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Diese Szene, zum großen Teil in das später entstandene Drama aufgenommen, ist eine Vorstudie zu » Luther auf der Wartburg« (zum erstenmal aufgeführt im Stadttheater zu Riga am 21. Oktober 1908).
Ich hab' ihn wohl versucht, was er für ein Gesell ist. Er hat mir oft so hart zugesetzet, daß ich nicht gewußt habe, ob ich tot oder lebendig sei. Er hat mich auch wohl in Verzweiflung gebracht, daß ich nicht wußte, ob auch ein Gott wäre, und an unsrem lieben Herrn Gott ganz und gar verzagte. Aber mit Gottes Wort hab' ich mich seiner erwehrt.
Luther
Junker Jörg saß vor dem Eichentisch und übersetzte im Evangelium Matthäi, Kapitel 18, die Worte: »Wehe dem Menschen, durch welchen Ärgernis kommt!«
Hier hielt er jähen Rucks inne. Er legte mit dumpfem Faustschlag den Schreibkiel auf den Tisch, warf den eckigen Kopf zurück und starrte aus einiger Entfernung das Wort an, das da vor ihm auf dem Papier stund. Eine Stimme hatte ihn angehaucht und in ihn hineingesprochen. Was war das? Und da kam es abermals:
» Das bist du« …
Stark stieß er den Stuhl zurück und schaute sich um. Aber die kleine Stube mit ihrem Möbelwerk und in ihren Wandlinien stand still und klar beleuchtet im Abendschein. Die Stimme kam nicht von da; die Stimme kam von innen her. Es war ein hohes und hohles, ein heimliches Lachen; dazu tanzten blaue Flämmchen vor seinem inneren Gesichtsfeld. War das ein Rauschen und Flirren des Blutes im überfüllten Gehirn? Die Ritterkost war wohl zu schwer. Oder bildeten sich die aufgescheuchten Gedanken des Bibelübersetzers zu Stimmen und Gestalten?
Stimmen genug! Das Zimmer schien voll davon! Und unter dem Geschwirr kam eine Stimme ganz besonders nahe, zum drittenmal:
» Das bist du.«
– »Das bin ich nicht, Satan!« schrie Luther laut auf. »Wie wagst du mir zu sagen, daß ich den Kleinen im Gemüt, denen, so einfältigen Herzens sind, Ärger schaffe und Anstoß gebe?!«
– »Du nimmst ihnen die überkommene Autorität« – –
– »Und gebe ihnen dafür die Autorität der Schrift« –
– »Die sie nicht lesen können!«
– »Die ich ihnen übersetze, eben, hier!«
– »Die sie nicht verstehen!«
– »Die ich ihnen deute in meiner Postille!«
– »Die ihnen neuen Buchstabenglauben auflegt!«
– »Holla, Teuflein, wenn ich ihr Gewissen schärfe? Wenn ich ihr Gewissen als Deuter und Berater setze?!«
– »Oh, der subtile Richter! Oh, sieh, ich greif' danach, er ist Gespinst, er ist Luft – ich fass' ihn nicht!«
– »Nein, Beelzebub, den Richter fassest du nicht, sintemal er dein Herr und Todfeind ist! Spotte du – den überwindest du nie!«
– »O du sicherer Mann, hatte die Menschheit vor dir kein Gewissen? Streichst du tausend Jahre aus, hoffärtiger Mönch, und nennst sie schlecht beraten?«
– »Kommst du mir so? Siehe, so hat auch Paulus den Alten Bund schlecht beraten genannt. Aber sagen wir denn, daß jene fromme Kirche schlecht beraten war? Nein, Versucher: sie alle hatten ihre Zeit, heut' aber ist ihre Zeit erfüllt, ihre Wahrheit ist durch schlechte Dolmetscher Fäulnis geworden, ward eine Verwirrung für viele! Drum muß ich wiederum ausgraben das verschüttete, lautre, reine Gottesbrünnlein, wie es uns Jesus Christus aus dem Fels des ewigen Lebens herausgeschlagen hat, gleich Moses in der Wüste!«
– »Ich und ich und ich – ich Luther – wer bist denn du? Lieber, so zeig' mir doch deinen Schein?!«
