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Ein Sonntag ist vorüber, es ist Mitternacht. Gewitter lagern um die Horizonte; es wetterleuchtet rot und schauerlich in die schweigend-schwüle Finsternis.
Schwermut steht am Berge und schaut herab auf den Träumer, der am offenen Fenster sitzt und keinen Schlaf findet. Blitzhaft, wie durch zerrissene Wolken hindurch, werden mir frühere Stimmungen wieder hell, bis tief hinein in meine weltferne Waldjugend. Es war ein schwerer, schwerer Weg! Wieviel Irrtümer und Torheiten, wieviel Zorn und Schmerz, wieviel unreife Niedrigkeiten liegen am Heerweg nach den Höhen des Lebens! Man hat manchmal solche hellsichtigen Stunden, die wie in einer schärfsten Linse ein ganzes Leben einfangen mit allen Wunden und Kämpfen. Es sind Stunden des Fegefeuers; aber man geht geläutert aus diesen Auseinandersetzungen mit der Vergangenheit hervor.
Dort auf den Bergen steht die Zukunft mit Feuerflügeln. Sie hebt sich hoch, sie breitet die Flügel aus und leuchtet empor: – in funkelndem Glanze steht die erhellte Gegend. Dort muß ich hinauf, in jenes schweigende Winken! Dort sind Schlachten und Siege; kein Donner dringt her in unser weiches Elfental, durch das der Wiesenbach gleichmäßig dahinplätschert. Unheimlich dünkt mich diese Stille, die mir bisher anmutigste Erholung war. Mir wird bang, als versäumt' ich herbe Pflichten, die da draußen, jenseits der schwarzen Gebirge, von keinem anderen erfüllt werden können. Die Nöte der Zeit recken sich empor, winken über die Berge her, sinken wieder trostlos in sich zusammen – und niemand eilt aufs Schlachtfeld, niemand hilft ihnen mit guten, starken Worten der Liebe!
Es gilt Abschied nehmen. Ich sehe zum Erdgeschoß unseres Kammerberger Hauses hinaus, in das hochliegende Gärtchen, auf jene Gartenhütte, die bei jedem Aufleuchten der Luft magisch vor meinen Blicken steht. Ich glaube Glühwürmchen fliegen zu sehen; vielleicht auch flimmern nur meine geblendeten Augen. Es ist totenstill – und dennoch ist's bei jedem Wetterleuchten taghell, unheimlich hell. Ich höre Schritte im Garten, ich hör' ein Flüstern in der Laube; und kann dennoch nichts erspähen. Es ist lange nach Mitternacht. Alles schläft; niemand ahnt, daß ich eine abschiedslose, jähe Abreise im Sinne wälze. Immer wieder muß ich jenes Gartenhüttchen anstarren, meinen Lieblingsplatz, der mich mit seltsamem Zauber so viel Tage gefesselt hat. Dort haben sich die Eltern meiner drei Lieblinge verlobt. Es war der Anfang eines langen, starken, immer reicher blühenden Seelenglücks. Aus diesem Hüttchen sprangen die drei Elfen in unsere Erdenwelt; aus diesem Hüttchen, wie aus einem Wunderbrunnen, sind tausend sonnige Stunden der Liebe und Gastfreundschaft in die Welt gelaufen. Mir ist dieses Hüttchen meine stille Arbeitsstätte gewesen. Mir gab diese Stätte eures tiefen Lebensglücks – nur Gedanken und Gedichte. Nur! Ich bin sonst sehr dankbar für dies »Nur«; heute vermag ich's nicht. In der Morgendämmerung werd' ich dem umgrünten Bretterbau zuwinken und mit verschleierten Augen weiterziehen.
Über manche Kämpfe gibt es keine Aussprache, auch nicht zum besten Freunde. Sie sind so zarten Gespinstes, daß keine Sprache dafür ausreicht.
Ich habe selten Gott um das gebeten, was die Menschen »Glück« nennen. Ich bitte meist nur – meist: denn wir haben schwächere Stunden – meist nur um die Kraft und Freudigkeit, meine Bestimmung zu erfüllen. Darin wird man mit der Zeit immer zäher; alle anderen Güter und Begehrlichkeiten verblassen daneben. Kommt dann dennoch von außen her dies und jenes Angenehme, so nimmt man das überrascht und dankbar an, als eine ungesuchte Gnade.
Manchmal freilich, in weichen Nächten, wenn die Spannkraft nachläßt, geht es wie ein Weinen durch die Waldung unserer Seele; und man sitzt mit gepreßten Lippen und nassen Augen und starrt eine Gartenhütte an.
Wie viele Millionen Menschenschicksale gehen um diese Erde! Wie viele Feuerwolken flammen um den Tropengürtel dieses Planeten! Wie weit, wie reich ist diese Welt! Wenn dir die Enge eine Gefahr wird, dich zu verweichlichen und zu verlieren, – reiß dich heraus! Breite die Riesenflügel deiner Seele aus, wie diese Gewitter groß und frei ihre Flammenflügel breiten!
Ich wappne mich mit großen Vorstellungen: ich sehe mich wieder auf den Dünen von Sylt, sehe den Schaum der nächtlichen Brandung aufleuchten im Gewitterschein, der über die Nordsee fährt, ich höre das Zischen der weißen Wogenzungen, die über dem Sand verrauschen – – Nordsee, Weltmeer, Ferne, nimm mich wieder auf! …
Morgen bin ich wieder der Wandrer, der ich gestern war.