame, aber sichere Aussterben jener merkwürdigen Pflanzenfamilie, die man die Casuarinen genannt und sehr richtig als die Nadelholzvertreter im australischen Inselmeere gedeutet hat (S. 22). Sie sterben an zu hohem Alter aus und hinterlassen keine Nachfolger. Dasselbe habe ich auch in der wunderbaren Familie der Zapfenpalmen oder Palmenfarren (Cycadeen) nachgewiesen. Manche dieser Cycadeen sind erst in der jüngsten geschichtlichen Zeit ausgestorben. Auch das Thierreich zeigt dieselben Erscheinungen. Man kennt reichlich ein Dutzend Arten, welche in der Gegenwart entweder im Aussterben begriffen oder bereits in geschichtlicher Zeit verschwunden sind. Ja selbst der Mensch macht von dieser wunderbaren Regel keine Ausnahme. Die meisten Stämme des australischen Inselmeeres verschwinden fast auf eine wunderbar geheimnißvolle Weise von der Erde, und es scheint sich hier bereits vollständig zu bestätigen, was der Volksmund auf Tahiti spricht, wenn er wehmüthig klagt:

A harce ta fow,
A toro ta farraro,
A now ta tararta.

Der Palmbaum wird wachsen,
Die Koralle sich breiten,
Aber der Mensch untergehn.

Man weiß, daß auch der rothe Mensch, der Indianer, unter übrigens denselben natürlichen Bedingungen, unter denen seine Vorfahren lebten, dahinschwindet. Es scheint dies auf ein allgemeines großartiges Naturgesetz hinzuweisen, welches auch für ganze Reihen von Geschöpfen denselben Wechsel verlangt, wie die Culturgewächse nur durch die Wechselwirthschaft verjüngt und kräftig erhalten werden. Deutete schon die natürliche Wechselwirthschaft der Wälder (S. 89 u. f.) darauf hin, so sehen wir doch auch in ihrem Untergange in der Vorwelt, daß sie selbst dieser großartige Wechsel auf ein und demselben Boden nicht für die Ewigkeit schützt. Wir würden im Stande sein, mit leichter Mühe die schlagendsten Belege in Menge hierfür beibringen zu können. Ich erinnere nur an wenige. Jeder Landwirth weiß, daß die Culturpflanzen trotz aller Wechselwirthschaft allmälig ausarten, wenn sie nicht von Zeit zu Zeit mit andern aus entfernteren Gegenden vertauscht wurden. Das erinnert an die großen Völkerwanderungen, welche die Völker durch gegenseitige Vermischung wieder stärkten und verjüngten. Jeder Viehzüchter weiß es, daß längst gezähmte Thiere von Zeit zu Zeit wieder durch wilde aufgefrischt werden müssen. Ja, die Erfahrung bestätigt nur zu sehr, um noch einmal auf den Menschen zu kommen, daß diejenigen Stämme, welche stets nur in ihrem engen Kreise ihre Heirathen Jahrhunderte lang schlossen, allmälig ebenso ausarteten wie Schafheerden, welche nicht alle 2 bis 5 Jahre ihre Widder wechselten. Im traurigsten Maßstabe hat sich das bei den Nachkommen jener holländischen Colonisten bewährt, welche zuerst das Kap der guten Hoffnung colonisirten. Skropheln, Krebs, Aussatz und andere Hautkrankheiten sind das furchtbare Erbtheil der gegenwärtigen Nachkömmlinge. Die leichteste Contusion, die einfachste Geschwulst artet in der Regel sofort zu furchtbaren Krebskrankheiten aus. Und warum? Weil die Säfte dieser Stämme durch fortgesetzte Vermischung der nächsten Blutsverwandten unter sich selbst allmälig verschlechtert sind. Ganze Herrscherfamilien sind auf diese Weise zu Grunde gegangen. Bekannt ist die allmälige Entartung und der Untergang des Stammes der Bourbonen. Von Ludwig XV. bis zu Heinrich IV. und Maria von Medici zurück, bemerkt Alexandre Dumas, war Heinrich IV. fünfmal der Urgroßvater Ludwig's XV. und Maria von Medici fünfmal dessen Urgroßmutter. Von Philipp III. und Margarethe von Oesterreich zurück war Philipp III. dreimal sein Urgroßvater und Margarethe dreimal seine Urgroßmutter. Unter 32 männlichen und weiblichen Ahnen Ludwig's XV. finden sich 6 aus dem Hause Bourbon, 5 aus dem Hause Medici, 11 aus dem Hause Oesterreich-Habsburg, 3 aus dem Hause Savoyen, 3 aus dem Hause Lothringen, 2 aus dem Hause Baiern, ein Stuart und eine dänische Prinzessin. Genau so bei den Pflanzen; denn soweit Mensch, Thier und Pflanze zu der organischen Schöpfung gehören, soweit auch sind sie in ihren Lebensbedingungen denselben oder ähnlichen Gesetzen unterworfen. Der Untergang organischer Wesen braucht mithin noch gar nicht von den Veränderungen der Erdoberfläche und Klimate, am wenigsten von stürmischen Ursachen hergeleitet zu werden, er erklärt sich aus dem Vorigen klar genug, und so sagen wir hier mit dem englischen Naturforscher Charles Darwin: »Das können wir jetzt mit Sicherheit sagen, daß es sich mit der Art wie mit dem Individuum verhält, die Stunde des Lebens ist abgelaufen und das Lebensziel erreicht.«

