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Während ich diese Blätter schreibe, fährt die Gewalt eines unwiderstehlichen Herbststurms über das norddeutsche Flachland. Das stößt an unsere Thüringer Berge, das rüttelt an unsern Schieferwänden, blättert den tosenden Forst auf, stäubt das vergilbte Laub wie eine Goldsaat über das erschrockene Land.
Ich betrachte erstaunt diesen immer wieder neuen Verwandlungsvorgang. In weit ausholenden Bogen die Luft durchschneidend, bewegt sich schwerfällig-wuchtig die Wipfelmasse der Fichten, die mit dem Sturm kämpft. Das Ächzen und Brüllen dieser riesigen Schuppenleiber von Helden, die da um den Berg stehen, ist ergreifend. Im Todeskampf reißen sie Felsen aus.
Besonders häufig fallen in solchen Stürmen die Rottannen; sie besitzen keine stämmige Pfahlwurzel, wie etwa die Kiefern. Ihre Wurzelfüße laufen weit über den Berg hin und suchen unmittelbar unter Moos und Nadeldecke Wasser für den Baum, dem sie dienen. Und doch sind das die rechten Sturmsöhne, höhenliebend, wipfelzerzaust; sie halten sich an umklammerten Felsen fest. Oft freilich auch brechen sie an mürben Stellen mannshoch glatt ab, wie man eine Gerte bricht. Ich sehe eine solche sturmzerbrochene Fichte liegen: ihre Krone krachte beim Sturz noch einmal auseinander und flog ein Stück weiter den Berg hinunter, Stämmchen einer Schonung zerschmetternd.
Der außerordentlichen Wucht dieses Wetters widersteht nicht Busch noch Baum. Wir Menschen, geübt, so erhabene Vorgänge des Werdens und Vergehens symbolisch zu fassen und das Göttliche »nur im Abglanz, im Beispiel, Symbol, als unbegreifliches Leben, in einzelnen und verwandten Erscheinungen« (Goethe) zu ahnen, jenseits aller Worte zu erleben und das Erlebte armselig in unsrer Sprache wiederzugeben – wir stehen dem Vorgang des Untergehens ins Unbegreifliche ebenso staunend gegenüber wie der Tatsache des Auftauchens aus dem Unbegreiflichen.
Ringsherum Grenzen unseres Erkennens! Eingekapselt sind wir in die Schale unserer fünf Sinne, eingekapselt in Raum und Zeit.
So wandern wir auf einer Scheibe, die auf endlosem und unzugänglichem Meere schwimmt: – wenn rundherum der Rand umwandert ist, so kehren wir an den Ausgangspunkt zurück. Das Rätsel ist ungelöst. Kein Nachen führt hinüber.
Diese Unlösbarkeit – und in der Moral: diese Unerfüllbarkeit – muß ein erschütternd, ein Willen brechend Erlebnis geworden sein. Dann werden wir still. Und im Stillesein verfeinern sich unsre Sinne und vertieft sich unsere Seele. Und eine neue Heiterkeit kehrt zurück; und ein unerschütterlich Allvertrauen wächst.
So kommt auf Pfaden des Gefühls eine neue Kraft: ein kindlich-tiefer Glauben.
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In grauem, schwerem Herbstnebel sind wir vor kurzem den Rennstieg entlang gezogen, von Ruhla bis Oberhof.
Zu Ruhla wurden wir von Schmiedeklängen geweckt, aus unmittelbarer Nähe des Gasthofs. »Landgraf, werde hart!« Es waren kurze, helle Schläge; sie hatten bei dem dicken Nebel, der auf den traulichen Gassen stand, keine Schallweite.
Wir wanderten dann durch den Luthergrund ins Steinbachtal. Der Nebel stand greifbar zwischen den Bäumen. Ein unsichtbar Wiesenwasser floß unter seinen welken Blättern den Luthergrund hinab. Hier haben sie Luther gefangen und nach der Wartburg gebracht, an einem Samstagabend im Mai 1521. Es ist rund umher eine harte, trotzige Stille.
»Landgraf, werde hart!«
Wir zogen von Steinbach bergauf, an Rudeln von Wild vorüber, nach dem Rennstieg. In jenen hohen, nebeldurchrauchten Waldungen, auf nassen Grasbüscheln, zwischen triefenden Himbeerhecken, begegnete uns auf tagelanger Wanderung keine Menschenseele.
