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Waldgedanken

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. Der Wind blättert den Wald auf, liest fremde Worte, schlägt unwirsch das rauschende Buch zu und fährt seiner Wege. Wir wollen ihm nicht folgen. Wir wollen diese Waldschrift lesen.

* * *

Von Kind an haben Feldzüge, Fernfahrten und Abenteuer meine Phantasie in Tätigkeit gesetzt. Sie sind wie der Wald: voll Überraschungen. Sie sind Freiheit. Der Wille steht mitten drin und hat Selbstbestimmungsrecht.

Nach diesen Helden des körperlichen Mutes lernt' ich dann die Helden des Geistes achten. Auch um sie ist Freiheit: sie bestimmen sich selber auf den Schlachtfeldern und Weltmeeren des Dichtens und Denkens. Sie gehorchen den Gesetzen der Ewigkeit, nicht der Gesellschaft. Und ich schwur, auf alle Vorteile und Vorurteile der bürgerlichen Welt zu verzichten, um mir nur den einen Ehrentitel eines Freien und Unbefangenen zu erringen.

Sitz' ich nun als Wild-West-Jäger am einsamen Präriefeuer?

* * *

Wenn ich Arbeiten junger Stürmer lese – talentvoll, ansprunghaft, dithyrambisch – gut, Freunde, sei's drum! Aber der eigentliche Kampf steht euch erst bevor. Dieser Kampf heißt: in mörderischer Gleichgültigkeit der Umwelt unverbittert ausharren! Bloß ausharren? Nein, schaffen eine innere Welt.

Diese Mannes-Arbeit ist nicht mit Raubtier-Ansprung zu leisten. Unsere Gefahr in dem Räderwerk der modernen Gesellschaft ist das Müdewerden. Daraus fließt Verdrossenheit; daraus Gereiztheit und Lieblosigkeit. Der höhere Mensch stirbt ab. Denn dessen Nahrung ist gute, starke Liebe. Gebt uns ruhige Wärme! Gebt uns reine Herzen! Gebt uns göttliche Gedanken!

* * *

Der Umgang mit hohen Geistern bringt ein Leid mit sich: er trennt dich von den Gewöhnlichen, die vorher deine Freunde waren und menschlich diese Freundschaft verdienen. Je steiler dein Weg bergan geht, um so kleiner die Zahl derer, die dir folgen. So wird jeder Gewinn ein Entsagen.

Aber es wächst dafür etwas anderes in dir empor, das jenes Verlieren ausgleicht: Güte. Du schaust feiner und reifer als zuvor in die Zusammenhänge. Du achtest in jedem den Funken Gottes, ob stark oder schwach entwickelt. Andere haben eben andere Aufgaben zu erfüllen: willst du sagen, daß sie weniger wichtig seien? Hast du dem Geiste nach Fühlung mit ihnen verloren, so bekommt nun dein Herz Arbeit.

Immer höher lernst du dies Verbindungsmittel zwischen Mensch und Menschen schätzen. Diese schöpferische Liebe ist deines Lebens beste Frucht – und ihr tätiges Vorhandensein ist der einzige Ausweis, ob du wirklich gereift bist.

* * *

Jedem ist aus der Fülle dessen,
Was da gedeiht in Wald und Heide,
Jedem sein Teilchen Gutes bemessen.
Und seiest du ganz verschüttet vom Leide
Und ganz versteckt und gefangen vom Bösen –
Sorge du nicht und sei nicht bang!
Dein Gutes kommt und wird dich lösen.

