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Elfenland

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. Und nun nimmt mein Träumen ein Ende oder fliegt in eine nähere Welt. Drei kleine Freundinnen, halberwachsene Mädchen, kommen in meinen Bezirk gelaufen. Und mit ihnen die lebensprühende Mutter, die Jüngste von allen vieren.

Wenn ich diese Mägdlein als »Elfen« oder »Engel« vorstelle, so will ich das weder als verzücktes Werturteil noch als spielerische Zärtlichkeit aufgefaßt wissen. Der Kosename hat in diesem Falle Bedeutung.

Wenn irgendein menschlich Wesen irgendwann entscheidend auf deine innere Welt wirkt, so kannst du ruhig zu hohem Vergleiche greifen und dankbar von »Engel« oder »Elfe« oder »Göttin« sprechen. Glaube mir, wenn du den Weltgeist in Stunden der Not bitten würdest, daß er dir einen Geist oder Engel aus Regionen des Jenseits sende, er wird deine Bitte in der gehofften Weise schwerlich erfüllen. Aber eine Kinderstimme schlägt vielleicht in diesem höchstgespannten Augenblick mit einem unscheinbaren Alltagswort an dein Ohr; ein Brief mit scheinbar ganz anderer Angelegenheit kommt an; ein wertvoller Mensch tritt in deinen Gesichtskreis; ein gutes Buch fällt dir auf: – so zeichenredet der Weltgeist. Er antwortet dir in den Formen der Erde. Denn es ist eine Sage, daß die Götter tot seien. Ebenso wie die wehleidige Sage von der entschwundenen »goldenen Zeit« nur einem kummervollen Zeitalter entsprossen sein kann. Die Götter und Engel sind unter uns.

Meine drei Elfen sind irgendwelche Töchterchen irgendwelcher lieben Freunde. Diese alle befinden sich hier in der Sommerfrische.

In Mädchen dieses blühenden Alters flimmern zwar schon alle Reize künftiger Weiblichkeit; aber allmächtig ist noch ihr poesievoll unbefangener weltvergoldender Kindersinn. Der Sopran ihrer Stimmen ist voll Herz und Seele. Alles an diesen springfedrigen Geschöpfen setzt sich in Lachen um; das Leid ist ihnen nur ein Atemholen zu neuer Freude; der Werktag nur ein Umweg zum Sonntag. Regentropfen des Verdrusses werden vor Abend noch Tautropfen der Freude. Man darf noch Blond-Irmgards Zopf läuten (ihr Auflachen ist dann der Glockenschall), man darf der aufgeschossenen Zweiten und der silberstimmigen Jüngsten Händchen anfassen und mit ihnen über Stock und Stein springen – kein lähmendes »Es schickt sich nicht« zerreißt die Poesie dieser Unbefangenheit. Wie kommt es nur, daß dies Völkchen so leicht lacht? Hat sich dies Feuer bei uns Älteren ins Innere zurückgezogen? Diese unverkünstelten Kinder erziehen uns Große in unserem leicht verdorrenden Gemütsleben ebensosehr, wie wir sie erziehen. Und das Schönste an ihnen ist, daß sie gar nicht wissen, wie lieb sie sind.

Wir sind schon manch liebes Mal beutemachend miteinander durch unsere kleine Welt gezogen, nicht wahr, Kinder! Wißt ihr noch, wie sich eine wunderlich krumme Weide an jenem Waldrand als »Frau Tante« vorstellte? Ihre drolligen Wurzeln waren eingefroren ins Eis, und wir nannten den verbogenen Baum »Tante«, weil sie besorgt vorgebeugt den Finger hob und vor Tollkühnheit warnte: »Kinderchen, das Eis ist glatt!« Es war ein norddeutscher Schneemorgen; es war ein Wintertag am stahlblanken Meer. Das verzagte Kleinste ward in die Mitte genommen, weil sie dem absonderlichen Wasser, auf dem man so ohne weiteres herumstampfen konnte, noch nicht traute – und dann wie ein Eiswind über die gläserne Fläche! Die Wangen wurden rot, Atemwölkchen rauchten aus dem Munde, ein Rufen und Lachen hinterher … Und jenes andere Mal, in stockdunkler Winternacht, in den heiligen zwölf Nächten, wo es ohnedies nicht geheuer ist, jener halsbrecherische Weg hinter den Stadtgärten hin – es war eine Forschungsreise durch Grönlands unentdeckte Eiswüsteneien! Wir waren Nordpolfahrer Nansen samt Anhang; Eisbären schnupperten in der Nähe; offene Wasser waren zu durchqueren – mit knapper Not landeten wir an der Eskimoküste und hielten in einer Tranhütte Einkehr … Und dann wieder die Pilzsuche in den Buchenwäldern des Spätsommers, die goldgelben Pfifferlinge, der braune, dicke Steinpilz, der duftige Champignon … Und eure gern gespendeten Dreigesänge, wenn ihr euch mit Mütterchen ins Waldgrün stelltet und wie Amseln und Nachtigallen herausjubiliertet … Dann der Heimweg aus den schweigenden Abendwäldern, wenn die leiseren Gespräche der Großen sich vertieften, wenn das blaue Weltall mit seinen tagsüber vergessenen Sternen ganz nahe sich über uns auftat, wenn die Gebirge der Mondinsel herübergrüßten – – wißt ihr noch?! …