Und immer: »Landgraf, werde hart!« Das Wort und der Schmiedeklang kamen mir nicht aus dem Ohr.
Das Wort ist an einen Mann gerichtet, der zu weich war gegen Freunde. Der Landgraf machte eine jener visionären Nächte durch, die wir alle einmal kennen lernen: eine Nacht der Umwertung und des Einblicks in die Wesenheit der Menschen. Ein qualvolles Aufgeben von bisher Geliebtem; eine Art Vortod. Am Morgen hatte der Keim zu einem neuen Menschen die Hülle gesprengt.
Diese Frage steht noch heute neben mir, wie damals in der Kammerberger Gartenhütte. Es ist eine ernste Gestalt mit tiefen, mahnenden Augen. Aber sie ist blasser geworden, sie ward nun eine durchsichtige Lichtgestalt, durch die ich hindurchsehe in die ruhige Wirklichkeit der Dinge.
Denn nähm' ich gleich Flügel der Morgenröte, ich erflöge mir weder Erdenglück noch die Gottheit. Der Kampf zwischen Herz und Welt, zwischen Innen und Außen, zwischen einsamem Gottsuchen und geselliger Erdenliebe, zwischen Einheit und Vielheit – ich maße mir nicht an, ihn zu lösen.
Aber ich glaube ihn erkannt zu haben. Ich habe ihn erlebt und an anderen beobachtet. Und durch diese Klarheit ist ihm der Stachel genommen. Ich weiß auch jetzt zwar nicht, was die Welt im letzten Grunde »ist«; ich fühle nur, wie ich mich halten muß, um ihre Einwirkungen förderlich umzugestalten. Dazu muß ich Einkehr halten. Anders kann ich mich in diesem furchtbaren und wohltätigen Wechselspiel nicht behaupten.
Auch Fernfahrt ist wichtig; aber sie ist mir nur ein Mittel zur Einkehr. Einkehr ist Heimkehr. Heimat aber ist mein innerstes Selbst: der Gottesgeist.
So bin ich wie eine Biene, die alle Buntheit der Blumenwelt liebt und aufsucht, aber um sich Honig und Wachs daraus zu holen. Sie baut mit dem nützlichen Wachs ihre Zelle, mit dem süßen Honig ihren Leib. Bienen sind fliegende Blumen. Sie nehmen den Gehalt der Blumen in sich auf und bauen ihr eigenes Wesen damit.
So sind wir vergeistigte Natur: wir nähren uns von den Dingen der Sichtbarkeit und verwandeln sie in Gedanken, Empfindungen, Entschlüsse – in Unsichtbares. So kann jeder Mensch, wie die Biene, ein Künstler der Tat und ein Dichter des Lebens sein. So können die Raubtierinstinkte in uns zum Friedlichen geleitet werden. Dies Einheimsen und Verwandeln – auch der Schmerzen – schafft Kultur.
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Kunstwerke sind widergespiegelte Zustände des Geistes. Aber auch das Objekt – die sichtbare Schöpfung – ist ein widergespiegelter Zustand des Schöpfers. Deine persönlichen Zustände (Subjekt) und des Schöpfers Zustände (Objekt) in Einklang zu bringen: das ist das Problem des Lebens und der Kunst. Erst wenn seelisches Erlebnis und sinnliche Beobachtung zusammenwirken, entsteht ein Ganzes.
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Ich spreche viel von Innen, im Gegensatz zur Außenwelt: – »wo« ist denn dies Innen? In unserem Körper? In unserem Gehirn? Christus sagt: Das Reich Gottes ist inwendig »in euch« – was meint er damit? Stand er nicht gleichwohl oft und sprach mit dem »Vater in den Himmeln«, sprach also »empor« und »hinaus«, scheinbar also von sich hinweg?
Wie vereinigt sich das?
