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Amtliche Mitteilung.
Am 4. Dezember 1915 wurden von einem österreichisch-ungarischen Unterseeboot im Mittelmeer auf dem griechischen Dampfer »Spetsai« die als Kuriere reisenden englischen Offiziere, der Oberst Napier, früher Militärattaché in Bulgarien, dann der englischen Gesandtschaft in Athen zugeteilt, und das Parlamentsmitglied Kapitän Wilson, beide von Athen kommend, zu Gefangenen gemacht.
Der von ihnen vorher über Bord geworfene Depeschensack wurde von dem U-Boot aufgefischt und eingebracht. Die Kuriersendung enthielt außer Depeschen der britischen Gesandtschaft in Athen auch Privatbriefe von Mitgliedern der englischen Marinemission in Griechenland und des Gesandtschaftspersonals an ihre Angehörigen und Freunde in England. Unter den amtlichen Korrespondenzen verdient der Bericht des englischen Gesandten in Athen vom 26. November 1915 besondere Aufmerksamkeit, da derselbe in seiner Beilage den Wortlaut der Forderungen enthält, welche die Ententemächte an die griechische Regierung gestellt haben und deren Inhalt in einem flagranten Widerspruch zu den von unseren Feinden so häufig gebrauchten Phrasen von der Wahrung der Rechte der kleinen Nationen und der Neutralen überhaupt steht. Dieselbe Geringschätzung hinsichtlich Griechenlands, seiner fundamentalen Institutionen, ja selbst der Person des hellenischen Souveräns, tritt an zahlreichen Stellen der aufgefundenen Privatkorrespondenz zutage, was um so bemerkenswerter ist, als es sich einerseits um Mitglieder der bei der griechischen Regierung akkreditierten diplomatischen Vertretung, andererseits um Angehörige der in hellenische Kriegsdienste getretenen englischen Marinemission handelt.
Da es indes den Grundsätzen der k. u. k. Regierung widerspricht, Privatbriefe, auch wenn sie aus dem Lager unserer Feinde stammen, der Oeffentlichkeit zu übergeben, so wurde der weiter unten folgende Auszug unter Ausschaltung aller rein privaten Mitteilungen und unter Weglassung der vollen Namen der Schreiber und Adressaten auf jene Stellen beschränkt, welche geeignet erscheinen, im allgemeinen die politische Tendenz und die Sprache der betreffenden britischen Diplomaten und Seeoffiziere zu charakterisieren.
Auch wird die österreichisch-ungarische Regierung nur die aufgefangene amtliche Korrespondenz der Königl. Großbritannischen Gesandtschaft in Athen zurückbehalten, hingegen die Privatkorrespondenz der Mitglieder dieser Mission und der in griechischen Diensten stehenden englischen Seeoffiziere im Wege der Wiener amerikanischen Botschaft den Adressaten zukommen lassen.
I. Sir F. Eliott, englischer Gesandter in Athen, an Sir Edward Grey, Athen, 26.11.1915.
»Mit Bezug auf mein Telegramm Nr. 1317 vom heutigen Tage beehre ich mich, in einer Anlage die Kopie des Schriftstückes zu übermitteln, welches mein französischer Kollege heute morgen dem Ministerpräsidenten in Gegenwart der Vertreter Großbritanniens, Italiens und Rußlands überreicht hat und welches die Aufstellung der Punkte enthält, bezüglich welcher von der griechischen Regierung Konzessionen verlangt werden. Mit dem Ausdrucke meiner vorzüglichen Hochachtung usw. gezeichnet Eliott.
Anlage:
1. Zurückziehung der griechischen Truppen aus der Stadt Saloniki und Umgebung.
2. Vollständig freies Verfügungsrecht über die Eisenbahnen und Straßen bis zur Grenze, insbesondere in Richtung Krivolak und Monastir, damit wir sowohl in der Stadt selbst, als auch in deren Umgebung alle Maßregeln treffen können, welche zu unserer Verteidigung unumgänglich notwendig sind, da die Herstellung einer Verteidigungs-Organisation im Raume um Saloniki und vor der Halbinsel Chalkidike von hervorragendster Wichtigkeit ist, um die Sicherheit der Expeditions-Truppen zu gewährleisten.
