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Diese Skizze ist eine Vorstudie zu meinem Drama » Die heilige Elisabeth«, das am 21. Oktober 1905 im Weimarer Hoftheater zum erstenmal aufgeführt wurde.
Es gibt eine welterobernde Genialität des Hasses und des rauhen Schlachtenschlagens. Sie fällt gemeinhin als eigentliche Genialität auf, denn sie ist mit viel Lärm und Unruhe verbunden.
Aber in der heiligen Elisabeth offenbarte sich ein stilleres und darum doch nicht minder königliches Genie: Genialität des Liebens und persönlichen Weltentsagens.
Von der ersteren Art war der völlig über den Religionen stehende, glänzend-vorurteilslose, herzenskalte Weltverächter Friedrich II., der Hohenstaufe, der mit seinem Sarazenenhof in Palermo thronte. Und als seine Zeitgenossin entfaltete sich nun diese seelenvolle, von Güte überfließende Landgräfin im Herzen Deutschlands, betend in allem, was sie tat und sprach, angefüllt mit einer Musik aus höheren Welten, in Visionen mit Christus sprechend.
Welch ein Gegensatz! Kaiser Friedrich stand 1232 an ihrem Sarkophage. Er nahm seine Krone ab und legte sie der Toten zu Häupten. Der geistesgewaltige Kaiser erklärte die herzensgewaltige Bettlerin für überlegen. Wenn er das bewußt und ohne kirchenpolitische Berechnung getan hat – was man bei diesem argen Skeptiker nie wissen kann –, so war das eine wahrhaft bedeutsame sinnbildliche Handlung.
Frau Elisabeth … In einer Frau, in einer Mutter hat bei uns Deutschen die stärkste seelisch-religiöse Erhebung des Mittelalters Gestalt genommen. Ist das nicht sinnreich für das Volk tiefster Gemütskräfte? In Italien hieß der entsprechende Bergesgipfel Franz von Assisi; in Spanien Dominikus Guzman.
Man muß bedenken, daß sich in diesen drei genialen Sendlingen Kräfte seelischer Tiefe entgegenstemmten einer Welt voll entfesselter Kräfte der Oberfläche. Die Kreuzzüge hatten die europäische Kultur ungewöhnlich aufgewühlt, vergleichbar dem Weltverkehr, der heute die Menschheit durcheinanderwirft. Christliches Bewußtsein erstarkte zwar durch die Reibung mit dem Islam; aber auch die Eroberungslust, und mit der Eroberungslust die Genußsucht, und mit der Genußsucht Weltlichkeit überhaupt wucherten alsbald empor und machten sich selbst auf der kleinsten Ritterburg spürbar. Das sind die Zeiten, in denen Genies aufzublitzen pflegen. Die Hohenstaufenkaiser, die großen Dichter und Baumeister, die geistesscharfen Theologen, die beredten Heiligen und Prediger – das und ähnliches waren die Funken bei dieser elektrischen Berührung mit dem Islam und bei den Berührungen der europäischen Nationen untereinander. Frömmigkeit gedieh, aber auch Ketzerei. Von 1209 ab zwanzig Jahre lang, fast durch das ganze Leben der heiligen Elisabeth, flammten am südwestlichen Horizont die verbrannten Dörfer und Städte der als Ketzer vernichteten Albigenser. Welches unbändige Leben überall!
So bildete sich die fremdartigste Landgräfin der Wartburg zu einer Ausnahmegestalt, die durch Jahrhunderte hindurch nicht vergessen werden kann.
* * *
Fröhlich und freigebig warf der Thüringer Hof sein Gold aus, als Landgraf Hermann mit Frau Sophie ritterliche Sänger um sich versammelte. »Der Landgraf ist so hochgemut, daß er mit stolzen Helden Hab und Gut vertut«, sang Walther von der Vogelweide. Mit stolzen Helden, ja. Hell und hartgemut war der Ton am Hofe; derb-gesund und etwas wild die Lebensauffassung; ungebrochen Männer und minnigliche Frauen. Die hohe Bildung der Frau Landgräfin Sophie fußte auf alt-heidnischen Poeten wie Vergil oder Ovid und förderte die Werke moderner Poeten wie Wolfram von Eschenbach, wobei weltlich-französischer Einfluß auf den geselligen Ton nicht zu übersehen war. Es war ein kunstverschöntes Treiben: Politik und Minne, Jagd und Scherz und Trunk füllten jene Wartburgtage.