Der Himmel ist kein Raum. Denn der Geist kennt keinen Raum. »Himmel« und »Hölle« sind seelische Zustände. Wir sagen zwar: »in mir« ist ein Zustand, eine Unruhe, eine Ruhe – aber wir meinen mit dem »in« nur einen Gegensatz unseres Ich zur Umwelt. Das »in« ist ebensogut »an« oder »um«; es ist nicht räumlich zu verstehen, es bedeutet nur eine Abgeschlossenheit unseres Zustandes, der sich vermöge einer eingeborenen Kraft trennen kann von der Umwelt.
Darum fragen wir nicht: » Wo ist das Reich Gottes?«, denn es liegt nicht da noch dort. Wir richten unser Augenmerk darauf: » Wie tret' ich in den Zustand des Reiches Gottes ein?«
Ruhig werden und stillhalten! Damit der göttliche Wind durch unsere reingestimmten Saiten hindurchharfen kann. Wir machen nicht die großen Gedanken noch das reine Herz: sie wachsen. Sie kommen aus unbekannten Fernen, sie sind Geschenk. Wie lange rang Odysseus um Ithaka! Und schlafend ward er endlich von den Phäaken ans Land getragen.
So ist Einkehr eine Heimkehr in den alles erschaffenden und erhaltenden Geist. Hellseher ziehen sich in Tiefschlaf zurück und schrumpfen in sich hinein: aber um nun mit viel feineren Organen erst recht schauen und erst recht »aus sich heraus« treten zu können. So geht der Atem des Kosmos ein und aus: ein in die Einheit der Gottheit, aus in die Vielheit der Welt. Es ist derselbe Atem.
In solchem Sinne zeigt sich der Meister in der Beschränkung. Goethes »Beschränkung« ist das, was ich hier Einkehr nenne. Ein Entsagen, um zu beherrschen. Wodan hat an Mimirs Quell sein Auge geopfert, um Erkenntnis und mit der Erkenntnis wahre Herrschaft damit zu bezahlen.
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Einst kehrte Wodan, der Himmelsgott, als schlichter »Wanderer«, in Sturmhut und blauem Mantel, in die Hütten ein. Unsere Ahnen waren nicht erschrocken über so hohen Geisterbesuch; sie gaben ihm die Hand, grüßten und bewirteten den Gast.
Die Zeit der Götterbesuche ist vorüber. Aber ein hoher Gott wohnt in jedem von uns. Aus manchem leuchtet er stark und gut unter schlechtem Gewand hervor. Streck ihm erkennend die Hand hin! »Tritt ein, hoher Geist, tritt ein, mein Bruder!« Denn es ist Wodan, der neun windbewegte Nächte am Baum hing, unter bitteren Schmerzen Runen lesend, der im Ringen nach Einsicht sein Auge verlor, Wodan, der so gut wie du weiß, was Schmerz ist.
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Die Meister der Urzeit
Standen auf ihren stillen Gebirgen,
Angestrahlt von der Kraft vertrauter Gestirne.
Den mächtigen, kahlen Patriarchenkopf
Umrandete wie ein Reif das innere Licht,
Das Antwort gab dem andren Lichte der Sterne.
Unhörbar, aus ihrer Urgefühle keuscher Kraft,
Sprachen die Großen empor in die Nacht,
Sprachen die Großen zu Gott:
»Dein ist der Segen reifender Saaten,
Dein die Herde und dein die hangende Frucht;
Dein des Tags verzehrende Sonne
Und die tröstlich darüberfallende Nacht.
Doch unser ist die köstlichste Kraft,
Die du gabst in Fülle der Gnaden:
Unser der Kampf mit diesen Gebirgen,
Mit diesen Gewässern und diesen Wüsten –
Und unser ist der
heilige Schmerz.
Denn dein Bote vom Himmel, der heilige Schmerz,
Nicht will er, daß wir erliegen den Lüsten
Des Sterns, auf den du uns ausgesandt:
Drum stachelt er uns, umfliegt den Erwählten
Und ruht nicht, bis wir dir opfern
Die leuchtende Träne:
Diese trägt er empor auf goldner Schale
Zu dir, von dem sie stammt –
Wie alles glühende Licht von dir stammt –
Und du nimmst sie an, ein reinstes Opfer,
Und segnest das tränengeweihte Werk.«
So beteten auf ihren Gebirgen
Die Meister der Urzeit.