Aber es sind nicht sämmtliche Pflanzentypen der Vorwelt untergegangen, einige haben sich noch in die Gegenwart herein gerettet. Auch dieses habe ich näher zu begründen gestrebt und muß es hier um so mehr in wenigen Worten wiederholen, weil hieraus erst die Pflanzendecke der Gegenwart das rechte Licht erhält. Die Erfahrung erleichtert uns unsern Weg durch die triftigsten Beweise. Es gibt unter Anderm eine Menge von Pflanzentypen, von denen mau sagen muß, daß sie unvermittelt neben ihren übrigen Verwandten der Gegenwart dastehen. Ist das der Fall, so deutet das auf eine Lücke, gewissermaßen einen Sprung hin. Doch macht die Natur nirgends Sprünge, wie bereits Linné als Grundgesetz hinstellte; überall fügt sie in Uebergängen eine Gestalt an die andere und stellt hiermit eine ununterbrochene Kette der Entwickelung auch im Gebiete der Gestaltung her. Beobachten wir nun irgendwo eine solche Lücke, so dürfen wir mit Recht schließen, daß, wenn die Verwandten nirgends auf der Erde zu entdecken sind, die Vermittler in der Vorwelt gesucht werden müssen. Es geht daraus aber auch gleichzeitig hervor, daß die gegenwärtig allein stehenden von der Vorwelt der Gegenwart überliefert sein müssen; denn man kann nicht annehmen, daß ein so unvermittelter Typus in der letzten Periode der Schöpfung entstanden sein könne. Wäre die Schöpfungsperiode der Jetztwelt eine eigene, in und für sich abgeschlossene, so dürften wir nach dem Gesetze der Uebergänge mit Grund annehmen, daß auch sie alle ihre Typen in sanfter Vermittelung an einander gereiht haben würde, an einander hätte ketten müssen. Endgültig darf man folglich die in der heutigen Schöpfung unvermittelt stehenden Typen als aus früheren Schöpfungszeiten herstammend betrachten. Damit ist unser oben ausgesprochener Satz zunächst logisch begründet. Unter den mancherlei vereinzelt stehenden Pflanzentypen der Gegenwart nenne ich z. B. die Torfmoose ( Sphagnum). Sie Weichen durch ihre äußere Tracht wie durch ihren inneren Bau so wesentlich von allen übrigen Moosen der Jetztwelt ab, daß sie nur verstanden werden können, wenn man sie aus früheren Schöpfungsperioden herleitet. Ich nenne aber ebenso die Casuarinen, welche, die Ephedra Südeuropas ausgenommen, nur in den Schachtelhalmen der Gegenwart einige Verwandtschaft besitzen. Ich nenne ferner die Balanophoren der heißen Länder, die Cycadeen, mancherlei Zapfenbäume, wie den seltsamen Ginkgo Japans, die Säulencypresse ( Araucaria excelsa oder Cupressus columnaris Forst.) der Neuen Hebriden, den Phyllocladus Neuseelands u. s. w. Es würde hier nichts nützen, die ganze Reihe derjenigen Pflanzentypen aufzuzählen, von denen man annehmen könnte, daß sie höchstwahrscheinlich aus früheren Schöpfungsperioden herstammen. Auch das Thierreich kennt diese Erscheinung. Fast unvermittelt steht die seltsame Familie der Edentaten oder zahnlosen Säugethiere, zu denen das wunderbare Schnabelthier Neuhollands ( Ornithorrhynchus paradoxus) gehört. Das Walroß und Nilpferd, der Pentacrinus der Strahlthiere und viele andere Thiertypen scheinen sich hier anzuschließen. Es folgt also aus dem Ganzen, daß die Pflanzendecke und Thierwelt der Gegenwart und Vergangenheit eine einige, innig zusammenhängende Entwickelungsweise darstellt, daß mithin Thier- und Pflanzenwelt der Jetztwelt das Product aller Schöpfungsperioden der Erde zusammen und nicht einer einzigen ist, welche nach der tertiären Periode erschien.

