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Während also der Alchymist sich langsam erholte, beschäftigte sich der Student damit, das Laboratorium wieder in Ordnung zu bringen. Es war mit den Trümmern von Retorten und Destillirkolben, mit alten Schmelztiegeln, Schachteln und Phiolen, mit Pulvern und Tincturen, und mit halbverbrannten Büchern und Handschriften besäet.
Sobald der alte Mann hinreichend genesen war, wurden das Studium und die Versuche wieder begonnen. Der Student fand sich unangemeldet und häufig ein, und war unermüdet in seinen Arbeiten im Laboratorium. Der Philosoph erhielt durch die Betriebsamkeit seines Schülers neuen Eifer und neues Leben. Er war jetzt im Stande, das Unternehmen mit anhaltender Thätigkeit zu verfolgen, da er einen so rüstigen Gehülfen hatte, der seine Anstrengungen theilte. Während er über den Schriften des Sandivogins, Philalethes und des Herrn de Nuysment brütete, und die sinnbildliche Sprache, in welche sie ihre Geheimnisse eingehüllt haben, zu begreifen strebte, war Antonio unter den Retorten und Schmelztiegeln geschäftig, und erhielt den Ofen in beständiger Gluth.
Indessen waren bei all dem Eifer des Studenten, für die Entdeckung der goldenen Kunst, seine Gefühle für den Gegenstand, der ihn zuerst in die Nähe des zertrümmerten Hauses gebracht hatte, nicht erkaltet. Während der Krankheit des Alten hatte er häufig Gelegenheit, der Tochter nahe zu sein, und jeder Tag machte ihn für ihre Reize empfänglicher. Es lag eine reine Einfalt, eine beinahe leidende Sanftheit in ihrem Benehmen; und doch mischte sich in alles dieß etwas, ob bloß jungfräuliche Schüchternheit, oder ein Bewußtsein ihrer hohen Abkunft, oder ein Anflug castilianischen Stolzes, oder alles dieses zusammen, das eine ungebührliche Vertraulichkeit abwies und die Annäherung erschwerte. Die Gefahr ihres Vaters, und die Maßregeln, die zu seiner Hülfe getroffen werden mußten, hatten anfangs diese Schüchternheit und Zurückhaltung überwunden; wie er aber sich erholte und ihre Besorgnisse sich verminderten, schien sie sich der Vertraulichkeit, die sie sich gegen den jugendlichen Fremden erlaubt hatte, mit Schrecken bewußt und jeden Tag schüchterner und stiller zu werden.
Antonio hatte manche Bücher gelesen, allein dieß war das erste Werk in Frauengestalt, das er je aufgeschlagen hatte. Schon das Titelblatt hatte ihn angezogen; je weiter er aber las, desto größeres Vergnügen empfand er. Sie schien zur Liebe gemacht; ihr schönes schwarzes Auge rollte schmachtend unter den seidenen Augenwimpern, und wohin es sich wandte, verweilte und ruhete es: Zärtlichkeit war in jedem Strahle desselben. Gegen ihn allein war sie zurückhaltend und scheu. Nun, da die gewöhnliche Sorgfalt im Krankenzimmer nicht mehr nöthig war, sah er nicht viel mehr von ihr, als vor seinem Eintritte in das Haus. Bisweilen begegnete er ihr auf seinem Wege nach oder aus dem Laboratorium, und dann lächelte und erröthete sie stets; nach einem flüchtigen Gruße schwebte sie aber weiter und verschwand.
»Es ist klar,« dachte Antonio, »meine Gegenwart ist ihr gleichgültig, wenn nicht lästig. Sie hat meine Bewunderung bemerkt und ist entschlossen, sie zu entmuthigen; nur das Gefühl der Dankbarkeit verhindert sie, mich mit bestimmter Geringschätzung zu behandeln – und dann, hat sie nicht einen andern, – einen reichen, stattlichen, prunkenden, musikalischen Geliebten? wie kann ich mir einbilden, daß sie ihre Augen von einem so glänzenden Cavalier, auf einen armen unbekannten Studenten wenden werde, der unter der Asche in ihres Vaters Laboratorium wühlt?«
In der That, der Gedanke an den verliebten Bringer jener Serenade verfolgte ihn überall. Er hielt ihn zuverlässig für einen begünstigten Liebhaber; und doch, wenn dieß so war, warum besuchte er den Thurm nicht? warum erschien er nicht am hellen Tage? In diesem nächtlichen Lauschen und dieser musikalischen Bewerbung war etwas Geheimnißvolles. Gewiß, Inez konnte kein heimliches Verständniß begünstigen! O nein, sie war zu unverstellt, zu rein, zu unbefangen! Aber ach, spanische Damen hielten stets auf Liebe und Intriguen; und Musik und Mondschein waren so verführerisch, und in jedem Blicke von Inez lag das Schmachten einer zärtlichen Seele! – »O!« rief der arme Student dann wohl aus, indem er die Hände zusammenschlug, »o, sähe ich doch nur einmal diese schönen Augen voll Liebe zärtlich auf mich blicken!«
Diejenigen, welche es nicht erfahren haben, werden es nicht glauben, mit wie Wenigem das menschliche Leben und die menschliche Liebe ihr Dasein fristen können. Eine trockene Brodrinde, welche dann und wann einem Hungernden zugeworfen wird. gibt ihm neue Anwartschaft auf Verlängerung des Daseins; und ein flüchtiges Lächeln oder ein freundlicher Blick, welcher von Zeit zu Zeit gespendet wird, nährt die Gefühle eines Liebenden, wenn ein nüchterner Mann längst verzweifelt haben würde.
Wenn Antonio in dem Laboratorium allein war, verfolgte ihn ein solcher Blick, ein solches Lächeln, wie er im Vorbeigehen erhalten hatte. Er betrachtete sie dann aus allen möglichen Gesichtspunkten, und dachte mit aller der selbstgefälligen, selbstquälenden Vernünftelei eines Liebhabers darüber nach.
