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Es wird auf Sisyphus' Stein kein Moos wachsen, an Merkur's Fersen kein Gras hängen, und auf eines Reisenden Brod keine Butter bleiben. Denn, so wie der Adler bei jedem Fluge eine Feder verliert, was ihn im Alter kahl macht, so verliert der Reisende in jedem Lande etwas Wolle, was ihn in der Jugend zum Bettler macht, da er das für ein Pfund kauft, was er nicht einmal für einen Penny verkaufen kann – Reue. |
Lilly's Euphues. |
Unter den Würdigen des Dorfes, welche das besondere Vertrauen Meister Simon's genießen, ist Einer, der mir so aufgefallen ist, daß ich ihn einer besondern Aufmerksamkeit werth erachte. Es ist Slingsby, der Schulmeister, ein dürrer ältlicher Mann, ziemlich ärmlich und schmutzig, etwas träge in seinem Wesen, und mit einem freundlichen, gutmüthigen Blick, was man nicht oft bei Leuten seines Berufs findet. Ich habe um einiger Anekdoten willen, die ich in Betreff seiner erfahren habe, Antheil an ihm genommen.
Er ist im Dorfe geboren, und war ein Zeitgenosse und Spielgeselle Hans Baargeld's in den Tagen ihrer Kindheit. Beide pflegten einander immer auszuhelfen. Slingsby war etwas schwächlich und dabei feig, lernte aber sehr gut: Hans dagegen war sehr flink und kräftig außer dem Hause, wußte aber desto schlechter in den Büchern Bescheid. Slingsby half deßwegen dem Hans bei allen seinen Aufgaben; Hans focht alle Kämpfe des Slingsby für ihn aus; und so waren [sie] unzertrennliche Freunde. Diese gegenseitige Zuneigung dauerte ungeachtet der Unähnlichkeit ihrer Charaktere fort, selbst nachdem Beide die Schule verlassen hatten. Hans nahm den Pflug und die Sense zur Hand, und schickte sich an, seine väterlichen Felder zu bestellen; während der Andere sorglos den Pfad des Wissens dahinschlenderte, bis er sogar in das Bereich des Lateinischen und der Mathematik eindrang.
In einer unglücklichen Stunde kam er darauf, Land- und Seereisen zu lesen, und nun ergriff ihn die Begierde, die Welt zu sehen. Diese Begierde wuchs in ihm, je größer er ward; und so packte er früh an einem schönen sonnenhellen Morgen sein Hab und Gut in einen Ranzen, warf diesen über die Schulter, nahm den Wanderstab zur Hand, und ging auf dem Wege noch zu seinem ehemaligen Schulkameraden, um von ihm Abschied zu nehmen. Hans war eben im Begriff mit dem Pfluge hinauszufahren; unter dem Hofthor schüttelten sich die Freunde die Hand; Hans lenkte sein Gespann nach dem Felde, und Slingsby pfiff sein »über die Hügel, über die Höh'n,« und wanderte davon, »sein Glück zu versuchen.«
Jahre und Jahre verflossen, und der junge Thomas Slingsby war vergessen, als man, an einem freundlichen Sonntagsabende im Herbst, einen dürren Mann, schon etwas bei Jahren, mit einem an den Elbogen zerrissenen Rocke, einem Paar alter nankiner Gamaschen, und einiges Wenige in ein Schnupftuch geknüpft, das er am Ende eines Stockes trug, durch's Dorf schlendern sah. Er schien mehrere Häuser aufmerksam zu betrachten, guckte in die Fenster, die offen standen, sah die Dorfbewohner scharf an, als sie aus der Kirche zurückkehrten, und brachte dann eine Zeitlang auf dem Kirchhofe hin, um die Grabschriften zu lesen.
Endlich fand er auch seinen Weg zu Hans Baargeld's Meierei, bedachte sich aber, ehe er die Gitterthür öffnete, und betrachtete das Bild wohlhabender Unabhängigkeit, das sich seinen Blicken darbot. In der Hausthür saß Hans Baargeld in seinem Sonntagskleid, seinen Hut auf dem Kopfe, seine Pfeife im Munde, und seinen Bierkrug vor sich, der Beherrscher alles dessen, was er überschaute. Neben ihm lag sein fetter Haushund. Aus dem wohlbevölkerten Hofe hörte man das verschiedenartige Geschrei des Geflügels; die Bienen summten vor ihren Stöcken im Garten, das Vieh blökte auf der fetten Wiese; während die vollen Scheuern und mächtigen Heuschober von einer reichlichen Ernte Zeugniß gaben.
