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Der Stellungskrieg in Nordfrankreich brachte auch im Dezember 1915, dem siebzehnten Kriegsmonat, nur kleinere Kämpfe. Erst um die Weihnachtszeit ging es in den Vogesen wieder etwas lebhafter zu.
Am 1. Dezember wurde von der Heeresleitung gemeldet, daß westlich von La Bassée eine umfangreiche Sprengung unserer Truppen erheblichen Schaden an der englischen Stellung anrichtete. Außerdem wurden ein englisches und ein französisches Flugzeug abgeschossen und die Insassen gefangen genommen.
Am nächsten Tage hieß es: »Außer Artillerie- und Minenkämpfen an verschiedenen Stellen der Front keine besonderen Ereignisse. Nordwestlich von St. Quentin fiel ein wegen Motorschadens niedergegangener Doppeldecker mit zwei englischen Offizieren in unsere Hand.«
Zwei feindliche Monitore beschossen am 3. Dezember wirkungslos die Gegend von Westende. Südlich von Lombartzyde (bei Nieuport) wurde ein französischer Posten überrascht; einige Gefangene fielen in unsere Hand. Im übrigen zeigte die Gefechtstätigkeit an unserer Front keine Veränderung gegen die vorhergehenden Tage. Westlich von Roye mußte ein französischer Doppeldecker im Feuer unserer Abwehrgeschütze landen. Die Insassen, zwei Offiziere, wurden gefangen genommen.
In den nächsten Tagen fanden an verschiedenen Stellen der Front Artillerie-, Minen- und Handgranatenkämpfe statt. In Gegend von Bapaume wurden zwei englische Flugzeuge im Luftkampf abgeschossen. Die Insassen waren tot.
Bei Berry au Bac glückte am 7. Dezember eine größere Sprengung. Der französische Graben wurde mit seiner Besatzung verschüttet. Eine fast vollendete feindliche Minenanlage wurde zerstört. Oestlich von Auberive (in der Champagne) wurden etwa 250 Meter des vorderen französischen Grabens genommen, über 60 Mann fielen gefangen in unsere Hand.
Versuche des Feindes, uns am 8. Dezember den Erfolg östlich von Auberive streitig zu machen, scheiterten. Außer den Gefangenen sind dort drei Maschinengewehre in unsere Hand gefallen. Nordöstlich von Souain wurde den Franzosen die Stellung auf der Höhe 193 in einer Ausdehnung von etwa 500 Metern entrissen. Vier Gegenangriffe wurden abgeschlagen. Ein Offizier, 120 Mann sind gefangen genommen, zwei Maschinengewehre erbeutet.
Französische Handgranatenangriffe gegen unsere neue Stellung auf Höhe 193 nordöstlich von Souain wurden am 10. Dezember abgewiesen.
An vielen Stellen der Front herrschte in den nächsten Tagen lebhaftere Tätigkeit der beiderseitigen Artillerien. Nach starker Feuervorbereitung griffen die Franzosen am 11. Dezember abermals unsere Stellung auf und östlich der Höhe 193 (nordöstlich von Souain) erneut an. Der Angriff ist abgeschlagen. Die Stellung war genau so fest in unserer Hand, wie sie uns auch durch die kühnsten gegenteiligen Behauptungen in den französischen Tagesberichten der letzten Zeit nicht hat entrissen werden können.
Oestlich von Neuve Chapelle (südwestlich von Lille) scheiterte vor unserem Hindernis am 12. Dezember der Versuch einer kleineren englischen Abteilung, überraschend in unsere Stellungen einzudringen. In den Vogesen kam es zu vereinzelten Patrouillengefechten ohne Bedeutung.
Ein am 12. Dezember auf der Höhe von La Panne auf Grund geratener englischer Dampfer wurde gestern von unseren Fliegern mit beobachtetem Erfolge angegriffen. Der Feind, der mehrere Flugzeug-Geschwader gegen Bapaume-Peronne, nach Lothringen und auf Müllheim (in Baden) angesetzt hatte, büßte im Luftkampf oder durch Feuer unserer Abwehrgeschütze vier Flugzeuge, darunter ein großes Flugzeug mit zwei Motoren, ein.