Diese ganze Untersuchung zeigt uns aber auch unwiderstehlich, daß es eigentlich nie bestimmte, in sich abgeschlossene Schöpfungsperioden gab und geben konnte, daß vielmehr die Zeugung neuer Pflanzentypen unaufhörlich auf einander folgte, bis sie in dem Zeiträume der Gegenwart abgeschlossen war, obschon kein Grund dafür vorhanden ist, den völligen Abschluß aller Schöpfungsperioden für immer anzunehmen. Dieser Zeitraum aber war so ungeheuer ausgedehnt, daß bereits viele frühere Typen wieder ausstarben, während neuere neben ihnen aus der Erde hervorsproßten. Nur zu unserem bessern Anhalte ist es wichtig und rathsam, bestimmte Perioden anzunehmen, weil sie unsere Auffassung unterstützen. Dazu kommt, daß allerdings, wie die Pflanzenablagerungen zeigen, in gewissen Zeiträumen auch ganz gewisse Typen untergingen und genau mit der Ablagerung und Bildung derjenigen Gebirgsmassen zusammenstimmen, welche wir gegenwärtig die sedimentären, d. h. durch Absetzen von Erdschichten erzeugten nennen, wie Kalk, Kreide, Sandstein u. s. w. beweisen.

Wie bildeten sich jedoch die Kohlenlager und die Einschlüsse von Pflanzen in Erdschichten? wird man jetzt fragen. Auch diese neue Frage muß aus den Erscheinungen der Gegenwart gelöst werden. Ich erinnere hier an die Thatsachen, welche wir in der natürlichen Wechselwirthschaft der Wälder kennen lernten. In den Mooren des Brockengebirges, Dänemarks, Englands u. s. w. finden wir noch heute eine Menge von Einschlüssen früher daselbst gewachsener Bäume, welche gegenwärtig von Nadelhölzern verdrängt sind. Nehmen wir nun an, daß auch in der Vorzeit eine ähnliche Wechselwirthschaft stattfand und bei langer Wiederholung die Typen allmälig ausstarben, so kommen wir auf folgende Ansicht. Die größte Masse der Kohlenlager ist aus Torflagern entstanden und zwar diejenige, welche fast structurlos nur eine einzige gleichmäßige Masse zu bilden scheint. Gleichzeitig aber blieb in diesen Mooren noch mancher Strunk und mancher andere Pflanzenrest übrig, welcher, durch die Salze des Moores erhalten, der Gegenwart überliefert wurde. Dasselbe konnte auch auf eine andere Weise erreicht werden, wenn nämlich Pflanzentheile in die eben sich bildenden sedimentären Ablagerungen der Erdschichten geriethen, hier eingebettet und gleichsam wie in Gyps abgedrückt wurden. Während ihre Pflanzensubstanz verweste, verkohlte, blieb der Abdruck nichtsdestoweniger übrig. Göppert hat bekanntlich auf diese Weise künstliche Pflanzenabdrücke zuerst gefertigt und Jeder kann sie leicht wiederholen. Daß sich nun über die Grabstätten Tausender vertorfter und verkohlter Pflanzen mächtige Gebirgsschichten ausbreiteten und durch ihre Schwere dazu beitrugen, die eingebetteten Pflanzenreste glatt zu drücken, ist am leichtesten verständlich. Denn es bilden sich überall noch heute ähnliche Ablagerungen, sei es durch Gewässer, welche durch ihren Uebertritt meilenweite Ueberschwemmungen und hierdurch ein Absetzen von Schlamm bewirken, wie der Nil beweist, sei es durch Winde, welche den Staub nach allen Richtungen führen und ihn im Laufe von Millionen Jahren zu ansehnlichen Lagern häuften, sei es durch die Thätigkeit von Thieren und Pflanzen, welche Kalk, Dolomit u. s. w. durch Zersetzung der Salze des Wassers aus diesem abschieden. Man weiß, daß in manchen Gegenden wahrscheinlich noch in geschichtlicher Zeit ganze Wälder verschwanden, wenn sie vom Meere bedeckt wurden oder durch eine Versumpfung des Bodens, folglich durch eine fortschreitende Vertorfung ihr Leben verloren und nun begraben wurden, wie man das namentlich in England nicht selten beobachtet hat. Man weiß auch, daß z. B. in Nordafrika ebenso ganze Wälder untergingen, indem ihr Leben wahrscheinlich durch ein unaufhaltsames Vordringen vom Flugsand der Wüste verkürzt wurde. Die oberirdischen Theile mögen theilweis verwest und zerstreut sein, die unterirdischen und unteren Stammpartien blieben dagegen erhalten und verkieselten allmälig. Irre ich nicht, so findet sich ein solcher verkieselter Palmenwald noch heute in der Nähe von Cairo.

