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Die vergessene Königin

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. Wäre Weimar ohne seine Frauen denkbar?

Wo wäre dichterische Großtat geschehen ohne die erregende Einwirkung der Frau?

Und wie vergessen ist heute die Königsmacht edlen Frauentums!

Als der jugendliche Dante die neunjährige Beatrice, das weibliche Kind, die künftige Jungfrau, zum erstenmal erblickte, »erbebte er heftig«, wie er im »Neuen Leben« erzählt.

»Von da an beherrschte die Liebe meine für sie so schnell bereite Seele und gewann bald solche Macht über mich durch die Kraft, welche ihr meine Einbildungskraft verlieh, daß ich ihr allen Willen tun mußte. Sie befahl mir sehr oft den Anblick jenes engelgleichen Mädchens zu suchen, was ich dann in meiner Knabenzeit gar vielmal tat, und ich sah die Liebliche so edel und preiswürdig in ihrem ganzen Wesen, daß man wohl auf sie das Wort des Dichters Homer anwenden konnte: ›Sie schien nicht eine Tochter sterblicher Menschen, sondern Gottes‹ … Viele sagten, wenn sie vorübergegangen war: ›Dies ist kein Weib, sondern einer der schönsten Engel des Himmels.‹ Solches und noch Wunderbareres bewirkte sie durch Schönheit und Tugend.«

Der Dichter Dante ist nie Beatrices Gatte geworden; sie ist früh gestorben. Aber die Wirkung, die sie in ihm hervorgebracht hatte, ward eine Macht und begleitete ihn durchs Leben. Und so kann man sagen – mehr als von mancher Gattin –: Beatrice begleitete ihn durch Sphären seelischer Entwicklung mit einer führenden Gewalt, von deren Kraft, Größe und Tiefe Dantes Dichtung Zeugnis ablegt.

Dante hat nicht nur für das Mittelalter geschrieben. In vielem historisch-theologischen Rankenwerk, das die Dichtung umschlingt, bekundet sich allerdings sein Zeitalter. Aber ein Kerngedanke der » commedia« ist dieser: der Mann Virgil, in dem sich Vernunft und Charakter verkörpern, kann zwar durch Schrecknisse der niederen Sinnenwelt (» Inferno«) bis zu einer gewissen Stufe des Berges der Läuterung (» Purgatorio«) führen; von dort ab jedoch bis in die höchsten Sphären der Seligkeit (» Paradiso«) übernimmt die Genialität des reinen Weibes die anmutige Führung. Ist dieser Grundgedanke der dreiteiligen Dichtung mittelalterlich oder allmenschlich?

Virgil und Beatrice – beide sind unentbehrlich. In allen Fragen und Aufgaben des praktischen Werktags, des Staates, der Wissenschaft, durch alles Verstandesmäßige führt Virgil, der Vernünftige. In alle himmlische Weisheit, in das feine Reich des Herzens und der intuitiven Seelenkraft, in die eigentliche Poesie und Religion bis in die Fülle des Schauens und der Offenbarung, jenseits aller geprägten Begriffe – leitet die Genialität des Herzens. Jene männlichen Geister sprechen vom Licht, d. h. sie suchen es begrifflich einzufangen; diese sind das Licht. Jene denken; diese schauen, leben und tun. Jene reden vom fernen Kanaan und suchen vom Berg Nebo aus seine Umrisse zu erkennen: diese wandern bereits im Lande der Erfüllung.

Über die Genialität des Herzens prägt der düstre Schopenhauer in seinem Hauptwerk bedeutungsvolle Worte: »Wie Fackeln und Feuerwerk vor der Sonne blaß und unscheinbar werden, so wird der Geist, ja das Genie, und ebenfalls Schönheit, überstrahlt und verdunkelt von der Güte des Herzens. Wo diese in hohem Grade hervortritt, kann sie den Mangel jener Eigenschaften so sehr ersetzen, daß man, solche vermißt zu haben, sich schämt. Sogar der beschränkteste Verstand, wie auch die zarteste Höflichkeit, werden, sobald die ungemeine Güte des Herzens sich in ihrer Begleitung kundgibt, gleichsam verklärt, umstrahlt von einer Schönheit höherer Art, indem jetzt aus ihnen eine Weisheit spricht, vor der jede andere verstummen muß. Denn die Güte des Herzens ist eine transzendente Eigenschaft, gehört einer über dies Leben hinausreichenden Ordnung der Dinge an und ist mit jeder anderen Vollkommenheit inkommensurabel. Wo sie in hohem Grade vorhanden ist, da macht sie das Herz so groß, daß es die Welt umfaßt, so daß jetzt alles in ihm, nichts mehr außerhalb liegt, da sie ja alle Wesen mit dem eigenen identifiziert.« Wie tief ist das gesagt! Und eben diese weltumspannende Herzensgröße, diese Schönheit höherer Art – wesentlich wird sie von uns entzündet durch die Liebe, die sich zwar in mannigfachen Formen äußert, von ungestümer Leidenschaft bis zu fürsorglicher Aufmerksamkeit, deren feinste und reifste Gestalt aber als Herzensgüte auftritt.