Aber diese stattliche Epoche lebte sich ab. Vielleicht durch Übertreibungen, die zu Entartungen führt, vielleicht in natürlichem Verlauf, weil eben Ermattung der Organe eintrat und dafür nun andere menschliche Fähigkeiten gleichfalls nach Betätigung drängten. Hermanns Sohn und Nachfolger Ludwig mutet uns als eine ideale, aber etwas weich und fein gestimmte Natur an. Er hatte tiefes Verständnis für die früh ihm anvertraute »Schwester«, die Tochter eines deutschen Königshauses, das über die Ungarn Hof hielt.
Elisabeth war als Kind voll heitrer Anmut, voll Herzlichkeit. Niemals hat man sie bitter oder scharf gesehen. Es ist, als hätte solches Metall ihrem Blute gefehlt. Sie konnte wohl traurig sein, aber nicht auffahrend oder verletzend. Schon als kleines Mädchen war sie besessen vom Drange, armen Kindern wohlzutun und Freude zu machen. Und bereits mitten in den Kinderspielen fährt plötzlich die Erinnerung an die andere, die überirdische Welt in ihre Seele: sie springt jählings aus den Spielen auf und küßt die Wand der Kapelle, sie wirft sich vor dem Altar auf die Knie, sie sinnt geistesabwesend zwischen Friedhofgräbern der Ewigkeit nach. Für das Herrenbewußtsein der Fürstin hat diese Königstochter viel zu wenig Trotz im Organismus; sie zieht sich von Frau Sophie manchen Vorwurf zu, daß sie zu wenig auf ihre Würde bedacht sei. Mit hingebender, reinster Liebe hängt die kindliche Jungfrau an ihrem großen »Bruder«, ihrem Verlobten Ludwig.
Sie war den Jahren nach Kind, als sie Braut wurde; sie ging als Kind traumhaft hinüber in den Ehestand; sie wurde Mutter – und blieb dem Wesen nach Kind, blieb ihrem Gatten die »Schwester« wie zuvor. Begehrlichkeit und Leidenschaft hatten in solcher Natur keinen Platz; Wohltun und Gutsein war ihr Wesen. In naturhafter Anhänglichkeit begleitete sie zu Pferd ihren Gatten, so oft es sich nur ermöglichen ließ, in Wind und Wetter und Schneefall. Sie tat bei längerer Abwesenheit des geliebten Mannes ihre besseren Kleider ab und legte Trauergewänder an; und wenn er heimkehrte, begrüßte sie ihn im Festgewand.
Noch also nahm ihre Liebeskraft natürlichen Verlauf: sie war in verlangender Zärtlichkeit Geliebte, Gattin, Mutter. Und dieser Vorrat an Frauengemüt reichte aus, ungezählte Kranke oder Arme außerdem zu pflegen, Aussätzige in ungestümer Güte ans Herz zu drücken, an armen Kindern Patenstelle zu übernehmen, in den Hütten der Armen Besuche zu machen, im Jahr der schweren Seuche (1225) zu Eisenach ein Krankenhaus einzurichten – und sogar Äcker und Ortschaften, ja ihre seidenen Kleider zu verpfänden oder zu verkaufen, wenn ausgestreckte Hände Brot heischten. Das war ja wohl Verschwendung, und man hörte Klagen darüber; aber hatte Landgraf Hermann nicht verschwendet?
Verschwendung war es, ja: nicht freilich mehr mit stolzen Helden der Sängerburg, sondern mit den so lange übersehenen Armen im Tal. So hatte sich die Zeit verdüstert und verlangte Mitleid der Höhenmenschen mit den Nöten des Tieflands.