3. Freiheit zur See, wie z. B. das Recht, Schiffe und Boote in Territorialgewässern zu visitieren und die feindlichen Unterseeboote, ihre Operations- und Versorgungsbasen an der Küste und in den Territorialgewässern aufzusuchen und zu zerstören. In Anbetracht der schwierigen Lage, in welche der Rückzug der serbischen Armee gegen Albanien und Montenegro die Truppen der Alliierten bringen wird, ist es dringend notwendig, daß dem Begehren Rechnung getragen werde, nicht nur durch mündliche Zusagen, sondern auch durch Handlungen, d. h. durch eine Evakuierung der Gegend von Saloniki durch die griechischen Truppen, welche zurückzuziehen wären, um auf diese Weise die Freiheit unserer Bewegungen und unserer Verteidigung nicht stören zu können.«
II. Aus einem Briefe eines Beamten des englischen Dienstes, datiert Saloniki vom 25.11.1915:
»Es entspricht dem sentimentalen Wesen der Engländer, von Bulgarien zu sprechen, als wäre es Serbien in den Rücken gefallen. Es ist nun Tatsache, daß die bulgarische Mobilisation dadurch notwendig wurde, daß drei serbische Divisionen an der bulgarischen Grenze konzentriert wurden. Wir alle haben Serbien nachdrücklichst wiederholt gesagt, was geschehen würde, wenn es nicht nachgibt, und jetzt sehen wir einfach das, was wir (in Sofia) vorausgesagt hatten. Ich habe infolgedessen sehr wenig Mitgefühl für Serbien, mehr hingegen für Bulgarien, welches noch einmal sein Blut vergießen mußte, um zu erhalten, was es bereits in dem blutigen Kriege von 1912 gewonnen hatte. Wie dem auch sei, dieses Mitgefühl müssen wir bis auf weiteres in die Tasche stecken. Die Politik der Alliierten wird durch den Erfolg gerechtfertigt werden. Wenn wir siegen und die Bulgaren aus Mazedonien vertreiben, so wird die Macht gesiegt haben, aber gewiß nicht das Recht. Wir haben Bulgarien nicht neutral erhalten. Wir hätten dies durch eine starke Aktion in Nisch erreichen können, und, um diese Neutralität zu erhalten, hätten wir einen großen Preis zahlen können. Wie die Sachen jetzt stehen, scheinen wir einen Balkanstaat nach dem andern ins Verderben zu stürzen. Du scheinst zu glauben, daß Griechenland auf unsere Seite treten wird. Ich bezweifle dies sehr und wäre nicht überrascht, wenn das Gegenteil eintreten würde. Wenn ich einmal in ferner Zukunft nach Hause komme, werde ich Dir alles dies auseinandersetzen. Wenn Du die Art der Menschen kennen würdest, welche als Zeitungskorrespondenten fungieren, und wenn Du wüßtest, wie ungeheuer ihre Ignoranz ist, so könntest Du den Zeitungen kein Vertrauen schenken.«
III. Aus einem Briefe Mr. W. Y. G.'s, Sekretärs der englischen Gesandtschaft in Athen:
»Athen, 28.11.1915. Meiner Ansicht nach wäre es am besten, den König von seinem Thron zu verjagen und Venizelos zum Präsidenten der hellenischen Republik auszurufen. Aber jedermann scheint vor derart drastischen Maßregeln zurückzuschrecken. Unglücklicherweise ist der König in dem größten Teile der Armee sehr populär.«
IV. Aus einem Briefe des Mr. K., Mitgliedes der englischen Marinemission
»Athen, 2.12.1915. Ich bin überzeugt, daß die Leute und der König selbst die begangenen Fehler jetzt einsehen. Aber der König ist ein so stütziges Geschöpf (»obstinate beast«), daß er halsstarrig bleibt. Meine Ueberzeugung geht dahin, daß nach diesem Kriege nichts Derartiges, wie Könige, bestehen bleiben sollte, sie haben Krieg und Elend verursacht und nur sie allein ...«
