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Vgl. Scheffels »Frau Aventiure«, Note über Ofterdingen! – Aus obiger Skizze entfaltete sich mein Wartburgdrama » Heinrich von Ofterdingen«, das am 29. Oktober 1903 im Weimarer Hoftheater seine Erstaufführung erlebt hat.
Als der vierzigjährige Ritter und Sänger Heinrich von Ofterdingen, bekannt durch seine Vorliebe für Dorf und Volkstum, zum Sängerkrieg auf die Wartburg zog, lag des heißempfindenden Mannes diesseitiges Leben, das unvergeistigte Leben, das Leben in Stoff und Genuß – hinter ihm wie des Venusberges eitel Geflimmer.
Ein Stück seiner besten Kraft hatte der Sänger als Bezahlung zurückgelassen. Aber eine andersartige, bisher ungekannte Kraft begann in ihm zu erwachen: vertiefte Welt- und Menschenkenntnis; verstärkte Sehnsucht, aus den Niederungen herauszufinden und geistiges, sittliches und künstlerisches Hochland zu erringen.
Nicht mehr war er der keck und stürmisch zugreifende Liedersänger und Reigenführer, der unter derbem Volke die Weinkanne schwang und unter der Linde Umschau hielt nach den rosigsten Wangen. Er ahnte bessere Kräfte und feineres Besitztum. Er sammelte die zersprengten Heerhaufen seines Herzens und Geistes; er stand auf seinem Feldherrnhügel und hielt Ausschau nach einer letzten, höchsten, dauernden Liebe; er suchte nach so viel Zersplitterung eine wahrhaft große Dichtung, würdig seiner männlichen Jahre.
Er liebte nicht die zieren Sängerlein der schmucken Wartburg. Aber ein dunkles Ahnen drängte den Suchenden dennoch zum Wettkampf. Hochmütig, weil eines inneren Wertes bewußt, den er noch nicht durch ein sichtbar Heldenwerk hatte beweisen können, anscheinend kalt und fast gelangweilt, aber doch mit allen Sinnen insgeheim gespannt, zog er ins belebte Eisenach ein. Ihm, dem stolzen Anhänger der hochfliegenden Hohenstaufen, ihm, dem Kreuzfahrer, der so viel Länder und Meere geschaut, schienen diese Thüringer Landgrafen schöngeistige Müßiggänger und ihr gastlicher Hof eine belachenswerte Spielerei. In manchem Spottlied hatte der Donausänger den hellgemuten Landgrafen einen »Kaiser über schöne Worte« genannt, der über Sängerlein herrsche, weil ihm die heimlich begehrte Kaiserkrone der Staufen unerreichbar sei. Ja, er nannte ihn zweideutig, er schalt ihn einen »Mann der Mitte«, der nach beiden Seiten des zerspaltenen Reiches schiele, Freund mit Welfen und Hohenstaufen aus schlauer Besorgnis für sein eingeklemmtes Fürstentum. Das wußte der Landgraf. Aber der Herr der Wartburg war frei und edel genug, den Sänger dennoch einladen zu lassen durch den unbefangensten und lautersten seiner Sänger: durch den lichten Walther von der Vogelweide.
Ein Weib war am Wartburghofe, das eine erste große Unsicherheit in den hochgespannten Sänger warf. Er sah an einem Waldkreuz, die feindliche Burg umreitend, Frau Mechthild von Frankenstein, eine blutjunge Witwe, die schönste und zarteste Hofdame der Wartburg, goldblond, mit Augen so blau wie der Enzian, von vielen Edlen – auch von Wolfram von Eschenbach – herzlich und ehrerbietig umworben. Aber sie war enthaltsam gegen alle. Fülle von Reinheit entströmte diesem süßen Geschöpf. Sie wußte nicht, was Liebe heißt, das Wort Minne war ihr ein Schall, sie war sich der Seligkeit, die von ihr ausging, nicht bewußt, so sehr wandelte sie dahin in einer Wolke von Kindersinn und Herzensgüte.
