Washington Irving
Bracebridge Hall oder die Charaktere
Washington Irving

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Die Liebenden.

    Stehe auf, meine Freundin, meine Schöne, und komm her. Denn siehe, der Winter ist vergangen, der Regen ist weg und dahin. Die Blumen sind hervorgekommen im Felde, der Lenz ist herbei gekommen und die Turteltaube läßt sich hören in unserem Lande.
Das hohe Lied Salomon's.

Für einen Mann, der ein wenig von einem Philosophen und ein Junggesell obendrein ist, und der, vermittelst einiger Erfahrungen über die Thorheiten des Lebens, mit geübtem Auge die Wege des Mannes, so wie die des Weibes zu betrachten anfängt; für einen solchen Mann, sage ich, ist es etwas sehr unterhaltendes, das Betragen eines jungen liebenden Paares zu beobachten. Es ist vielleicht kein so ernstes, wissenschaftliches Studium, als das der Liebe der Pflanzen, aber es ist gewiß eben so anziehend.

Es hat mir demnach seit meiner Ankunft in der Halle viel Vergnügen gemacht, die schöne Julie und ihren Geliebten zu beobachten. Sie hat ganz das entzückende, erröthende Bewußtsein eines kunstlosen Mädchens, das, noch in der Coquetterie unerfahren, seine erste Eroberung gemacht hat: während der Capitain sie mit der Mischung von Liebe und Entzücken betrachtet, womit ein jugendlicher Liebhaber wohl auf eine so schöne Beute hinblickt.


 
Julie

Ich beobachtete sie gestern im Garten, während sie einen der einsamen Gänge entlang gingen. Die Sonne schien mit köstlicher Wärme, große Massen von glänzendem Grün und tiefblauen Schatten bildend. Der Kukuk, dieser »Bote des Frühlings,« ließ sich leise in der Entfernung hören; die Drossel sang von dem Hagedorn und die gelben Schmetterlinge spielten, gaukelten und liebelten in der Luft.

Die schöne Julie lehnte sich auf ihres Geliebten Arm mit niedergeschlagenen Augen, mit sanftem Erröthen auf ihren Wangen und einem ruhigen Lächeln um ihre Lippen, auf seine Unterhaltung lauschend, während sie in der nachlässig herabhangenden Hand einen Blumenstrauß hielt. So schlenderten sie langsam weiter, und wie ich sie, und die Art, wie sie mit einander gingen, betrachtete, konnte ich nicht umhin, zu denken, daß es doch unendlich Schade sei, daß die Jahreszeit jemals sich verändert, daß junge Leute jemals alt würden, daß die Blüthen den Früchten Platz machten, oder daß Liebende sich jemals heiratheten.

Aus dem, was ich in der Familie erfahren habe, geht hervor, daß die schöne Julie die Tochter eines vertrauten Universitäts-Freundes des Squire ist; der, nachdem er Oxford verlassen, in die Armee trat, und mehrere Jahre in Indien diente, wo er in einem Scharmützel mit den Eingebornen tödtlich verwundet wurde. In seinem letzten Augenblicke empfahl er noch schriftlich, mit zitternder Hand, seine Gattin und sein Kind dem Wohlwollen seines Jugendfreundes.

Die Wittwe und ihr Kind kehrten hülf- und beinahe hoffnungslos nach England zurück. Als Herr Bracebridge Nachricht von ihrer Lage erhielt, eilte er, sie zu unterstützen. Er kam gerade noch zu rechter Zeit zu ihnen, um die letzten Augenblicke der Mutter, die an der Auszehrung starb, zu versüßen, und sie mit der Versicherung zu beglücken, daß es ihrem Kinde nie an einem Beschützer fehlen solle.