Wie sich ein Kind am Blaubeerhang
Ins blumenumstickte Lattichblatt
Köstliche Beeren gesammelt hat,
Und nun das Tellerchen sorgsam bringt
Der Mutter, die schwarzen Gewandes steht,
In Witwentrauer die Hände ringt
Und fast vor stummem Schmerz vergeht – –
Siehe, so kommt mit kindlichem Bitten
Dein Gutes geschritten
Und hält sein Tellerchen, lächelt und spricht:
»Nimm die Beeren – weine nicht!«

* * *

Zwei Kinder traf ich am Waldrand, die in ihre thüringischen Tragkörbe Tannenzapfen sammelten. Das Mädchen hatte ein rotes Tuch um das strohgelbe Köpfchen gebunden und guckte frisch und wangenbraun aus treuherzigen Kinderaugen. Beide barfuß, ärmlich und einfach, bescheiden in ihren Antworten. Der schöne, wilde Wald rauschte auf im Ostwind, der hell und gut über die steinigen Hügel kam. Die Luft war blank, die Kinder standen reizend unter bewegten Bäumen, an ihre abgesetzten Tragkörbe gelehnt …

So »lieb«, wie sie hier scheinen, wenn einmal ein »Herr« im Vorbeigehen einige freundliche Worte an sie richtet, sind sie nicht immer. Das weiß ich. Erschreckend ist unsere heutige Jugend an vielen Orten verwüstet. Aber der Mensch ist ein wunderlich zusammengesetztes Wesen: es kommt gar viel darauf an, wie etwas oder jemand in der oder jener Stunde auf ihn wirkt. Da verdichtet sich manchmal ein Blick oder ein Wort zu einem bleibenden Eindruck. Wenigstens aber, wenn du gut zu ihm bist, strahlt ihn eine Macht an, vor der in diesem Augenblick die bösen Dämonen unmächtig zurückweichen.

Wenn es einen verderblichen »bösen Blick« gibt, warum soll es nicht auch einen heilbringenden »guten Blick« geben? – Ein Blick ist die Zusammenfassung innerer Kräfte: im bösen Blick schleudert sich ein Vorrat von niedrigen Substanzen in den Betroffenen, der den Blick auffängt. Wen aber der gute Blick streift, den läßt er Tüchtiges ahnen, den stärkt er, den läßt er frohgemuter seines Weges ziehen.

* * *

Was laufen mir denn diese raschelnden Blätter nach? Was wollt ihr denn, ihr lieb-lustigen losen Gesellen des Vorjahrs? Freut ihr euch der Freiheit, nicht mehr gebunden zu sein an den festen Baum? Bittere Freiheit, ihr welken Dinger! Diese gebundenen da oben in ihrer frischen Kraft überbrausen und überleuchten euch tausendfach! …

Ich geh' im Ostwind durch den hohen Buchenwald, durch fliegende, fröhliche Sonnenlichter, durch aufgeblätterte Büsche. Langsam und wuchtig beugen sich die Wipfelstämme mit ihren Laubmassen, streifen sich mit den Ästen, reiben ihr Holz, ächzen und knarren. Schauer auf Schauer fliegt über die weißgoldne Blumenwiese, die Landstraße leuchtet, Schatten wandern groß über den gegenüberliegenden Tannenbergwald. Du enzianblaues Himmelsauge, das durch eine Lücke dieser lichtgrünen Blätterfülle herabschaut! …

Da ist kein Farnkraut am Wege, kein Halm, kein Heidekraut, das nicht gefunden würde von den Stößen dieses suchenden, aufblätternden Windes, der ganze Fluten von taghellem Leben in unsern Wald wirft!

* * *

Diese Mondnächte sind zart und groß zugleich. Rehe stehen traulich bis an die Knie im Gras, heben schuldlos die Köpfe, horchen in lautlose Ferne. Hinter den Umrissen des Schattengebirges säumt noch der Mond; aber sein Licht umzittert bereits die Randspitzen des Tannenwaldes, in dessen Zackengewirr die Mondkugel verstrickt scheint.

Hier unten umstehen die schattigen Buchen schweigend das hochgrasige Tal. Alle Geräusche des Tages haben sich gesammelt in das eine Rauschen des Waldbaches. Der Waldbach ist die Stimme dieser Nacht.

Langsam weicht nun der Schatten des hohen Berges über die Wiese zurück. Die Rehe stehen hell. Der Vollmond hat sich vom Gipfel losgerungen und erhebt sich frei und groß über die zauberschöne Landschaft.

