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Auf einem Felsen, der mir sonderbaren Zacken in die Luft hing, harrte bereits der blasse Vollmond. Die Dämmerung hatte noch nicht ausgeglüht. Der Tag machte Anstalt, sich in allen Wäldern und Nischen zur Ruhe zu legen. Im Tal fuhren beschleunigte Wagen; letzte Beerensucher jodelten auf dem Heimweg die Waldhänge hinunter. Noch einmal stieg die bereits gesunkene Abendglut in breitem Strahlenpurpur empor: die Stirnen der Berge, die nach Westen schauten, wurden angeglüht von tief heraufreichenden Feuerstrahlen. Und ein Habicht schimmerte auf, als er die weiße Innenseite der Schwingen diesem Lichte zudrehte, in großem Bogen um den Fels schwebend.
Rasch aber versank auch dies. Ein Schauer lief durch die kühle Dämmerung der Wälder. Der Vollmond hob sich aus verwitterten Tannen, sog das letzte Licht ein und ward davon leuchtend, ward lebendig …
Dem Vollmond gehörte nun das weite Waldland und die rätselhafte Stille der Nacht.
* * *
Der Wanderer lag zum letztenmal auf seinem Felsen. Dort hatte der Glückliche den Sommer hindurch seltsamste Stunden erlebt: er hatte Zutritt erhalten ins Feenland. Aus Mondglanz und Nebelduft hatte sich dort eine Gestalt geformt, in jeder Nacht, da der Sommermond voll wurde: denn sie brauchte dessen wirkende Kraft. Gewänder rauschten, raschelten – ein leuchtender Kern formte sich darin zum Antlitz – wie Phosphor die Augen, wie Silber die Arme – in einem Wirbel von spinnwebzarten Gewändern sah er sich umarmt – und eine ganz nahe, warm anatmende Stimme sprach zu ihm unsäglich süße Worte.
Übermächtig beglückender Fels der Liebe! Was er auch flüstern und fragen und bitten mochte: ihr herrlich-warmer Mund wußte innigste Antwort. Grenzenloses Verstehen! Er tat sich ihr auf ohne Rückhalt; er erstaunte selber, welche Tiefe sich da öffnete. Eine unerschöpfliche Seele war da neben ihm, Melodie quoll unter ihm aus der Erde auf; es war ein Singen und Verhauchen, aus dem man, wie aus manchen Träumen, frühmorgens mit Tränen erwachte und sich hilflos umsah in der melodielosen Wirklichkeit. Ein Verstehen war's, noch ehe sie einander gefragt; Antwort und Frage stürzten einander jubelnd in die Arme. Diese Sprache der Liebe hatte alle körperliche Schwere abgestreift; sie schritt nicht mehr, sie flog.
Solche Nacht war auch heute – die letzte Nacht! Silberne große Nacht! Ewigkeit umrauschte den Felsen, bereit, ihre ausgesandte Feengestalt wieder zu sich zu nehmen …
»Noch einmal sag' mir deinen teuren Namen!«
»Melusine.«
»Melusine hieß eine Nixe des Waldquells.«
»Nimm an, ich sei die Nixe des Waldquells.«
»Du bist schöner als alle Quellen des Waldes, du bist tiefer als das Meer! Du bist die Seele der Nacht, bist Anhauch der großen Waldung, bist aller Waldwasser und aller Waldvögelein holdselige Stimme! Nun kenn' ich dich, rätselhafte Waldfee, du ewig geheimnisvolle Fremde jener anderen Welt!«
»Du kennst mich, hast mich gefunden – drum ist meine Sendschaft aus. Ich muß dich heute verlassen« – –
»Sobald der Tag graut« – –
»Nein! Nein!«
»Ich bin zu dir gekommen, um dir Worte zu bringen aus dem Lande der Melodien« –
»Geh nicht!«
»Die Ewigkeit ruft!«
»Der Ewigkeit Trotz: ich halte dich fest!«
»O Lieber, alles muß sich bewegen und verwandeln. Herbst harrt hinter den Hügeln – auch für dich!«
»Nicht für Lieb' und Treue! Lieb' und Treue sind ewig!«
»Damit sie ewig seien, muß ich dich verlassen. Aus deinen Augen und Armen muß ich versinken in meinen liebsten Quell!«
»Ich versteh' dich nicht« –
»Du wirst es verstehen einst, wenn ich nicht mehr bin, wenn nicht mehr deine unruhige Liebe zwischen dir und der Wahrheit steht. Du wirst wandern und mich suchen, mühsam, weit! Ich aber bin tief, tief in meinem liebsten Quell. Und eines Tages wirst du diesen Quell finden – und an jenem Tage wird uns nichts mehr trennen! Lebe wohl, lebe wohl! Mir ist wehe wie dir!« …
Die Nacht verging … Im ersten Frührot zerfloß die Waldfee in Licht, glitt weinend aus seinen Armen, ward ein Gewölk, löste sich auf mit langhin verhauchendem, wehevollem Seufzer … »Lebe wohl!«
Auf dem Felsen saß er allein. Er stützte den Kopf in beide Hände, starrte mit nassen Augen hinab in die leere Welt.