Da kam der Unwerteste von allen, der so viel Lippen geküßt; in ungeklärtem Sehnen nach einer höheren Welt umstrich er die vornehme Wartburg. Er sah dies Weib, das noch ganz Kind war, und wie ein Weinen von Heimweh und Sehnsucht quoll es in ihm auf. Nicht nach Besitz und Genuß, nein, nur so zu sein, wie sie war: so gut und so still, so wonniges Licht ausströmend aus Kräften der Seele, so einig mit Gott und allen Guten und allen Blumen und Waldvöglein unter Gottes reichem, nährendem Himmel. Er warb um sie. Nicht wie sonst; unsicher warb er, bald zudringlich, bald sich herb vertrutzend, niemandem außer ihr bekennend, wie sehr dieser Anblick seine Seele durcheinandergeworfen.
Die Nacht vor dem Feste, belebt auf der überfüllten Lichterburg, belebt im überfüllten Eisenach, voll Blumengeruch, voll Gesang und Becherstoß – diese Nacht war eine Qual für den süddeutschen Sänger. Erst tollte er mit den andern, dann ritt er kreuz und quer auf seinem Schimmelhengst durch den Mondschein, in einem gärenden Bedürfnis, seine innere Unruhe zu übertollen und – aufzufallen. Ja, er wollte recht auffallen! Er wollte zeigen den Herrschaften der Tugendburg da oben, was Kraft und Genialität sei. Armer, scheingenialer, unreifer Tor!
So kam der Sängertag. Aus gestreuten Blumen und Laubgewinden dampfte Waldgeruch und Sonnenschein; die Festburg leuchtete mit tausend Fahnen und Wimpeln ins Land des Thüringer Löwen. Der stark empfindende, wuchtig sprechende Ofterdingen suchte in absichtlichen, trotzig übertreibenden Preisliedern auf sinnliche Minne den gesetzten Mann, Ritter und Christen Wolfram von Eschenbach und den heiter-edlen Walther von der Vogelweide zu übertrumpfen. Er stieß an zwei gereifte Männer an. Er fühlte das und ward erregt; er ward von einem deutlich zu fühlenden Unbehagen der Versammlung noch mehr gereizt; er ward maßlos als Mensch und Künstler – alles unter den Augen jener Schönsten, die gleichmäßig freundlich auf alle herabschaute. Und so unterlag er, als Mensch und Künstler. Seine hastig hinausgesprochenen und flüchtig gebauten Strophen waren nicht danach angetan, so sichere, gemäßigt-vornehme Gegner aus dem Sattel zu werfen.
Nicht Ruhm, nicht Dank, weder große Minne noch große Dichtung – nichts ward ihm zuteil. Des Wettkampfes wachsende Wildheit hatte sich dermaßen ins Persönliche und Politische verstiegen, daß der sonst so besonnene Landgraf zornig eingriff. Und als auch ihn Ofterdingens lodernde Rede mit ganzer Wucht getroffen, wandelte sich das kühne Spiel in furchtbaren Ernst: der Henker wurde gerufen, den Unterliegenden zu töten! Was sich an Groll und Gegensatz in den feindlichen Parteien angesammelt hatte, hier brach es stürmisch heraus, im Sängersaal, angesichts einer strahlenden Festversammlung, angesichts des wundervoll hereinlachenden Maienlandes. Wäre Ofterdingen nicht unter den Mantel der Landgräfin geflüchtet, Landgraf Hermann hätte mit der Gefühlsraschheit jener unpapierenen Zeit seine Drohung wahr gemacht. Dort, unter dem Festmantel einer hohen Frau, der herrlichen, feingebildeten Landgräfin Sophie, lag nun der Keuchende, ruhmlos Besiegte und bat nur noch um eins: »Gebt mir ein Jahr Zeit! Gebt mir Einsamkeit und Stille, gönnt mir meinen Freund Klingsor als Preisrichter, und ich stelle mich, bei meinem Ritterwort, aufs neue zum Wettkampf, auf Leben und Tod!« Die Landgräfin flehte für ihn, Frau Mechthild sprach ein bittend Wort, der finstre Landgraf winkte, und unter lautloser Stille verließ der gedemütigte Sänger das jäh beendete Fest.
Der alte Ofterdingen war tot. Der neue Ofterdingen suchte sein neues Leben.