Die Gegend um ihn her war hinreichend, die Wollust des Gefühls zu wecken, welche das Wachsthum einer Leidenschaft so sehr befördert. Das Fenster des Thurmes erhob sich über die Bäume des romantischen Thales des Darro, und sah auf eine der lieblichsten Gegenden der Vega hinab, deren Citronen- und Orangenbüsche von kühlen Quellen und Bächen des klarsten Wassers erfrischt wurden. Der Xenil und der Darro schlängelten ihre glänzenden Wellen durch die Ebene, und blitzten zwischen ihren Lauben hindurch. Die umliegenden Hügel waren mit Reben bepflanzt, und die mit Schnee bedeckten Berge schienen mit dem blauen Himmel zu verschmelzen. Die liebliche Luft, welche um den Thurm spielte, war von dem Dufte der Myrthen und Orangenblüthen durchdrungen, und das Ohr schwelgte in den schmelzenden Tönen der Nachtigall, welche in diesen glücklichen Gegenden den ganzen Tag lang singt. Zuweilen ließen sich auch der heitere Gesang eines Maulthiertreibers, der an dem einsamen Weg hinzog, oder die Töne einer Guitarre aus der Mitte einer Gruppe Bauern vernehmen, die im Schatten tanzten. Alles dieß reichte hin, den Kopf eines jungen Liebhabers mit dichterischen Träumen anzufüllen, und Antonio malte es sich wohl in Gedanken aus, wie er, unter diesen herrlichen Gebüschen und an diesen angenehmen Flußufern, mit Inez hinwandeln und sein Leben in Liebe mit ihr würde zubringen können.
Er ward zuweilen ungeduldig über seine eigene Schwäche, und suchte diese Hirngespinste mit Gewalt zu verbannen. Mit plötzlicher Anstrengung wandte er sich dann zu den geheimen Studien, oder beschäftigte sich mit irgend einem verwickelten Verfahren; allein oft, wenn es ihm zum Theil gelungen war, seine Aufmerksamkeit zu sammeln, so erklang Inez' Laute, oder die sanften Töne ihrer Stimme unterbrachen die Stille des Gemachs oder schienen um den Thurm zu schweben. Es war keine große Kunst in ihrem Gesange; Antonio aber glaubte nie eine Musik gehört zu haben, welche dieser verglichen werden könne. Es lag ein vollständiger Zauber darin, wenn sie ihre Volksmelodien sang, jene kleinen spanischen Romanzen und maurischen Balladen, welche den Zuhörer in Gedanken an das Ufer des Guadalquivir oder an die Mauern der Alhambra versetzen, und ihn von Schönheiten, Balkonen und Serenaden im Mondlicht träumen lassen.
Nie war wohl ein armer Student bedrängter als Antonio. Die Liebe ist im Studirzimmer immer eine lästige Gesellschaft; aber in dem Laboratorium eines Alchymisten ist ihre Einmischung durchaus unglücklich. Statt auf die Retorten und Schmelztiegel Acht zu geben, und den Gang eines Versuches zu beobachten, welcher unter seiner Obhut gemacht werden sollte, verlor sich der Student in einen jener Liebesträume, aus dem ihn am Ende eine verderbliche Katastrophe erweckte. Der Philosoph fand, wenn er von seinen Untersuchungen in den Bibliotheken zurückkehrte, Alles verkehrt, und Antonio in Verzweiflung über den Trümmern der Arbeit eines ganzen Tages. Der alte Mann nahm indessen alles ruhig hin, denn sein Leben war ein Leben der Versuche und fehlgeschlagenen Hoffnungen gewesen.
»Wir müssen Geduld haben, mein Sohn,« pflegte er dann zu sagen, »wie alle großen Meister, die uns vorausgegangen sind, sie gehabt haben. Irrthümer, Zufälle, Verzögerungen, mit diesen haben wir zu kämpfen. Irrte Pontanus nicht zweihundert Mal, ehe er nur den Stoff finden konnte, auf den er seine Versuche gründete? Arbeitete nicht der große Flemel ebenfalls vier und zwanzig Jahre, ehe er das erste Grundmittel entdeckte? Welche Schwierigkeiten und Mühseligkeiten hatte nicht Cartilaceus an der Pforte seiner Entdeckungen zu überwinden? Und mußte nicht Bernhard von Trier selbst, nachdem er die Kenntniß der Hülfsmittel erlangte, noch volle drei Jahre harren? was Du als Zufälle ansiehst, mein Sohn, sind die Kabalen unsrer unsichtbaren Feinde. Die Schätze und goldenen Geheimnisse der Natur sind mit Geistern, die den Menschen hassen, umgeben. Die Luft um uns her schwärmt von ihnen. Sie lauschen im Feuer des Ofens, auf dem Boden des Schmelztiegels, des Destillirkolbens, und sind immer bereit, jene Augenblicke zu benutzen, wo unsere Gemüther von dem strengen Nachdenken über die große Wahrheit, die wir suchen, ausruhen. Wir müssen desto mehr streben, uns von diesen groben, irdischen Gefühlen zu reinigen, welche die Seele umwölken, und sie verhindern, in die Geheimnisse der Natur einzudringen.«
Ach! dachte Antonio, wenn diese Reinigung von allen irdischen Gefühlen auch erheischt, daß ich Inez zu lieben aufhöre, werde ich wahrscheinlich nimmer den Stein der Weisen entdecken.
So ging es eine Zeitlang bei dem Alchymisten fort. Das Gold des Studenten ging allmählig in Rauch auf; jede Gluth des Ofens machte ihn um einen Ducaten ärmer, ohne ihn dem Anschein nach dem goldenen Geheimniß um ein Jota näher zu bringen. Dennoch stand der junge Mann dabei, und sah ohne Murren ein Goldstück nach dem andern verschwinden; er hatte ja täglich Gelegenheit, Inez zu sehen und fühlte, daß ihre Gunst ihm köstlicher als Gold und Silber, und jedes Lächeln von ihr einen Ducaten werth war.