Die Seherin von Prevorst, die aus Justinus Kerners Buch bekannt ist, sprach offen davon, daß sie »von der Herzgrube aus« Dinge und Zusammenhänge verborgener oder tieferer Art »schaue« oder »fühle«. Man könnte beinahe sagen: ein Organismus, in dem Liebe und Wohlwollen lebendig sind, hat feinste Tastfäden über den ganzen Körper hin, er ist in einem nahezu elektrischen Zustande, sein Gefühl ist verfeinert, zugleich ist die Tiefe seines innersten Herzens wunderbar beruhigt und gestärkt: – eine innere Flamme durchleuchtet und festigt seinen Organismus und strahlt über die Ränder seiner Seele. So wird das Evangelienwort wahr: »Ihr seid das Licht der Welt.«

Nicht nur Dichter, Künstler, Erzieher und dergleichen – nein, jede Mutter und Hausfrau in ihrem kleinen Bezirk, jeder tätige Mann in seinem größeren Umkreis, wenn seine innere Flamme hell ist, muß ein erobernder Feldherr sein, ausgesandt vom ewigen Licht, ein Stückchen oder ein Stück Finsternis heimzuerobern der Helligkeit des reinen Geistes. Darf ich an ein dichterisch Goethewort erinnern? »Licht, wie es mit der Finsternis Farbe wirkt, ist ein schönes Symbol der Seele, welche mit der Materie den Körper bildend belebt. So wie der Purpurglanz der Abendwolke schwindet und das Grau des Stoffes zurückbleibt, so ist das Sterben des Menschen. Es ist ein Entweichen, ein Erblassen des Seelenlichts, das aus dem Stoffe weicht« (Gespräch mit Riemer, 1808).

Je geistig wacher und seelisch reicher ein Mensch ist, um so mehr Licht erfüllt und umwogt seinen Organismus. Und so dürfen wir weitherzig und großzügig sagen: es gibt nur ein Wachsen des Menschentums höherer Art über die ganze Erde hin, welches auch die Formen seien, ob Dante sich läutert in den drei Stufen der »Göttlichen Komödie«, ob Äschylos sich und seinen »Orest« entsühnt durch die helfende Göttin, ob Goethe seinen »Faust« oder Wolfram seinen »Parzival« durch Dunkel in Helle führt. Es ist nur ein Licht. Wir suchen es, wir spüren es in uns, wir gestalten es in Wort und Werten der Kunst, Erziehung, Religion, wir leben es in unendlichfacher Ausstrahlung.

* * *

Es gibt zwei verschiedene Arten für dichterische Naturen, zur Weiblichkeit ein Verhältnis zu finden – und nicht nur für dichterische Naturen, für den wachsenden, lebenstiefen Mann überhaupt. Die erste Art ist das diesseitige Zugreifen, Begehren, Besitzen. Sie ist im Haushalt der Natur eine unvergleichliche Kraft; sie weckt in ihrem Gefolge eine Fülle von anderen Kräften, ein Gewoge von Sturm und Stille, von Mutterliebe und Vatersorge, von Austausch vielfältigster Lebensbetätigung. Wieviel fröhliche und traurige Lieder haben die Minne besungen!

