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Das folgende Bild ist freie Gestaltung nach einem Wandgemälde auf der Wartburg.
Die Sage erzählt einen ähnlichen Vorgang von Friedrich dem Freudigen.
Der Rennstieg ist ein uralt-einsamer, waldumwehter Höhenweg auf den Kämmen des Thüringer Gebirges. Er beginnt unweit Eisenach beim Dorfe Hörschel, läuft über Hohe Sonne, Dreiherrenstein, Inselsberg nach dem Heuberg, nach Oberhof und weiter hinaus bis an den entlegenen Frankenwald. Er läuft durch trotzige Tannen, hellbraune Föhren, weitästigen Laubwald: er klettert steinige Hänge empor und senkt sich wieder gleich einem ausgewaschenen Rinnsal; er verliert sich in wirrem Graswuchs und schleicht wie ratlos durch wuchernd Heidekraut. Aber immer bleibt er auf den Höhen.
An regnerischen Tagen sind diese Höhenpfade großartig umraucht von ziehendem Gewölk, von andringenden Nebeln. Dann stehen die Bäume schattenhaft; die Felsen glotzen mit fremdartig düstern Gesichtern aus der verdunkelten Waldung; schräg sprühen und stäuben die feinen Tropfen; nackte Wurzeln laufen am Wegrand hin und am Sandhang empor wie Rieseneidechsen. Deine Phantasie macht sich auf und dringt gestaltend in dies Weben und Wandern ein …
Aber im Winter ist dort oben Eisland. Dann ist in jenen Wäldern Totenstille, nur manchmal unterbrochen von niederklirrenden Ästen oder brechenden Bäumen, deren dumpf donnernder Schall die anderen Baume beben macht. Gläsern ist dieser Wald, verzaubert in Kristall: der Rauhreif hat ihn verzaubert. Kein Blättchen ohne diese gleißende Last. Die Äste sind anders gebogen, kein Zweig mehr hat seine natürliche Himmelsrichtung; alles drängt nach unten und bildet Grotten und Paläste. Das Reh rasselt daraus hervor und stäubt vorüber; kein Windhauch vermag die unbeweglich weiße Masse ins Flüstern zu bringen.
Aber wenn die Sonne kräftiger brennt, so wird der berührte Wald zur melodischen Memnonssäule: er fängt zu singen an. Eissplitter und Tropfen lösen sich und rieseln zur Erde; die Zweige richten sich wieder in ihre natürliche Stellung auf; es geht eine Bewegung durch den Wald. Auf der Sonnenseite der Berge sammeln sich Rudel von Hochwild, scharren am Boden oder heben horchend die Häupter ins Mittagslicht. Nur in den Gründen der Nordseite verharrt noch finster und verschlossen der Eiswald in seiner abwartenden Kraft, und erst wenn der Südwind über die Berge läuft, löst sich auch dort die gewaltige Vertrutzung.
Immer wanderst du festen und leichten Ganges durch jene Bezirke hoch über der Welt der krähenden Hähne und mahnenden Turmuhren. Das Menschenland und seine Maße liegen unter dir. Nur Erinnerungen umspielen dich, durchsingen dich …
* * *
Zwei Rosse traben dumpfen Schalles südwärts. Des tiefblauen Sommerhimmels reine, weiße, fein abgegrenzte Wölkchen fliegen wie Schwäne durch die klare Luft. Rechts und links weichen die Edeltannen dem raschen Ritt. Schaum fliegt aus den Gebissen, Schaum bespritzt die Stuten; mit gefleckter Brust sprengen die hellbraunen Rosse dahin. Leichte Sandwölkchen fahren wie unwillig hinter ihnen auf und legen sich rasch wieder zu Boden, Gewänder bauschen sich, der Schleier einer Dame flattert im Wind. Ein dunkelgrüner Sommerwald umrahmt die farbigen Gestalten.
Ein Ritter ist es und seine Dame. Des Ritters schwarz-stählern Schuppenhemd und Gewaffen blitzt, rasselt, reibt sich beim Ritt im Schienenwerk. Sein Schild tanzt auf dem harten Rücken; die Federn seines Helmbusches wehen rückwärts wie der Schleier seiner jungen Gattin.
