Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Du vielglockige Rinderherde im Tal der wilden Gera, durch den Abend läutend wie die Wasser jenes raschen Wildbachs, in dem wir so oft und so lustig gewatet! Ihr Klänge der Elfenlieder, in anmutigem Neckspiel in mir nachhallend, als wäre der Wind den Thüringer Wald entlang gelaufen und hätte holdselige Erinnerungen aufgescheucht und zusammengetrieben zu melodischem Herdengeläut'! …
Ihr Nebelgestalten, weißgrau anrauchend an den Venetianerstein, auf dem die Höhenwanderer Rast hielten, verwundert hinausschauend in die kochende, dampfende, wogende Tiefe, aus der sich kreisende Schatten erzeugten, emporwirbelten, auflösten: – Wolfram von Eschenbach, Walther von der Vogelweide, Heinrich von Ofterdingen, – Boten und Läufer des Rennstiegs, – Landgrafen der Wartburg, braunwangige Ritterfrauen, – singende Knappen, Federfilzhut auf leichtsinnigem Lockenkopf! …
Ihr letzten verwitterten Himbeersträucher am Rennstieg, den wir entlang zogen mit nassem Schuhwerk und übertropftem Lodenmantel, mutterseelenallein wir zwei auf deinen Kuppen entlang, von Nord nach Süden, von Ruhlas Landgrafenschmiede bis zur Lutherfeste Koburg!
O Thüringer Wald, schön zu durchsingen im sommerlichen Blau deiner Gebirgskämme, schöner noch im Nebelrauch und Blätterfall und Rauhreif eines königlich-einsamen Herbstes! Sei mir gegrüßt, geheimnisvoller, wildschöner, unerschöpflicher Wald!
* * *
Ich lege dir hier ein Buch vor, lieber Leser, das wie eine Pflanze aus dem Thüringer Wald emporgewachsen ist. Sehr vieles darin ist im Stehen oder Gehen geschrieben worden, oder auf einem bemoosten Stein, oder in der Hängematte hoch oben im Harzgeruch der Fichten. Das Buch ist mir langsam zugewachsen.
Alles in diesem Waldbuch ist Gegenwart. Aber so weit gefaßte Gegenwart, daß sie auch die Vergangenheit und die Zukunft umspannt. Und alles in diesem Buch ist Erlebnis. Und meine Worte wollen dir zwar Plauderei und Fahrtverkürzung sein, vielleicht aber unvermerkt das Beste deines Daseins entzünden, mein Freund: Stolz, Tat, Tapferkeit – und eine große, weil eines unerschöpflichen Besitzes gewisse Ruhe.
* * *
Man erzählte mir von einem Kinde, das in einsamen Stunden fabulierend in die Luft griff und Phantasiegestalten als Gespielinnen herbeirief. Mit diesen luftigen Spielkameraden plauderte die Kleine, gab ihnen Namen, ließ sich von ihnen trösten und belustigen, saß lauschend und entließ sie, sobald die diesseitige Welt wieder ihr Recht verlangte. Hier betätigte sich geniale Kraft. Hüllen und Wände der Erde zertauten vor diesem Kindesblick; für sein Herz und Auge gab es nicht Diesseits noch Jenseits, nicht Vergangenes noch Zukünftiges: – alles war Gegenwart.
Warum sind wir ärmer als dieses schöpferische Kind? Die Fürsten und Minnesänger, die Edelfrauen, Dichter und Denker, die diesem Waldgebirge Seele gaben – sind sie denn tot? Kann Geist sterben? Kennt der Geist ein Heute, kennt er ein Gestern?
* * *
Waldwind rauscht auf … Alles Verwunschene, alles Verhaltene, Stumme, Gefangene regt sich, rührt und hebt sich, haucht her und seufzt auf: »Gib uns Erlösung im Sängerwort!« Kommt denn, ihr Sänger! Wenn eines Sängers Königsruf wie ein Windstoß in den Wald fährt –
So reiten die Elfen
Und jubeln ins Hifthorn,
So beugt sich im Jagen
Das Völkchen der Halme,
So greifen die Büsche
Wie flehende Hände –
Tausend Gestalten umtanzen den rufenden Herrn!
Sonderbar und nicht auszumalen! Was für Gesichte überkommen dich im Sommerwalde, wenn dich die rechte Stunde begnadet! Wieder jagt ein Märchenkönig, wieder flüchtet ein verzaubert Reh. Aber das Reh war ehedem ein Königskind – es wird wieder ein Königskind sein, es wird als entzauberte Braut dem Prinzen zum Thron folgen, wenn er, Jagdvolk überholend, im tiefsten Farngrund sie gefangen und erlöst hat – er allein, allen Reitern voraus, fernab vom verhallenden Rüdengebell! Waldhinab, ängstigend und berauschend tost das dahin! Farbenblitze der Hoftracht – Federbüsche – astabgestreiftes, fliegendes Barett – keuchender Pferde Flockenschaum! Und des Lederwerks scharrend Geräusch – das Flattern schlagender Schabracken – hartes Hufestampfen und helles Aufwiehern – – noch ein Geleuchte, Waldhornklang – vorbei!
War es ein Windstoß, der da den Wald aufblätterte? Alles still. Grillensingen, heißer Quendelduft … Ich bin allein auf einer weltverlornen Lichtung.
Unmittelbar neben mir blitzt ein Bergwasser auf, war's dieser Wildfang, der mich soeben geneckt hat? Sprang der unbändige Gesell allen Gesetzen zum Schabernack aus seinem vorgeschriebenen Rinnsal und schoß in Koboldsprüngen vor meinen Augen waldabwärts? Ich sah ein Sprühlicht, sah etwas einspringen in krause, verworrene Hecken, wie sich ein Wild kopfüber in Farnkraut stürzt, sah etwas sich ducken unter herabhangendem Wurzelwerk – es ist doch wohl dieser offenbar verzauberte Bach – er besinnt sich und verschnauft, er bildet zaudernde Kringel – und dann schäumt er aufs neue, flötet und gurgelt und quirlt zwischen den Lichtflecken der Moostannen waldhinunter über den Fels ins Ilmtal …
Aber in seinem Waldlied ist ein Mollton … vernehmt ihr den klagenden Unterton? Hört ihr die gebannten Laute, die aus diesen vergessenen Wäldern heraus möchten in unsre blanke Sprache?
O Muttersprache, klangschön und stahlgeschmeidig, komm wieder und hilf uns Herzen erfreuen! Hülle dich wieder in deine keuschen Gewänder, setz' deinen edlen Eichkranz wieder auf – wie eine Seherin und weiße Jungfrau, wie eine Königstochter tritt hervor aus der deutschen Waldung und walle durch ein geheiligt Land!
Du aber, mein Wald, Hochburg guter Gedanken und goldener Melodien – mit Orgelstimme rausche du hin durch Deutschland! Tu auf dein Zaubertor, tu auf deine Geheimnisse!
Thüringer Wald, sei mir gegrüßt!