Aber auf einer gewissen Lebensstufe, wo der bejahende Wille zum gewöhnlichen Leben abnimmt, wo der vordem naiv in die Welt ziehende und hie oder da zugreifende Jüngling stutzt, Enttäuschungen erlebt und endlich zum Nachdenken kommt wie ein Junge, dem öfters auf die begehrlichen Finger geklopft worden – beginnt nach etlicher Tiefstimmung ganz sachte eine feinere Form von Liebe zu reifen. Die Art, wie jetzt der Dichter überhaupt in die Umwelt schaut, ist eine neue, vergeistigte, verinnerlichte Widerspiegelung. Goethe hat das in »Iphigenie« und »Tasso« zart und klar geprägt, unter der führenden Hand der Frau von Stein. Sie war es, die ihn aus dem ersten Lebensalter, das ich oben kennzeichnete, hinüberführte in eine höhere Vollendung. »Seit ich in deiner Liebe ein Ruhen und Bleiben habe, ist mir die Welt so klar, so lieb« – »Durch dich habe ich einen Maßstab für alle Frauen, ja für alle Menschen, durch deine Liebe einen Maßstab für alles Schicksal. Nicht daß sie mir die übrige Welt verdunkelt, sie macht mir vielmehr die übrige Welt recht klar; ich sehe recht deutlich, wie die Menschen sind, was sie sinnen, wünschen, treiben und genießen« – »Ja, liebe Lotte, es wird mir erst deutlich, wie du meine eigene Hälfte bist und bleibst. Ich bin kein einzelnes selbständiges Wesen, alle meine Schwächen habe ich an dich angelehnt, meine weichen Seiten durch dich beschützt, meine Lücken durch dich ausgefüllt.«

Wie Dante durch Beatricens verklärenden Geist, so wurde Goethe durch diese verklärt aufgefaßte Frauengestalt in eine reifere Sphäre des Menschentums hinübergeleitet. Im Keime lag das natürlich in ihm: es bedurfte bloß des elektrischen Sonnenstrahls von ihr, und sein belebtes Inneres begann zu sprießen. Ein formenfröhlicher Künstler und empfänglicher Dichter blieb er nach wie vor, aber das geistige und vergeistigende Auge in ihm war nun feinsichtiger geworden, und nicht nur sein Auge: seine ganze Natur, sein Stil, seine Lebensführung.

So mild und weit betrachte man die Wirkung des Weiblichen auf höhere Dichternaturen. Wie kleinlich hat man da oft über Goethe gesprochen! Man spricht von leichtfertigen »Liebesaffären«, von zerstörtem Lebensglück und dergleichen. Mit Recht wies kürzlich eine Frau diese Verkleinerer zurecht: »Versucht man, den Meister gegen solche Verdächtigungen in Schutz zu nehmen, so werden einem die Namen all der holden Wesen aufgezählt, deren Lebensglück er zerstört hat. Wenn man auch noch so wenig aus der Literaturstunde behalten hat: die elfenzarte Friederike, die neckische Lili, die liebliche, hausmütterliche Lotte vergißt man nicht. Wir glauben sie so gut zu kennen, diese liebenswürdigen Wesen. Und der sie uns so zart und anmutig schildert, der soll ein kalter Egoist gewesen sein? Ich meine, wir kennen sie nicht ganz: nur ihre verklärten Abbilder. Alle störenden Züge, alles Kleinliche, Unedle hat er weggelassen, der Große. Wir aber begeistern uns für die feinen Pastellbildchen, die er uns gezeichnet hat, der Meister; und zum Dank nehmen wir für das Bild Partei gegen den Schöpfer.«

Verklärte Abbilder – darin liegt's. Er wollte nicht ihren bürgerlichen Namen, nicht ihr Vermögen, nicht ihre körperliche Erscheinung festhalten: ihm war von überragendem Wert die seelische Wirkung, das Abbild. Das bewahrte er nach dem Ungestüm des ersten Zugreifen-Wollens in liebendem leidendem Herzen und gab es dann, von allen Schlacken geläutert, wunderbar vergoldet der Welt wieder.

Kann ein Dichter in feinerer Weise seinen Dank aussprechen?

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Man muß einen reichen Sommer über immer wieder Einschau halten in die viele ungekünstelte Herzlichkeit und das viele seelenstarke Sorgentragen im deutschen Hause, um ganz zu empfinden, welches Bohémientum und welche Boudoirluft über Europa hin als moderne Errungenschaft Bücher und Bühnen besetzt hält. Wie wir dem Reichskörper eine Reichsseele zu schaffen haben, so wird es zu unseren edelsten Arbeiten gehören, die Achtung vor dem wahrhaft Weiblichen und den Wert des wahrhaft Weiblichen als ein gut-altes Erbteil ehrfurchtsvoll und tapfer wieder auf den Thron zu stellen.

