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Heiliger Hain

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. Niemand ist je allein. Mannigfaltige Menschen und Ereignisse der Gegenwart und Vergangenheit berühren ihn mittelbar und unmittelbar, formen an seinem Wesen und bauen an seiner inneren Welt. Nur die Art, wie diese einschimmernden Dinge auf unsre Seele wirken und aus ihr zurückleuchten, ist unser ganz persönliches Eigentum.

Wer sich wahrhaft bereichern will, der greife nicht nach den Dingen selber. Er lasse deren Sinn und Wesen in sich einscheinen. Er fülle sich mit den Strahlen der Frauengüte und nehme reines Mädchenlachen in seinen Besitz auf; er lasse sich elektrisch laden vom Heldentum ringender Männer; er nähre sich an der Sommerschönheit oder am Wintertrotz einer Landschaft – und er besitzt das alles wirklich und wahrhaftig, weil er es künstlerisch und geistig besitzt.

In einer Thüringer Gartenhütte, am Rande des Ilmtales, träum' ich diesem Gedanken nach. Immer wieder durchflutet er mich wie eine Entdeckung. Nicht dort, nicht »dann, wenn«, nicht »wo du nicht bist« – ist dein Glück. Da in dir drin, da in dem allerunmittelbarsten Bereiche deines Willens, in jedem Atemzuge, greif doch nur zu, kraftvoll-herrlich ist ja die Erfüllung da! Nimm dir Zeit, Wanderer, der du herkommst vom Gebirge, atme tief auf, freue dich mit mir: die Gottheit ist in unserer Gartenhütte zu Gast! Das Paradies ist nicht verloren, die goldene Zeit ist nicht dahin – das Paradies ist ein Zustand! Sorge nur, daß du eintretest in diesen Zustand, und du kannst in jeder Sekunde und überall im Paradiese sein!

Was für ein Aufatmen! Wie einfach diese Entdeckung! »Du!« Wer ist dies »Ich« oder dies »Du«?

In jedem von uns ist eine Kammer des ureignen Selbst. Da drinnen sind wir mit uns und mit der Gottheit mutterseelenallein. Keine Zufälligkeit des Alltags, nur unser eigenstes Ich vermag in diesen heiligen Hain einzutreten. Durch ihn gehen wir hindurch und ihn behalten wir, wenn wir sterben. Nur die Wirkung – das Wachs, den Duft, den Honig von allen irdischen Erlebnissen heimsen wir ein und tragen es in diesen heiligen Mittelpunkt unseres Wesens. Für viele ist dieser Garten ein verwahrlost Paradies. Für uns aber die Heimat.

Tiefglücklich schaue ich in einen thüringischen Sommermorgen. Von Berg zu Berg, über die raschen Wasser der Ilm hinüber, fliegen Sonnenlichter, Schwalben und Schmetterlinge und spinnen ein Goldnetz über das schöne Tal. Am Boden flimmert und flüstert das gestreichelte, tauschimmernde Wiesengras. Wenn die Morgenwinde talherein laufen, sich helläugig und wildlockig umsehen, wie rauflustige Buben, und Fang spielen wollen mit allem, was da irgendwie beweglich ist, so schütteln sich die Stengel der Halme und spritzen durchleuchtete Kügelchen ab. Und die Erlen und Weiden rauschen leis und langsam auf, und die zarten Netze der taufeuchten Spinngewebe schimmern in allen sieben Farben des Sonnenlichtes. Es geht ein Singen über die Wiesen.

Man möchte mit beiden Händen hineingreifen in die Goldlüfte, die da mein Gartenhaus umfliegen, man möchte sich aus diesen weißgoldnen Stoffen ein Lichtgewand fertigen.

Hört ihr den tiefen, summenden Glockenton der betenden Erde? Denn all dies Empordrängen zum Sonnenlicht ist ein Gebet. Und ich in meiner umgrünten Laube kann nichts weiter tun, als mitzuwachsen und mitzubeten.

Von Kopf zu Fuß umfließt mich ein starkes Gefühl wohliger Verinnerlichung. Goethes Iphigeniewort:

»Denn seine Seel' ist stille; sie bewahrt
Der Ruhe heiliges, unerschöpftes Gut« –

ist heute mein Eigentum. Der Kopf wähnt sich nicht mehr Alleinherrscher, er merkt, wie sehr er Kräfte saugt aus dem Körper; und der Körper merkt, wie sehr er Kräfte saugt aus Glanz und Duft dieser atmenden Sommerwelt.

Aus dem Hause klingt ein lichtes Mädchenlachen. Rote Federbetten hangen in weißen Fensterrahmen und leuchten grell und froh durch das grüne, verwilderte Gärtchen her. An jenem Lachen, an einem fernen Pochen im Dörfchen, an einigem Hähnekrähen kann ich abmessen, wie still und träg die Luft rund herum lastet und glüht.

Wie sanft glimmt nun in meines Wesens Gründen das Feuer der Sehnsucht! Schneeweiße Zirruswölkchen ziehen hoch oben durch das Blau meiner Lebenslandschaft. Die Berge stehen wie Altäre des Dankes. Jeder Pulsschlag ist vernehmbar und bildet die Uhr in dieser großen Stille; jede Sekunde empfind' ich dankbar als ein Tröpfchen der Ewigkeit. Säß' ich so einhundert Jahre, wie der Mönch von Heisterbach, und lauschte so hinaus, ich glaube nicht, daß ich müde würde.

Vor mir liegen Briefe und Papiere. Links lädt es mich ein zu gesammelter Arbeit in einer thüringischen Residenzstadt; rechts lockt mich die Möglichkeit weitläufiger Weltreisen.

Wie entscheid' ich mich? Wie weiter? Seßhaftigkeit oder Fernfahrt? Wird es mir gelingen, beides zu verbinden: Einkehr und Umschau?

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