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Abendgespräch mit einer Mutter

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Göttinnen thronen hehr in Einsamkeit,
Um sie kein Ort, noch wen'ger eine Zeit;
Von ihnen sprechen ist Verlegenheit.
Die Mütter sind es!

Faust

. Wie schön ist die Helle, unter der wir endlich wieder einmal als gute Kameraden wandern! … Abendspaziergänge hab' ich besonders gern. Es ist, als öffnete sich nun das Weltall, das tagsüber verhängt war. Man fühlt sich im Angesicht der Unendlichkeit, und die Worte werden unwillkürlich gedämpfter. Geht es Ihnen nicht ebenso?

– »Ja, besonders heimziehende Vögel mag ich so gern. Sehen Sie, wie hoch und still der Schwarm dort durchs Abendgold fliegt! Es sind nur schwarze Pünktchen … Und immer streben sie der Sonne nach!«

– »Wer mit ihnen fliegen könnte!

– »Fliegen zu können! Wie oft würden wir aus unserer Enge auffliegen, grade wir Frauen!«

– Aber wieviel öfter würdet ihr wohl wieder in die traulichen Saaten hinabnisten, grade ihr Frauen?

– »Das mag sein. Wir könnten's wohl nicht lang aushalten vor Heimweh nach den Kindern, die uns anvertraut sind. Männer sind besser dran als wir Frauen und Mütter. Ihr seid Welteroberer.«

– Männer? Ich kenne genug Männer, die in Amt und Alltag verhärtet sind. Ist das nicht schlimmer?

– »Das wohl. Aber Männer, mein' ich oft, gehen mit weniger Gefangenschaft durch den Haushalt der Natur. Wir Frauen sind zu reichlich mit Stoffen der Erde bedacht: wir müssen ja Leib und Geist unsrer Kinder nähren und wärmen. Wie reizbar und gespannt ist die Elektrizität unseres Körpers, wie zittert sie leicht! Heute jauchzen wir himmelhoch, morgen kränkeln wir wieder. Man kann oft wahrhaft niedergeschlagen sein über die Stimmungsunterschiede, die in uns sind! Wir sind viel bemitleidenswertere Gefangene unsres Körpers als ihr Männer. Ich hab' in meiner Jugend immer ein Junge sein wollen – und nur die unsagbare Liebe zu meinen Kindern hat mich mit meinem Geschlecht ausgesöhnt. Wie hab' ich meine Kleinen lieb! Es ist ein wunderbares Fadengewebe zwischen Mutter und Kindern! Alles verbleicht, glauben Sie mir, neben der Macht des Muttergefühls. Von diesem seligsten Glück habt ihr Männer gar keine Vorstellung. Und diese Kraft ist auch in Frauen, die noch nicht oder überhaupt nicht körperlich Mütter sind, wenn sie nur Liebe haben.«

– Recht so! Aber nun lassen Sie mich fortfahren! Dieser Vorrat an nährenden und wärmenden Stoffen, dieser Drang zur Mütterlichkeit, den Sie vorhin als beschwerend beklagten, gibt er euch Frauen nicht die köstlichste Eigenschaft? Verklären Sie uns nicht damit die Welt, wenn diese Kraft richtig entwickelt ist? Erwärmen Sie nicht jeden, der in Ihren reinen, lichten Bezirk tritt, nicht bloß Ihre Kinder? Ist diese himmlische Sonnengabe nicht etlicher Betrübnis wert?

– »Wahrlich, das ist sie! Alles könnt' ich hingeben, alles dulden für das Glück und Gedeihen meiner Kinder! … Aber sehen Sie, ich kann ein Gefühl von Minderwertigkeit nicht ganz los werden – verstehen Sie mich wohl: – dem Manne verdanken wir ja die Mutterschaft mit all ihren Segnungen, Wonnen und Leiden. Und das will manchmal meinem Hochmut nicht recht ein. Ich fühle mich gern als Königin, in gutem Sinne, Sie verstehen mich recht, nicht wahr – und kann doch das Gefühl nicht bezwingen, daß ja ihr Männer die Könige seid und wir nur Dienerinnen, allenfalls Verwalterinnen.«

– Erlauben Sie mir eine Gegenfrage: Sind die Funken Kinder des Stahls oder des davon berührten Steins?