* * *

Erst wenn dein begehrender Wille
Tapfer zum Schweigen gebracht,
Vernimmst du die Stimmen der Stille,
Die großen Gespräche der Nacht.

* * *

»Was ist Schönheit?« So wurde eine Blinde gefragt. »Schönheit ist eine Form von Güte«, antwortete das Mädchen, dem die Herrlichkeit dieser Welt verschlossen ist. Wunderfeines Wort! …

Ich stand auf dem Felsen, den man den »ausgebrannten Stein« nennt – es geht ein uralter Stollen hindurch –, und sah der Sonne nach. In innig durchglühten Wölkchen löste sie sich auf, jenseits Oberhof, jenseits dieser vielen Wälder. Weißgoldig war das Gewölk in der Nähe der verschleierten Sonne, gelbgoldig am entfernteren Horizont. Und von unten her zackten sich dunkle Tannen in dieses flüssige Licht.

Und da, angesichts der wonnig herüberschimmernden Buchten und Inseln, die mich durchdrangen mit ihrer himmlischen Lichtglut, hatte ich den Eindruck: »Ja, Schönheit ist eine Form von Güte.« Dieses mächtige Licht setzt sich in mir in Wärme um. Und diese Wärme in Gutsein. So wirken große und gute Menschen.

Den Blick wendend, sah ich im Süden das reine Blau des freigelegten Himmels. Einzelne weiße Streifwolken irrten über das Gebirge, das feucht und verregnet lag, wie abgewaschen und noch nicht wieder angestrichen. In vielfältigen Kammlinien lief das alles um mich her, mit eigenartigem Ernst. Hob ich aber das Auge wieder in jenes entzückende Sonnenland, so kam es wie Lachen über mich, wie Liebe, wie Frohsein und Gutsein – wie Poesie, die aufleuchtet aus den Tiefen einer gottestrunkenen Seele.

* * *

Das Gebäude des Hasses – der Staat. »Auge um Auge, Zahn um Zahn.« Altes Testament.

Das Reich der Liebe – die Poesie. »Sehet die Lilien auf dem Felde an!« Neues Testament.

* * *

An einem Birkenstämmchen stand ich heut' und sah durch ein sehr feines Fernrohr. Das Bäumchen war mit Regentropfen behängt. Zierlich drängten sich die runden Tröpfchen – rund wie dein Auge, rund wie die Erde, rund wie die Sonne.

Ich schaute nahe und lange in einen dieser feinsten Diamanten. Das zarte Geäder des Busches spiegelte sich darin mit entzückender Kleinheit. Ja, als ich ein beschriebenes Blatt dahinter hielt, spiegelten sich in unlesbarer, aber zu erratender Feinheit die Worte dieses Briefes wider. Und mittlerweile brach die Abendröte unter dem breit hinwegziehenden Wolkenhimmel hervor – und alle sieben Farben des Sonnenlichtes wurden von meinem Regentröpfchen eingefangen und mir mit Anmut verabreicht.

Das Weltall mit seinem grenzenlosen Inhalt umspannen – kannst du nicht. Aber du kannst Regentropfen sein. Du kannst das All in dich einscheinen lassen und mit reinem Herzen widerspiegeln.

* * *

Das Aufrechte dieser kühn wachsenden Bäume steckt an und ermuntert zu derselben Sonnenrichtung. Die Sonne hat eine mächtige Emporziehungskraft: sie ist es, die diese Halme und Stämme steilrecht aus der Erde zieht.

Und die glitzernden Wässerlein laufen so fleißig dahin! Sie wirken auf mich wie plaudernde Kinder. Die Natur mit den wispernden Blättern und plaudernden Wassern ist eine närrische Kinderstube, voll melodischer Lebensfreude, keinen nervösen Launen unterworfen, mit Kerngesundheit den großen Besucher anlachend und anstrampelnd …

Du lieber Wald! Du gutes Wiesental!

* * *

Die »Minne« der Wartburgdichter ist uns erst verständlich, wenn wieder mehr Phantasie in unsre Stellung zur Frau kommt. Jener Dichter Grundempfindung ist Freude an künstlerischem Abstand. Sie adelten die vornehme Frau zu einem heiligen Gral, den man nicht durch Zugreifen, Betrug oder Verführung erringt, sondern durch eigenen Wert.