Am 16. Dezember wurde amtlich bekannt gegeben: »Lebhafte Artilleriekämpfe und rege Fliegertätigkeit auf dem größten Teile der Front. Bei Vailly wurden zwei kleine Postierungen auf dem Südufer der Aisne nachts von den Franzosen überfallen. Leutnant Immelmann brachte gestern über Valenciennes das siebente feindliche Flugzeug, einen englischen Eindecker, im Luftkampf zum Absturz. Der vorgestrige Fliegerangriff auf Müllheim soll nach französischer Darstellung als Ziel die dortigen Bahnhofsanlagen gehabt haben. In deren Nähe ist aber keine der abgeworfenen Bomben gefallen. Dagegen wurde in der Stadt ein Bürger getötet, ein anderer verletzt. Der rein militärische Schaden beschränkt sich auf die Zerstörung einiger Fensterscheiben im Lazarett.«
Südöstlich von Armentiè stieß am 17. Dezember vor Hellwerden eine kleine englische Abteilung überraschend bis in einen unserer Gräben vor und zog sich in unserem Feuer wieder zurück. Weiter südlich wurde ein gleicher Versuch durch unser Feuer verhindert. Sonst blieb die Gefechtstätigkeit bei vielfach unsichtigem Wetter auf schwächere Artillerie-, Handgranaten- und Minenkämpfe an einzelnen Stellen beschränkt. Auf Metz wurde am 17. Dezember ein feindlicher Fliegerangriff ausgeführt, bei dem das städtische Museum schwer beschädigt, sonst aber kein Schaden angerichtet wurde. Dieser französische Angriff wurde am 19. Dezember wiederholt.
Das Feuer unserer Küstenbatterien vertrieb am 20. Dezember feindliche Monitore, die nachmittags Westende beschossen. An der Front neben lebhafter Artillerietätigkeit mehrere erfolgreiche Sprengungen unserer Truppen. Eins unserer Flugzeug-Geschwader griff den Ort Poperinghe an, in dem zahlreiche Verbindungen des Feindes zusammenlaufen. Ein englischer Doppeldecker wurde im Luftkampf bei Brügge abgeschossen; die Insassen waren tot.
Westlich von Hulluch nahm eine deutsche Abteilung am 21. Dezember eine englische Sappe und wehrte einen nächtlichen Gegenangriff ab. Auf vielen Stellen der Front lebhafte Artilleriekämpfe.
Die Engländer waren mit ihrem bisherigen Obergeneral French nicht zufrieden. Er »siegte« nicht genug. Sie setzten ihn deshalb ab und ernannten einen neuen Befehlshaber mit Namen Haig.
Die Franzosen griffen am Nachmittag des 22. Dezember unsere Stellungen am Hartmannsweilerkopf und am Hirzstein (nördlich von Wattweiler) an. Es gelang ihnen, die Kuppe des Hartmannsweilerkopfes, die nach den offiziellen französischen Berichten allerdings schon seit Ende April in französischem Besitz gewesen sein soll, und ein kleines Grabenstück am Hilsenfirst zu nehmen. Ein Teil der verlorenen Stellung am Hartmannsweilerkopf wurde bereits am nächsten Vormittag zurückerobert. Ein Angriff bei Metzeral brach vor unserer Stellung zusammen. Auf der übrigen Front bei unsichtigem Wetter und Schneetreiben nur geringe Geschütztätigkeit.
