Washington Irving
Bracebridge Hall oder die Charaktere
Washington Irving

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Der Rabenhorst.

Doch Raben krächzend, Geyer, die erhaben
In weiten Kreisen ob uns schwebend schreien,
Und Häher, Elstern, selbst die düstre Eule,
Den Mond begrüßend, haben Reiz für mich.
Cowper.

In einem von hohen Eichen und Buchen gebildeten Gange, welcher eine Terrasse, gerade am Rande des Gartens, krönt, ist ein alter Rabenhorst, welcher einen der wichtigsten Bestandtheile der ländlichen Besitzungen des Squire ausmacht. Der alte Herr legt großes Gewicht auf seine Raben, und leidet nicht, daß einer davon getödtet werde; dem zufolge haben sie sich außerordentlich vermehrt: die Gipfel der Bäume sind mit ihren Nestern beladen; sie haben sogar, schon seit langer Zeit, eine Kolonie in den Ulmen und Kiefern des Kirchhofes angelegt, die, andern entfernten Kolonien ähnlich, sich bereits von dem Mutterlande losgesagt hat.

Der Squire sieht die Raben als einen sehr alten, ehrenwerthen Herren-Stamm an, sehr aristokratisch in seinen Ansichten, gern an einer Stelle verbleibend, und von großer Anhänglichkeit an Kirche und Staat, wie ihre Gewohnheit, hoch in der Luft zu bauen und sich in der Nähe von Kirchen und Kathedralen und in den ehrwürdigen Baumgängen alter Schlösser und adeliger Häuser aufzuhalten, hinlänglich darthut. Die gute Meinung, welche der Squire von ihnen hegt, veranlaßte mich, diese ehrenwerthen Vögel etwas genauer zu beobachten; denn ich gestehe zu meiner Schande, daß ich sie bisher immer mit ihren Geschwisterkindern, den Krähen, verwechselt hatte, mit denen sie, beim ersten Anblicke, eine so große Familienähnlichkeit haben. Nichts kann ungerechter oder kränkender sein, als dieser Irrthum. Die Raben und Krähen sind, in der gefiederten Welt das, was die Spanier und Portugiesen unter den Völkern sind; gerade ihrer Nachbarschaft und Aehnlichkeit wegen, lieben sie sich am wenigsten. Die Raben sind alte, langjährige Hausbesitzer, hochsinnige Edelherren, die ihre erblichen Wohnsitze seit undenklichen Zeiten inne gehabt haben; was aber die armen Krähen betrifft, so sind sie eine Art von landstreicherischem, räuberischem Zigeunervolk, ohne eine bestimmte Heimath im Lande umherstreifend; »ihre Hände sind gegen Jedermann aufgehoben, und Jedermanns Hände gegen sie« und man hängt sie auf jedem Kornfelde auf. Meister Simon versicherte mich, daß wenn ein weiblicher Rabe sich je so weit vergessen sollte, sich mit einer Krähe in eine Verbindung einzulassen, er unvermeidlich enterbt und von allen seinen Standesgenossen ausgestoßen werden würde.

Der Squire wacht sehr sorgfältig über die Wohlfahrt und die Angelegenheiten seiner schwarzen Nachbarn. Was Meister Simon betrifft, so behauptet er sogar, Manche von ihnen dem Aussehen nach zu kennen, und ihnen Namen gegeben zu haben; er zeigt mehrere, von denen er sagt, daß sie alte Familienhäupter seien, und vergleicht sie mit würdigen alten Bürgern, welche in der Welt etwas vor sich gebracht haben, und dreieckige Hüte und silberne Schnallen auf den Schuhen tragen. Ungeachtet des beschirmenden Wohlwollens des Squire und ihres Bürgerrechts in seinem Reiche, scheinen sie doch keine Lehnspflicht anzuerkennen, und in keinem Verkehr oder näheren Verhältniß zu der Halle zu stehen. Ihre luftigen Wohnungen sind beinahe ganz außer Schußweite gebaut; und ungeachtet ihrer Nähe bei der Halle, halten sie sich in einer scheuen, mißtrauischen Entfernung von den Menschen.