Der Fremde öffnete die Thür und näherte sich zweifelhaft dem Hause. Der Hund brummte beim Anblick des verdächtigen Ankömmlings; wurde aber augenblicklich von seinem Herrn beschwichtigt, der seine Pfeife aus dem Munde nahm und mit neugierigen Blicken die Anrede des seltsamen Mannes erwartete. Der Fremde sah den alten Hans, so stattlichen Umfanges und glänzend gekleidet, einen Augenblick an, warf dann einen Blick auf sein eigenes schäbiges, halbverhungertes Aeußere und das kleine Bündel, das er in der Hand hielt, zupfte an seiner zusammengeschrumpften Weste, um sie mit dem zurücktretenden Gurt zusammenzubringen, und sagte nach einem halb traurigen, halb launigen Blick auf den stattlichen Freisassen: »Ich glaube, Herr Tibbets, Ihr habt alte Zeiten und alte Spielkameraden vergessen.«
Der letztere betrachtete ihn mit prüfendem Blicke, gestand aber, daß er sich seiner nicht erinnere.
»Das glaube ich wohl,« sagte der Fremde, »Jedermann scheint hier den armen Thomas Slingsby vergessen zu haben!«
»Was? Nicht möglich! Ihr seid nicht Thomas Slingsby!«
»Ja wohl, allerdings!« antwortete der Fremde, den Kopf schüttelnd.
Hans Baargeld war in einem Augenblick auf den Füßen, streckte ihm die Hand entgegen, schüttelte sie seinem alten Spießgesellen mit Riesenkraft, schlug mit der andern auf die Bank und rief aus: »setze dich da nieder, Thomas Slingsby!«
Eine lange Unterhaltung über alte Zeiten folgte, während Slingsby mit dem Besten bewirthet wurde, was im Hause nur zu haben war, denn er war müde und hungrig, und hatte die volle Eßlust eines armen Fußgängers. Die ehemaligen Spielkameraden besprachen sich nun über ihre Lebensereignisse und Abenteuer. Hans hatte nur wenig zu erzählen, und war überhaupt nicht im Stande, lange zusammenhängend zu reden. Ein glückliches Leben zu Hause hingebracht, bietet wenig Stoff zu Erzählungen; nur die armen Teufel, die in der Welt herumgeworfen werden, sind die wahren Helden der Geschichten. Hans war auf seiner väterlichen Meierei geblieben, demselben Pfluge gefolgt, den seine Vorfahren gefahren hatten, und war, je älter, auch desto reicher geworden. Was Thomas Slingsby betrifft, so hatte er durch sein Beispiel das alte Sprüchwort erläutert: »ein rollender Stein umkleidet sich nicht mit Moos.« Er hatte sein Glück in der Welt umher gesucht, ohne es je zu finden; denn es ist ein Ding, das man öfter zu Hause, als in der Fremde findet. Er war in allen Arten von Lagen gewesen, und hatte ein Dutzend verschiedener Weisen gelernt, sich seinen Unterhalt zu erwerben; hatte aber etwas ärmer, als er weggegangen, den Weg in sein heimathliches Dorf zurückgefunden, da sein Ranzen zu einem kleinen Bündel zusammengeschrumpft war.
Das Glück wollte, daß gerade an diesem Abend der Squire an der Meierei vorüberging, und, wie es oft sein Gebrauch ist, einsprach. Er fand die beiden Schulfreunde noch in der Thür, schwatzend und nach dem guten alten schottischen Lied »ein freundlich Glas auf die alten guten Zeiten trinkend.« Der Squire war durch den Gegensatz in dem Aeußeren und den Glücksumständen dieser beiden jugendlichen Spielgenossen überrascht: Hans Baargeld, in vornehmem Staate, von lauter Herrlichkeiten umgeben, und mit Guineen, sogar an der Uhrkette, behangen, und der arme Pilger Slingsby, dünn wie ein Wiesel, und all' sein zeitliches Hab und Gut, sein Bündel, Hut und Wanderstab, neben sich auf der Erde liegend.