Und diese Verschwendung – das bewundre man wohl! – war die jugendliche Herzensgenialität einer Fürstin von kaum siebzehn oder achtzehn Jahren. »Diese Elisabeth«, bemerkt ein Biograph, »wird ohne Aufhören in der Erinnerung des deutschen Volkes, in der Christenheit fortleben, ein Vorbild für die christlichen Frauen jedes Standes und Alters, erhoben von den empfänglichen Herzen, geliebt von den gleichgesinnten, und denen zur Scham genannt, die, wie weit auch an Jahren voraus, noch nicht vermocht haben, sich über den Genuß hinaus zum Bewußtsein eines christlichen Berufs für die Welt aufzuschwingen.«
* * *
Nach Ludwigs Tod aber trat eine Wandlung ein, wodurch allerdings nach und nach eine Kraft ganz erstaunlich zum Erblühen kam, doch auf Kosten aller anderen Organe.
Die Kirche übernahm die Führung dieser ungewöhnlichen Frau. Und diese Führung, in der Gestalt ihres Beichtvaters Konrad von Marburg, verbunden freilich mit persönlicher Anlage und einwirkenden Schicksalen, verwandelte die Landgräfin Elisabeth in die »heilige Elisabeth«.
Wie durch Hypnose ist von nun ab (1227) Frau Elisabeth in wichtigsten Dingen angekettet an einen tatkräftigen und gelehrten Ketzerrichter.
Konrad behandelt die seiner geistlichen Führung anvertraute Edelfrau, gemäß dem Geiste jener Zeit, wie man widerspenstige Schulknaben behandelt: Geißelhieb, Fasten, Backenstreich sind Hilfsmittel seiner Erziehung! Einer so königlichen Seele gegenüber! Alles in uns empört sich über solche Eingriffe in die seelischen Geheimnisse einer echt fraulichen Persönlichkeit.
Wenn ein großer Geist oder ein großes Herz ein ungewöhnlich Ziel erreichen oder ein weitleuchtend Vorbild aufstellen will, so geht das zwar in der Tat nicht ohne Opfer ab – sei es auch das größte Opfer, das irdische Leben. Das Genie saugt Kräfte aus allen verfügbaren Körper- und Seelengegenden und sammelt sie in die eine Gegend, wo die Schlacht geschlagen werden muß. Der einzelne Leib mag oft erliegen: die Menschheit als Ganzes hat eine Schlacht gewonnen. Solche »Askese« wird allezeit als göttlich-groß Achtung verdienen. Die Mutter, die ihres Körpers beste Kräfte für ihr Kind abgibt und darüber selbst das Leben verliert – sie ist ein Urbild solcher Opferung.
Nun, wenn das im natürlichen Verlauf der Schöpfungsdinge geschieht, wenn sich etwa Frau Elisabeth über all der Kranken- und Armenpflege, über fürstlichen, fraulichen, mütterlichen Pflichten und was sonst im Bereich ihrer so spendefreudigen Lebensbetätigung lag, langsam ihres irdischen Kräftevorrats entäußert hätte, um dafür Tausende zu erquicken; wenn sie, früh aufgerieben, zu Eisenach oder Reinhardsbrunn ihr würdig Grab gefunden hätte: – Deutschland hätte doch wohl auch dann eine »Heilige« gehabt?
Wieviel wertvolle Frauen, aufgezehrt in Hilfeleistung und Pflichterfüllung, sind als ungenannte Märtyrerinnen und unbekannte Heilige über diese leidvolle Erde dahingegangen!
Hier aber wurde eine schöne Naturanlage, unter dem Einfluß der Anschauungen der Zeit, ins Übermaß gesteigert.