In großer Pracht ging rund umher der Tag auf. Die Waldung erhob sich aus ihrem Schlummer und rauschte gewaltig. Wagen fuhren wieder ins Tal; Menschen zogen jodelnd in ihre Berge; das Land leuchtete weit hinaus im erquickenden Tau, den die wundertätige Nacht gespendet hatte.
* * *
Er zog aus, wanderte und suchte – mühsam, weit! …
Er durchforschte die Natur und durchforschte den Geist. Er durchwanderte mit immer blasserem Gesicht Welt und Büchereien und fragte immer dringlicher nach dem Unerreichbaren. »Weiß einer von euch, Nachbarn, wo das Höchste, das Liebste in einem Quell wohnt, in einem singenden Quell?« Sie lächelten und fragten zurück: »Sage du uns zuvor, Fremdling: was ist das Höchste, was ist das Liebste?« Er fragte, ob sie Kundschaft hätten von der verschollenen Stimme der Vollmondnacht, von der vergessenen Königin der Schöpfung? Kein Zeitgenosse hatte von solch wunderlichen Dingen Kunde; sie zuckten die Achseln und hasteten dann eilends weiter, um die verlorene Zeit einzuholen.
Er aber zog sich zurück und ward einsam.
Und eines Tages kam seine Stunde! Eines Tages fand er den Quell, fand er aller Poesie und Melodie heilige Wohnung, fand er Melusine!
Er ging eines Abends nach strenger, treuer Arbeit langsam und still einen Waldweg hinauf. Über dem Tal sah er gedankenvoll einen Felsen ragen, der in die Luft hing wie jener unvergeßliche Zackenfels von ehedem – – da blieb er jählings stehen, erschüttert vom Gedanken der Erkenntnis, getroffen wie von einem Schlag. Er griff ans Herz. Deutlich war da drin eine Stimme, eine ganz nahe, leise Stimme, wundersam süß, wonnevoll wohlbekannt!
»Melusine –?!«
»Ja, ich bin's.«
Tränen brachen aus des Wanderers heißen Augen. Er mußte sich am Baum stützen, ermattet von jahrelanger Arbeit, zitternd von der Freude des Fundes.
»Ich hab' dich gesucht ein Jahrzehnt und mehr! Bist du denn nun bei mir, Melusine?!«
»Immer war ich bei dir, Trauter!«
»Aber du sagtest doch –«
»Daß ich in meinen liebsten Quell versinken müsse – –«
»Und dein liebster Quell –?«
»Fragst du noch, du liebster Tor?!«
»So bist du nur verschwunden, um – –«
»Um in dich einzusinken! Deinen Armen entglitten, um in deinem Herzen lebendig zu werden! Hast du mich denn nicht gehört, wie ich pochte, wie ich sprach? Und du horchtest nur nach außen und konntest nicht stille sein! Nun aber hast du mich erhorcht! Nun bin ich wahrhaftig und ewig dein! Und nie mehr scheid' ich von dir, bis deine Seele die Felsenkammer deines Körpers verläßt, in der wir nun beide wohnen, du und deine Waldfee, eins für immer, für ewig!« …
* * *
Als dieser glückselige Quellfinder aus den Bergen herabkam, blieben die Leute vor Verwunderung stehen, riefen sich leise zu und sagten: »Seht ihr ihn, wie sein Gesicht strahlt? Was horcht dieser Mann in sich hinein und lächelt dann wieder aus sich heraus? Bringt er ein Geheimnis mit aus unseren Wäldern?«