Diese reitet in weißem Gewand, das von dunkelblauem Mantel fast völlig überdeckt und umwölbt ist. Ein schwarzes, lose gebundenes Haar lastet lang und leuchtend auf dem Rücken der Reiterin, hebt sich im Takt der Hufe, fliegt manchmal auf und prallt wieder an. Die Reiter atmen kaum in der Spannung der Flucht. Die Rosse, unbewußt der Menschenschicksale, die sie durch Wald und Wildnis tragen, wiehern keck und freudig in den sonnendurchblitzten Waldmorgen, knirschen und werfen die Mähnen hoch im Gefühl ihrer Kraft, die alle Schwere spielend überwindet.
Stattliche Reiter! Vom Nacken des Mannes bis zum Ledersattel, über den sein grauer Mantel gebunden ist, eine einzige gerade Linie, so gerade wie die Speerstange, die er in seiner behandschuhten Rechten hält und am schaufelbreiten Steigbügel aufgestemmt hat. Sein Visier ist offen; die schwarz umbuschten Brauen sprühen vor Daseinskraft; der Schnurrbart ist feucht von Atem und Tau, die Nase kühn und grade, der Mund schmal und fest.
Manchmal wendet er Kopf und Helmbusch hinüber zu der Dame; sie fühlt seinen Falkenblick und antwortet ebenso stummberedt. Beide sprechen nicht mit Worten, aber ein kühnes Lachen zuckt über ihre Züge und ruft dem Nachbarn Grüße zu. Furcht hat in diesen Seelen keinen Platz. Beide schauen dann wieder hart und herrisch gradaus, über die Mähnen der Pferde hinüber, in das unbekannte und dennoch wohlbekannte Land der Zukunft. Denn sie nehmen ihren Mut und ihre Stärke mit, wohin sie auch reiten.
Was hält die Reiterin, die eine hohe, goldbesetzte, schleierumwehte Frauenhaube trägt, mit so gleichmäßiger Festigkeit in den gefalteten Ecken des Mantels? Öfter noch als zum Gatten neigt sie den Blick zu diesem Bündel, das so sorgsam von ihrem linken Arm gehegt und geherzt wird. Sie ist eine unvergleichliche Reiterin. Frauenhaft auf dem breiten Sattel sitzend, lenkt sie kaum merkbar das sprühende Roß, stolz ist ihr Sitzen und aufrecht. Ob Galopp oder Trab: ihr Kind hält sie mit gleichmäßiger Sicherheit. Auch bei ihr streben Nase, Kinn und Stirn des erhobenen Angesichtes in die grade Linie. Die Mütter dieses Geschlechtes haben sich an den Fichten des Hochwaldes eine Augenweide genommen, als sie sich Kinder ersehnten. Diese Augen suchen aus Naturdrang die Umgebung der Sonne. Versuchte man diese Nackenlinie zu beugen oder zu brechen, so wären auch die Menschen selber gebrochen und entwertet …
Halt! Ein Stimmchen dringt unter dem Mantel hervor. Der längst unruhige Kleine verlangt gebieterisch die Mutterbrust.
Die Verfolger sind hinter ihnen, aber beide zügeln die Pferde und halten an, ruhig und sicher in jeder ihrer Bewegungen. Der Ritter späht umher. Dort ist eine Felsenmasse, die im Halbkreis Schirm gibt. Ein knorriger, vom Wind verbogener Buchbaum wuchtet daneben. In dieser Nische auf weichem Waldmoos nimm deinen Sitz, junge Mutter, stille dein Kind! Dein Gatte hält Wache.
Mit kurzem Ruck kehrt er sein Pferd um, dem noch unsichtbaren Feinde zu. Klirrend fällt das Visier; der Schild sitzt am Arm; der Stachelspeer wächst wagrecht unter dem Arm hervor.