In jener Nacht weinte Frau Mechthild bitterlich. Sie weinte aus Mitleid, sie weinte um den Unterlegenen, der heute so unmännlich, so herzergreifend, so ganz im Widerspruch mit seinem sonstigen Trotz gezittert hatte: »Ich will nicht sterben!« Ein nie erlebtes Gefühl zog in ihre bange Seele ein, heiß, übergewaltig, unwiderstehlich: sie liebte zum erstenmal mit ganzer Kraft. Sie liebte Heinrich von Ofterdingen. Aber sie wußte ja genug von seinem Vorleben. Und so lag sie vor dem Madonnenbild, bebend vor Herzweh, aufgelöst in Tränen, und tat den heiligsten Schwur: Nie soll er, nie soll sonst jemand erfahren von dieser Liebe! Ihre Jungfräulichkeit schauderte vor dem wilden Sänger – und ihr Blut flog ihm zu.
Der Sänger aber ritt durch dunkelste Wälder dahin, dem Süden zu. Tief über des Pferdes Mähne hing der Lockenkopf mit dem starren Blick; er hörte keine Töne der Umwelt, er hörte nur die Meute, die ihn verfolgend umtobt hatte. Es war ein traurig Reiten. Sein Knecht, ehedem ein Vagant und fahrender Spielmann, ließ hinter dem todestraurigen, betäubten Herrn sein dürftig Rößlein traben und sang mit leiser, verhüllter Stimme Strophen aus alten Volkssagen in die laue Nacht. Die Bäume am Waldweg rauschten dazu ein verschlafen Harfenlied. Die Felsen standen stumm und hart am Rennstieg wie Recken alter Zeit; Mondflimmer huschten über den grasbewachsenen Gebirgspfad. Der reitende Spielmann sang vom Sonnensohn Siegfried aus Niederlanden, er sang von Hagens furchtbarer Treue, er sang vom Todeskampf der Burgunder an Etzels Hof. Er flocht Vergleiche ein zwischen dem Sängerkampf der Wartburg und jenem fürchterlichen Gemetzel im rauchenden Hunnensaal, wo man hart und schweigend in den unerbittlichen Tod schritt – – – Er sang. Und Ofterdingen begann zu lauschen.
In jener Nacht wurde das Nibelungenlied blitzhaft empfangen von des Dichters weitoffener Seele. »Ha, über euch Minnetändler und Wortekünstler! Ha, nun ahn' ich ein ander Lied! Wie Fels und Urwald in niederwuchtender Tragik! Gewaltig kündend, wie stets am letzten Ende die Liebe Leiden gibt, getreu meinem dörperlichen Gesang, wachsend zu einem Gesang der Höhe, Volk und Herrentum umspannend – angefüllt mit Kämpfen, mit Schildgekrach und zerklirrendem Stahl – und wieder süß wie Mechthilds Minne – –: so soll mein Heldenlied Einzug halten auf der Wartburg! Ebenbürtig dem Parzival, übertönend Walthers Minnesang.«
So ritten sie durch die gesegnete Nacht: der wieder vom einbrausenden Leben hochgeraffte Sänger und sein verwachsener, verworfener und dennoch zu so Großem gewürdigter Knecht.
In einem wohlgefüllten Jahre bescheidener, zäher und doch heller Arbeit war es getan.
Als Ofterdingen abermals zu Eisenach einritt, den weisen, ernst-stillen Meister Klingsor zur Seite, war er ein anderer. Er erwartete nichts mehr vom äußeren Leben, er fürchtete keine Niederlage, er erhoffte keinen Ruhm. In sich selbst hatte der Held sein Glück und seine Kraft gefunden; nun waren seine Augen blank, und sein Herz war still. Ein ernster, fester Mann trat zum Wettgesang auf dem Burghof an.
Noch erlauchter war die Versammlung, noch zahlreicher strömten die Neugierigen. Der Saal hatte nicht ausgereicht, man hatte den Wartburghof ausgeziert. Da saßen auf Estraden buntgewandete Edelfrauen, reiche Edelherren und waldverlorene Ritter, und im Hintergrund stand mit einer schauerlich bedeutenden Wirkung das rot verhüllte Blutgerüst. Die überreizte Zeit der kühnen Kreuzzüge, die einen Hauch vom Orient zurückgebracht hatten, ärgerte sich nicht an so ruchlosem Reiz.
Seltsam: die Stimmung war von Anbeginn für Ofterdingen. Walther sprach gut, Wolfram sprach besser, der gefestigte Ofterdingen war beiden gewachsen. Ohne Erhitzung ergingen Spruch und Gegenspruch, Lied und Gegenlied. Floß vom überlegen-ruhigen, langbärtigen, hoheitvollen Meister Klingsor, dem Zauberer und Gelehrten, Ruhe auf den befreundeten Sänger?