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Prometheus hängt gefesselt am felsigen Kaukasus, angebunden von der bitteren Notwendigkeit: von »Kraft« und »Gewalt«. Ihn zerhackt der Geier des Schmerzes, der Raubvogel des Hasses.
So hängt die gottheitferne Menschheit am verfinsterten Planeten Erde. Prometheus-Menschheit wartet auf seinen Befreier, den Göttersohn – nein doch: den Menschensohn, den wahren Menschen, der seine eingeborene göttliche Kraft zu handhaben weiß wie Herakles seinen Bogen. Einen Pfeil der Liebe sendet der Ankömmling aus – und die Eisesfirn des Hasses schmilzt. Die Ketten der Verzauberung fallen ab, die Kerkerwand wird voll Rosen des Lebens.
Herakles heißt dieser erweckende Menschensohn. Oder Siegfried heißt er oder Parzival oder auch schlechthin »Königssohn«, der Dornröschens schlummernd Schloß von Erstarrung löst und zum Blühen bringt.
Dieser Mythus ist ein gewaltig Symbol, hingemalt auf eine weithin sichtbare Wand. Du bist der Prinz! Du bist der Prinz, sobald das Königliche in dir sich aufmacht und die schmachvolle Fesselung sprengt.
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Herbstfrieden breitet seinen Glanz über die beruhigte Welt. Manchmal löst sich hier oben ein Blatt, rein, ruhig, und legt sich hellgelb auf einen dunkelgrünen Tannenbusch.
Unten aber, aus einem Hausdach am Fuße des Berges, dreht sich leicht und leise der Rauch empor, ein feiner, durchsichtiger Duft von zartem Blau. So lösen sich Gedanken aus einem reinen Geiste. Das kräuselt sich und verweilt, das hat keine Eile, denn die ganze weite Welt steht ihm offen, der ganze tiefklare Himmel.
Auch aus manchen Kaminen des nächsten Dörfchens erhebt sich dieser feine Rauch. Aber er verdeckt nicht die Landschaft; er überschleiert das milde Rot der Laubwälder, er bringt eine bläulichviolette Färbung in dies tief entzückende Landschaftsgebilde.
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Vor einigen Birken steht eine Eberesche mit ihren grellroten Früchten; sie steht unbeweglich unter dem dahinter glimmenden Abendrot.
Dieser Baum ist ein Vorbild. Er trinkt in grader, aufrechter Haltung stolz und still die Abendruhe in sich ein. Nicht das kleinste dieser gezackten Blättchen bewegt sich eigenwillig. Sie gehorchen den Gesetzen der um den Erdball strömenden Luft. Sie handeln nicht: sie sind. »Gemeine Naturen zahlen mit dem, was sie tun: edle mit dem, was sie sind.« Aber aus edlem Sein quillt dann ein einheitlich-ruhig Handeln. Es ist Plastik in solchen Menschen.
Dieser Baum steht für sich allein und ist doch verbunden mit der Erde durch Stamm und Wurzeln, mit der Sonne durch die vermittelnde Luft. Er steht an festem Standort – und gehorcht doch kosmischen Gesetzen.
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Leiszitternde Birken, hat euch der Herbst geküßt?
Es rinnt ein Beben schlanke Stengel entlang …
Windstill der Hang …
Ihr ahnt, daß ihr in Bälde sterben müßt.
Sterben? Doch sterbt ihr schön und unvergrollt:
Ihr habt verwandelt, was euch der Frühling gab,
In zierlich Gold –
Das streut ihr lächelnd nun aufs eigne Grab.
* * *
Plastisch wie jener Baum stehen große Gestalten in der Weltliteratur – Prometheus, Parzival, Odysseus, der Waldschmied Wieland und viele andere. Ist es »Rückschau«, wenn wir sie achtend lieben?
Es ist nicht Rückschau: es ist Einschau. Diese Gestalten sind Symbole für etwas, das in uns lebt oder leben will. Die Welt, in der sie weilen, ist Seelenland. Sie sind nicht Raum noch Zeit: sie sind festgewordene seelische Zustände.
Der gewöhnliche Betrachter dringt durch das historische oder mythische Gewand nicht hindurch. Für ihn sind Namen, Kostüme, Ereignisse, Anekdoten das Wesen der Weltgeschichte; die Geheimlehre darin erschaut er nicht. Diese aber ist ewig. Sie ist immer wieder zu übersetzen in die wechselnden Sprachen und Formen das ist unser schweres und schönes Amt.