Zuweilen wandelte er in der Abendkühle, wenn die Arbeiten im Laboratorium aufgehört hatten, mit dem Alchymisten in dem ehemaligen Garten spazieren, welcher zu dem Hause gehörte. Noch jetzt waren Ueberbleibsel von Terrassen und Balustraden vorhanden, und hie und da eine marmorne Urne oder eine umgestürzte, unter Unkraut und wilden Blumen begrabene Statue zu sehen. Dieß war der Lieblingsaufenthalt des Alchymisten in seinen Erholungsstunden, wo er seinen Träumereien vollen Lauf ließ. Sein Gemüth war mit den rosenkreuzerischen Lehren erfüllt. Er glaubte an Elementargeister, deren einige seinen Bemühungen günstig, andere ihm entgegen waren; und er bildete sich, in seiner Geistesverzückung, oft ein, auf seinen einsamen Spaziergängen, in den flüsternden Gebüschen und in den widerhallenden Mauern dieses alten Gartens mit ihnen in geistigem Verkehre zu stehen.
Wenn ihn Antonio begleitete, pflegte er diese Abenderholungen zu verlängern. Zuweilen that er es um seines Schülers willen, denn er fürchtete, die fortdauernde Anstrengung und die ununterbrochene Einschließung in den Thurm, möchten am Ende seiner Gesundheit schaden. Er war höchst erfreut und überrascht durch seinen außerordentlichen Eifer und die Ausdauer, welche ein so junger Lehrling verrieth; ja er betrachtete ihn als erkoren, eines der großen Lichter der Kunst zu werden. Damit aber der Student die in diesen Erholungsstunden verflossene Zeit nicht für verloren halten möchte, pflegte der gute Alchymist sie durch Mittheilung von gesunden Kenntnissen, die mit ihren Beschäftigungen in Verbindung standen, auszufüllen, und wandelte mit seinem Zögling auf und ab, ihm, wie ein Philosoph des Alterthums, mündlichen Unterricht ertheilend. Aus allen seinen träumerischen Plänen sprach der Geist einer erhabenen, obgleich überspannten Menschenliebe, welcher die Bewunderung des Schülers erregte. Nichts Schmutziges oder Sinnliches; nichts Kleinliches oder Selbstisches schien sich in seine Ansichten zu mischen, was die großen Entdeckungen betraf, denen er entgegen sah. Im Gegentheile, seine Einbildungskraft war mit Gedanken von einer weit verbreiteten Glückseligkeit erfüllt. Er sah der Zeit entgegen, wo er im Stande sein würde, auf der Erde umher zu wandeln, um die Bedürftigen zu unterstützen, die Traurigen zu trösten; und durch seine unbeschränkten Mittel Pläne zur vollkommenen Ausrottung der Armuth und aller ihr beiwohnenden Leiden und Verbrechen zu entwerfen und auszuführen. Nie wurden großartigere Entwürfe zur Beförderung des allgemeinen Besten, zur Verbreitung unermeßlichen Reichthums und allgemeiner Wohlhabenheit gemacht, als von diesem armen bedürftigen Alchymist in seinem zertrümmerten Thurme geschah.
Antonio pflegte diesen peripatetischen Vorlesungen mit der ganzen Gluth eines entschiedenen Jüngers zuzuhören; allein ein anderer Umstand mag ihnen noch einen besondern Reiz gegeben haben. Der Garten war auch Inez' Erholungsort, wo sie ihre Spaziergänge machte, die einzige Bewegung, welche ihr abgeschiedenes Leben ihr erlaubte. Während Antonio in stiller Pflichtergebenheit neben seinem Lehrer hinwandelte, sah er oft auf einen Augenblick die Gestalt der Tochter, welche gedankenvoll im sanften Zwielicht in den Gängen auf- und abwandelte. Zuweilen begegneten sie ihr unerwartet, und das Herz des Studenten pochte dann hoch erregt. Ein Erröthen purpurte Inez' Wange, allein sie ging weiter und schloß sich ihnen nie an.
Eines Abends war er ziemlich spät mit dem Alchymisten an diesem seinem Lieblingsorte geblieben. Es war eine herrliche Nacht nach einem schwülen Tage, und die balsamische Luft des Gartens hatte etwas besonders Erfrischendes. Der Alte saß auf dem Bruchstücke eines Säulen-Fußes, und sah wie ein Theil der Trümmer aus, worauf er saß. Er erbaute seinen Schüler durch lange Lehren der Weisheit aus den Sternen, wie diese mit glänzendem Schimmer an dem dunkelblauen Gewölbe des südlichen Himmels erschienen; denn er war in den Schriften der Rosenkreuzer sehr bewandert, und sprach viel von den Vorzeichen irdischer Ereignisse am Himmel, von der Gewalt der Sterne über körperliche Wesen und ihrem Einflusse auf die Söhne der Menschen.
Allmählig ging der Mond auf und ergoß sein strahlendes Licht über die Gebüsche. Antonio horchte mit anscheinend gespannter Aufmerksamkeit auf die Lehren des Weisen, allein sein Ohr war trunken von der Melodie von Inez' Stimme, die, an einer von den mondbeleuchteten Stellen des Gartens, zu ihrer Laute sang. Der alte Mann hatte seinen Gegenstand erschöpft, und blickte nun in stillem Nachdenken zum Himmel empor. Antonio konnte der Versuchung nicht widerstehn, einen Blick auf die spröde Schönheit zu werfen, welche so einsam und tonreich die Rolle der Nachtigall spielte. Er ließ daher den Alchymisten in seinen überirdischen Träumen und schlich leise einen der Gänge entlang. Die Musik hatte aufgehört, und er glaubte den Ton von Stimmen zu hören. So kam er an die Ecke eines Gebüsches, das eine Art Grotte verdeckte, welche mit einem marmornen Springbrunnen verziert war. Der Mond schien hell auf die Stelle, und bei seinem Lichte sah er den unbekannten Nebenbuhler zu Inez' Füßen. Er hielt sie bei der Hand, die er mit Küssen bedeckte; sobald er aber Antonio bemerkte, sprang er auf, und riß sein Schwert halb aus der Scheide, während Inez befreit nach dem Hause zurück floh.