Das Edelste des Frauentums faßten sie zusammen zu dem Symbol »Jungfrau Maria«. Dies ist eine Frau und Mutter, die in alle Innigkeiten und Schmerzen des Frauenlebens eingeweiht ist und doch ihre jungfräuliche Zartheit bewahrt hat.

Auch die derbere Minne behielt einen adligen Schimmer; auch an den Leidenschaften hing ein Abstrahl von Poesie. Die Kreuzzüge hatten Horizonte eröffnet; von dort her kam ein Schein von neuen Welten und ließ noch neuere und noch fernere Welten ahnen. Das weckte die dichterische Phantasie und die religiöse Kraft.

Ob sie besonders »sittlich« lebten? Zeiten des Verfalls heben sich nicht eigentlich durch Unsittlichkeit an sich unvorteilhaft von starken Zeiten ab, sondern vielmehr durch Phantasielosigkeit. Die Materie und deren wüster Genuß herrschen in Zeiten des Verfalls. In Zeiten der Stärke aber herrscht etwas, das hinter und über der Materie steht: Phantasie adelt den Gegenstand und sieht durch ein vergänglich Weib Ewiges schimmern.

* * *

Körperbegehren vertreibt das Feinste. Eine unreine Strahlung geht dann vom Menschen aus, dessen Wesen einer Raubspinne vergleichbar ist. Er fingert und zerrupft – und glaubt nun zu besitzen.

Hohe Dinge kommen nur zu den Stillen, wie Gestalten aus Mondschein, wie Stimmen der Nacht. Reine Kraft zieht magnetisch an. Du brauchst nicht mehr die Welt zu erobern, denn die Welt kommt zu dir: sie strahlt sich in deine Klarheit ein.

* * *

Die sonst in den Wipfeln gehangen,
Die sonst auf Wölkchen geflogen sind,
Sie kommen vor meine Tür gegangen,
Die Königsgedanken, die Schimmer im Wind;
Sie sagen ihre Namen, sie lassen das Beste
Zurück mir im Händedruck – göttliche Gäste!

Das macht: es lockt sie lautlos an
Der stille, der stete, der nicht mehr hastende Mann.

* * *

Irmgard und Haida haben Knabenkleider angezogen und geben zu viel Kurzweil Anlaß. Irmgard hat ihr Blondhaar unter den Kragen gedrängt und geht nun mit ihrem rosigen Mädchenlachen etwas steifnackig umher, wie die Landmädchen lachen, ein richtiger »deutscher Junge«, ein klein wenig »Pfarramtskandidat«. Haidas Braunkopf mit den kurzen Locken ist von einem Älplerhut bedeckt, sie steckt in rot-weißer Weste und schwarzsamtnen Kniehöschen und hat einen leichten Rucksack auf dem Rücken. Ihr Lieblingslied ist der »Zigeunerbub' im Norden«; und so sieht sie auch aus. Eine feine Melancholie liegt manchmal über ihrem Wesen, aber auch ein Schelm sitzt in den Mundwinkeln …

Junge Mädchen sind wie wehende Flämmchen. Gott führ' ihnen gute Menschen über den Weg, die diese Lichtlein verstehend schonen!

* * *

Es gibt nur ein Glück: wenn sich Menschen zu Menschen finden, die sich stillschweigend das Gelübde tun, einander in höherem Lichte gut zu sein. Es rinnt ein Freuen in dich ein, wenn du an sie denkst; sie sind dir ein heimlicher Anreiz, alles so zu tun, als ruhte ihr Auge auf deinen Handlungen. Indem sie dich als unbedingt gut voraussetzen, stellen sie ein Ideal auf, das sie selbst erreichen möchten. Sie lieben nicht eigentlich dich, und du liebst nicht eigentlich sie; ihr liebt beide etwas, das hinter und über euch beiden steht: das Reich des Guten – Gott – oder wie ihr's nennen wollt.