– »Ich hab's erlebt! Ich hab's im Gebet erfahren, Gott hat mir's offenbart! Warum sollte Gott nicht mit einem armseligen Mönchlein große Dinge vorhaben? Laß es uns tapfer und verwegen unternehmen! Ist die Sache von Gott, so geht sie herrlich hinaus; ist sie nicht von Gott, sondern nur Luthers Sache, siehe, so wird Martinus Lutherus, Doktor und Magister, hinweggeblasen wie ein welk Blättlein!«
– »Du bist deiner Sache gewaltig sicher, Luther« –
– »O wär' ich's immer!«
– »Weißt du denn aber so gewiß, daß du der ewigen Verdammnis entrinnest? Weißt du nicht, daß auf dieser Burg ein gar frommer und freudiger Herr zwei Jahre lang gelähmt lag, weil er mich erkannt hat als den Fürsten dieser Welt?«
– »Alsdann kannte jener fromme und freudige Herr die Heilige Schrift nicht! Denn siehe, es steht geschrieben, daß Gott gesandt hat seinen Sohn in dein Reich, Satanas, Sünder selig zu machen – Sünder! Vernimmst du das?! Sogar dich, Satanas, wenn du nicht so ganz und gar ein Tropf wärst!«
– »Luther, Luther, in Euch steckt starker Willen. Auch hat Euch Gott einen haarscharfen Verstand beschert. Ihr könntet ein auserwählt und angenehm Leben führen« –
– »Heb' dich hinweg!«
– »Nun, Ihr seid zufahrend. Laßt Euch sagen, Herr Doktor: das ist noch ein Restlein Bauernunart, tut's ab, lernt fein vornehm zuhören! … Also hört: Euch ist nur des Geistes Vorhof bislang bekannt. Sind viel biedre Leutlein in diesem Vorhof, Gott hab' sie selig; ihr Name heißt Biedersinn, Frommheit, Nächstenliebe – und was da sonst das Gesetz verlangt. Aber geht weiter, Luther! Das ist Tugend der Bauern, Hirten und Kohlenbrenner! Gott will die Welt bunter gestaltet sehen. Auch Freude an schöner – – nun, an schöner Kunst ist löblich Tun. Vielfältig ist die Kunst. Viel Maler und Bildhauer haben sich weidlich bemüht, etwa einen holden – Frauenleib fein rund und weich zu gestalten. Allda hat Theologie keinen Platz mehr. Gott hat den Frauenleib zu einem Kunstwerk erschaffen, damit man in verschwiegener Stille seine Freude daran habe. Verdenkt Ihr den hohen und gelehrten Herren solche Freude? Du polterst wider Dinge, die du unkeusch nennst, weil solche anmutigen Freuden deiner Ungeschlachtheit zu fein sind – du Bauer!«
– »Es steht geschrieben« – –
– »Das spricht nun dein Mund. Ohne Kraft und Ton sprichst du das – aber deine Sinne horchen bereits auf. Luther, komm denn näher, laß dir sagen: Es steht viel geschrieben, aber die Menschheit tut nicht danach. Sprache ist ein Ding für sich, Tun ist ein ander Ding. Es ist schicklich, von vielem nicht zu sprechen: aber die Leute tun's. Und wiederum nehmen sich stattliche Worte gar wohlgekleidet aus, wenn sie durch Staat und Volk spazieren: aber es ist schöner Schall, woran sich die Menschen ein Weilchen ergötzen. Wenn aber das Tun kommt, so tun sie nach Trieb und Gelegenheit. Lern' die Welt kennen, Mönchlein!«
– »O Satan!«
– »Aber halt du nur herzhaft fest dein tönend Wort! Es hat guten Schall, ei, wie Drommete klingt's! Oh, fern sei von mir, daß ich dein Schlachtentrommeln, du frommer Landsknecht, sollte irremachen! Nur: – gib heimlich der Erde, was der Erde gebührt! Hörst du?! Es weiß es ja niemand! Es ist hinter deinem ernsten Wort eine verwegene Seele: es sitzt in dir ein gar lustiger Künstler und Musikus! Freu' dich am leichten Sinn, wenn du müde bist der Bußpredigt! Savonarola war viel, Lorenzo di Medici war auch viel: aber beide zusammen sind der rechte Genius. Hat dir nicht Gott Sinne gegeben?«