Wir sind in den Tagen einer etwas aufgeregten Frauenbewegung. Es werden sich in der Tat manche Berufe mutigen Frauen noch erschließen lassen, – ob alle, die man heute verlangt, ist mir fraglich. Ich fürchte, selbst bei bester Eingewöhnung wird die Frau oder Jungfrau in manchem herben Beruf ihr Feinstes verlieren, ihr warmes Ich, ihre weibliche Sonderart. On Bureau- und Massenarbeit gedeiht die Kraft der Verinnerlichung nicht. Und gerade das fehlt unserem Zeitgeist. Magensorgen sind ein traurig Ding, aber Herzenssorgen und Seelenverkümmerung sind schlimmer. Um wieviel leichter ließen sich soziale Nöte tragen, überwinden und verklären dazu, wenn jene stärkste Kraft des alten Königs Midas: die Kraft des Vergoldens, reicher unter uns verbreitet wäre! Und wer soll sie verbreiten, wenn nicht die Verkörperung des Liebesgedankens, die gemütsstarke Frau?

Die Frau – und der Dichter, der Erzieher der Erwachsenen. Das Wort, der Sänger solle mit dem König gehen, da sie beide auf der Menschheit Höhen stehen, bedarf einer zarten Ergänzung. Gewiß sei der Poet ein Held und König; aber der wahre Held sei auch gütig. Wahre Größe ist gütig, wahre Ritterlichkeit ist gütig. Wenn ich stark bin, darf ich aus meinem Überfluß spenden und verschenken. Und das Köstliche beim Austeilen von Liebe und Güte ist es ja, daß der Geber davon nur immer reicher wird. Der Dichter muß nicht minder mit edlem Frauentum und anregendem Mädchen- und Kindersinn Hand in Hand gehen.

Edles Frauentum, das über Triebe und Beschwernisse derart zu siegen wußte, daß die Seele nur immer reicher und stärker aus Kämpfen sich ein Lichtgewand wob, ist eine Volkskraft, ist ein volkswirtschaftlicher Gewinn für den ganzen Umkreis. Es kommt aus ihrem warmen Hauch und aus ihren zarten Händen ein magnetischer Strom voll Wohltun und Beruhigung.

Das Evangelium nennt die Liebe das Höchste; wir dürfen das nicht so eng fassen, als wäre nur eine farblose Liebe zu »Gott« oder »Kirche« gemeint. Bist du im Gesamtzustande liebevollen und hoheitvollen Verklärens deiner kleineren oder größeren Welt, so spiegelt sich das in allem wider, im Schmücken und Ordnen deines Heims, wie in deinem Schaffen für Staat, Volk und Zeitgeist. So sehr auch entartete Liebe sich verhäßlichen, ja verteufeln kann, so wahrhaft über alle Vernunft hinaus kann Liebe steigen. Aber andererseits – und das ist eine Art Trost – steht selbst entartete Liebe, sofern sie Leidenschaft ist, dem Himmelreich hohen Menschentums immer noch näher als dürre und erstorbene Alltäglichkeit. Wahre Leidenschaft verbrennt sich rasch; der treibende Wille dahinter aber, wenn er nicht ganz von Dämonen zerrüttet ist, kann sich ebenso stürmisch auf edle Dinge werfen, wie wir das an manchem Augustinus erlebt haben, der erst nach unrein wilder Jugend seine Kräfte sammelte auf den ruhenden Pol in der Erscheinungen Flucht. Christus hat nicht umsonst das tiefe und weite Wort gesprochen: »Ihr ist viel vergeben, denn sie hat viel geliebt.« Wo Liebe ist, da ist Wachstum möglich; wo gar keine Liebe und gar kein Wille mehr treibt und glimmt – da freilich ist der Tod.

Liebt unsere Zeit mächtig genug? Kaum. Sie ist lüstern, sie ist erotisch, sie krankt an Entartungen; auch ist sie gelegentlich sentimental, zweifelnd und spöttelnd. Aber zur echten Lyrik und zur echten Tragik gehören echte Liebe und echte Leidenschaft. Mag die Liebe sündigen, sie wird ihre Wildheit büßen – aber sie sei gesegnet, wenn sie mit Kämpfen des Willens und des Gewissens verbunden bleibt, wenn sie stolz bleibt, wenn sie noch weinen und beten kann!

Wenn jemals, so bedürfen wir heute der Mithilfe echten Frauentums. Es müßte wie ein Abendrot Herzensgüte ausgeschüttet werden in die graue Luft eines freudlosen Zeitgeistes; es müßte wie ein Abendglöckchen reines Herzenslachen diese schwere Luft wieder in Schwingung versetzen. Dann wäre auch für die schwerste Frage, für die wirtschaftliche Frage, eine bessere Gesamtstimmung geschaffen: wir würden uns freundlicher und bereitwilliger zu verstehen suchen.