Abstrakte Tugenden wurden hier, mit dem ganzen Apparat der Scholastik, an einem lebendigen Frauenbild gezüchtet und zu höchster Entfaltung gebracht. »Gehorsam«, »Demut«, »Armut«, »Barmherzigkeit« … Jede unwichtigste Unachtsamkeit bedachte der Erzieher mit Streichen oder Fasten; ihre Kinder wurden ihrem Einfluß entrückt, ihre Lieblingsdienerinnen entfernt: sie wollte und sollte sich auch dieser Neigung, wie jeder liebgewordenen Gewohnheit, entschlagen lernen, um »nur Gott« zu dienen. Nur Gott? O Frau, möchte man ausrufen, aber wo offenbart sich denn Gott, wenn nicht in deinen Pflichten, die du als Mutter, Frau und Fürstin zu erfüllen hast?! Hiergegen wenden sich des Katholiken Prof. A. Meyenberg warmherzige »Wartburgfahrten« (Luzern, Räber & Ko.). Ich lasse mir seine Ergänzungen gern gefallen und sage mit dem protestantischen Forscher Prof. Wenck (Hochland, V, 2): »Heute erkennen wir in dem Andenken Elisabeths einen Schatz für alle Deutschen. In dem Zeichen Elisabeths können sich Protestanten und Katholiken die Hand reichen.«
Die damalige Kirche mutet uns heute wie eine Tamerlansche Invasion in unser menschliches Empfinden an; sie war allmächtig. Auf dem Laterankonzil (1215) entfaltete sich ihre unwiderstehliche europäische Macht. Das Kaisertum zerbrach, die Kirche bestand. So zerbrach Elisabeths Fürstenbewußtsein, das freilich niemals in ihr stark gewesen war: und die Heilige stand wie eine leuchtende Blume zwischen diesen weltlichen Trümmern.
Sollen wir aber verwundert schelten? Wir wollen verstehen. Der Übergang von der Fürstin zur Heiligen; das Auftauchen zweier weithin wirkender religiöser Genies wie des Bürgersohnes Franziskus und der Königstochter Elisabeth, das sind ungewöhnliche Probleme. Sie dürfen, wie alles Geniale, nicht mit Durchschnittsanschauungen gemessen werden. Und so war auch jene mittelalterliche, in Mystik und Scholastik gleichermaßen triebkräftige Kirche ein Stecken, mit dem der Allgeist die unbändige, jungkräftige Körperlichkeit Europas in Zucht hielt und zum Geistigen und Sittlichen zwang. Wer weiß, wohin der Stolz der Stände, die Rauflust der Nationen, der Könige und Kaiser ausgeartet wäre, wenn nicht über allem sichtbar diese straffe geistige Organisation gethront hätte! Und so hätte wohl auch die bloße Fürstin nicht die magische Wirkung ausgeübt, wie sie von der Heiligen ausging. »Elisabeth«, sagt ein Zeitgenosse, »war gesandt an die unzähligen Frauen, die in den Burgen saßen, die von Unkeuschheit so sehr durchdrungen, von Hochmut und Eitelkeit so fest umfangen waren, daß sie in den Abgrund geraten wären. Dem Vorbild Elisabeths ist manche Frau gefolgt, sie mochte wollen oder nicht.«
* * *
Nun halfen freilich, außer ihrem eingeborenen und von der heilsbedürftigen Zeit gesteigerten Heiligungsdrang, auch äußere Schicksalsschläge mit, diese Fürstin auf ihren besonderen Weg zu drängen. Oder eigentlich nur ein einziger Schlag, aber der traf ins Herz: Ludwigs früher Tod und Elisabeths Vertreibung von der Wartburg.
Hierbei fällt uns etwas recht bitter auf und weckt wehmütige Betrachtungen: Elisabeths große Einsamkeit.