Ueber eine schöne Siegestat berichtete die Heeresleitung sodann am nächsten Tage: »In heißem Ringen nahmen gestern die tapferen Regimenter der 82. Landwehr-Brigade die Kuppe des Hartmannsweilerkopfes zurück. Der Feind erlitt außerordentlich schwere blutige Verluste und ließ 23 Offiziere, 1530 Mann als Nordhang, in denen die Franzosen noch sitzen, sind wir beschäftigt.« Hinzugefügt wurde: »Die Angabe im französischen Tagesbericht von gestern abend, es seien bei den Kämpfen um den Hartmannsweilerkopf am 21. Dezember 1300 Deutsche gefangen worden, ist um mindestens die Hälfte übertrieben. Unsere Gesamtverluste einschließlich aller Toten, Verwundeten und Vermißten betragen, soweit es sich bisher übersehen läßt, etwa 1100 Mann.«
Ein höherer Offizier schrieb über den Vogesenkampf: »Es ist eine alte Erfahrung im Grabenkriege, daß sich bei der geringen Entfernung, in der sich meist die beiden Parteien einander gegenüberliegen, überraschende Angriffe wohl Erfolg versprechen, daß aber das Einrichten in den gewonnenen Stellungen unter dem Feuer des nahen Feindes sehr schwierig ist, und daß darum ein rasch einsetzender kräftiger Gegenangriff den Feind häufig noch bei den Einrichtungsarbeiten antrifft. Das scheint auch den Franzosen jetzt eben am Hartmannsweilerkopf widerfahren zu sein. Der kräftige Anlauf der tapferen Landwehr-Regimenter hat sie offenbar überrannt. Darauf scheint auch die für den Grabenkrieg überaus stattliche Zahl an Gefangenen hinzudeuten. Nur einzelne Grabenstücke am Nordhange des Kopfes hielt noch der Feind. Aber auch dort sollte sein Widerstand bald gebrochen sein. Da die Franzosen bekanntlich schon seit Ende April behaupteten, sie hätten die Kuppe des Hartmannsweilerkopfes in ihren Händen, so dürften sie natürlich in ihrem Tagesbericht den Raumgewinn nicht allzu hoch veranschlagen. Um so mehr haben sie nun unsere Verluste übertrieben; um mindestens die Hälfte haben sie allein die Zahl der Gefangenen zu hoch angegeben.«
Das feindliche Artilleriefeuer war am 24. Dezember stellenweise lebhaft, besonders in den Vogesen. Ein nächtlicher Handgranatenangriff gegen unsere Höhenstellung nordöstlich von Souain wurde leicht abgewiesen. Die Stellung auf dem Hartmannsweilerkopf war restlos zurückgewonnen, auch aus den Grabenstücken auf dem Nordhange des Berges waren jetzt die Franzosen vertrieben.
Im Gegensatz zu Weihnachten 1914, wo schwere Kämpfe stattfanden, ging es Weihnachten 1915 ruhig zu. Nur bei La Bassée sprengten wir eine gegen unsere Stellungen vorgetriebene Minenanlage in die Luft.
Ein von Franzosen nordöstlich von Neuville vor unserer Stellung gesprengter Trichter wurde am 27. Dezember von uns besetzt. Eine feindliche Sprengung auf der Combres-Höhe richtete nur geringe Beschädigungen an.
Durch das Feuer eines feindlichen Monitors wurden am 28. Dezember in Westende-Bad drei Einwohner, darunter zwei Frauen, getötet. An der Front entwickelten sich zeitweise lebhafte Artillerie-, Handgranaten- und Minen-Kämpfe. Am Hirzstein erfolgte früh ein französischer Vorstoß. Reger Zugverkehr auf dem Bahnhof Soissons wurde von unserer Artillerie beschossen. Die Franzosen hatten seit kurzem das in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs liegende Hospital, anscheinend zum Schutze des Bahnhofs, mit Rote-Krenz-Flaggen versehen. Zufallstreffer in das Hospital waren bei der Nähe desselben zum Bahnhof daher nicht ausgeschlossen.
Am 29. Dezember wurde bekannt gegeben: »Westende wurde wiederum durch einen feindlichen Monitor beschossen, diesmal ohne jede Wirkung. Der gestern berichtete feindliche Vorstoß am Hirzstein brach bereits in unserem Feuer zusammen. Am Abend griffen die Franzosen zweimal die von uns zurückeroberten Stellungen auf dem Hartmannsweilerkopf an. Sie drangen teilweise in unsere Gräben ein.