* * *

Wegewart … »Ein Blümchen wartet am Wege …«

So eilen manche Mädchen hinaus ins Menschenland, stehen am Wege und schauen sich um und warten, ob nun wohl »der Eine« komme. Der oder jener streift sie – sie leuchten auf und lauschen – sie warten weiter – und viele, zu viele warten umsonst.

Steht nicht, Mädchen! Schafft, seid gut, tapfer, tätig, da wo ihr seid! Es ist Romantändelei, daß irgendwo »nur der Eine« auf dieser bunten Welt »das Glück« bringe. Glück wächst an allen Waldecken, wenn du's kurzerhand ergreifst: mach' selber glücklich, ob ein Mütterchen am Weg oder alte Eltern oder Kinder, die der Erziehung bedürfen, oder Kranke oder auch einen Gatten – es ist von gleichem Wert, versuch's nur! Verwandle das harte Wort: »Ich muß« in das leichte Lied: » Ich will

* * *

Dämonie … Ich glaube, daß das Dämonische eine Tatsächlichkeit ist, vergleichbar etwa den huschenden und zuckenden elektrischen Störungen der Atmosphäre.

Das Dämonische ist Energie der Vernichtung. Das Dämonische ist Haß und Hohn, Falschheit und Mißtrauen. Haß ist mit Wollust verwandt, Wollust mit Grausamkeit. Das weibliche Element, das Element der Liebe, ist diesen Störungen besonders ausgesetzt.

In indischer Weisheit heißt es: Wo die Gottheit einzieht, gleichmäßig alles erhellend und erwärmend, da verschwinden die Dämonen, deren Element das Finstre ist. Als Jesus die Versuchungen verscheucht hatte, traten die Engel zu ihm und dienten ihm. In einer bekannten Prophetengeschichte des Alten Testamentes enthüllte sich die Gottheit nicht im Sturm – dem Element der Dämonen –, sondern im sanften Wehen, das hernach an der Höhle des Sehers vorüberhauchte.

Leidenschaft ist Dämonie; Liebe ist Gottheit.

* * *

Sieben Jahre hatte Tom der Reimer der Elfenkönigin gedient. Dann ging er wieder zu den Menschen und sang ihnen, was er in diesen sieben Jahren erlebt.

»Der Reimer Thomas lag am Bach,
Am Kieselbach bei Huntley-Schloß,
Da sah er eine blonde Frau,
Die saß auf einem weißen Roß …«

Was für Poesie in dieser altschottischen Ballade!

»Die Mähne war geflochten fein,
Und hell an jeder Flechte hing
Ein silberblankes Glöckelein …«

Es gibt im Elfenland kein bürgerlich Gesetz, was man tun oder lassen soll: sie sind von selber gut dem Guten, sind voll glockenklaren Lachens, voll Silberklang der Rede und ohne Falsch und Arg. Sie trinken Tau, werden davon ganz leicht und schweben nun über die Schwere der Dinge hin. Hätten wir die Ohren, ihre Melodien zu hören, und die Augen, ihre Tänze zu schauen – wir brauchten weder Moral noch Philosophie.

»Und Tom der Reimer zog den Hut,
Er fiel aufs Knie, er grüßt und spricht:
Du bist die Himmelskönigin,
Du bist von dieser Erde nicht! …«

Daß er vor der Schönheit schlankweg und platt aufs Knie fiel und den Hut abzog – wunderschöner Zug an diesem echten Sänger! Das Höchste scheint dem frommen Manne die Himmelsjungfrau. Aber es gibt – rein dichterisch und naturhaft betrachtet – eine noch andere Schönheit, nicht mit Gedankensymbolik zu erfassen, aber der naiven Freude und dem offenen Herzen zugänglich:

»Die blonde Frau hält an ihr Roß:
Ich will dir sagen, wer ich bin,
Ich bin die Himmelsjungfrau nicht,
Ich bin die Elfenkönigin …«

Als die Menschen noch Sonntagskinder waren, bedurften sie nicht des religiösen Gedankengebäudes. Es war ja keine Scheidewand zwischen Diesseits und Jenseits, zwischen Schatten und Licht, ihre Augen waren voll Licht und sahen in den Schatten und machten den Schatten hell.