V. Brief des W. T. H. an Mr. G. H. F., im Auswärtigen Amt in London:
»Ich nehme an, daß Sie nach London zurückgekehrt sind, und ich wollte, Sie würden sich ein wenig Ruhe gönnen. Aber ich fürchte, daß dies in diesen unruhigen Zeiten schwer möglich sein wird. Immerhin hoffe ich, daß man jetzt mehr geneigt ist, auf Ihre Stimme zu hören, als früher. Die Leute zu Hause scheinen ihren Kurs zu ändern und sind offenbar weniger geneigt, der Regierung zu vertrauen, als ehedem. Die Leute wissen, warum wir den Karren so verfahren und so viel Geld ausgegeben haben, um so wenig zu erreichen. Was hier vorgeht, ist ein gutes Beispiel für die Art unserer Politik. Wir haben uns wie gewöhnlich gehen lassen und sind durch die Ereignisse überrascht worden. Ursprünglich wollten wir einige wenige Divisionen landen, ein politischer Schachzug, um die Griechen und Bulgaren zu impressionieren; unser Mißerfolg war ein kläglicher. Jetzt landen wir starke Kräfte, mehr noch sollen nachfolgen, und das Ende von alledem ist nicht abzusehen. Auf jeden Fall spielen wir das deutsche Spiel, indem wir freiwillig 300 000 bis 400 000 Bulgaren an uns heranziehen, während wir, wenn wir uns beizeiten zurückgezogen und die Bulgaren nach Mazedonien hineingelassen hätten, wahrscheinlich gar nicht in die Lage gekommen wären, mit ihnen kämpfen zu müssen. Anbei ein Memorandum, welches ich über den Gegenstand geschrieben und welches den Militärbehörden als aus der Feder eines ausländischen Diplomaten kommend vorgelegt wurde. Wenn es von mir gekommen wäre, so wäre es natürlich in den Papierkorb gewandert; so hoffe ich, daß es einigen Eindruck gemacht haben wird. Ich glaube auch, daß die Dardanellengeschichte, wenn möglich, ebenso aufgegeben werden sollte. Es ist Zeit, daß wir die Serie unserer Mißerfolge beenden, anstatt blind loszugehen, nur deshalb, weil wir die Sache einmal angefangen und weil wir nicht den moralischen Mut aufbringen können, uns zurückzuziehen. Die Griechen verdienen sicher nichts anderes als einen guten Tritt (›a good kick behind‹).«
VI. Aus einem Briefe an Major R. A. S. K., London, von einem Freunde in Athen:
»Die Situation hier muß als eine durchaus außergewöhnliche und kritische bezeichnet werden, aber ich glaube, wir werden die Sache zu einem guten Ende bringen, wenn nur unsere Regierung eine feste Haltung einnimmt. Diese ist aber derart schwankend, daß, wenn die Dinge gegen uns ausfallen, es größtenteils ihre Schuld sein wird. Wie Sie sehen, ist die Situation für uns außerordentlich kritisch und beunruhigend, sowohl vom politischen, als vom militärischen Standpunkt aus betrachtet, und viele glauben, daß unsere Tage hier gezählt sind. Ich selber glaube nicht daran, aber ich gebe zu, daß die Lage unserer 150 000 Mann in Saloniki meinem Laienauge sehr gefahrvoll erscheint. Werden sie Zeit haben, sich zu verschanzen gegen die Deutschen, welche heranstürmen werden, sobald Monastir gefallen, und werden sie in der Lage sein, die Belagerung auszuhalten? Aber wahrscheinlich werden Kitchener und das Ministerium die Frage, ob wir in Saloniki und in Gallipoli bleiben sollen, entschieden haben, wenn Sie die Zeilen zu Gesicht bekommen werden. Die Griechen sind ein verächtliches Völkchen (›a despicable little race‹).«
Das Urteil eines holländischen Ministers.