– »O Satan, Satan! Ja – Gott hat mir Sinne gegeben – und Willen und Verwegenheit – ich weiß, ich weiß – und mein Herz und Blut ersehnt so gar oft in diesen einsamen Stunden ein jung fest Weib als meine liebe Hausfrau – Gott hat's erschaffen – ja, aber zur Zucht und Sitte! Und Gott will, daß ich in seinen Dienst stelle alle Kräfte meiner Natur. Du rätst mir falsche, feige, tückische Herrschaft, wie das Raubtier zur Nacht umstreicht und erwürgt und genießt« – –
– »Ist das Raubtier so gar schlimm? Nennt man nicht Löwe und Adler Könige der Tiere? Reizt dich nicht ihr Mut, tapfrer Luther, zu solch verwegener Nacht? Das ist Stärke: du überlistest die Dummen und Faulen! Laß dem Tag sein bieder Gesetz, ja verteidige du recht laut sein Gesetz: aber sei noch stärker, gib auch der Nacht ihr Recht! Schau die Größe und Freiheit der erlauchten Nachkommen der Römer: sieh, dem Volke geben sie öffentlich, was sich ziemt; aber sie haben überfließend viel Geist und List: sie wissen zudem mit Anmut zu sündigen. Hei, das nenn' ich Herr sein! Wirf den Mönch ab, tu den Bauer hintan, bist unfrei! Sei kecker Geselle genug, zuzeiten untugendhaft zu sein – aber feinen Geschmackes! Hast du dessen nicht Macht? Oder bist du zu feig? Wie, oder gar zu schwerfälligen Verstandes? Willst wider Untugend schelten, und weißt nicht, wie die artige Magd aussieht?!«
– »O Stimme Gottes in meines Herzens tiefstem Grund – komm hervor! Wo bist du?!«
– »Bin nicht auch ich deine innere Stimme? Ei, merkst du denn nicht, daß auch ich von Gott zu dir ausgesandt bin? Gott ist gar vielfältig. Laß dir das Geheimnis verraten, das nur der reifsten Vernunft offenbart werden darf: auch was ihr Toren »Teufel nennt, ist ein Stücklein von Gott!«
– »O zischende Schlange der Finsternis, du ein Stücklein von Gott?! Von Gott, der da ist das Licht?!«
– »Sahst du je ein Licht ohne Schatten? Luther: ich bin der Schatten Gottes. Licht und Schatten gehören zusammen: beides erhält die Welt, ja, siehe: – beides ist Gott! Auch was die Toren ›Sünde‹ nennen, ist Gottes Wille. Luther, es gibt keine Sünde! Luther, auch ich bin Gott, schaffe dir durch mich Macht! Sei Held, greif zu, verachte das Volk, dem du ungedankt in den Sattel hilfst! Es wird nimmer reiten lernen: fällt auf der andren Seite wieder herunter! Die Klugen, die dich jetzt verachten, werden erstaunen und sagen: Siehe, der Bergmannssohn ist nicht so ungefüg, ist ein gar pfiffiger Geist, hat einen Schelm im Nacken, seht euch vor, dieser Luther ist auch Herr über seine eigenen Satzungen! Er ist Herr sogar über den letzten Zuchtmeister – über das Gewissen! Er ist – wie Gott!«
– » Hab' ich dich?!«
Mit dröhnendem Sprung fuhr der gepeinigte Mann empor, so daß der Stuhl zu Boden flog. Er tastete mit hastiger, bebender Hand nach einer Waffe – und bekam im fahlen Dämmerschein das Tintenfaß zwischen die Finger. Er packte zu, schwang, warf – und mit krachender Wucht saß es an der Wand.
» Eritis sicut Deus! So sprachst du Satan im Paradiese! Daran hab' ich dich erkannt, doppelzüngige Schlange! Heut' aber gerät es dir nicht! … Oh, mich irremachen an meinem mühselig heiligen Werk?! Zerbrechen will ich dich, Satan, also ist der Wille Gottes! Stück um Stücklein will ich abzupfen von deiner Finsternis! Ungedankt werben will ich um meines Volkes verfinsterte Seelen, bis diese Erde ganz voll Lichtes ist, ganz voll Gottes! Das walte der Allmächtige, der allein des Zwiespalts Herr ist! Amen!«
Keuchend stand er da und rieb sich wie erwachend die tropfende Stirn.
Hans von Berlepsch, der Schloßhauptmann, trat breiten Schrittes in das Stübchen ein und rief seinen Schützling zum Nachtessen.