Inzwischen steigt die Mutter vorsichtig ab und läßt sich zwischen Gras und Stauden nieder. Das Kind schreit mit aller Kraft. Die starke und ruhige Tochter der Burgen und Berge wird nicht ungeduldig. Spräche sie, man vernähme eine tiefe, hallende Stimme, wobei die Muskeln ihres Halses vorquellen würden. Alles an ihr hat einen Zug ins Große und Kühne, selbst jetzt noch, wo sich ein zartes Lächeln über ihr Gesicht zu verbreiten beginnt. Sie hat das lebendige Bündel auf den Knien ausgepackt, sie nestelt an ihrem Busengewand, sie hebt ihres Kindes rosiges Gesichtchen an die Mutterbrust – und der Wald wird still …
Sonnenschein fließt über das heilige Bild; der Hochwald steht in göttlichem Mittagsfrieden. Ein Ritter, ganz in hartes Eisen gepanzert, hält auf dem Sandweg; eine Mutter, ganz Güte und Weichheit, stillt ihr Kind.
Jetzt durchbrechen Stimmen die köstliche Stille. Wüste Stimmen machen sich heran wie ein hungriger, suchender Waldwind; sie setzen wieder aus, sie schwellen an, sie schallen verworren herüber. Die Verfolger!
Die Frau schaut von ihrem immerzu trinkenden Kinde auf und schaut fest ihren Gatten an, durch den die Außenwelt hindurch muß, um zu ihr zu gelangen. Das Pferd des Ritters bewegt horchend die Ohren. Er aber wirft nur kurz und kühl das Wort hin: »Bleib nur!« Und er reitet vollends hinaus, mitten auf den Weg.
Auf engem Rennstieg, zwischen Hecken und Urwald, braust der verfolgende Troß heran. Der Mut dieser Meute bestand in gegenseitiger Ermunterung. Der Feind floh, der Feind war also feig. Sie prahlten, was sie mit dem Eingeholten beginnen würden; einige führten den Gefangenen in ihrer vorauseilenden Phantasie an Stricken durch die Bauernhöfe der Täler; andere hieben ihn gleich auf der Höhe kurz und klein und ließen ihn am Wege liegen. Und jetzt – – jetzt hält er da lebendig vor ihnen, unbeweglich, mitten auf dem Weg, in Eisen gehüllt, mit Schild und unheimlich angriffsbereitem Speer! Sie prallen zurück, völlig verblüfft und fassungslos über eine so unerhörte Kühnheit.
Endlich löst sich aus dem wirren, beratenden, gaffenden Durcheinander die Gestalt des Führers. Er reitet vor und entfaltet seine Kunst: seine Kunst zu prahlen, zu schimpfen und zu drohen. Er tötet den Ritter mit Worten: er beweist ihm unbarmherzig, daß nunmehr er und sein Weib verloren und vernichtet seien – –
Da, ein Spornstoß des Ritters, ein Vorwärtssprung des turniergeübten Rosses, ein Lanzenkrach – und der Redner liegt zerschmettert am Boden! Die Schar der anderen brüllt auf, drängt sich in erschrockenem Getümmel zurück; ihr Massenmut geht unter in einer ebenso einstimmigen Massenangst.
Rasch erhebt sich die Frau, wickelt den befriedigten Sohn und Erben so ausgezeichneten Mutes mit zwei, drei Griffen in den Mantel, springt auf – und noch mit halboffener Brust und noch mit vorgehaltenem Schild und Speer setzen in tosendem Galopp die Flüchtlinge den Ritt fort, waldhinab, südwärts …
Spät erst bricht der Held das Schweigen und lacht unter noch geschlossenem Helm laut auf. Er wirft den Schild auf den Rücken, stößt das Visier auseinander und ruft lachend: »Wie der Schenk aus dem Sattel flog! Das blöde Gesicht! Mitten im Wort! Ein Schimpfwort sollt' es werden – auf dich! Das ward sein Tod!«
Stolz sah er sein Weib an, und stolz-innig erwiderte sie den tiefen Blick. Dank und Liebe flammten aus ihrem Auge, das sich von ihrem Gatten in rascher Gedankenfolge zum Kinde senkte. Dann verlor sich der Frauenblick träumerisch ins Weite mit einem eigentümlichen Lächeln seliger Befriedigung und scheuer Erwartung ferneren Glückes.
Das war der Mann, von dem sie geträumt, als sie noch mit Puppen spielte. Das ist der Mann, mit dem sie nun in Treuen über die ganze Erde reiten wird bis ans Ende der Welt …