Antonio's eifersüchtige Besorgnisse und Vermuthungen waren nun bestätigt. Er wartete den Ausbruch des Zornes seines beglückten Nebenbuhlers über diese Unterbrechung nicht ab, sondern entfernte sich in tiefem Schmerze von dem Orte. Daß Inez einen Andern liebte, war schon qualvoll genug, daß sie aber eines entehrenden Liebesverständnisses schuldig sein könnte, empörte ihn in der Seele. Der Gedanke an Betrug bei einem so jungen, anscheinend schuldlosen Geschöpfe, erregte in ihm ein Mißtrauen gegen die menschliche Natur, welches auf junge, offene Gemüther so niederschlagend wirkt; wenn er aber an den gütigen unbekümmerten Vater dachte, den sie betrog, und dessen ganze Liebe nur in ihr sich vereinigte, so fühlte er sich auf einen Augenblick von Unwillen, ja beinahe von Abscheu durchdrungen.
Er fand den Alchymisten noch in träumerische Betrachtung des Mondes versunken. »Komm her, mein Sohn,« sagte er mit seiner gewöhnlichen Begeisterung, »komm, und lies mit mir in diesem großen Buche der Weisheit, das nächtlich sich vor uns entfaltet. Sehr richtig sagten die chaldäischen Weisen, der Himmel sei ein geheimnißvolles Blatt, das Denjenigen, die es zu lesen verstehn, manches verkünde, ihnen Gutes und Böses eröffne, und sie in den geheimen Beschlüssen des Schicksals unterrichte.
Das Herz des Studenten bebte vor Wehmuth um seinen ehrwürdigen Meister; und einen Augenblick ward er sich der ganzen Nichtigkeit seiner Weisheit bewußt. Ach, armer alter Mann, dachte er, was nützt Dir all' dein Studiren? Du läßt es Dir nicht träumen, welch ein Verrath gegen Dein Glück unter Deinen Augen, ja in Deinem Busen, begangen wird, während Du Dich in luftige Träumereien über die Sterne verlierst! – O, Inez! Inez! Wo sollen wir Wahrheit und Unschuld finden? Wie sollen wir uns auf ein Weib verlassen, wenn selbst Du zu hintergehen fähig bist?
Dieß war ein gewöhnlicher Ausruf, wie er jedem Liebhaber entschlüpft, wenn er findet, daß seine Geliebte nicht ganz die Göttin ist, die er sich gemalt hat. Bei dem Studenten aber entsprang er aus der Angst eines redlichen Herzens. Er kehrte in bedauernswürdiger Geistesverwirrung in seine Wohnung zurück. Er beschloß, seine Studien im Thurme aufzugeben, und es der Abwesenheit zu überlassen, den Zauber zu entkräften, der ihn befangen hatte. Er dürstete nicht mehr nach der Entdeckung des großen Elixirs: der Traum der Alchymie war vorüber; denn welchen Werth konnte ohne Inez der Stein der Weisen noch für ihn haben?
Nach einer schlaflosen Nacht war er entschlossen, dem Alchymisten Lebewohl zu sagen und sich von Granada ganz loszureißen. Mehrere Tage erhob er sich mit demselben Entschlusse, und jede Nacht sah ihn zu seinem Lager zurückkehren, seine Unentschlossenheit bejammern und einen neuen Entschluß für den Morgen fassen. Unterdessen sah er Inez weniger als je. Sie wandelte nicht mehr im Garten, sondern blieb beinahe gänzlich in ihrem Zimmer eingeschlossen. Begegnete sie ihm, so erröthete sie mehr als gewöhnlich; einst blieb sie sogar stehen, als wollte sie ihn anreden; aber nach einigem verlegenen Zögern und nach höherm Erröthen machte sie irgend eine zufällige Bemerkung und entfernte sich dann. Antonio sah in dieser Verwirrung nur ein Bekenntniß ihrer Schuld und das Bewußtsein, daß diese Schuld entdeckt sei. Was konnte sie zu sagen wünschen? Vielleicht eine Rechtfertigung über den Auftritt im Garten? – aber, wie kann sie sich rechtfertigen, oder warum sollte sie sich deßwegen gegen mich rechtfertigen? Was bin ich ihr? – oder vielmehr, was ist sie mir?« rief er ungeduldig aus, und faßte abermals den Entschluß, sich aus diesen Schlingen loszureißen und diesen bezauberten Ort für immer zu verlassen.
Er kehrte in eben dieser Nacht, voll von diesem muthigen Entschlusse, zu seiner Wohnung zurück, als er an einer dunklen Stelle des Weges einem Manne begegnete, den er an seiner Größe und Gestalt für seinen Nebenbuhler erkannte; er ging nach der Richtung des Thurmes hin. Dieß war die beste Gelegenheit, alle leise Zweifel, wenn es deren noch gab, zu lösen. Er entschloß sich, dem unbekannten Cavalier zu folgen und unter dem Schutze der Dunkelheit seine Bewegungen zu beobachten. Wenn dieser Einlaß in den Thurm oder sonst eine günstige Aufnahme erhielt, so mußte dieß, wie Antonio fühlte, sein Gemüth beruhigen und seinen schwankenden Entschlüssen Festigkeit geben.
Je näher der Unbekannte dem Thurme kam, desto vorsichtiger und behutsamer benahm er sich. Unter einer Baumgruppe gesellte sich ein Zweiter zu ihm, und Beide flüsterten lange mit einander. In Inez' Zimmer brannte ein Licht; der Vorhang war herabgelassen, aber das Fenster offen geblieben, da die Nacht warm war. Nach einer Weile ward das Licht ausgelöscht. Eine geraume Zeit verstrich. Der Cavalier und sein Gefährte blieben unter dem Baum gleichsam auf der Lauer stehen: endlich näherten sie sich dem Thurme mit leisen, vorsichtigen Schritten. Der Cavalier nahm eine Blendlaterne aus der Hand seines Gefährten, und warf seinen Mantel ab. Hierauf brachte der Andere etwas aus dem Gebüsch, das Antonio bald für eine leichte Leiter erkannte; er stellte sie gegen die Mauer, und der nächtliche Sänger stieg munter hinauf. Ein peinliches Gefühl bemeisterte sich Antonio's. Jetzt waren in der That alle Besorgnisse bestätigt. Er war im Begriff, den Ort zu verlassen, um nie wieder dahin zurückzukehren, als er einen unterdrückten Schrei aus Inez' Zimmer hörte.