Als in den Tagen der Königin Luise Deutschland in Not war, da gab manch eine Frau »Gold für Eisen«. Deutschlands Kultur ist in Not wie damals: heute gilt es, das Gold der Gemütskraft hinauszugeben für das Eisen dieser Zeit, das sich unter euren Händen wieder in Gold verwandeln wird.

Es wäre unrecht, wenn ich hier nicht Ruskins prächtigen Aufsatz »von den Gärten der Königin« erwähnen würde. Wie schön und rein spricht dieser Mann von den Aufgaben der Frau! Auch ihm ist der Mann die positive Elektrizität, der Schöpfer und Schaffer, der Entdecker und Vorkämpfer. Aber die Gabe der Frau ist das Ordnen und Verklären. »Der Mann« – sagt Ruskin – »muß bei seiner rauhen Arbeit in der Öffentlichkeit jeder Gefahr und Prüfung entgegentreten; ihm werden daher Fehlschläge, Kränkungen und unvermeidliche Irrtümer zuteil; er muß häufig verwundet, besiegt, irregeleitet und stets abgehärtet werden. Aber er schützt die Frau vor diesem allem; in sein von ihr beherrschtes Haus braucht, wenn sie es nicht selbst aufsucht, weder Gefahr noch Versuchung, noch irgendeine Ursache für Irrtum oder Kränkung zu dringen. Das ist die wahre Natur des Heims: es ist der Ort des Friedens; die Zuflucht nicht nur vor aller Verletzung, sondern vor allem Schrecken, allem Zweifel, aller Spaltung … Wohin ein echtes Weib auch kommen mag, wird dies Heim sie immer umgeben. Sie mag nur die Sterne über ihrem Haupte haben, und der Glühwurm im taufeuchten Gras mag die einzige Leuchte ihrer Füße sein: dennoch ist Heim, wo immer sie sich befinde … Und da im Menschenherzen stets ein natürliches Gefühl für alle seine wahren Pflichten lebt, wie z. B. der tiefe Instinkt der Liebe, der, richtig geleitet, alle Heiligtümer des Lebens erhält und, falsch geleitet, sie untergräbt, so ist im Menschenherzen auch ein unauslöschlicher Instinkt, die Liebe zur Macht, die, richtig geleitet, die Majestät aller Gesetze und des Lebens erhält, und falsch geleitet, alles zerstört. Tief wurzelnd im innersten Herzensleben des Mannes und der Frau hat Gott sie gepflanzt, und Gott erhält sie auch dort. Es ist ebenso vergeblich wie falsch, den Wunsch nach Macht zu tadeln oder zu schelten. Wünscht sie euch, ihr Frauen, so sehr ihr könnt! Aber was für eine Macht? Das ist die große Frage. Die Macht zu zerstören? Nicht so. Die Macht zu heilen, zu erlösen, zu leiten und zu behüten.« Und so nennt Ruskin die Frauen Königinnen. »Bewußt oder unbewußt müßt ihr in vielen Herzen thronen. Königinnen müßt ihr sein. Königinnen für Gatten und Kinder, Königinnen von geheimnisvollerer Macht für die übrige Welt, die sich beugt und immer beugen wird vor der Myrtenkrone und dem unbefleckten Zepter der Weiblichkeit.«

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Der Wartburg-Zeit der Minnesänger und des blühenden Marienkultus wirft man eine gewisse provenzalisch beeinflußte Sinnlichkeit vor. Ach, ich denke, damals fand unser Walther von der Vogelweide so mannhafte Töne von der Edelart weiblicher Zucht oder fraulicher Minne, daß man nach dieser Seite hin die bisherige Dichtung, die aus unserm neuesten Deutschen Reiche herausgewachsen ist, mit jenem alten deutschen Reiche nicht vergleichen darf. Minnedienst und Frauenverehrung jener ritterlichen Zeit waren nicht undeutsch: denn die französischen oder lombardischen oder sogar spanischen Herrengeschlechter, die »Blaublütigen« alle, waren wesentlich aus germanischen Ländern seit der Flut der Völkerwanderung und späterer Jahre dorthin getragen worden. Frauenachtung ist Herrentugend. »Ein edler Mensch zieht edle Menschen an« – in einem edlen und persönlichkeitsstolzen Manne spiegeln sich Frauen nicht in verzerrten Bildern.