– »Nun, ich denke aller beider

– Ganz recht! Echte Frauen und echte Männer – negative und positive Elektrizität! Sie gehören zusammen und wirken gleichwertig als Ganzes. So will's der Haushalt der Natur; so will's der Haushalt der Seele und des Geistes. Immer wieder üben wir Männer ja gerade durch euch Frauen und Kinder das Talent der Liebe zur ganzen Welt – und umgekehrt ihr durch uns. Durch liebend geöffnete Herzen strömt dem Kopfe leichter Weisheit zu – und dem weisheitgeleiteten Willen Stärke. Unser Organismus ist erwärmt, er sendet nun überhaupt stärkere Strahlen aus, er zieht alles Edle mit Fangarmen wieder an sich, er scheidet aus das Unbrauchbare, er behält das Fördernde. Das geniale Sprechen mit »leerer Luft«, das Sie als Kind so sehr liebten, das geniale Empfinden der Nähe guter und großer Geister, das Streicheln der Blumen und dieser großen Stengelpflanzen, der Waldbäume – von wem haben wir die Entflammung dieser seherischen und künstlerischen Kraft, wenn nicht von euch Frauen und Kindern?!

– »Ihr vergeistigt das, darum wird diese Gabe wertvoll. Aber wir Frauen greifen oft kindlich und töricht nach den Dingen selber, wir wollen oft greifbar besitzen, was wir liebhaben, eben weil bei einer seelischen Freude unser Körper so lebhaft mitschwingt. Dem Evangelium sogar gilt gar leicht unsre Liebe nur dann, wenn uns der Evangelist lieb ist. Ein ›Der‹ ist uns nun einmal faßlicher als ein ›Das‹. Wir können dies ›Das‹ weder schauen noch hören noch liebhaben – es ist uns zu farblos – – ach nein, lassen Sie gut sein! Wir sind Gefangene der Eindrücke!«

– Nicht nur Sie: jede künstlerische Natur! Ich meinesteils habe zeit meines Lebens aus Grammatik und Regeln wenig gelernt, aber ein einzig Beispiel machte mir die Sache faßbar und lebendig. Das Höchste und Heiligste kann nur unter Beihilfe der Sinne in sichtbare Erscheinung treten. Lassen Sie uns groß genug sein, den Mißbrauch der Sinne zu fürchten und zu verachten; aber lassen Sie uns größer sein, und die wohlgebrauchten Sinne achten!

– »Ja, da haben Sie recht. Es lähmt uns in unsren heiligsten Kräften, wenn wir heut' überall so schändlich die Sinne mißbraucht sehen. Liebe – es gibt nichts Heiligeres! Mutterschaft – es ist für uns der Inbegriff alles Erlebens! Und wie ist das alles unrein geworden, in Kunst und Literatur und Leben! Mir schnürt sich das Herz zusammen, wenn ich denke, ich soll meine anschmiegsamen, so vertrauensvollen Mädchen, meine unschuldigen Lockenköpfchen, von denen ich mich kaum einen Tag trennen mag, hinauslassen in diese unsaubere Welt. Was für verzerrte Menschen laufen da herum, was für verzerrte Sachen schreiben und malen und tun sie! Mutterschmerzen sind etwas Furchtbares, mein Leben hing zweimal nur noch an einem Fädchen – aber der Schmerz, Häßliches und Gemeines wehrlos mit ansehen zu müssen, tut unsäglich viel mehr weh. Als lachendes Kind zog man einst hinaus und war allen Menschen gut – und als verstörtes Kind steht man oft am Wege und verlangt wieder heim, den stillen Abendröten nach, wie vorhin die heimfliegende Vogelschar.«

– Ich kann Ihnen nur sagen: ich knirsche, wo Sie weinen, und schüttle die Fäuste. »Wehe der Welt, der Ärgernis halben! Es muß ja Ärgernis kommen, doch wehe dem Menschen, durch welchen Ärgernis kommt!« Wer dieser Geringsten einen, diese Kinderseelen, diese Frauengemüter, diese Königinnen im Gewande der Hausfrau und Mutter ärgert, – dem wäre besser, daß ein Mühlstein an seinen Hals gehängt und er ersäuft würde im Meer, da es am tiefsten ist! … Sie kommen sich als »Gefangene« vor, verehrte Frau, trotz Ihres reinen häuslichen Glückes: wir alle sind Gefangene. Aber wir sprengen die Ketten, die uns Entartung und Verzerrung rund herum angelegt haben; wir führen die Königin wieder auf ihren Thron, die Priesterin wieder in den gereinigten Tempel: die Frau und Mutter wieder auf ihren Ehrenplatz. Verlassen Sie sich drauf!