Blicken wir auf das Ganze zurück, so liegt die Flora der Vor- und Jetztwelt als ein einiges Ganzes vor uns. Dieselben Ursachen, durch welche noch heute Typen und Wälder untergehen, dieselben Ursachen, durch welche sie noch heute erhalten werden, waren im Laufe des unendlich langen Zeitraumes thätig, den die Entwickelungsgeschichte der Erde vom Beginn der organischen Schöpfung bis heute zurückzulegen hatte. Wo die Pflanzen verkohlt gefunden werden, da wuchsen sie, wenn sie auch dann und wann und hier und da durch örtliche Ursachen, Fluthen und Winde, an andere Stellen geführt worden sein mochten. So erklärt sich aller Wechsel des Pflanzenkleides der Erde einfach und ungezwungen. Wie er aber näher stattfand, versuchen wir an der Hand unserer gegenwärtigen geologischen Bildung in Folgendem uns deutlich zu machen, indem wir nun auch die geologischen Perioden, so künstlich sie auch immer abgegrenzt sein mögen, durchwandern. Es gilt, uns die Landschaftsbilder der Vorwelt im Geiste aus den Mosaiksteinchen der Halden mit ihren Pflanzenabdrücken und aus den vielfachen Ablagerungen und Einschlüssen unserer Kohlenbecken wieder aufzubauen, soweit es das Ruinenartige dieser Ueberreste gestattet. Wir nehmen zu unserer Beruhigung die Ueberzeugung mit auf den Weg, daß es in der Vorwelt ungefähr so aussah, als ob wir heute eine Reise aus einer Zone in die andere machten. Weder waren die Gestalten riesiger, noch seltsamer. Wenn die untergegangenen Urwälder heute plötzlich durch eine magische Kraft wieder vor unserem Auge lebend emportauchten, der Pflanzenforscher würde nicht einen Augenblick zweifelhaft sein, ihre Gewächstypen zu entziffern und mit ihnen Lücken auszufüllen, welche die Pflanzenwelt der Gegenwart darbietet. Das ist geeignet, das Grauen zu mildern, welches den Wanderer so leicht befällt, wenn er in fremden Wildnissen herumirrt oder sich in dem geheimnißvollen Dunkel der Vorzeit verliert, wo jeder Schritt die leicht erregte Phantasie ins Reich des Wunderbaren und Fabelhaften zu führen droht. Das ist ja der göttliche Endzweck der Wissenschaft, daß sie uns heimisch zu machen sucht, wo wir Fremdlinge zu sein schienen.


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