Es gibt jedoch eine Zeit im Jahr, welche alle Vögel gewissermaaßen auf eine Stufe bringt, und den Stolz des kühnsten Luftbewohners demüthigt; dies ist die Zeit, wo sie ihre Nester bauen. Dies findet zeitig im Frühling statt, wenn die Bäume die ersten Knospen hervorzutreiben, die lange leblosen Spitzen der Zweige sich zu begrünen anfangen; wenn die Felderdbeeren und die übrigen Gesträuche der bedeckten Waldgegenden, ihre zarten und gefärbten Blätter ansetzen und die Maaßliebe und die Schlüsselblume unter den Hecken hervorgucken. Um diese Zeit herrscht eine allgemeine Bewegung in der gefiederten Schöpfung; und ein unaufhörliches Umherflattern und lustiges Zirpen deutet das erste Aufkeimen in der Pflanzenwelt so wie das neuerwachende Leben und die wiederkehrende Fruchtbarkeit des Jahres an.

Dann vergessen die Raben ihre gewöhnliche Vornehmheit und ihre scheuen, stolzen Gewohnheiten. Statt in den hohen Regionen der Luft zu bleiben, sich auf den luftigen Baumwipfeln zu schaukeln, und mit stolzer Verachtung auf die gemeinen Wesen herabzuschauen, welche an der Erde kleben, legen sie gern eine Zeitlang ihre Würde ab, kommen zur Erde hernieder, und nehmen den mühseligen, gewerbsamen Charakter eines Arbeiters an. Sie verlieren nun ihre natürliche Scheu, werden furchtlos und vertraulich, und man sieht sie nach allen Seiten umherflattern, um Baumaterialien zu suchen. Dann und wann sieht man auch einen von den geschäftigen alten Herren mit unbehülflichem Gange sich umhertummeln, als ob er mit Podagra oder Hühneraugen an den Füßen geplagt wäre, manchen forschenden Blick umher werfen, jeden Strohalm, den er findet, in ernste Betrachtung ziehen, ihn erst mit einem Auge, dann mit dem andern ansehen, bis er einen mächtigen Zweig erspäht, der stark genug ist, einen Balken zu seinem Luft-Schlosse abzugeben, diesen begierig erfassen und damit zu dem Baumwipfel hinauffliegen, als fürchte er, man könnte ihm die unschätzbare Beute streitig machen.

Wie andere Erbauer von Luftschlössern scheinen diese luftigen Baumeister sehr sonderbar in der Wahl ihrer Materialien zu Werke zu gehen, und die am liebsten zu haben, welche aus der Ferne kommen. So denken sie, wenn es gleich eine Menge trockener Zweige auf den Bäumen umher gibt, nie daran, Gebrauch von denselben zu machen, sondern sammeln in fremden Landen ein, und kommen, einer nach dem andern, von den Enden der Erde herbeigesegelt, jeder ein köstliches Stück Bauholz im Schnabel tragend.

Ich darf nicht vergessen eines Umstandes zu erwähnen, der leider dem ernsten und ehrenwerthen Charakter dieser alten Edelherren einigen Abbruch thut, nämlich, daß sie, während der Bauzeit, sich sehr oft unter einander veruneinigen; daß sie sich kein Gewissen daraus machen, einander zu betrügen und zu plündern; und daß zuweilen der Rabenhorst ein Schauplatz gewaltiger Zänkereien und Unruhen ist, wenn ein Verbrechen der Art vorging. Einer von den Inhabern des Nestes bleibt gewöhnlich darin, um es gegen Beraubung zu sichern; und ich habe harte Kämpfe gesehen, wenn ein schlauer Nachbar einen Balken, der sein Auge angezogen hatte, zu stehlen wagte. Da ich nicht voreilig einem Verdachte Raum geben will, der auf den Charakter eines so ehrenwerthen Volkes ein böses Licht werfen könnte, so muß ich glauben, daß diese Diebstähle von den höheren Klassen sehr mißfällig angesehen und von denen, welche in Ansehen stehen, selbst streng gestraft werden; denn ich habe dann und wann einen ganzen Schwarm Raben auf das Nest eines Einzelnen fallen, es ganz in Stücke reißen, die Trümmer hinweg tragen, und selbst den unglücklichen Eigenthümer mißhandeln sehen. Ich habe geschlossen, daß dies eine, ihm von den Polizeibeamten für irgend eine Veruntreuung auferlegte exemplarische Strafe sei, oder daß es vielleicht ein Haufe Gerichtsdiener war, der in seinem Hause eine Execution vollzog.