Gewiß, die Pflichten der Hausfrau und Mutter sind oft nüchterner Art und gestatten oft nicht die Ausbildung und Vertiefung eines »großen Geistes«. Aber um so mehr die Ausbildung großer Herzen. Mit feinstem Anschmiegetalent weiß die liebende Frau den Gedanken und Sorgen ihres Mannes gleichwohl zu folgen und ihren Anteil instinktiv zu übernehmen, geleitet von fein tastendem Gefühl. »Ihr heiligen Weiber deutscher Vorzeit! Ihr wußtet von einem ›idealen Herzen‹ so wenig als vom Umlaufe des reinen Blutes, das euch rötete und wärmte, wenn ihr sagtet: ›Ich tue es für meinen Mann, für meine Kinder‹, euch mit euren Sorgen und Zielen nur unterordnend und prosaisch erscheinend. Aber das heilige Ideal kam dennoch durch euch, wie das Himmelsfeuer durch Wolken, auf die Erde nieder!« (Jean Paul.) Ja, weil sie ihm in ihren empfänglichen Herzen eine Stätte dafür bereit hielten. Der überreizten Gehirnarbeit haben wir genug; große Herzen tun uns not.

* * *

Nietzsche und Schopenhauer haben herb und ätzend über Frauen gesprochen. Beide waren Bewunderer Goethes. Sie sind hierin diesem Frauenkenner und Frauenschilderer mit seinem seherischen Tiefblick nicht nachgefolgt. Es ist mit der Stellung zu den Frauen ähnlich wie mit der Stellung zu Pflanzen und zur Natur überhaupt. Jene beiden Denker fanden auch zur Natur kein unmittelbares Verhältnis; ihre Sinne waren zu sehr, wie einmal F. A. Lange allgemein sagt, »Abstraktionsapparate«. Dem mehr denkenden, als schauenden Schiller erging es, obwohl in ganz anderem Sinne, ähnlich. Er hat uns in seinen Dichtungen zu geistig und einseitig Frauen geschildert, während der naturnahe, sinnenschärfere Shakespeare hierin Meister war. Aber Schillers tieflauteres ethisches Gemüt sprach allezeit hoch und würdig von der Frau, so etwa wie Goethe im gereiften »Tasso«, wo im zweiten Aufzug die bekannte schöne Umschreibung des »Erlaubt ist, was sich ziemt« unserer herzlichen Zustimmung sicher ist.

»Willst du genau erfahren, was sich ziemt,
So frage nur bei edlen Frauen an,
Denn ihnen ist am meisten dran gelegen,
Daß alles wohl sich zieme, was geschieht.
Die Schicklichkeit umgibt mit einer Mauer
Das zarte, leicht verletzliche Geschlecht.
Wo Sittlichkeit regiert, regieren sie,
Und wo die Frechheit herrscht, da sind sie nichts.
Und wirst du die Geschlechter beide fragen,
Nach Freiheit strebt der Mann, das Weib nach Sitte.«

Die Stellung zur Frau ist ein Gradmesser der Ungetrübtheit unseres Seelenspiegels. Ist seine Fläche oder Wölbung blank und glatt, so fällt auch das Weltbild samt Sternen und Bergen, Blumen und Frauen mit so zarten Konturen hinein, wie eine Landschaft in einen ruhigen Teich. Magst du üble Erfahrungen mit mancher garstigen, kränklich-verstimmten oder unedlen Frau gemacht haben – die Gesamtheit deines Urteils darf das nicht beeinflussen.