Nach dem ersten Angriff wurde der Feind überall sofort wieder vertrieben, die Kämpfe um einzelne Grabenstücke nach dem zweiten Angriff sind noch im Gange. An Gefangenen büßten die Franzosen bisher fünf Offiziere und über 200 Mann ein. Die Engländer verloren gestern zwei Flugzeuge, von denen das eine nordöstlich von Lens durch das Feuer unserer Abwehrgeschütze zur Landung gezwungen, das andere, ein Großkampfflugzeug, nördlich von Ham im Luftkampf abgeschossen wurde. Am 27. Dezember verbrannte ein weiteres englisches Flugzeug westlich von Lille.«
Eine Pariser Zeitung erörterte die allgemeine Kriegslage und erklärte: »Trotz des Mutes unserer Armeen und der moralischen Kraft der Zivilbevölkerung besitzt der Feind noch immer Belgien und befindet sich noch 80 Kilometer vor Paris. Die süßen Weisen und die Trompetenklänge berauschen niemand mehr. Frankreich weiß, daß es den Frieden durch den Sieg nur um den Preis der langen Geduld erringen kann und daß wenig Hoffnung auf einen baldigen entscheidenden militärischen Erfolg besteht. Die bittere Notwendigkeit, einen Abnützungskrieg zu führen, bedeutet aber Trauer und Unglück in vielen bis jetzt verschonten Häusern, eine weitere Verteuerung des Lebens, das für die Armen trotz der ohnmächtigen Maßnahmen der Regierung immer schwieriger wird, immer mühsamere Anstrengungen unserer Industrie und des Handels, um die täglich ungewisser werdende Lage zu erhalten, eine schlechte Bestellung der Felder und Verarmung des Viehbestandes.«
In der Nacht zum 29. Dezember mißglückten englische Versuche nordwestlich von Lille, durch Ueberraschung in unsere Stellungen einzudringen. Eine kleine nächtliche Unternehmung unserer Truppen südöstlich von Albert war erfolgreich und führte zur Gefangennahme von einigen Dutzend Engländern. Am Hartmannsweilerkopf wurden am 29. Dezember die in französischer Hand gebliebenen Grabenstücke zurückerobert. Im übrigen fanden an vielen Stellen der Front bei günstigen Beobachtungsverhältnissen zeitweise lebhafte Feuerkämpfe statt. Auch die Fliegertätigkeit war beiderseits in den letzten Dezembertagen sehr rege. Ein feindliches Geschwader griff die Orte Werwicq und Menin und die dortigen Bahnanlagen an. Militärischer Schaden wurde nicht angerichtet, dagegen wurden sieben Einwohner verletzt und ein Kind getötet. Ein englisches Flugzeug wurde nordwestlich von Cambrai im Luftkampf abgeschossen.
Man hatte sich diesen Krieg in England ganz anders ausgemalt. Man wollte Deutschland mit Waffen bekämpfen und besiegen, mit deren Handhabung es wenig vertraut war, oder deren es sich nach Lage der Sache nicht bedienen konnte. Den festländischen Verbündeten sollte es hauptsächlich überlassen bleiben, genügend Soldaten gegen die deutschen Heere auf die Beine zu bringen. An dieser Seite der Kriegführung gedachte man sich in London nur zum Schein mit wenigen Hunderttausend Mann, nicht im Ernst durch Aufbietung eines großen Teiles der eigenen wehrfähigen Mannheit zu beteiligen. Während auf dem Kontinent sich die Völker zerfleischten, sollte Englands junge Mannheit fleißig in den Werkstätten und auf den Kontoren des Inselreiches für die Herstellung und den Verkauf von Waren für ehemalige Kunden der deutschen Industrie in überseeischen Ländern tätig sein. Die Dinge haben ihre eigene Logik. Die Siege der deutschen Waffen hatten es mit sich gebracht, daß England sein Werbesystem immer weiter ausbauen mußte, ja, daß es in den letzten Tagen des Jahres 1915 sogar beschloß, die allgemeine Dienstpflicht einzuführen. Dazu gab es natürlich im eigenen Lande, namentlich bei den Arbeitern, den größten Widerstand.