Ein anderes von ihren Manövers während ihrer Bauzeit hat mich belustigt. Der Verwalter ließ, nicht ganz zur Zufriedenheit des Squire, der dieß für eine Beeinträchtigung der Würde eines Parks hält, welcher nur für Dammhirsche bestimmt sein sollte, eine bedeutende Anzahl Schafe auf einem Rasenplatze bei dem Hause weiden. Dem sei wie ihm wolle, so ist, nicht weit von dem Fenster des Gesellschaftszimmers, ein grüner Hügel, wo die Mutterschafe und Lämmer gewöhnt sind, sich gegen Abend zu versammeln, um sich noch der untergehenden Sonne zu freuen. Kaum hatten sie sich zur Zeit, wenn die klugen Vögel bauen, hier gesammelt, als ein stattlicher alter Rabe, von dem Meister Simon mich versicherte, daß er die erste obrigkeitliche Person dieser Republik sei, sich auf den Kopf eines der Mutterschafe setzte, das, anscheinend dieser Herablassung sich bewußt, zu grasen aufhörte und, in bewegungsloser Ehrfurcht vor seiner erhabenen Last, still stehen blieb; die übrigen Bewohner des Rabenhorstes kamen dann nach dem Beispiele ihres Anführers herbei, bis jedes Schaf deren zwei oder drei auf sich hatte, auf ihren Rücken krächzten, flatterten und kämpften. Ob sie die Unterwerfung der Schafe dadurch vergalten, daß sie zum Vortheil des Rabenhorstes einen Beitrag von ihren Fellen erhoben, weiß ich nicht gewiß; obgleich ich voraussetze, daß sie darin dem Beispiel aller Schutzherren folgen.

Der letzte Theil des Mai's ist die Zeit der Trübsal für die Rabenhorste, wo die Jungen so eben aus ihren Nestern hervorkommen und sich auf den benachbarten Zweigen wiegen können. Es ist die Zeit der »Rabenjagd,« ein schrecklicher Bethlehemitischer Kindermord. Natürlich untersagt der Squire alle Verletzungen der Art in seinen Ländereien; aber, wie ich höre, wird unter der Colonie um die alte Kirche eine desto gewaltigere Niederlage angerichtet. Auf diese dem Verderben geweihte Republik schießt das Dorf »mit seiner ganzen Ritterschaft.« Jeder müssige Wicht, der nur eine alte Flinte oder Donnerbüchse besitzt, und die sämmtlichen Bogenschützen aus Slingsby's Schule rücken bei dieser Gelegenheit ins Feld. Vergebens ermahnt und schilt der kleine Pfarrer, in zornigem Tone, aus dem Fenster seines Studierzimmers, das auf den Kirchhof geht: das Geknall dauert unaufhörlich fort, vom Morgen bis zum Abend. Da die Leute keine großen Schützen sind, so treffen sie nicht oft; dann und wann zeigt aber ein großes Jubelgeschrei des Belagerungsheeres der Bauerlümmel den Herabsturz eines unglücklichen, feisten Raben an, der dann mit dem Nachdruck eines zerquetschten Apfelkloßes auf die Erde fällt.

Auch ist der Rabenhorst nicht gänzlich frei von andern Unruhen und Unannehmlichkeiten. In einem so aristokratischen, so hochsinnigen Gemeinstaate, worin es so viel altes Geblüt und so viel Ahnenstolz gibt, müssen sich natürlich gar manche Rangstreitigkeiten erheben und gar manche Ehrensachen zu schlichten sein. In der That ist dieß sehr oft der Fall: zwischen Einzelnen entstehen heftige Fehden, welche zu argen Thätlichkeiten auf den Baumwipfeln Anlaß geben; und ich habe mehr als einmal einen regelmäßigen Zweikampf zwischen zwei tapferen Helden des Rabenhorstes gesehen. Ihr Schlachtfeld ist gewöhnlich die Luft; und ihr Streit wird auf die künstlichste und zierlichste Weise gehandhabt; sie kreisen um einander, steigen immer höher und höher, um sich das Feld abzugewinnen, bis sie sich zuweilen in den Wolken verlieren, bevor der Kampf entschieden ist.

Sie haben auch dann und wann hartnäckige Gefechte mit einfallenden Falken, und vertreiben diese dann ganz förmlich durch ein posse comitatus. Sie sind ungemein eifersüchtig auf ihr Gebiet, und leiden es nicht, daß irgend ein Vogel sich in dem Wäldchen oder in seiner Nähe ansiedele. Eine sehr alte, ehrwürdige, hagestolze Eule hatte seit langer Zeit ihren Wohnsitz in einer Ecke des Wäldchens aufgeschlagen, ist aber von den Raben förmlich hinausgeworfen worden, und hat sich, der Welt überdrüssig, in einen benachbarten Wald zurückgezogen, wo sie das Leben eines Klausners führt, und allnächtlich über ihre üble Behandlung Klage führt.

