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Das arme Kind, am Feigenbaume singend saß sie, Singt All; eine grüne Weide; Ihre Hand auf dem Herzen, ihren Kopf auf dem Knie, Singt, Weide, Weide, Weide; Singt All; eine grüne Weide muß mein Kranz sein. |
Altes Lied. |
Da die schöne Julie sich von den Folgen ihres Falkenjagd-Unfalles beinahe erholt hat, denkt man allmählich daran, daß es hohe Zeit sei, einen Tag zur Hochzeit anzusetzen. Jede häusliche Begebenheit in einem ehrenwerthen, aristokratischen Familienbande, wie dieß, ist eine Sache von Bedeutung, und die Anberaumung dieses wichtigen Tages hat natürlich zu vielen Berathungen und Hin- und Herreden Anlaß gegeben.
Neulich haben sich jedoch einige kleine Schwierigkeiten und Verzugsgründe, entspringend aus den eigenthümlichen Ansichten, die man auf der Halle hat, ergeben. So habe ich eine sehr feierliche Berathung zwischen Lady Lillycraft, dem Pfarrer und Meister Simon mit angehört, ob nicht die Heirath bis auf den folgenden Monat hinausgesetzt werden müßte.
Bei allen den Reizen des blumigen Monats Mai, gibt es doch, wie ich finde, ein altes Vorurtheil gegen ihn, als Heirathsmonat betrachtet. Ein altes Sprichwort sagt: »im Mai heirathen, heißt Armuth heirathen.« Da nun Lady Lillycraft sehr an glückliche und unglückliche Tage und Zeiten glaubt, und überhaupt in allem dem, was die zärtliche Leidenschaft betrifft, sehr abergläubisch ist, so scheint dieß alte Sprichwort sich ihrer ganz bemeistert zu haben. Sie erinnert sich zweier oder dreier Beispiele aus ihrer eigenen Bekanntschaft, wo Heirathen, in diesem Monat geschlossen, sehr unglücklich ausfielen. In der That, eine leibliche Cousine von ihr, die am ersten Mai heirathete, verlor ihren Gatten durch einen Fall vom Pferde, nachdem Beide zwanzig Jahre sehr glücklich mit einander gelebt hatten.
Der Pfarrer schien den Einwürfen Ihrer Herrlichkeit großes Gewicht beizulegen, und erkannte das Dasein eines solchen Vorurtheils an, das nicht allein in neuern Zeiten geherrscht, sondern schon bei den Alten gegolten habe. Zur Bestätigung seiner Behauptung führte er eine Stelle aus dem Ovid an, welche einen großen Eindruck auf Lady Lillycraft machte, da sie in einer Sprache angeführt wurde, welche sie nicht verstand. Selbst Meister Simon stutzte darüber; denn er lauschte mit sehr gespannter Miene, und bemerkte am Ende mit Kopfschütteln sehr scharfsinnig, daß Ovid gewiß ein sehr weiser Mann sei.
Aus dieser klugen Berathung lernte ich überhaupt mehrere wichtige Dinge in Bezug auf das Heirathen; so zum Beispiel, daß, wenn zwei Heirathen in derselben Kirche vollzogen werden, die erste glücklich, die andere unglücklich wird. Wenn, auf dem Gange zur Kirche, der hochzeitliche Zug dem Leichenbegängniß einer Frau begegnet, so ist dieß ein Zeichen, daß die Braut zuerst sterben wird; ist es das eines Mannes, der Bräutigam. Wenn das neuvermählte Paar an seinem Hochzeitstage tanzt, so führt die Frau das Regiment in der Ehe, nebst manchen andern merkwürdigen und unbestreitbaren Thatsachen derselben Art, welche mich mehr als jemals zum Nachdenken über die Gefahren brachten, die diesen glücklichen Stand umgeben, und über die sorglose Unwissenheit der Sterblichen, in Hinsicht des gewaltigen Wagstücks, das sie unternehmen. Ich enthalte mich jedoch über diesen Gegenstand mich weiter auszulassen, indem ich nicht geneigt bin die Vermehrung der alten Junggesellen zu befördern.