Der frühere niederländische Ministerpräsident Dr. Kuyper schrieb in einer angesehenen Amsterdamer Zeitung folgende Anklage gegen das »perfide Albion« (so hatte Napoleon schon vor hundert Jahren England genannt): »Immer stärkere Empörung weckt die Mißhandlung, der Griechenland auch von französischer, vor allem doch von englischer Seite in stets kränkenderer Weise ausgesetzt wird. Die Truppenlandung in Saloniki, um von diesem Hafen aus längs der Bahn nach Serbien zu marschieren, und diesem Lande gegen die Bulgaren zu helfen, konnte trotz des griechischen Einspruches doch noch mit der nüchternen Tatsache einigermaßen entschuldigt werden, daß die griechische Regierung sie letzten Endes zuließ, ja zum Teil selbst Hilfe leistete. Ganz anders aber ist es jetzt, da England seine Uebermacht zur See mißbraucht, um Griechenlands Küsten und Häfen zu sperren und so seinen Handel zu vernichten, den es schon durch Beschlagnahme griechischer Schiffe in englischen Häfen geschädigt hatte. Tatsächlich ist schon jetzt der ganze griechische Seehandel lahmgelegt. Und dies ohne Kriegserklärung, ja selbst ohne Ultimatum, während Griechenland noch seinen Gesandten in London, England den seinigen in Athen hat. Für einen solchen Mißbrauch der Macht findet sich im Völkerrecht weder Name noch Andeutung. Es sind Kriegshandlungen gegen eine dem Namen nach noch befreundete Macht. Als Deutschland in Belgien einrückte, konnte man wenigstens noch auf sehr bestimmte Auslassungen berühmter Völkerrechtslehrer hinweisen, die wenigstens einige Erklärung boten. Hier dagegen gebricht es selbst an dieser bedingten Entschuldigung. Für diese Verletzung der griechischen Souveränität ist im Völkerrecht kein Name aufzutreiben. Das gerade aber ist es, was das britische Reich sich immer wieder zuschulden kommen ließ. Herr des Weltmeeres, hat es stets die Haltung angenommen, als folge aus Englands Alleinherrschaft das Recht, ganz einseitig oder durchaus willkürlich zu bestimmen, was auf See oder von See aus erlaubt oder verboten sei. Hätte noch wenigstens Frankreich sich geweigert, an solcher augenfälligen Verletzung der unstreitigen Rechte Griechenlands teilzunehmen, so wäre für die Zukunft nichts zu besorgen. Da aber das Umgekehrte der Fall war, da Frankreich und Rußland diese Souveränitäts-Verletzung verteidigten, so fühlt auch jedermann, welche Gefahr hierin auch für unsere Zukunft droht. Wenn es in der Nordsee dazu käme, meint man dann, die Niederlande würden mehr geschont werden als jetzt Griechenland? ›Perfid‹ ist denn auch die ehrlose Bezeichnung, die nicht jetzt erst auf Downingstreet angewandt. Das aber macht, was Griechenland jetzt angetan wurde, für alle kleinen Staaten bedenklich. Griechenlands König (den der Verfasser die Ehre hatte, in seiner Kronprinzenzeit in Athen kennen zu lernen) ist nicht der Mann, sich aus seinem Zelte locken zu lassen, solange die neutrale Flagge darüber weht. Aber unendlich schwierig ist die Lage, in die man ihn hineintreiben will. Nun auch wieder mit der Frage der Internierung, falls die Serben über die griechische Grenze treten.«