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Diese Betrachtung darf an einer schönen und tiefen Szene, die der wieder entdeckte Gobineau geschrieben hat, nicht vorübergehen. Die Freundschaft zwischen einem Mann und einer Frau ist anders als die Freundschaft zwischen gleichstrebenden Männern. Immer mischt sich in die erstere eine zarte Beigabe von mütterlicher, bräutlicher, weiblicher Neigung und Fürsorge, das liegt in den Geheimnissen der Geschlechtsunterschiede. Wie reif und keusch hat Graf Gobineau in der letzten Szene seines Renaissance-Dramas dies Verhältnis zweier hoher Menschen verschiedenen Geschlechts geschildert! Der greise Michelangelo nimmt Abschied von seiner gleichfalls betagten Freundin Vittoria Colonna, Abschied vielleicht für dieses Leben. »Ihr seid Michelangelo,« spricht die verwitwete Marchesa mit leiser Klage, »ich bin nur ein begreifendes Weib, genug begreifend, um den Abstand zu ermessen, der mein Mitfühlen von Eurer unbezähmbaren Tätigkeit trennt. Ihr habt viel für die Welt getan, und während Ihr den Ton Eurer Statuen zu kneten glaubtet, habt Ihr in der Tat der allgemeinen Erkenntnis neue Formen und Ausdrucksweisen, die sie niemals gehabt hatte, vorgeschrieben. Ich, was habe ich getan? Ich habe viel geliebt den, der nicht mehr ist. Ich habe Euch selbst viel geliebt, und das ist alles.« Aber der große Künstler und Mensch wehrt ab: »So habt Ihr denn ebensoviel als ich, genau ebensoviel gewirkt … Solang uns der Himmel Euren edlen Gatten gelassen hat, habt Ihr ihn geliebt und seid in seiner Liebe so glorreich beglückt gewesen, als es einem Weibe, vom Weibe geboren, gegeben ist, sich beglückt zu fühlen. Glaubt mir: es war das ein edles Tun, und die Tugenden, die sich durch die Wonneschauer solcher Liebe allmählich in Euch entwickelten, wurden gewißlich zum Meisterwerke menschlichen Wertes.« Fein und richtig wendet sie ein, daß sie durch den dauernden Besitz des Glückes an sich nicht ganz so gereift wäre, daß sie vielmehr erst durch die rückschauende Einsamkeit bei andauernder Liebe, durch die nötig gewordene Kräfteanspannung der treubleibenden Witwe zu dem geworden ist, was ein wolkenloses Glück niemals aus ihr gemacht hätte. Und Meister Michelangelo bringt ihre beiderseitige Lebensarbeit in den schönen Ausdruck: beide hätten sie ihren Mitmenschen hohe Beispiele hingestellt: er, indem er ihnen Werke schuf, sie, indem sie sich selbst zum Kunstwerk bildete. »Wenn also mir der Weltgeist einige Errungenschaften verdankt, so weigert mir, Marchesa, den Ruhm nicht, mich mit Euch zu vergleichen, und laßt mich hoffen, daß wir im Leben der Ewigkeit ebenbürtigen Fluges zu vollkommen gleichen Belohnungen uns werden emporschwingen können.«

Hoheitsvoller kann über zwei Edelmenschen nicht geschrieben werden.

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Aber, um wieder in den Alltag zurückzukehren, wir wollen noch eins nicht vergessen: der Körper der Frau ist im Entwicklungsplan der Erde stärker in Anspruch genommen als der leichter schreitende Mann. Viel Frauenlaune gilt es hieraus zu verstehen. Wenn sich mancher Jüngling sachlich und nüchtern klarlegte, daß das Weib, also auch seine Mutter, unter Lebensgefahr und zahllosen Schmerzen und Sorgen die Erhaltung des Menschengeschlechts im Gange hält, er würde ernster und minder lüstern über Frauen sprechen oder an ihnen handeln.

Wenn man sagt, die Mehrzahl der »modernen Weiber« sei leider entartet, so kann man sofort, nach dem Turnvater Jahn, antworten: der Mann sei mannlich, so wird die Frau fraulich sein! Die Überreizung zahlloser Frauen, besonders solcher der Literatur, ist nur ein Seitenstück zu der krankhaften Überreizung unserer männlichen Jugend. Ja, wie in der Liebe der beherrschungsstärkere Mann fast immer der verantwortliche Teil ist, so ist für die Entartung einer Zeit in erster Linie der Mann verantwortlich zu machen. Die zarteren Organe der freilich durch Scheu behüteten Frau fallen der einmal eingerissenen Entartung immerhin leichter zum Opfer. Der Fanatismus der Anarchistinnen oder Pariser Petroleusen, die Menge von Verlorenen – welche Entartungen! Andererseits aber: wie viel hohes Frauentum sammelte sich stets um alle hohen Genien der Menschheit! Nicht nur um Dichter und Künstler, sondern auch um Christus und in Indien um Buddha. Es war nicht weibliche Neugier, es war weiblich-seherischer Instinkt. Hohe Manneskraft weckt hohe Frauenkraft – und umgekehrt. Ein Adelsmensch bringt mit Wort, Wesen und Werken das Beste in uns zum Erwachen wie durch magnetische Berührung, indes das Gemeine zu gleicher Zeit von selber abdorrt, ohne daß man ein Wort weiter darüber zu verlieren braucht.