In einem Augenblicke lag der am Fuß der Leiter Stehende hingestreckt auf dem Boden. Antonio wand ein Stilet aus seiner kraftlosen Hand, und eilte die Leiter hinauf. Er sprang zum Fenster hinein, und fand Inez sich gegen seinen eingebildeten Nebenbuhler sträubend. Der letztere, in seinem Angriffe gestört, nahm seine Laterne auf, wandte deren volles Licht gegen Antonio, zog sein Schwert und drang furchtbar auf ihn ein; glücklicherweise sah der Student das Licht an der Klinge hin blitzen, und wandte den Hieb mit dem Stilet ab. Ein hartnäckiger, aber ungleicher Kampf folgte. Antonio focht, dem vollen Scheine des Lichtes ausgesetzt, während sein Gegner im Schatten stand: auch war sein Stilet nur eine schwache Waffe gegen den Degen. Er sah, daß nichts ihn retten könne, als wenn er seinem Gegner auf den Leib rücke und dessen Waffe unterlaufe: er stürzte wüthend auf ihn ein, und führte einen gewaltigen Stoß mit dem Stilet nach ihm, erhielt aber dagegen eine Wunde mit dem verkürzten Schwert. In demselben Augenblick empfing er von hinten einen Stoß von dem Mitgehülfen, der unterdessen die Leiter hinangestiegen war; dieser streckte ihn zu Boden, und seine Gegner machten sich davon.
Mittlerweile hatte Inez' Geschrei ihren Vater und die Dienerin in das Gemach gebracht. Antonio wurde besinnungslos, in seinem Blute schwimmend gefunden. Man brachte ihn in das Zimmer des Alchymisten, der jetzt die Aufmerksamkeit vergalt, welche der Student einst ihm erwiesen hatte. Zu seinen mannigfachen Kenntnissen gehörte auch eine nicht gewöhnliche Bekanntschaft mit der Wundarzneikunst, und diese war in diesem Augenblick von größerem Nutzen, als all' seine chymische Gelehrsamkeit. Er stillte das Blut, welches aus den Wunden seines Zöglings floß, die sich, bei näherer Untersuchung, weniger gefährlich auswiesen, als man Anfangs gefürchtet hatte, und verband sie. Einige wenige Tage war jedoch sein Zustand bedenklich und nicht ohne Gefahr. Der alte Mann wachte mit der Zärtlichkeit eines Vaters über ihm. Er fühlte sich ihm auf doppelte Weise dankbar verpflichtet, sowohl seiner Tochter, als seiner selbst wegen; er liebte ihn als einen treuen eifrigen Schüler, und fürchtete, die Welt möchte der vielversprechenden Talente eines so strebsamen Alchymisten beraubt werden.
Seine vortreffliche Natur half die Wunden bald heilen; es lag in Inez' Blicken und Worten ein Balsam, welcher auch auf die noch schwereren Wunden seines Herzens seine heilende Wirkung äußerte. Sie nahm den lebendigsten Antheil an seiner Herstellung, und nannte ihn ihren Befreier, ihren Retter. Ihre dankbare Gesinnung, die sie an den Tag legte, schien ihn für alle frühere Kälte entschädigen zu sollen. Was aber am meisten zu Antonio's Genesung beitrug, war die Erklärung, welche sie ihm über seinen vermeinten Nebenbuhler gab. Dieser hatte Inez einige Zeit vorher in der Kirche gesehen, und sie seitdem stets mit seinen Aufmerksamkeiten bedrängt. Er hatte sie auf ihren Spaziergängen verfolgt, bis sie sich nicht mehr anders als in Begleitung ihres Vaters von dem Hause entfernen wollte. Er hatte sie mit Briefen, Serenaden und allen den Künsten bestürmt, wodurch er einer heftigen, aber heimlichen und unehrbaren Bewerbung Nachdruck geben zu können glaubte. Der Auftritt im Garten hatte sie selbst eben so sehr als Antonio überrascht. Ihr Verfolger war von ihrer Stimme herbeigelockt worden, und hatte über einen eingestürzten Theil der Mauer den Weg in den Garten gefunden. Er hatte sie überrascht, hielt sie mit Gewalt zurück, und schilderte ihr seine ehrlose Leidenschaft, als die Erscheinung des Studenten ihn unterbrach und ihr Gelegenheit gab, zu entfliehen. Sie hatte sich gescheut, ihrem Vater von den Verfolgungen, denen sie ausgesetzt war, zu sprechen; sie wünschte, ihm jede Besorgniß und Angst zu ersparen, und hatte sich entschlossen, sich noch strenger in das Haus zu verschließen; war aber auch hier, wie es sich ergab, nicht sicher vor seinen kecken Nachstellungen gewesen.
Antonio fragte sie, ob sie den Namen dieses ungestümen Bewerbers wisse? Sie antwortete, daß er ihr unter einem angenommenen Namen seine Anträge gemacht, daß sie ihn aber einst Don Ambrosio de Lora habe nennen hören.
Antonio kannte diesen dem Rufe nach als einen der entschiedensten, gefährlichsten Wüstlinge in ganz Granada. Listig, gebildet, und, wenn er wollte, sehr einschmeichelnd, aber unternehmend und tollkühn bei Befriedigung seiner Leidenschaften; heftig und unversöhnlich in seiner Rache. Er freute sich, daß Inez seinen Verführungskünsten widerstanden, und daß seine glänzende Verderbtheit sie mit Abscheu erfüllt hatte; aber er zitterte, wenn er an die Gefahren dachte, denen sie ausgesetzt gewesen, und an die, von denen sie vielleicht jetzt noch bedroht war.
Es war indeß nun zu vermuthen, daß der Feind eine Zeit lang zur Ruhe genöthigt sein werde. Blutspuren hatten sich bis zu einiger Entfernung von der Leiter gefunden, und sich unter den Gebüschen verloren, und, da man nun seitdem nichts von ihm gesehen und gehört hatte, schloß man, er müsse eine bedeutende Wunde empfangen haben.