– »Königinnen, ja, das sollen wir sein und Priesterinnen! Einst haben Priesterinnen zwischen Gott und den Menschen vermittelt, wenn uns doch das überall wieder möglich würde, im Haushalt, an den Kindern, an Freunden des Hauses! Ist es nicht ein frauenhaftes Amt? Ich spüre so viel Kraft in mir, Gutes und Schönes zu spenden! Die Welt vergolden und verklären, wie dieser Abendhimmel alle Hügel und Häuser verklärt –! So möcht' ich Menschenseelen verklären!«

– Ja, das ist das rechte Frauen- und Künstleramt! Nicht nur die Seherinnen in Delphi oder die Priesterinnen der Tempel waren Frauen: auch die Musen und Grazien sind Frauen; sie bringen uns Poesie, wir formen nur ihre Gaben. Wollen Sie noch betrübt sein? Euch ist Tiefstes anvertraut. Ihr kommt mir oft vor wie Pforten der Unendlichkeit. Ihr laßt aus den Tiefen der Ewigkeit das Leben überhaupt in die Welt ein. Ungeheure Lebensmöglichkeiten liegen hinter euch – ein Funke von uns, und eine dieser Möglichkeiten springt auf ein Weilchen hervor, in sichtbarer, geformter Masse: ein Mensch. Mehr als das: ein Geist, unendlich und unsterblich wie wir, ein Geist, vielleicht ein Genie, durch das Milliarden von Ideen und Gesichten fluten und die Welt bereichern, ein Gedanke und Sendling Gottes … Gottes, der hinter und über uns allen steht, der in uns allen schaffend pulsiert, von dem auch wir beide gleichwertige Teilchen sind, ob Mann oder Weib. Es ist das Wunder aller Wunder: das Leben!

»Wohin der Weg? – Kein Weg! Ins Unbetretene,
Nicht zu Betretende; ein Weg ans Unerbetene,
Nicht zu Erbittende! …
Gestaltung, Umgestaltung,
Des ew'gen Sinnes ew'ge Unterhaltung« …

Zu den »Müttern« stieg Faust hinunter! Und damit zu alles Lebens dumpf-unendlichem Inbegriff … Eine Mutter ist auch die Erde selbst, auf der wir gehen: die Sonne ist der Mann, der den Funken wirft. Wohl durch das ganze All hin ergänzt und belebt sich Männliches und Weibliches zu dem Wunder des Lebens – auch im Reich des Geistes … Wenn man solchen Fragen nachhängt, so wächst ein Gefühl immer mächtiger hervor, über alle anderen hinaus: Ehrfurcht vor dem Wunderbaren, durch das wir hienieden nur ahnend dahinwandeln. Das möcht' ich den Menschen sagen dürfen! …

– »Ja, Ehrfurcht! Und Dankbarkeit! Dankbarkeit, daß wir es ahnen dürfen, so viel Schönes, so viel Hohes! Ich könnt' in solchen besten Stunden immer nur dankbar sein – für alles, auch für die Schmerzen meines Lebens!«

– Erst recht für Schmerzen! Hat man erst einmal diese beste Kraft aller Kräfte: Dank auszuteilen sogar den Widerständen, die uns ja nur erzogen haben, so ist das Spiel gewonnen! Was von nun ab unser Innenreich trüben will, ist machtlos. Wir sind nun wie Äolsharfen: der Wind der Welt kommt herauf und wird Melodie, sobald er unsre Saiten berührt … Und nun muß ich wieder sagen: in dieser Kraft seid grade ihr Frauen, falls eure Gemütsmacht die Widerstände überwunden hat, viel lebensreicher als wir, obwohl wir vielleicht besseres Prägungstalent besitzen; denn ihr habt viel mehr Schmerzen als wir in Wonnen und Siege verwandelt. Und sehen Sie: darum ist es uns »weniger beschwerten« Männern erst recht eine ritterliche Pflicht und ein höchster Gewinn, vor euch das Knie zu beugen und euch in Verehrung zu dienen, ihr tapfren Frauen, ihr guten Mütter: ihr Königinnen!

– »Dienen? Nun ja denn, ihr uns und wir euch! Und wie gern dienen wir euch!«

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