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Und wenn mich nun eine Frau fragen würde: Gewiß, wir wollen ja Mitarbeiten, aber wo ist unser Feld? – so stehe ich nicht an, weitherzig zu antworten: Wo immer ihres euch schafft. Solange nur euer Gemüt und eure Weiblichkeit nicht nur »nicht Not leiden« – denn das wäre schon ein Stillestehen und also Rückgang –, sondern sich recht betätigen als Ergänzung des männlichen Kampfes, da gilt das tapfere Wort: »Alles ist euer!«

Jede hat irgendwie einen Kreis, den sie ausbauen kann – sie fange mit sich selber an! Sie sei selber in wirrer Zeit eine harmonische Erscheinung für die drei oder vier Menschen ihres Umkreises! Hier ist freilich der Mann besser dran; er hat mehr Einsiedlerkraft. Die Frau bedarf des Austausches, des Empfangens und Gebens meist mehr als der Mann. Dafür hat sie um so mehr Kräfte der Geduld, wenn sie zuletzt entsagen muß.

Freilich sind auch hier große Wertunterschiede zwischen den einzelnen Frauen. Wie manche Weiblichkeit muß auf kümmerlichem Erdreich vorzeitig verblühen – wie eine Pflanze in der Natur um uns her, in deren Gesetze wir erbarmungslos nach unübersehbarem Weltplan eingebaut sind. Sie alle, diese verkümmernden Pflanzen, möchte man trösten, in alle Fernen hin und nach tausend Seiten zugleich, wenn man dessen die Macht hätte. Aber dies Frauenleid ist nur eine der Formen, unter denen das vielfältige Leid der Erde auftritt; unsere Leiden sind wieder anderer Art.

Ich muß immer dabei an Jean Pauls »kunstlose Kordula« denken. Kordula wußte wenig, las nichts, als was sie Sonntags sang, schrieb keinen Buchstaben als den, womit sie Wäsche zeichnete, und sie war weiter nichts als schuldlos und hilflos. Ihr seelenloser Vater ließ nur zu, daß ihr Körper ein Koch und die Seele eine Köchin wurde. Und wie sie nun am Ufer eines Teiches saß, dachte sie an ihre tote Mutter, von deren Lächeln sie in der Nacht geträumt; und das Wiegen und Taumeln der Pappeln, die Grasmückenmusik, der seltsam gefärbte Himmel, der nachschwingende Traum wirkten zusammen, ohne daß sie sich darüber Rechenschaft zu geben wußte: sie zog plötzlich ihre Schürze an die Augen und weinte. Und der Dichter fährt fort: »Oh, es ist mir jetzt, als säh' und hört' ich in all eure Häuser hinein, wo ihr, Väter und Ehemänner mit vierschrötigem Herzen und dickstämmiger Seele, beherrschet, ausscheltet, abhärtet und einquetscht die weiche Seele, die euch lieben will! O ihr milden, weichen, unter schweren, finstern Schnee gebückten Blumen, was will ich euch wünschen, als daß der Gram, eh' ihr mit zerdrückten Blättern verweht, euch mit den Knospen umbeuge und abbreche für den Frühling einer anderen Erde? … Und ihr seid schuld, daß ich mich nicht so freuen kann, wenn ich zuweilen eine zartfühlende, unter einer ewigen Sonne blühende Schwester von euch finde, eine hauchende Blume im Wonnemond, denn ich muß denken an diejenige von euch, deren ödes Leben eine in einer düsteren Obstkammer durchfrorene Dezembernacht ist. Und doch kann euer Herz etwas Schöneres tun als sterben: sich ergeben.« Sich ergeben? Ja, aber zu einer tätigen Stille!

Es geht ein Ruf durch diese Zeit, noch von wenigen gehört und von ganz wenigen klar gedeutet. Ein Ruf, der aus tiefen Wäldern kommt, wie eine Bitte um Erlösung. Horchet auf, zieht aus in den Dornröschen- und Schneewittchenwald und sucht die vergessene Königin wieder: die Gemütsmacht der Frau, die Seele der Menschheit!

Wenn wir wieder gesegnet sind von ihren königlichen Kräften, so wird sich das wie ein Wetterumschwung auf alles und alle durchdringend verbreiten, bis in den kleinsten Haushalt hinein. Wie nach langem, drückendem Regen die Morgenluft eines wiederum einziehenden Sommertags so beherrschend wirkt, daß uns seine Reinheit schon in aller Frühe beim Aufstehen wonnig durchströmt.

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