Der gute Squire kehrte mit seiner plaudernden Mündel in seine feste Burg zurück, wo er sie mit einer wahrhaft väterlichen Zärtlichkeit erzog. Da er sich selbst einige Mühe gegeben hat, über ihre Erziehung die Oberaufsicht zu führen und ihren Geschmack zu bilden, so ist sie mit mehrern seiner Ansichten aufgewachsen, und hält ihn für den klügsten, so wie für den besten Mann. Einen großen Theil ihrer Zeit hat sie auch bei Lady Lillycraft zugebracht, die sie in den Sitten der alten Schule unterrichtet und ihren Geist mit allen Arten von Geschichten und Romanen genährt hat. Wirklich hat ihre Herrlichkeit bei der Heirath zwischen Julie und dem Capitain sehr die Hand im Spiele gehabt, da sie sie auf ihrem Landsitz beisammen behielt, sobald sie nur merkte, daß eine Neigung zwischen ihnen im Werden war; denn die gute Dame ist nie glücklicher, als wenn sie ein Paar Turteltauben hat, welche um sie girren.

Es macht mir großes Vergnügen, die Liebe zu sehen, mit welcher alle Dienstboten in der Halle der schönen Julie ergeben sind. Von ihrer Kindheit an haben sie mit ihr getändelt, und jedes von ihnen scheint einigen Anspruch darauf zu machen, sie erzogen zu haben; so daß man sich nicht wundern darf, wenn ihre Erziehung überaus vollkommen geworden ist. Der Gärtner lehrte sie Blumen pflegen, die sie sehr liebt. Der alte Christy, der eigensinnige Jäger, wird sanft, wenn sie sich nähert; und da sie leicht und anmuthig im Sattel sitzt, so maßt er sich das Verdienst an, sie reiten gelehrt zu haben; während die Haushälterin, welche sie beinahe wie ihre Tochter betrachtet, zu verstehen gibt, daß sie ihr zuerst einen Blick in die Geheimnisse der Toilette gegeben habe, da sie in ihren jüngeren Tagen Kammermädchen bei der verstorbenen Mrs. Bracebridge gewesen. Den letztern Anspruch bin ich geneigt zuzugestehen, da ich bemerkt habe, daß der Anzug der jungen Dame etwas nach der alten Schule schmeckt, wenn er gleich durch ihren natürlichen Geschmack gemodelt worden, und daß ihr Haar in hohem Grade in dem Style von Sir Peter Lely's Porträts in der Bilder-Galerie angeordnet ist.

Selbst ihre musikalische Bildung hat etwas von diesem altväterischen Charakter an sich, und die meisten von ihren Liedern werden heut zu Tag nicht auf den Pianos unserer neueren Klavierspieler gefunden werden. Ich habe indeß so viel von den neueren Moden, den neueren Talenten, und den neueren Modedamen kennen gelernt, daß ich mit diesem Anfluge eines älteren Styls bei einem so jungen und so liebenswürdigen Mädchen gern Nachsicht übe; und ich habe eben so viel Vergnügen dabei gehabt, sie eines von den alten Liedern von Herrick, Carew oder Suckling hertrillern zu hören, die einer einfachen alten Melodie angepaßt sind, als ich fühlte, wenn ich eine Dilettantin die schönste Bravour-Arie von Mozart oder Rossini auf- und abschmettern hörte.

Wir haben von Zeit zu Zeit des Abends sehr schöne Musik von ihr und dem Capitain, wobei sie bisweilen Meister Simon unterstützt, der die Violine etwas unsicher kratzt, denn er kömmt wohl einmal aus dem Takt und bleibt um eine oder zwei Noten zurück. Er paukt auch zuweilen ein wenig auf dem Piano und singt die dritte Stimme in einem Trio, worin man ihn sehr bald an einem gewissen zitternden Tone und einer zeitlichen falschen Note erkennen kann.

Ich lobte ihm einmal nach einem Gesange der schönen Julie Stimme, und fand, daß er es allein auf sich nahm, ihren musikalischen Geschmack gebildet zu haben; er setzte hinzu, sie sei sehr gelehrig; und, indem er überhaupt, nach seiner schlauen Art ein allgemeines Urtheil über sie fällte, fügte er bei, »sie sei ein sehr nettes Mädchen und habe keine Albernheiten an sich.«


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