»Er küßte sie, sie küßte ihn,
Ein Vogel sang im Eschenbaum …«

Tom der Dichter tauchte mit Entzücken in die Welt der Poesie. Der Kuß macht ihn auf sieben Jahre dienstbar, aber »zu dienen dir, es schreckt mich kaum!«

»Sie ritten durch den grünen Wald,
Wie glücklich da der Reimer war!
Sie ritten durch den grünen Wald
Bei Vogelsang und Sonnenschein!«

Löwes fröhliche Ballade will mir gar nicht aus dem Ohr! Das Waldlied vom Dichter, der so höflich den Hut zog und so unbefangen der Elfenkönigin in die Waldeinsamkeit folgte …

»Und wenn sie leis am Züge! zog,
So klangen hell die Glöckelein,
So klangen hell die Glöckelein …«

* * *

Es gibt auch eine Dämonie der Liebe – aber der begehrenden Liebe. Diese begehrende Liebe oder Leidenschaft ist in der Art ihres Zugreifens dem Haß und dem Mord verwandt. Leidenschaft will ihren Gegenstand besitzen; dazu scheut sie kein Mittel, weder Verstellung noch Lüge.

Solche Dämonie kann in leichteren Fällen Schelmerei und Rackertum sein, die dem Philister ein Schnippchen schlägt, wie Gnom oder Kobold. In heftigeren Naturen wird sie zum Rausch, der losreißt von aller Sitte und Vernunft. Sie dröhnt wie Unwetter, zerschmetternd und segnend durch erwachte Sinne; es ist ein furchtbares Kampflachen des Todes, ein Triumphlied der Selbstvernichtung. Die heißen Tannengebirge, in deren Wirrsal und Einsamkeit die Liebenden flüchten, fernab von Burg und Stadt, dampfen wie Altäre: sie wollen ihr Opfer. Das Liniengewirr der Zweige, abhold jeder Regel, jedem Maß, rauscht wie Gewässer und entfesselt die Phantasie und umsprüht die Ertrunkenen wie ein brausend Meer. Die sonst so abgemessen durch ihre Gemächer schreitende, sittsam das Gewand haltende Burgfrau wirft ab ihre verlogenen Höflichkeitsgespräche, wirft ab ihre höfischen Verbeugungen: sie legt die ganze lodernde Seele bloß dem Manne, der sie aufgeweckt.

So verstehe man Tristan und Isolde! Solche Abenteuer zu hören oder zu erleben, war für Maid und Frau des höfischen Zwanges derselbe lösende Rausch, wie für die Männer der Berserkerzorn der untergehenden Burgunderhelden.

Was uns in beiden Fällen begeistert, das ist die entfesselte Genialität, die todverachtende Kraft.

Die unterscheidet den Heroismus der Liebe von Liederlichkeit und Lüsternheit.

* * *

Zwischen Wolken ein Glück zu bauen,
Möchte nicht taugen:
Unter uns, im Nebelgrauen,
Mit umschatteten Augen,
Wandern die Menschen und leiden am Leben –
Kommt, laßt uns schreiten, nicht schweben!

* * *

Thüringen ist voller Sagen von weißen Frauen, von Wichtelmännchen oder von Nixen.

Nixen hausen in der Ilm, in der Saale, in der Unstrut. Sogar im klassischen Weimar, wo die Ilm unfern von Goethes Gartenhaus durch den Park fließt, regt sich diese Waldromantik: dort wird oft »eine wunderschöne Jungfrau in weißem Kleide und mit langen gelben Haaren« sichtbar. In der Nähe jener roten Brücke oder Schafbrücke ist die Ilm tief; dort hat die Wasserfrau ihr Schloß. Mitunter kommt dies Wasservolk zum Tanzen in lustige Gesellschaft. Aber der Saum ihres schleppenden Kleides ist immer naß. Und vor Mitternacht müssen sie wieder in ihrem feuchten Element sein. Manche dieser Elementargeister verkörpern sich als Menschen, sagt man, um der Gottheit im Laufe eines nützlich geführten Lebens näher zu kommen. Denn sie sind wohl sehr klug, aber ohne Gewissen und ohne Seele. Indem sie Menschen werden, verzichten sie auf ursprüngliche Poesie, aber sie erringen Seele und Gewissen.