Ungeachtet des gehörigen Gewichts, welches der Squire Ueberlieferungen und alten Meinungen beilegt, freue ich mich doch zu finden, daß er den Credit dieses Liebe-Monats aufrecht zu erhalten sucht, und zu seinem Beistande eine ganze Legion dichterischer Gewährsstellen aufführt; welche alle, wie ich annehme, die jungen Leute zu einem Entschluß bestimmt haben, denn ich höre, daß sie vollkommen Willens sind, im Mai zu heirathen, und die Folgen getrost abzuwarten. Die Hochzeit wird also in wenigen Tagen stattfinden, und die Halle ist in voller vorbereitenden Geschäftigkeit. Die Haushälterin wirthschaftet mit geschäftiger und wichtiger Miene vom Morgen bis zum Abend umher, da sie tausend Anstalten zu treffen hat, indem der Squire bei der Gelegenheit offenes Haus zu halten gedenkt; und was die Hausmädchen betrifft, so könnt Ihr keiner ins Gesicht sehen, ohne daß die Schelmin zu erröthen und verschämt zu lächeln anfinge.
Während indessen diese Haupt-Liebes-Angelegenheit mit einer, den Regeln eines Romans ganz zuwiderlaufenden Ruhe ihren Fortgang hat, kann ich nicht sagen, daß die Neben-Intriguen sich einer gleichen Entwickelung zu erfreuen hätten. Die »sich öffnende Knospe der Liebe« zwischen dem General und Lady Lillycraft scheint in dieser sonst gedeihlichen Jahreszeit etwas vom Mehlthau gelitten zu haben. Ich glaube nicht, daß der General das je wieder gut machen konnte, was er durch sein Einschlafen bei des Capitains Geschichte verdorben hat. Meister Simon meint wirklich, die Sache sei ohne Hoffnung, da Ihre Herrlichkeit entschieden habe, er sei durchaus ohne alles Gefühl.
Eben so ungünstig war die Zeit für die liebesieche Phöbe Wilkins. Ich fürchte, der Leser wird am Ende ungeduldig darüber werden, daß ich so oft von diesem Liebesverhältniß aus dem niedern Leben spreche; allein ich muß gestehen, daß ich an dem Liebeskummer einfacher Mädchen aus dieser Klasse großen Antheil zu nehmen geneigt bin. Wenige Leute haben einen Begriff von der Welt voll Sorgen und Noth, mit welchen diese armen Geschöpfe bei der Bewältigung ihrer Herzensangelegenheiten zu kämpfen haben.
Wir sprechen und schreiben von der zärtlichen Leidenschaft; wir geben ihr alle Färbungen der Empfindsamkeit und der Romantik, und verlegen den Schauplatz ihres Einflusses in das höhere Leben; bei dem allem aber weiß ich nicht, ob sie nicht über weibliche Wesen aus einer niedrigern Sphäre eine viel unumschränktere Herrschaft ausübt. Wie oft würden wir, könnten wir in das menschliche Herz blicken, die Liebe in ihrer ganzen Heftigkeit eher in dem Busen des armen Kammermädchens, als in dem der glänzenden Schönheit finden, welche sich für Eroberungen schmückt, und deren Kopf wahrscheinlich ganz mit zierlichen Herren, Ballsälen und Wachsleuchtern erfüllt ist.
Bei diesen niedern Wesen ist die Liebe ein rechtliches, wichtiges Geschäft. Sie denken nicht an Versorgung, Haus, Equipagen und Nadelgeld. Das Herz – das Herz ist Alles in Allem bei ihnen. Arme Geschöpfe! es gibt selten Eine, die nicht ihre Liebessorgen und ihre Liebesgeheimnisse, ihre Zweifel, ihre Hoffnungen und Besorgnisse, wie nur eine Romanenheldin sie haben kann, und zehnmal aufrichtiger, hätte. Und dann noch ihr geheimer Schatz von Liebespfändern; – der zerbrochene Sixpence, die vergoldete Busennadel, die Haarlocke, das unleserliche Liebesgekritzel, Alles aufgespeichert in ihrem Kasten mit dem Sonntagsstaat zu geheimer Beschauung.