* * *
Lang schon bau' ich an der Wasgaukante
Mir ein Luftschloß, abendüberglüht,
Auch für dich, du immer Unbekannte.
Manches Glück, das mir am Weg geblüht,
Ließ ich weinend: – etwas in mir nannte
Solches Glück vermessen und verfrüht.
Niemals fand ich Zeit zum Glücklichsein.
In mir bitten Stimmen und Gestalten:
»Hilf uns in den lichten Tagesschein!«
Bis mein Werk an diesen Nachtgestalten
Ausgetan, will ich im Blachfeld halten – –
Dann zieh' ich ins hohe Lichtschloß ein.
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Der Gedanke der Opferung und Entsagung – ein hoher und ernster Gedanke. Er ist religiöser Herkunft und wird bestätigt durch die Naturwissenschaft. Kein Werden ohne Raumverdrängung; kein Entstehen ohne Vergehen. Tod und Trennung sind Notwendigkeiten, sind Entwicklungen. Die heitere, freie Jungfrau wird Gattin und Mutter, übernimmt Lasten und Schmerzen: ein Neues soll entstehen, daher die Notwendigkeit des Opfers. Und die Fortgabe der Tochter an den Gatten – eine zweite Geburt und Trennung für die alternde, entsagende Mutter. Doch wieder ein Gewinn in anderem Sinne. Sie macht die Welt bunter und reicher.
Um Geistiges zu gewinnen, entsagst du Sinnlichem und bezahlst mit körperlicher Kraft. Niemand kann zwei Herren dienen: etwas in Besitz nehmen, heißt ihm Kraft und Augenmerk zuwenden, heißt seine seelische Kraft und Liebe darauf sammeln, heißt in dieser bewußten Beschränkung Meister werden. Das andere wird mehr oder minder Opfer.
Hier liegt die Tragik menschlicher Begrenztheit. Auch zwischen Mensch und Menschen: die Tragik des Auseinanderwachsens …
Ich stand unter solchen Gedanken an Corona Schröters Grab in Ilmenau. Sie vielleicht wäre die berufene Gattin des großen Dichters gewesen. Aber sie war seelisch weniger mächtig als Frau von Stein; sie wurde Opfer und starb abseits. So liegen manche Opfer am Wege der menschlichen Kultur …
Und doch – – gibt es denn ein Vergessen des Wertvollen oder Bedeutenden, das man je mit ganzem Herzen durchlebt hat? Das man je in seinem Empfinden wahrhaft verarbeitet hat?
Geht das Aufgenommene nicht neue Verbindungen ein? Lebt es nicht unvertilgbar in seinen Wirkungen?
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Treue – – schwerwiegend Wort! Schwerer wiegend als das holde Wort Liebe …
Treue ist eine feine Sammlungskraft, eine zähe Behaltungskraft – eine Form der schönsten Tugend: der Dankbarkeit. Treue zum Ideal, Treue zum Licht in uns und in andren; Dankbarkeit gegenüber allem, was uns Anlaß gab zur inneren Verarbeitung. Dann erst erhält Liebe höheren Wert, wenn Treue zwei Menschen adelt. Erst dann verlieren sich zwei Menschen, wenn sie nicht mehr dem einst gemeinsamen Ideal Treue halten. Treue zum Ideal – das einigt. Nicht der sinnenhafte Besitz.
Aber das Ideal nimmt hienieden mancherlei Formen an. Auch hier kann Tragik liegen. Doch nicht für freie und große Herzen. Mannigfaltigkeit ist Reichtum und trennt nicht, sondern belebt und erfreut, sofern nur der Urgrund bedeutend durch alle Formen hindurchschimmert und die Gemeinsamkeit der Seelen bestätigt.
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Ich besitze dich doch,
Du mein inneres Glück,
Mein Bergschloß du, mein Königtum,
Ich besitze dich doch!
Stark steht und stolz mein Wald.
Nachtwind schmiedet in Schlägen der Kraft
Den Mondstrahl hart,
Der unter zitternden Tannen
Auf dem Felsenamboß liegt.