Des guten Squire's Herz wurde warm von Mitleid mit dem armen Kosmopoliten, denn er hat eine gewisse Neigung für solche halb landstreicherische Charaktere. Er überlegte bei sich, wie er es machen sollte, um Slingsby abermals in seinem Geburtsdorfe vor Anker zu bringen. Der ehrliche Hans hatte ihm bereits einstweiligen Aufenthalt unter seinem Dache angeboten, trotz allen Winken, Andeutungen und halben Einwendungen der scharfsichtigen Frau Tibbets; wie man aber für seinen längeren Unterhalt sorgen solle, war die Frage. Glücklicherweise bedachte der Squire, daß die Dorfschule ohne Lehrer sei. Eine kleine fernere Unterhaltung überzeugte ihn, daß Slingsby hiezu eben so gut tauge, als zu jeder andern Sache, und nach einem oder zwei Tagen sah man ihn schon die Herrscherruthe in eben dem Schulhause schwingen, wo er in den Tagen seiner Kindheit so oft das hölzerne Pferd besteigen mußte.
So lebte er seit mehreren Jahren, und da er des Schutzes des Squire und der beständigen Freundschaft des Herrn Tibbets genießt, ist er in dem Dorfe zu vielem Gewicht und großer Bedeutsamkeit gelangt. Ich höre indessen, daß er von Zeit zu Zeit immer noch eine gewisse Rastlosigkeit und eine starke Neigung zeigt, wieder in die Fremde zu gehen und etwas mehr von der Welt zu sehen; eine Neigung, welche ihn vorzüglich im Frühling zu befallen scheint. Es ist nichts so schwer, als die Vorliebe für ein Landstreicherleben zu besiegen, wenn man sich ihm einmal ganz hingegeben hat.
Seitdem ich diese Anekdoten von dem armen Slingsby gehört, habe ich mehr als einmal an das Bild gedacht, das er und sein Schulkamerad, Hans Baargeld, nach einer so langen Trennung wieder zusammenkommend, gewährten. Es ist schwer zwischen Loosen des Lebens zu bestimmen, da jedes von seinen besonderen Plagen begleitet ist. Wer nie sein Haus verläßt, klagt über sein einförmiges Dasein, und beneidet den Reisenden, dessen Leben ein beständiges Gewebe von Wundern und Abenteuern ist; während der, welcher in der Welt umhergetrieben wird, mit manchem Seufzer nach dem sichern, ruhigen Ufer zurückblickt, das er verlassen hat. Ich kann nicht umhin, zu glauben, daß der Mensch, welcher zu Hause bleibt, und die Annehmlichkeiten und Vergnügungen, die sich täglich um ihn her darbieten, genießt, am wahrscheinlichsten glücklich wird. Für ein junges Gemüth hat nichts größere Anziehungskraft, als der Gedanke des Reisens, und es liegt ein gewisser Zauber in der alten Redensart, die man in jedem Ammenmährchen findet, »sein Glück suchen zu wollen.« Eine beständige Veränderung des Orts und der Gegenstände verspricht eine fortdauernde Folge von Abenteuern und Befriedigung der Neugierde. Aber es gibt eine Grenze in allen unsern Genüssen, und jedes Verlangen trägt in seiner Befriedigung selbst schon seinen Tod. Die Neugierde stumpft sich durch die beständigen Reize ab. Neuigkeiten hören auf, Erstaunen zu erregen, bis am Ende uns nicht einmal mehr ein Wunder in Verwunderung setzen kann. Wer, wie der arme Slingsby, voll von sonnigen Erwartungen in die Welt gegangen ist, der findet zu bald, wie sich die Ferne ausnimmt, wenn wir sie nahe sehen. Die liebliche Gegend wird rauh, wenn er sich ihr nähert; die wilde Gegend wird charakterlos, platt, flach und beschränkt; die feenhaften Tinten, welche ihn trügerisch gelockt haben, entschwinden entweder nach den entfernten Hügeln, oder sammeln sich auf der Gegend, die er verlassen hat, und jeder Theil der Landschaft erscheint grüner, als die Stelle, auf der er steht.