Klingsor sprach das Urteil: »Gut sangen die Sänger alle drei. Eine Ehre sind sie der deutschen Nation alle drei. Lang lebe so köstlich Mannes- und Dichtertum! Lang lebe der edle ›Sängerkaiser‹, Landgraf Hermann! Nur einKranz ist vorhanden: so sei also gekrönt der würdigste und reifste der hohen Dichter, Wolfram von Eschenbach! Doch ehrt mir auch die andern, ehrt mir Herrn Walther von der Vogelweide, ehrt und achtet Herrn Heinrich von Ofterdingen!«
Alle atmeten auf; von Beifall widerhallte die frohe Burg. Der Landgraf nickte, der Henker verschwand, die Sänger verneigten sich dem Schiedsspruch.
Und aufs neue trat Ofterdingen vor; sein mißgestalteter festlich gekleideter Knecht ging neben ihm her und trug die Pergamente. Mit gesenktem Knie übergab der stolze Held seine königliche Spende: das Nibelungenlied. »Alte Mären hab' ich umgeformt zu einem Heldenlied, vergleichbar dem Sang von Parzival. Nicht mitreden noch mitwiegen sollte dies Lied in unserem Kampfe: zerdrückt hätte des Liedes Wucht meine machtlosen Gegner. Nun aber prüfe mit weisen Freunden, ob es deiner, Herr Landgraf, ob es meiner und dieser leuchtenden Burg würdig sei! Das Lied ist nicht mein; ich fand es nur wie wilde Blumen. Das Volk schuf diese Taten und Helden, das Volk schenkte mir dieses Lied.« Ein Flüstern der Verwunderung ging um; der Landgraf staunte und nahm mit höflichem Wort die unbekannte Spende entgegen.
Und nun fand die überraschende Fröhlichkeit dieses erst so ernsten Tages einen überraschenden, alle Herzen ergreifenden und durchjubelnden Abschluß. Die Krönung des siegreichen Wolfram stand noch aus. Der ernste Sänger vom heiligen Gral trat vor und beugte sein Knie; die Landgräfin nahm den Goldkranz vom Purpurkissen des Pagen und krönte mit mildem Wort den glücklichen Dichter. Ofterdingen stand neidlos und bescheiden an entfernter Stelle. Und da ereignete sich das Lieblichste, was je auf der Wartburg geschehen ist. Irmgard, des Fürstenpaares neunjährig Töchterchen, hatte aus Feldblumen einen Kranz geflochten. Mit diesem schlichten Kranz lief das Kind, von Mechthild ermuntert, zu dem stillen Ofterdingen hinüber, quer über den freien Platz; verwundert und bewegt neigte der Ritter sein Haupt – die Kleine reckte sich auf die Fußspitzen – und mit den zaghaften Worten: »Es sind nur wilde Blumen, lieber Dichter!« setzte das Kind dem ehemaligen Feind der Burg, dem ehedem so wild-unreinen Sänger, dem wahrhaft siegreichen Menschen Heinrich von Ofterdingen, den Blumenkranz auf das früh ergraute Haupt.
Nie hat die Wartburg solch tosenden Beifall vernommen. Ofterdingen stand mit Tränen in den Augen; er beugte sich rasch, hob jubelnd das Kind auf den Arm und trug es hinauf zum Thron der Mutter Landgräfin. Dort setzte er es ab, küßte niedersinkend den Mantel der hohen Frau und sagte weinend, allen Groll und Gram entladend: »Nehmt mich zum zweitenmal in Euren Mantel!« Die Frauen weinten Freudentränen, die Männer standen erschüttert, der Landgraf, den seine harte Drohung in mancher heimlichen Stunde beunruhigt hatte, trat zu Ofterdingen und gab ihm mit einem langen Blick fest und stumm die Hand.
Tags darauf las man im stillen Burggemach Ofterdingens Werk. Das Landgrafenpaar, die Sänger, die Geistlichen, Gräfin Mechthild und viele Gäste bildeten die erste, schweigsame, erschütterte Zuhörerschaft der gewaltigen Dichtung. Klingsor las mit majestätischer Stimme. Als die Mär von der Nibelungen Not verklungen war, rief alles und lief in stärkster Bewegung nach dem Sänger dieses heldenhaften Gesanges.
Doch Ofterdingen hatte die Burg verlassen. Man weiß nicht, wo er gestorben ist.