Eindrücke unverlierbarer Art haben wir aus Eldorado heimgebracht. Wir behalten sie bereichert in Besitz. Diese Wirkungen sind das wahrhaft Wertvolle. Raffael hat das vergängliche Mägdlein Fornarina, das ihm Modell stand, in eine unvergängliche Madonna verwandelt: sie wirkte auf ihn als Madonna. Goethes Frau von Stein, eine weimarische Hofdame, steht als Priesterin Iphigenie vor unseren Herzen: sie wirkte auf Goethe in entscheidenden Jahren als Priesterin Iphigenie. So sind mir diese Kinder Elfen geworden, lösende, lachende, schattenverscheuchende Elfen.

Die Treppe zum Grasgarten hinaufsteigend, sehe ich nun den Kinderschwarm im nahen Fichtenwalde spielen. Auch andere kleine Sommergäste sind dabei. Es ist Sonntag; sie haben ihre weißen Kleider an. Die lebensvolle Mutter der Elfen leitet die Spiele. Es sieht sich von hier aus an, als hätte sich ein Farbengedicht von Böcklin oder Hans Thoma ins Leben gedrängt, aus dem Rahmen heraus. Am braunen und dunkelgrünen Hintergrunde des Dämmerwaldes heben sich stark ab diese laufenden, lachenden, huschenden – Lichtpunkte, möchte man sagen. Ihre Sonntagskleidchen fliegen wie weiße Wölkchen, das offene Haar raucht hinterher.

Mit Reigentanz und Händeklappen singen sie:

»Ringel, Ringel, Reihe,
Sind der Kinder dreie,
Sitzen auf dem Holderbusch,
Machen alle Husch, Husch, Husch!«

Der Holunderbusch aber ist Frau Holdas Baum, der seit uralter Zeit an jedem Bauernhause steht, im Scherbenwinkel heute, nimmer gewürdigt wie früher; und die drei Mägdlein sind die Schicksalsgöttinnen, deren Gewebe uns immer umtanzt und umspinnt – wie ihr hier tanzt. So spielt uralter Glaube ins nahe Kinderlied.

Hier ist Elfenland! Ich bin Gast im Elfenland und begehre nur dies eine: zuschauen zu dürfen. Und begehre, da Tätigkeit unseres Lebens bester Teil ist: dieser Dinge Abglanz nachgestalten zu dürfen in künstlerischen Worten. Gold möcht' ich schürfen aus dem Porphyr der Thüringer Berge, wie einst venezianische Bergleute aus Stollen und Schachten dieser Gebirge geädertes Gestein holten. Es ist Sage, erfunden von Angst und Sorge, daß die Götter und Göttinnen und Lichtelfen tot seien.

Das wußten unsere naturnahen Ahnen besser. Die Elfen sind Elementar- und Naturgeister oder sind flatterhafte Seelchen gestorbener Menschen. Sie hausen schattenhaft in Bergen, Klüften und Gewässern. Der ganze Hörselberg drüben ist voll solcher musikalischen Geistchen. Sie sind dem goldenen Sonnenlicht entrückt, dafür haben sie Goldschätze in Hülle und Fülle, und ihre Gestalten strömen eigenes Licht aus. Elf stammt ja von albh und heißt »glänzend«: Lichtgeister ist also die Verdeutschung von Elfen – obwohl's auch schädliche Schwarzalben gibt. Denn die Natur ist gut nur dem Guten, dem Bösen aber grauenhaft und dämonisch. Mancher Ritter Oluf kam verstört und siech zu seiner Mutter heim; und auf mancher Brücke fand man frühmorgens Schuhe einer Jungfrau, die der Wassergeist hinabgerissen …

O Elfen, Gnomen, Kobolde, Wichtel – wie soll ich euch nennen – es ist ja alles dasselbe Luftgesindel! Ihr seid ein seelenberückend, ein neckisch Geschlecht! Nachts tanzt ihr im Mondschein, das Gras ist nur leise gedrückt – aber was ihr berührt, wächst um so froher. Und oft zur Herbstzeit, wenn die Haselnüsse reif sind, weht ihr in Nebelgewändern über den Thüringer Wald. Und es ruft dich und singt in der Nacht, und du gehst dem Liede nach und kletterst auf Mondscheinburgen – – aber alles stumm!

Denn es ist die Art der Geister, daß sie nur dem Geist erreichbar sind, nicht dem körperlichen Begehren.

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