Das Geschrei dieses unglücklichen Gentleman hört man gewöhnlich an stillen Abenden, wenn die Raben alle zur Ruhe sind; und ich habe oft in einer mondhellen Nacht ihm mit einer Art von geheimen Vergnügen zugehört. Dieser graubärtige Menschenhasser wird natürlich von dem Squire sehr in Ehren gehalten; aber die Dienstboten haben allerhand abergläubische Gedanken über ihn: und es würde schwer sein, das Milchmädchen dahin zu bringen, nach eingetretener Dämmerung in die Nähe des Holzes zu gehen, das er bewohnt.

Außer den Privat-Zänkereien der Raben, gibt es aber noch andere Unfälle von denen sie heimgesucht werden, und welche oft Trauer über die achtbarsten Familien des Rabenhorstes bringen. Da sie den ächten freiherrlichen Geist der guten alten Lehnszeiten haben, machen sie wohl dann und wann, von ihren Schlössern aus, Streifereien und brandschatzen die Felder des Pöbels der benachbarten Gegenden; bei welchen ritterlichen Unternehmungen sie dann und wann von dem verrosteten Geschütz irgend eines widerspenstigen Pächters begrüßt werden. Gelegentlich begehen sie auch, während sie ganz ruhig außerhalb der Grenzen des Parks in der Luft umherstreifen, die Unvorsichtigkeit, den herumtreibenden Bogenschützen aus Slingsby's Schule in den Schuß zu kommen, und erhalten einen Flügelschuß von dem Bogen irgend eines heillosen Jungen. In solchem Falle hat der verwundete Abenteurer zuweilen gerade noch Kraft genug, sich nach Hause zu bringen und seinen Geist in dem Rabenhorst aufzugeben, wo er dann »ganz draußen« an einem Zweige hängt, wie ein Dieb am Galgen; ein warnendes Beispiel für seine Freunde und ein Gegenstand großen Bedauerns für den Squire.

Trotz allen diesen Widerwärtigkeiten haben die Raben, im Ganzen, doch ein glückliches Festtags-Leben. Wenn ihre Jungen aufgezogen und ihrem angebornen Element, der Luft, überlassen sind, scheinen die Sorgen der Alten vorüber zu sein, und sie nehmen wieder alle ihre aristokratische Würde und Trägheit an. Ich habe sie um das Vergnügen beneidet, das sie in ihrer luftigen Höhe zu empfinden scheinen, wenn sie mit lautem Freudengeschrei um ihre luftigen Wipfel flattern, zuweilen über denselben schweben, zuweilen sich wählerisch auf die höchsten Zweige niederlassen, und sich dort mit ausgebreiteten Schwingen schaukeln und im Winde wiegen. Zuweilen scheinen sie einen Modeausflug nach der Kirche zu machen, und sich dadurch zu belustigen, daß sie in luftigen Ringen um die Spitze des Kirchthurms kreisen; zu anderen Zeiten bleibt bloß eine Garnison in dem festen Platz im Gebüsche zurück, während die übrigen umherstreifen, das schöne Wetter zu genießen. Gegen Sonnenuntergang zeigt die Garnison die Rückkehr der letzteren an; schon in weiter Ferne hört man ihr Krächzen, und sieht sie, wie eine schwarze Wolke, immer näher und näher kommen, bis sie endlich alle nach Hause schwirren. Sie beschreiben dann mehrere große Kreise in der Luft, über der Halle und dem Garten, verengern dieselben mehr und mehr, und lassen sich endlich allmählig auf das Wäldchen nieder, wo sie ein furchtbares Gekrächz erheben, als wollten sie die Abenteuer ihres Tages erzählen.

Ich wandle zu diesen Zeiten gern um jene düstern Gebüsche, und höre mit Vergnügen die verschiedenartigen Töne dieses lustigen Volkes, das so hoch über mir nistet. Wenn die Dämmerung zunimmt, hört ihre Unterhaltung auf, und Einer scheint nach dem Andern einzuschlafen; aber dann und wann hört man einen Klageton um ein Kissen, oder etwas mehr von der Bettdecke. Erst spät am Abend kommen sie ganz zur Ruhe, und dann beginnt ihre alte klausnerische Nachbarin, die Eule, ihr einsames Klaggeschrei aus ihrer jungfräulichen Wohnung in dem Walde.


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