Die Sage von weißen Frauen ist immer mit irgendeiner Untat verbunden. Untat wirkt wie Schwerkraft. Die Seele kann nicht von der Stätte los, wo ein Stück ihres Gewissens geblieben. Diese Geister vertrutzen sich dann in wunderliche Zwangsvorstellungen: wenn einer dies oder jenes Wort ausspräche oder den Schatz fände, mit dem ihre Gedanken verkettet sind, so wären sie erlöst.

»Ein Knäblein von sieben Jahren
Mit weißen Haaren
Kann mich erretten« –

sang die weiße Jungfer am Burgberg bei Brotterode. Aber nicht die sieben Jahre und nicht die weißen Haare sind das Erlösende, sondern die Herzensunschuld. Ein »feuriger Mann« leuchtete in der Gegend von Arnshaugk und Moderwitz einer spät heimkehrenden Bauersfrau bis zum Silberberge voran. »Hab' Dank, lieber feuriger Mann!« sprach die schlichte Frau. Da verschwand der Feuergesell und ward seitdem nicht mehr gesehen. Das Wort des Dankes hatte ihn erlöst.

Solche Gestalten haben in ihrem Leben Unheil verübt durch Lieblosigkeit; sie werden nicht durch Schelten und Ungeduld oder gar durch Spott erleichtert – derlei rächt sich in vielen Sagen sehr empfindlich –, sondern durch anstrahlende Güte. Sie haben durch Missetat ein Stück Seele verloren; sie irren und suchen und erbetteln es zurück von einem, der Überschuß hat. Auf dem Tolljungfernstein bei Ruhla erscheint von Zeit zu Zeit eine weiße Jungfrau, ungeduldig wartend und wie toll mit dem Schlüsselbund rasselnd. Auf dem Witgenstein bei Farnroda macht sich alle sieben Jahre eine »seltsam gekleidete bleiche Jungfrau« sichtbar, den Bösen belästigend, dem Guten voranleuchtend. Und im Loquitztale liegt Burg Lauenstein, bedeutend wieder aufgebaut, wo die Hohenzollernsage von der weißen Frau (Gräfin von Orlamünde) ihren Ursprung hat. Überall in deutschen Gebirgen kennt man diese eindrucksvollen Sagen von der »weißen Frau«, mir schon von meiner Waldjugend her unvergeßlich. Einer unsrer ersten Forscher sagt von ihnen schlicht und ergreifend: Gewöhnlich kommen sie lächelnd oder singend den Berg herab, aber weinend steigen sie ihn wieder hinauf.

Weinend steigen sie ihn wieder hinauf … Wie im Kyffhäuser der wartende Barbarossa, so machen auch sie nach jedem neuen Jahrhundert des Wartens die neue Erfahrung, daß immer noch die Raben des Hasses um Gebirg und Häuser fliegen.

* * *

»Frau Sonne« oder auch »Frau Nachtigall«, wie wir die Mutter unserer Elfen zu nennen pflegen, reißt bereits um vier Uhr morgens mit munterem Ruck die Gardinen auf und macht dann ihren einsamen Spaziergang. Sie wandelt, in ihrer kraftvoll gedrungenen Gestalt mit dem kecken Tituskopf, als eine heitere Frau Hulda oben am Berg hin. Den Kindern hat nun unsere musikalische Freundin Dreigesänge eingeübt, eine ansprechende Liederreihe »König Mai«. Und heut' früh ward uns gestattet, diese Lieder oben am Berg als ein Morgenkonzert anzuhören.