Der deutsche Silvesterbericht lautete: »Nach erfolgreicher Sprengung wurde den Engländern nordwestlich von Hulluch ein vorgeschobener Graben entrissen. Zwei Maschinengewehre und einige Gefangene fielen in unsere Hand. Ein feindlicher Fliegerangriff auf Ostende richtete in der Stadt erheblichen Gebäudeschaden an, besonders hat das Kloster »Vom heiligen Herzen« gelitten. 19 belgische Einwohner sind verletzt, einer getötet. Militärischer Schaden ist nicht entstanden.«
Auf sehr schwachen Füßen stand die Hoffnung unserer Feinde auf etwa unzureichenden Heeresersatz Deutschlands. Abgesehen davon, daß in der deutschen Armee die Verlustziffer an sich viel geringer war als bei unseren Feinden, kehrte ein sehr hoher Prozentsatz unserer Verwundeten – über 80 v. H. – dank den Leistungen unseres Sanitätsdienstes in die Front zurück. Deutschland hatte auch zum Ersatz der Abgänge nicht, wie Frankreich und Rußland, auf ganz junge Jahrgänge zurückzugreifen brauchen. Andererseits waren die Verluste unserer Gegner, die nicht einmal Verlustlisten zu veröffentlichen wagten, sehr hoch anzuschlagen. Nach einer amtlichen Meldung belief sich der Gesamtverlust der englischen Armee bisher auf über 550 000 Mann. Selbst wenn man die Anzahl der im Felde stehenden weißen und farbigen Engländer bis auf drei Millionen annahm, machten somit die Verluste einen sehr hohen Prozentsatz aus. Und es war nicht einmal gewiß, daß die angegebenen Verluste den Tatsachen entsprachen, wenn man an die ungeheuren Verluste auf Gallipoli und auch schon bei Saloniki denkt und der Angabe des Unterhausmitgliedes Dalziel vertrauen konnte, daß in der Schlacht bei Loos allein die Armee durch fehlerhafte Führung 80 000 Mann verloren habe. Wenn aber die Verlustziffer wirklich nicht größer war, so beweist das nur, daß die Engländer immer die weise Vorsicht geübt hatten, hübsch in der Deckung zu bleiben und, sobald es gefährlich wurde, die Verbündeten in die vorderste Kampflinie zu schieben! Begreiflicherweise waren die Franzosen darüber arg verschnupft. Es war sicherlich kein Zufall, daß Joffre kürzlich geäußert hatte, Frankreich dürfe sich keine zu großen Hoffnungen auf eine alsbaldige neue Offensive zur Durchbrechung der deutschen Front machen, da diese eine halbe Million Soldaten kosten würde; zuvor müsse man die Ankunft des neuen Kitchener-Heeres abwarten, die nicht vor April 1916 erfolgen könne. Dann sollten also die Engländer den Vortritt haben! Auch in Rußland hatte man sich beklagt, daß dieses am meisten die blutigen Opfer des Krieges zu tragen habe, während England sich allzu sehr zurückhalte.
Anfang Dezember 1915 trat der Deutsche Reichstag zu seiner üblichen Winterarbeit zusammen. Dabei hielt Reichskanzler von Bethmann-Hollweg – der übrigens auch einen Sohn auf dem Felde der Ehre verloren hatte – eine bedeutsame Rede.