Wie mancher Noth und Prüfung ist sie nicht von der luchsäugigen Frau, oder von der verblühten alten Vestalin, ihrer Gebieterin, ausgesetzt, die wie ein Drache über ihre Tugend wacht, und den Liebhaber von der Thür scheucht! Aber dann, wie angenehm sind die kleinen Liebesscenen, die sie zuweilen an Festtagen erhascht, und an denen sie sich während manches langen Tages, wo sie arbeiten und zu Hause bleiben muß, in der Erinnerung ergötzt! Ist sie auf dem Lande – so ist es der Tanz am Jahrmarkt oder bei der Kirchmeß, die Zusammenkunft auf dem Kirchhofe nach dem Gottesdienst, oder der Abendspaziergang im grünen Heckengange. Ist sie in der Stadt, so ist es vielleicht bloß ein verstohlener Augenblick, wo sie durch die eisernen Stäbe des Vorplatzes eine Unterredung pflegen kann, und dabei jede Minute fürchten muß, gesehen zu werden; – und dann, wie fröhlich trillert das arme Geschöpf den ganzen Tag nachher bei ihrer Arbeit!
Armes Geschöpf! mit all ihrem Kreuz und all ihrer Noth, wenn sie sich verheirathet, vertauscht sie alsdann nicht ein verhältnißmäßig angenehmes und behagliches Leben mit einem, das voll Plage und Ungewißheit ist? Vielleicht zeigt sich auch der Liebhaber, für den sie sich in der Wärme ihres Herzens den Launen des Glücks hingegeben hat, als ein werthloser Mensch, ein liederlicher, hartherziger Ehemann aus den niedern Klassen, der, an das Alehaus gewöhnt, sie einem freudenlosen Dasein, der Arbeit, dem Mangel und Kindertragen überläßt.
Wenn ich die arme Phöbe mit niedergeschlagenen Augen, und den Kopf »ganz auf eine Seite« hängend, herumgehen sehe, so kann ich nicht umhin, mich an das pathetische kleine Bild zu erinnern, welches Desdemona entwirft: –
»Die Mutter hatt' ein Mädchen, Barbara: Sie liebte: und der sie geliebt, war falsch Und untreu ihr: sie hatt' ein Lied von Weide, Ein altes Ding; doch sprach's ihr Schicksal aus, Und sterbend sang sie's noch.« |
Ich hoffe indessen, daß der Phöbe Wilkins ein besseres Loos aufbewahrt ist, und daß sie noch in dem alten Reiche der Tibbets das Regiment führen wird! Sie ist nicht gemacht, gegen harte Zeiten oder harte Herzen zu kämpfen. Sie war, wie man mir sagt, der Liebling ihrer verstorbenen Mutter, welche auf die Schönheit ihres Kindes stolz war und sie viel weichlicher erzog, als dieß bei einem Mädchen vom Lande geschehen sollte; und, seitdem sie eine Waise geworden ist, haben die guten Damen von der Halle sie vollständig verzärtelt und verzogen.
Ich habe sie kürzlich lange Berathschlagungen auf dem Kirchhofe mit Slingsby, dem Schulmeister, halten, und mit ihm in einem der Heckengänge bei dem Dorfe auf und ab gehen sehen. Ich glaubte Anfangs, der Pädagog wäre auch von der hier in den letzten Zeiten so verbreiteten, zärtlichen Krankheit angesteckt; allein ich that ihm Unrecht. Der ehrliche Slingsby war, wie es scheint, ein Freund und Spießgesell ihres verstorbenen Vaters, des Kirchenschreibers, und steht auf sehr vertrautem Fuße mit der Familie der Tibbets: also von seiner Zuneigung zu beiden Theilen bewogen, und vielleicht von der Dame Tibbets heimlich angestiftet, hat er es unternommen, mit Phöbe über die Sache zu reden. Er gibt ihr jedoch wenig Ermuthigung. Slingsby hat eine gewaltige Meinung von dem aristokratischen Gefühle des alten Baargeld, und glaubt, daß, wenn Phöbe auch die Sache mit dem Sohne wieder ausgliche, der Vater doch immer gegen diese Verbindung feindlich gestimmt bleiben würde. Das arme Mädchen ist darüber beinahe in Verzweiflung; und Slingsby, der viel zu gutmüthig ist, als daß er nicht an ihrer Noth den wärmsten Antheil nehmen sollte, hat ihr gerathen, alle Gedanken an den jungen Hans aufzugeben, und ihr seinen gelehrten Amtsgehülfen, den verlorenen Sohn, zum Stellvertreter vorgeschlagen. Er hat sogar in der Fülle seines Herzens sich erboten, ihnen das Schulhaus einzuräumen, obgleich er so abermals in der weiten Welt heimathlos werden würde.