Ein Regen hing in der Luft. Die gefüllten Wolken schleppten sich mit zerrissenen Gewändern langsam durch die Zacken der Fichten hin; wir gingen oben auf dem Grasweg so nahe drunter entlang, daß wir sie fast zupfen und den Regen aus ihnen herausläuten konnten. Die Waldung war bis in alle Büsche hinein durchraucht von ziehendem Nebeldunst. Es lag ein eigentümlich Warten über den stummen Landen.

Nun ragte der Fels feucht-dunkel vor uns empor. Die vier Sängerinnen stellten sich auf. Ganz still hielt der Hochwald. Und nun, erst zaghaft, mit etwas belegten Kehlchen, bald aber mit wachsendem Wohlklang herrlich alle Räume füllend, klang ihr Lied durch die trübe Waldung. Weit unten, wunderbar weit unter uns, lag und schlief die Welt. Hier oben aber ging der liebe Herrgott durch den Wald. Wir waren an einem Altar der Vorzeit versammelt; in uns war eine Stimmung des Händefaltens.

»Gib mir, o Herr, den rechten Kindersinn!« Innig hallten ihre Schlußworte. Die drangen mir ins tiefste Herz.

Beim Abstieg waren wir schweigsam. Wir waren angefüllt mit Melodien und Waldstimmung. Auch setzte nun ein säuselnder Regen ein. Die Elfchen unter ihren Kapuzen, mit ihren wirren Morgenhaaren, sahen allerliebst aus. Durchnäßt kam man zu Hause an, aber mit einer Empfindung, als hätte man ein schönes Land hoch da oben verlassen; beinahe mit Heimweh dachte man an den nassen, dunklen und doch so wundersam melodischen Hochwald zurück.

* * *

Seltsam: auch der Regen ist melodisch. Der ganze Tag ist Musik.

Ich saß in der Gartenhütte und konnte nicht genug staunen über das wunderliche Tropfen- und Glöckchenspiel. Wem nicht die ganze Welt ein Wunder ist, der weiß überhaupt nicht, was ein Wunder und was Poesie ist. Es pocht und klopft, es geht und kommt, es ruft und singt rund um die Gartenhütte herum. Ist dies dieselbe Luft, die vor wenig Tagen als weißes Sonnenmeer mein Eiland umflutet hat? Ja, es ist dieselbe Luft. Aber heut' ist sie grau und dick, und Silberfäden sind zwischen Himmel und Erde gespannt. Der Wind geht manchmal aufschauernd hindurch – und die Luft klingt wie eine Harfe. Und hier in den Blattern – was für ein merkwürdiges Treiben! Aus den silbergrauen Wolken sind Geisterchen in die Fliederbüsche gesprungen. Sie sind gekleidet in Licht; sie verfolgen und fangen sich von Blatt zu Blatt; sie hängen sich neckisch an den Blattrand, verlängern sich, zaudern und lassen sich tiefer hinabfallen auf ein aufzuckendes Blatt. Welch ein Flüstern, Träufeln und Rascheln rings herum von diesem eingefallenen Koboldheer!

Die ganze Welt ist ein einzig Wunder!

* * *

Aus den Abendwolken hebt sich
Noch einmal die starke Helle;
Wie versunkne Königskrone
Blitzt es aus der raschen Welle.

Auf den Tannenspitzen rufen
Drosseln dem entwichnen Tage,
Und ein ängstlich Stimmenflüstern
Duckt und flüchtet sich im Hage.

Mir ist bang, und weiß kein' Ursach' …
Fragend steh' ich vor den Zweigen,
Vor den großen, stillen Blumen – –
Doch sie sehn mich an und schweigen.

* * *

Schönes lass' ich in diesen Wäldern zurück und lass' es anderen. Tage der Freundschaft, Gespräche ernsten Verständnisses, Aufleuchten in blanken Augen – dies und anderes nehm' ich mit Es geht in der Innenwelt neue Verbindungen ein, es schwingt in veränderten Formen weiter – – niemand weiß, wo solche Tage enden mögen.

Gibt es denn ein Ende? Gibt es einen Tod?

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