Ueber die militärische Lage Deutschlands sagte er: »lieber die weitere Entwicklung der militärischen Operationen kann ich mich hier natürlich nicht verbreiten. Zur gegenwärtigen Lage will ich nur folgendes sagen: Im Osten halten unsere Truppen mit den österreichisch-ungarischen zusammen eine weit vorgeschobene und gut ausgebaute Stellung inne, immer bereit zu neuem Vorgehen. Im Westen halten wir unsere Positionen fest in unserer Hand. Was das heißt, kann man ermessen, wenn man sich vergegenwärtigt, daß die Franzosen in der Champagne allein bei ihrer letzten Offensive so viel Truppen eingesetzt hatten, wie Deutschland im ganzen Kriege 1870/71 zur Verfügung standen. Dank, heißer Dank dafür unseren Kriegern, die dort ihr Leben für die Freiheit Deutschlands in die Schanzen schlugen.«
Der Kanzler gedachte dann des unerschütterlichen und unerschütterten Widerstandes der österreichisch-ungarischen Truppen an der Isonzofront gegen die Italiener. »Den Italienern«, sagte der Kanzler, »ist es dabei geglückt, friedliche Städte, deren Erlösung sie sich zur Aufgabe gestellt hatten, in Trümmer zu schießen. Dies bietet allerdings kaum Ersatz für die fehlenden Erfolge.«
Ueber die deutsche Arbeit hinter der Front sagte der Kanzler: »In Nordfrankreich und Belgien sind eine ganze Anzahl von Ihnen, meine Herren, tätig. Sie haben sich überzeugen können, daß wir uns redlich und mit Erfolg bemüht haben, die Kräfte des wirtschaftlichen Lebens wieder wachzurufen. Ueberall haben unsere Truppen hinter der Front geackert und geerntet. In Belgien ist es uns vielfach gelungen, annähernd normale Verhältnisse herzustellen. Auch die belgische Industrie und der Handel wurden, wo es ging, neu belebt, Geld- und Kreditwesen, die Verkehrsverhältnisse sind wieder in Ordnung gebracht worden. Unzählige, von den Feinden gesprengte Brücken und zerstörte Eisenbahnen sind wieder hergestellt. Im Kohlenbergbau ist fast die normale Zahl der Belegschaft zu verzeichnen, die Arbeitslosigkeit wird durch Notstandsarbeiten gemildert. Ganz normale Verhältnisse herzustellen, ist freilich ausgeschlossen, weil England dem verbündeten Staate die Zufuhr zur See abschneidet. Die allgemeine Schulpflicht wird durchgeführt und die Vorschriften über den Schulunterricht in flämischer Sprache, die nur auf dem Papier standen, werden in die Tat umgesetzt. Wir haben wenigstens den Anfang gemacht für eine Arbeiterschutzgesetzgebung, die bei uns seit Jahrzehnten bereits besteht, und die nach deutscher Auffassung in einem modernen Staatswesen nicht fehlen darf.
In Polen, Litauen und teilweise auch in Kurland haben wir die entsetzlichen, von russischer Hand vorgefundenen Zerstörungen fast völlig beseitigen können. Neue Verwaltungen in Stadt und Land wurden eingerichtet, das Sanitätswesen und die Verkehrsverhältnisse geregelt, mehr als 4000 Straßen wurden gebaut, Eisenbahnen gelegt. Wir haben für Polen, das bis zur Besetzung durch unsere Truppen keine Selbstverwaltung kannte, eine Städteordnung eingeführt, die eine Mitwirkung der Bürgerschaft bei der Verwaltung vorsieht. Wir haben in Warschau die Universität und Technische Hochschule mit Vorlesungen in polnischer Sprache wieder eingerichtet. Im Februar des Jahres 1915 hat noch die russische Behörde den Antrag, einige Vorlesungen in polnischer Sprache an diesen Hochschulen zuzulassen, abgelehnt. Das sind so einige Proben unserer Arbeit. Wohl noch niemals in der Weltgeschichte ist in einem Kriege, wo Millionen vorn an der Front stehen, hinter der Front solche Friedensarbeit geleistet worden. Das sieht weder nach Hunnen noch nach Erschöpfung aus.
Ueber unsere wirtschaftlichen Zustände nur einige kurze Bemerkungen. Wir haben genug an Lebensmitteln, wenn sie richtig verteilt werden. Das ist die grundlegende, bestimmende Tatsache. Daß wir im Kriege uns nicht so billig und so reichlich wie im Frieden ernähren können, ist klar. Die Not, welche infolge des Krieges in vielen schwächer bemittelten Familien herrscht, wird von niemandem lebhafter beklagt, als von mir. Wo der Ernährer der Familie seine Gesundheit verloren, oder gar schon in fremder Erde begraben ist, wo mühsam aufgebaute Unternehmungen durch Einziehung des Leiters zusammengebrochen sind, da können wir freilich nicht alles wieder gutmachen. Ein so gewaltiges, allgemeines Schicksal trifft den Einzelnen natürlich sehr hart. Ich habe volle Bewunderung für das stille Heldentum ihres Kampfes, und auch ihnen gebührt der Dank des Vaterlandes.«