Als der Student von seinen Wunden zu genesen anfing, durfte er Inez und ihrem Vater im Hause Gesellschaft leisten. Wahrscheinlich war das Zimmer, worin sie sich gewöhnlich aufhielten, in früheren Zeiten ein Prachtzimmer gewesen. Der Fußboden war von Marmor; die Wände hie und da mit Ueberbleibseln von Tapeten behängt; die mit Schnitzwerk reich verzierten und vergoldeten Stühle waren vor Alter wurmstichig geworden, und mit verschossenem zerlumpten Goldstoff bedeckt. An der Wand hing ein langer, rostiger Degen, das einzige Ueberbleibsel, welches der alte Mann aus der ritterlichen Zeit seiner Vorfahren übrig behalten hatte. Wohl hätte dieser Gegensatz zwischen dem Hause und dessen Bewohnern, zwischen der gegenwärtigen Armuth und den Spuren dahingeschwundener Größe, ein Lächeln ablocken können; allein die Einbildungskraft des Studenten hatte über das Gebäude und die, welche es bewohnten, so viel Romantisches verbreitet, daß Alles in Zauber gehüllt war. Der Philosoph mit seinem gebeugten Stolz und seiner sonderbaren Beschäftigung, schien ganz zu den traurigen Trümmern zu passen, die ihm zum Wohnsitz dienten, während um die Tochter sich eine natürliche Geisteszierlichkeit verbreitet hatte, welche deutlich zeigte, daß sie der Wohnung in deren glücklicheren Tagen zum Schmuck gedient haben würde.
Welche köstliche Augenblicke waren dieß für den Studenten. Inez war nicht mehr schüchtern und zurückhaltend. Sie war von Natur unbefangen und vertrauensvoll, obgleich die Art Verfolgung, der sie von dem einen Bewunderer ausgesetzt gewesen war, sie eine Zeit lang gegen den andern argwöhnisch und vorsichtig machte. Sie fühlte nun unbedingtes Vertrauen zu Antonio's Aufrichtigkeit und innerem Werth, dem sich eine überfließende Dankbarkeit zugesellte. Wenn ihre Augen die seinigen trafen, strahlten sie von Mitgefühl und Wohlwollen; und Antonio, welchen der Gedanke an einen begünstigten Liebhaber nicht mehr beunruhigte, hoffte wieder Erhörung.
Bei diesen häuslichen Zusammenkünften hatte er jedoch nur wenig Gelegenheit, Inez seine Aufmerksamkeit anders als durch Blicke zu bezeigen. Der Alchymist, der ihn, wie sich selbst, in das Studium der Alchymie ganz versunken glaubte, suchte ihn während seiner langwierigen Genesung durch lange Unterhaltungen über die Kunst zu erheitern. Er brachte sogar mehrere seiner halbverbrannten Bücher herbei, welche der Student einst aus den Flammen gerettet hatte, und vergalt ihm ihre Erhaltung durch das Herlesen langer Stellen aus denselben. So pflegte er ihn mit den großen, edlen Handlungen Flamel's zu unterhalten, welche dieser mit Hülfe des Steines der Weisen verrichtete, indem er Wittwen und Waisen unterstützte, Hospitäler errichtete, Kirchen baute und noch manches Andre that; oder mit den Fragen des Königs Kalid und den Antworten des Morienus, des römischen Einsiedlers in Jerusalem, oder den tiefsinnigen Fragen, welche Elardus, ein Beschwörer aus der Provinz Catalonien, dem Teufel über die Geheimnisse der Alchymie vorlegte, nebst des Teufels Antworten.
Alles dieß war in einer dunkeln, für das ungewöhnte Ohr des Schülers beinahe unverständlichen Sprache abgefaßt. Der alte Mann fand an den mystischen Redensarten und der sinnbildlichen Sprachweise, worin die Schriftsteller, welche von der Alchymie handelten, ihre Lehren eingekleidet haben, und wodurch diese für Nichteingeweihte unverständlich werden, das größte Vergnügen. Mit welchem Entzücken erhob er seine Stimme bei einer siegreichen Stelle, welche die große Entdeckung verkündigte! »Du sollst,« rief er dann mit den Worten Heinrich Kuhnrad's aus,»Amphitheater der göttlichen Weisheit.« – Verf. »den Stein der Weisen (unsern König,) aus der Schlafstätte seines gläsernen Grabmals auf den Schauplatz dieser Welt treten sehen, d. h., neu erschaffen und vervollkommt, als glänzenden Karfunkel, als milden Schein, dessen feinste und reinste Theile unzertrennlich und in eins durch eine wohlzusammenstimmende Mischung verbunden sind, vollkommen gleichförmig, durchsichtig wie Krystall, von einem röthlichen Schimmer wie ein Rubin, beständig sich färbend oder klingend, in allen Proben oder Prüfungen bestehend, ja sogar in der Wirkung des brennenden Schwefels, in den verzehrenden Wassern, und in der heftigsten Verfolgung des Feuers, ewig unverbrennlich und unveränderlich, wie ein Salamander!«
Der Student hatte eine hohe Verehrung vor den Vätern der Alchymie und eine tiefe Ehrfurcht vor seinem Lehrer: aber was waren Heinrich Kuhnrad, Ghebr, Lully, ja selbst Albertus Magnus, mit Inez Antlitz verglichen, das seinem Auge eine solche Seite voll Schönheit zum Lesen darbot? Während also der gute Alchymist nun Stundenlang Weisheit predigte, vergaß sein Schüler Bücher, Alchymie und Alles, den lieblichen Gegenstand vor ihm ausgenommen. Auch Inez, in der Kenntniß des Herzens noch unerfahren, ward allmählig von der stillen Aufmerksamkeit ihres Geliebten bezaubert. Sie schien täglich mehr von den aufglimmenden, seltsam angenehmen Bewegungen ihres Busens betroffen. Sie schlug oft die Augen gedankenvoll nieder. Erröthen bedeckte, ohne irgend eine sichtbare Ursache, ihre Wangen, und leichte, halb unterdrückte Seufzer folgten diesen kurzen Anfällen des Nachdenkens. Ihre kleinen Balladen, obgleich dieselben, die sie früher sang, athmeten ein zärtlicheres Gefühl. Jeder Ton ihrer Stimme war sanfter und schmelzender, und sie sang einzelne Stellen mit einem Ausdrucke, den sie ihnen vorher nicht gegeben hatte. Antonio hatte, außer seiner Liebe zu den höheren Wissenschaften, auch eine schöne Anlage zur Musik, und kein Philosoph konnte die Guitarre mit mehr Geschmack spielen, als er. Als er nach und nach der Befangenheit Herr geworden war, welche sie entfernt hielt, wagte er es, einige von Inez' Gesängen zu begleiten. Er hatte eine Stimme voll Feuer und Zärtlichkeit; wenn er sang, würde man, nach dem sanften Erröthen seiner Gefährtin, geglaubt haben, er eröffne ihr seine Leidenschaft. Wer zwei jugendliche Herzen von einander entfernt halten will, nehme sie vor Musik in Acht. O! dieß Hinüberlehnen über den Stuhl, dieß Singen aus demselben Notenbuche, dieß Ineinanderschlingen der Stimmen, dieß Verschmelzen in Harmonieen! – der deutsche Walzer ist nichts dagegen.