Sollte man denn nicht erwarten, daß eine so großzügige Wohltäterin von einer Leibgarde dankbarer Menschenseelen umgeben sei? »Kein Zeitraum«, heißt es in ihrer Biographie, »sah mehr Beweise ihrer Liebe als die Jahre 1225 und 1226, wo eine Teuerung und in ihrem Gefolge schwere Seuchen ganz Deutschland bedrängten. Unzählige nahmen damals zu der Burg ihre Zuflucht, wo sie eine freundliche Fürsorgerin wußten, und keinen wies sie von ihrer Schwelle. Von dem Sommer, den ihr Gemahl, vom Kaiser nach Cremona gerufen, in Italien zubrachte, wird berichtet, daß sie täglich 300 Arme persönlich versorgte« … Wohlan, wo blieben nun in ihrem Elend diese »täglich dreihundert«? Keine zwei Jahre nach jener Seuche starb ihr Gatte auf dem Kreuzzug fern in Otranto; der Landesverweser Heinrich Raspe jagte die Witwe noch an demselben Abend, der die Nachricht gebracht hatte, von der Burg: und nicht ein Finger rührte sich im Schloß oder in Eisenach, die Obdachlose liebevoll festzuhalten oder aufzunehmen! In einem stallähnlichen Gelaß findet sie zuletzt Unterkunft. Unbegreifliche Härte! Einer Fürstin und Wohltäterin gegenüber! Was für ein feiges oder herzloses Bürgertum, das da zu Füßen der Burg saß! Ist das nicht ein erschreckender Beweis für den Tiefstand der damaligen Herzensbildung? Ist das nicht eine Bestätigung Elisabeths und der Notwendigkeit ihres Wirkens? Oder hatte sie, vor lauter Liebkosung fernhergelaufener Bettler und oft gewiß minderwertigen, faulen Volkes, vielleicht die nahe und gesunde Gegenwart zu sehr vernachlässigt? Hatte sie hier in der Nähe an Liebe und Achtung verloren, was sie bei jenen Armen gewann? Tragik des Genies! … Oder noch mehr: suchte sie Armut und Entbehrung? War sie so getrieben von religiösen Armutsidealen, daß sie nur halb gestoßen ward, halb aber freiwillig ging? …
Wir wissen nicht, was Elisabeths Herz bewegte. Als sie später bei ihrem Oheim Bischof Eckbert zu Bamberg würdige Unterkunft gefunden hatte; als am Sarg ihres toten Gemahls, angesichts der heimgekehrten Ritter, unter den beredten Zornworten des Schenken Rudolf von Vargila, der zerknirschte Heinrich Raspe weinend in die Knie sank und Genugtuung versprach: – da schüttelte sie entsagend das Haupt. Sie nahm zwar ein jährliches Leibgeding an und den Witwensitz Marburg; aber auch diese Einkünfte verteilte sie sofort an dortige Arme, denen sie gradezu ein Fest gab. Sie selbst nahm das Kleid der grauen Schwestern und wohnte so ärmlich wie möglich, widmete sich ganz den Kranken und Elenden, verschärfte ihre geistlichen Disziplinen, vergeistigte sich ganz und gar.
Konrad steht wieder an ihrer Seite, strenger als zuvor. Ihre Augen strahlen von visionären Verzückungen; ihr Gebet ist von magnetischer Gewalt. In der Nacht des 19. November 1231 lag sie im Sterben, mit so leuchtendem Gesicht, »daß man sie kaum ansehen konnte«, nachdem sie vorher in Verzückung eine fremdartig-leise Melodie vor sich hingesungen hatte – Stimmen aus andrer Welt begleitend, wie sie sagte, die, für die Umstehenden unhörbar, der bald in den Himmel einziehenden Schwester entgegensangen.
Stimmen aus andrer Welt … Ja, solchen Stimmen war sie ihr Leben lang gefolgt, die edle Fürstin, die übergütige, traumhaft vorübergehende Fremde. Aber die diesseitige Welt? Die ging ihren wilden und wirren Gang. Elisabeths erstgeborener Sohn Hermann verkam und verging tatlos und früh, dem Gerücht nach durch Gift hinweggeräumt. Erbfolgekriege zerrissen die Thüringer Lande. Die tapfere Sophie, die älteste ihrer drei Töchter, vermählt dem Herzog von Brabant, sicherte sich wenigstens das abgesplitterte Hessenland. Die zwei jüngsten Töchter der Heiligen nahmen den Schleier.
Fast scheint es Naturgesetz, daß sich eine Kraft nur besonders stark entwickelt auf Kosten andrer Organe. Nun, dann mußten die Kräfte, die über dem Heiligkeitsideal jener Zeit vernachlässigt wurden, früher oder später wieder ihr Recht erobern. Die herzensgeniale Frau Elisabeth und der herzensgeniale Mann Luther – wir achten und verstehen beide. Wir verstehen erst recht Luther aus Elisabeth. Elisabeth flog hinan und hinweg, leicht und licht, durchgeistigten, überirdischen Leibes, flog empor zum Heiligen Geist. Luther aber stand, Luther rief den Heiligen Geist herab auf diese kraftvoll zu verklärende Erde:
»
Komm, heiliger Geist, Herre Gott!
Erfüll mit deiner Gnaden Gut
Deiner Gläubigen Herz, Mut und Sinn!« …
Dein Reich komme!