In großen Melodien läuft der Wind
Über die ungeheure Einsamkeit
Des Thüringer Waldes.
Und vom Weltall her,
Orgelgewaltig,
Strömt herab und bewußt in mich ein
Die schwellende, wachsende,
Voll mich durchschauernde Liebe der Gottheit!
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Auf den Feldern eines zukünftigen Landes sehe ich Männer schaffen – Gesichter voll Kraft und Anmut.
Unter erhabenen Platanen wandeln Greise: leuchtend ihre Bärte, ihre Augen Glut der inneren Weisheit; ihr Mund voll edler Gespräche.
Und zwischen die weißgewandigen Greise kommen Kinder gelaufen und lassen sich segnen. Sie lachen hell und vielfältig in die ruhigen Stimmen der Alten; sie strecken die Händchen empor zu herabgebeugten Weißbärten. Sie küssen die welken Finger und flattern wieder dahin, aus dem Schatten hinaus auf die weiten, lichtweißen Auen …
Dort schlingen Jungfrauen den Reigen – ein farbig Gewirr. Und Frauen sitzen lächelnd am Rain und nähren ihre Kinder.
Da donnern auf ungesattelten Rossen Jünglinge vorüber in die Gluten des Abends, mit wehendem Haar über wehenden Mähnen. Rufe zücken herüber, feuerhell; Heilrufe der winkenden Jungfrauen grüßen zurück. Es ist Friede in diesem Stimmenklang, es ist Kraft darin. Und in diesem ganzen Lebensspiel ist ein schönes Vertrauen. Nichts Unreines entstellt das klare Land …
Du Land der Liebe, wo bist du? Du Land des schönen Vertrauens, wo dürfen wir dich suchen? Insel der wahren Menschen, auf welchen fernen Wassern haben wir dich verloren?
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Das Problem einer edlen Lebensgemeinschaft ist das Problem des Erdballs. Dies große, schlichte, warme Sichverstehen ist geweissagt mit dem alten Wort: »Ein Hirt und eine Herde«.
Dann wird die Menschheit ein gesundes und klares, von üblen Dünsten gereinigtes Miteinander bilden, kein Widereinander. Sie wird ein Kosmos sein, kein Chaos. Der Strom der Gottheit wird dann unverdüstert durch die Adern des Menschheitskörpers hindurchrinnen. Der Stern Erde wird heller strahlen, denn er ist gesund und rein.
Noch ist dies ein »unsichtbares« Land. Doch lebt es in uns als himmlische Ahnung, die einst sichtbare Tatsache werden soll. Es lebt in Menschen voll Poesie und Religion; es wird durch ihr Leben und Wirken Gewißheit.
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Der Himmel brennt, während ich dies schreibe, unter herbstlichen Abendwolken, die in energischem Stahlblau herüberschimmern über dem düsteren Rot. In abenteuerlichen Formen ziehen die angeglühten Wolken. Ein kühler Wind streicht aus dem Tal empor um die Burg; es ist fröstelnder Abend, und ich bin sehr allein.
Über mancher Seele ist von Kindheit an eine unmerkliche Trauer. Der Grund davon reicht vielleicht in vorgeburtliche Tiefen hinab. Es ist mir, als hätte ich einst, etwa in rohen Raubritterzeiten, vielen Wehrlosen weh getan. Und diese Gestalten schleichen nun schattenhaft neben mir her durch die kummervolle Nacht.
Animal metaphysicum – es ist in uns Menschen ein jenseitiges Geschöpf, das seine Gesetze jenseits der Physik aus höheren Sphären holt. Wehtun stimmt nicht zu unserem Beruf. Es ist unser erhabenes Vorrecht, Unrecht zu leiden und Gutes zu tun …
Ungeheure Größe ist in dieser Herbstnacht. Unter mir ein städtischer Lichterabend; drüben am Himmel ein blasses Gelb, von oben her der wachsende Mond; und dazwischen die bedeutenden und seltsamen Wolkengebilde, jetzt blauschwarz. Das Schicksal geht mit leise rauschender Schleppe durch den großen, stummen Wald und schleift den toten Sommer mit.
Der Gedanke schweigt. Er löst sich auf in erhabene Schönheit.