Der würdige Alchymist sah nichts von all diesem. In sein Gemüth kam kein Gedanke, welcher nicht mit der Entdeckung des großen Geheimnisses in Verbindung stand, und er glaubte seinen jugendlichen Gehülfen von demselben Eifer beseelt. Er war, was die menschliche Natur betraf, ein bloßes Kind; und was die Liebe anging, so hatte er, wenn er sie auch einst gefühlt haben mochte, längst vergessen, daß es eine so unnütze Leidenschaft gebe. Während er jedoch träumte, schritt das stille Liebesverhältniß fort. Selbst die Ruhe und Abgeschiedenheit des Ortes war dem Wachsthum der romantischen Leidenschaft günstig. Die sich öffnende Knospe der Liebe trieb ein Blatt nach dem andern, ohne daß ein feindlicher Hauch des Windes sie in ihrem Wachsthum gehemmt hätte. Es gab da weder die Dienstfertigkeit der Freundschaft, welche durch ihren Rath sie zum Erstarren, noch die Hinterlist des Neides, der sie durch seine hämische Miene zum Welken gebracht, noch die lauschende Miene der Welt, welche sie beobachtet und durch ihr Hinstarren in Verwirrung versetzt hätte. Es gab da weder Erklärung, noch Gelübde, noch irgend eine andre Formel aus Amor's Kunstschule. Ihre Herzen vereinten sich und verstanden sich ohne die Beihülfe der Sprache. Sie stürzten sich in den vollen Strom der Liebe, ohne eine Ahnung seiner Tiefe, und ohne einen Gedanken an die Klippen, welche unter seiner Oberfläche verborgen sein könnten. Glückliche Liebende! Ihr Glück vollkommen zu machen, fehlte nur die Entdeckung des Steins der Weisen!
Endlich war Antonio's Gesundheit so weit hergestellt, daß er in seine Wohnung nach Granada zurückkehren konnte. Er fühlte sich jedoch beunruhigt, den Thurm verlassen zu müssen, während den beinahe ganz vertheidigungslosen Bewohnern desselben noch heimliche Gefahr drohte. Er fürchtete, daß Don Ambrosio, von seinen Wunden genesen, einen neuen Versuch durch heimliche List, oder mit offenbarer Gewalt machen möchte. Nach Allem, was er gehört hatte, schien er ihm zu unversöhnlich, als daß er die Vereitelung seines Plans ungerächt hätte hingehen lassen, und zu entschlossen und furchtlos, als daß er, wenn seine Künste nicht ausreichten, vor irgend einer kühnen That hätte zurückschrecken sollen, um seine Zwecke zu erreichen. Er theilte seine Besorgnisse dem Alchymisten und seiner Tochter mit, und schlug ihnen vor, die gefährliche Nachbarschaft von Granada zu verlassen.
»Ich habe Verwandte,« sagte er, »in Valencia, die freilich arm, aber sehr wacker und theilnehmend sind. Bei ihnen werdet Ihr Freundschaft und Ruhe finden, und wir können dort unsere Arbeiten unbelästigt fortsetzen.« Er begann ihnen die Schönheit und Annehmlichkeit von Valencia mit aller Anhänglichkeit eines Eingebornen, und aller der Beredsamkeit zu schildern, womit ein Liebhaber die Felder und Gebüsche malt, in welche er den Schauplatz seiner künftigen Glückseligkeit verlegt. Seine Beredsamkeit, von Inez' Besorgnissen unterstützt, wirkte günstig auf den Alchymisten, der in der That an ein zu unstetes Leben gewöhnt war, als daß er sich viel um seinen Aufenthaltsort hätte kümmern sollen. Es wurde daher beschlossen, sobald Antonio ganz hergestellt sein würde, den Thurm zu verlassen und nach dem herrlichen benachbarten Valencia zu ziehen.Hier sind die stärksten Seidenzeuge, die süßesten Weine, die besten Oele und die schönsten Weiber in ganz Spanien. Selbst die unvernünftigen Thiere machen sich hier Betten von Rosmarin oder andern wohlriechenden Kräutern, und wenn man auf der See ist, und der Wind vom Lande weht, so kann man mehrere Meilen, ehe man das Land sieht, an dem starken Geruch, den es von sich gibt, es schon erkennen. So wie das Klima das angenehmste in ganz Spanien ist, so ist es auch das zuträglichste, und man nennt es gewöhnlich das zweite Italien, was die Mauren (von denen mehrere Tausende von hier verjagt und nach der Barbarei verbannt wurden) zu dem Glauben brachte, das Paradies liege in dem Theile des Himmels, der über dieser Stadt hange. Howell's Briefe. – Anm. des Verf.
Um seine Kräfte wieder zu stärken, gab der Student die Arbeiten in dem Laboratorium auf einige Zeit auf, und brachte die wenigen Tage vor seiner Abreise damit zu, von der bezaubernden Umgegend von Granada Abschied zu nehmen. Er fühlte Gesundheit und Kraft wiederkehren, wie er die reine, milde Luft, welche die Hügel umspielte, einathmete; die Zufriedenheit seines Gemüths trug freilich viel zu seiner schnelleren Genesung bei. Inez war auf seinen Spaziergängen oft seine Begleiterin. Ihre Abkunft von mütterlicher Seite von einer der alten maurischen Familien flößte ihr einen großen Antheil an diesem einstigen Lieblingssitze der arabischen Macht ein. Sie blickte mit Begeisterung auf die prachtvollen Denkmale der Vorzeit, und ihr Gedächtniß war mit den Sagen und Balladen von maurischer Ritterlichkeit erfüllt. Wahrlich, das einsame Leben, welches sie geführt hatte, und der Hang ihres Vaters zur Schwärmerei, hatten einen großen Einfluß auf ihren Charakter gehabt, und ihm eine Färbung gegeben, die man in neueren Zeiten romanhaft genannt haben würde. All das kräftigte sich erst recht durch die neue Leidenschaft; denn wenn ein Weib zum ersten Male zu lieben anfängt, ist das Leben ganz Romantik für sie.
Auf einem ihrer Abendspaziergänge hatten sie den Sonnen-Berg erstiegen, auf welchem der Generalife, der Lustpalast zur Zeit maurischer Herrschaft, jetzt ein düsteres Kapuzinerkloster, liegt. Sie waren in dem Garten umhergewandelt, unter Orangen, Citronen und Cypressengebüschen, wo das Wasser, in Strömen herabstürzend, in Springbrunnen rieselnd, oder in blitzenden Strahlen emporsteigend, die Luft mit Wohllaut und Frische erfüllte. Mit der ganzen Schönheit dieses Gartens vereint sich eine gewisse Schwermuth, welche sich allmählig auch der Seelen der Liebenden bemeisterte. Der Ort ist voll der traurigen Geschichte aus vergangenen Zeiten. Er war der Lieblingsaufenthalt der holden Königin von Granada, wo die Vergnügungen eines glänzenden üppigen Hofes sie umgaben. Hierher unter ihre eigene Rosenlauben hatten auch die Verläumder jene unwürdige Geschichte ihrer Schande verlegt, und so dem tapferen Stamme der Abencerragen den Todesstoß beigebracht.
Der ganze Garten sieht zerstört und verlassen aus. Mehrere von den Springbrunnen sind zertrümmert und vertrocknet; die Wasser haben sich aus ihren marmornen Becken entfernt, und werden von Unkraut und gelbem Laub erstickt. Das Rohr pfeift jetzt im Winde, der sonst mit Rosen spielte und Wohlgerüche von den Orangenblüthen herwehte. Die Klosterglocke schallt in traurigem Klange und die schläfrige Vesper-Hymne tönt durch diese einsamen Orte, die einst Gesang oder Tanz und die Serenade des Liebhabers belebten. Wohl mögen die Mauren den Verlust dieses irdischen Paradieses beklagen; wohl mögen sie seiner in ihren Gebeten gedenken und den Himmel anflehen, es den Gläubigen wiederzuschenken; wohl mögen ihre Gesandten an ihre Brust schlagen, wenn sie diese Denkmäler ihres Stammes sehen, und niedersitzen und weinen unter der dahinschwindenden Herrlichkeit von Granada!
Es ist unmöglich, auf diesem Schauplatze entschwundener Liebe und Fröhlichkeit umherzuwandeln, ohne die Zärtlichkeit des Herzens erwachen zu fühlen. Hier wagte Antonio zuerst seine Leidenschaft zu entdecken und in Worten das auszusprechen, was seine Augen schon längst so beredt erzählt hatten. In seinem Geständniß sprach sich die Gluth, aber auch die Offenheit aus. Er konnte keine glänzenden Aussichten eröffnen; er war ein armer Student, der sich auf seinen »Geist verlassen mußte, sich zu ernähren und zu kleiden.« Ein liebendes Weib rechnet indessen nie. Inez hörte ihn mit gesenkten Augen an, aber in ihnen war ein feuchter Schimmer, der darauf hindeutete, daß ihr Herz ihm gewonnen sei. Es war keine Sprödigkeit in ihrem Wesen: sie hatte nicht lange genug in der Gesellschaft gelebt, um sie zu erlangen. Sie liebte ihn mit der ganzen Entsagung zeitlicher Rücksichten, mit welcher das wahre Weib liebt; und unter einem schüchternen Lächeln und Erröthen entlockte er ihr ein bescheidenes Geständniß ihrer Liebe.
Sie wandelten in jenem Seelenrausche, den nur glücklich Liebende kennen, im Garten umher. Die Welt um sie her war ein Feenland geworden; und, in der That, es breitete sich vor ihren Augen eine der feenhaftesten Gegenden aus, als ob sie ihren Traum irdischer Glückseligkeit verwirklichen wollte. Sie sahen, zwischen Orangengebüschen, auf die Thürme von Granada unter ihnen hinaus; jenseits die herrliche Ebene der Vega von der Abendsonne in Streifen beleuchtet und die entfernten Hügel im rosenfarbenen und purpurnen Lichte glänzend: es schien ein Sinnbild der glücklichen Zukunft, welche Liebe und Hoffnung vor ihrem Blicke enthüllten.
Als ob dieß ganze Gemälde seine Vollendung erhalten sollte, begann ein Haufe Andalusier, auf einer der Galerien des Gartens beim Guitarrenspiel zweier wandernden Musikanten einen Tanz. Die spanische Musik ist wild und klagend, allein die Eingebornen tanzen dabei mit Leben und Begeisterung. Die malerischen Bewegungen der Tänzer, die Mädchen mit ihrem Haar in seidenen Netzen, deren Knoten und Troddeln den Rücken hinabhingen, mit der Mantilla um ihre zierliche Gestalt, mit den Basquinas, unter denen ihre zarten Füße hervorblickten, mit in die Luft ausgebreiteten Armen die Castagnetten schlagend, nahmen sich malerisch auf dieser luftigen Höhe aus, während sich die herrliche Abendlandschaft unter ihnen ausbreitete.