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»Lustiges England.«
Alte Redensart.
Nr sehr selten kann ein Mann sein Steckenpferd ohne Belästigung reiten. Ich finde, daß der Squire keinesweges seinen Launen so ungestört nachhängen darf, als ich dachte; sondern daß er in neuerer Zeit häufig daran gehindert worden ist, und namentlich eine Art wohlgemeinter Verfolgung von einem gewissen Herrn Faddy erduldet hat, einem alten Herrn von einigem Gewicht, wenigstens des Beutels, der neulich in die Nachbarschaft gezogen ist. Er ist ein achtbarer, wohlhabender Fabrikant, der, nachdem er durch Dampfmaschinen und Baumwollenspinnereien ein großes Vermögen zusammengehäuft, sich von den Geschäften zurückgezogen hat und nun ein Landmann geworden ist. Er hat einen alten Landsitz an sich gebracht, ihn aufgestutzt, und ihn anmalen und antünchen lassen, bis er ungefähr wie seine Fabrik ausgesehen hat. Er hat auch besondere Sorge darauf verwendet, die Mauern und Hecken auszubessern, und überall auf seinem Grund und Boden die Warnung vor Selbstschüssen und Fußangeln angeklebt. In der That, er ist auf seine gutsherrlichen Rechte sehr eifersüchtig, denn er hat einen Fußsteig, der über seine Felder führte, ganz eingehen lassen; und mächtige Buchstaben warnen, daß, wer auf diesem Grund und Boden sich in etwas vergehe, nach der ganzen Strenge der Gesetze behandelt werden solle. Er hat alle die städtischen Angewohnheiten und die geräuschvolle Weise des Geschäfts mit sich auf das Land gebracht; und ist einer der fühlenden, nützlichen, langweiligen, zudringlichen, unerträglichen alten Herrn, welche umher gehen und die Gesellschaft durch ihre vortrefflichen Pläne für die öffentliche Wohlfahrt erdrücken und ersticken.
Er ist sehr geneigt, mit dem Squire auf vertrautem Fuß zu stehen und sucht ihn jeden Augenblick mit einem Plan zum Wohle der Nachbarschaft heim, der in der Regel einer oder der andern eigenthümlichen Ansicht des Squire schnurstracks entgegenläuft, aber doch »eine zu nützliche Maßregel« ist, als daß man sich ihm offen entgegensetzen könnte. Er hat ihn durch die Vollstreckung des Gesetzes gegen Vagabunden, durch Verfolgung der Zigeuner und das Aufheben der Kirmesse und Festtagsspiele, die er für große Mißbräuche und für die Hauptursachen der Todsünde der Trägheit hält, überaus gequält.
In allem diesen liegt offenbar ein wenig von der Prahlerei der neu erlangten Bedeutsamkeit; der Handwerker schwillt nach und nach zum Aristokraten auf und wird gewaltig unduldsam gegen Alles, was nicht zum guten Ton gehört. Er weiß viel von »gemeinem Volk« zu reden, spricht oft von seinem Park, seinen Treibhäusern und der Nothwendigkeit, die Jagdgesetze streng zu handhaben, und bedient sich häufig der Redensart: »der Herrenstand in der Umgegend.«
Neulich besuchte er die Halle mit einer äußerst wichtigen Miene, damit er und der Squire, wie er sich ausdrückte, »mit einander zu Rathe gingen,« wie man am besten der Lust im Dorfe an dem herannahenden Maitage Einhalt thun könnte. Sie ziehe, sagte er, Müßiggänger aus der ganzen Nachbarschaft herbei, welche den Tag mit Geigen, Tanz und Völlerei hinbrächten, statt zu Hause zu bleiben und für ihre Familien zu arbeiten.
Da nun der Squire unglücklicherweise der Grundpfeiler aller dieser Maitagslustbarkeiten ist, so kann man annehmen, daß die Vorschläge des scharfsinnigen Herrn Faddy nicht auf das freundlichste von der Welt angenommen wurden. Es ist wahr, der alte Herr hat zu viel Lebensart, um einen Gast in seinem eigenen Hause seine Unzufriedenheit merken zu lassen; kaum hatte er sich aber entfernt, als der Squire seinem Unwillen über den Einbruch der summenden, blaubäuchigen Gewerbsfliege in seine poetischen Spinnweben den Lauf ließ. In seiner Hitze zog er gegen die ganze Klasse der Fabrikanten los, die, wie ich fand, arge Ruhestörer für ihn sind. »Herr,« sagte er in Bewegung, »das Herz blutet mir, alle unsere schönen Flüsse durch Baumwollenspinnereien gestaut und damit überbaut, unsere Thäler von Dampfmaschinen rauchen, und den Lärm des Hammers und des Webestuhls alle unsere ländlichen Ergötzlichkeiten verscheuchen zu sehen. Was soll aus dem lustigen alten England werden, wenn seine Landsitze in Manufakturen umgewandelt und seine tüchtigen Landleute zu Nadlern und Strumpfwirkern werden? Vergebens habe ich mich nach dem lustigen Sherwood und allen den belaubten Schlupfwinkeln Robin Hood's umgesehen; die ganze Gegend ist mit Manufakturstädten bedeckt. Ich habe auf den Trümmern von Dudley Castle gestanden und mit wundem Herzen rund umher geschaut auf die einst so blühenden, fruchtbaren Lehngüter. Ich sah ein bloßes phlegräisches Gefilde; eine Feuergegend, von Kohlengruben, Oefen und Schmelzhütten rauchend, welche Flammen und Rauch ausspieen. Die bleichen, gespenstischen Leute, welche sich zwischen giftigen Dämpfen umherbewegten, sahen mehr wie Teufel, denn wie Menschen aus; die rasselnden Räder und Maschinen, die man durch die schmutzig-düstere Luft erblickte, sahen aus wie Marterwerkzeuge in dieser Hölle. Was soll aus dem Lande werden, mit diesen Uebeln im Innersten desselben? Herr, diese Fabrikanten werden unsere ländlichen Sitten in Grund und Boden verderben; sie werden den Volkscharakter untergraben; sie werden zu keiner einzigen poetischen Zeile mehr Stoff lassen!«
Der Squire wird über solche Gegenstände leicht beredt; und ich konnte kaum umhin, diese sonderbare Klage über den Gewerbfleiß und die Fortschritte des öffentlichen Wohlstandes zu belächeln. Ich hörte indessen, daß er wirklich über den wachsenden Gewerbsgeist, als über eine Zerstörung des Reizes des Lebens, betrübt ist. Er betrachtet einen jeden neuen kurzen Weg, um etwas zu vollbringen, als einen Eingriff in den gewohnten bequemen Schlendrian, und glaubt, die Welt werde sich bald zu einer bloßen Geschäftswelt gestalten, wo das Leben auf eine mathematische Berechnung aller Zweckmäßigkeiten zurückgeführt, und alles durch Dampf betrieben wird.
Er behauptet auch, das Volk habe von seinem freien und fröhlichen Geist in dem Grade verloren, als es seine Aufmerksamkeit auf Handel und Fabriken richte; und in alten Zeiten sei England eine müßigere, aber auch eine fröhlichere kleine Insel gewesen. Zur Unterstützung dieser Meinung führt er die Häufigkeit und den Glanz der alten Feste und Lustbarkeiten an, und die Liebe, mit welcher sie von allen Volksklassen begangen wurden. Sein Gedächtniß ist mit den Nachrichten angefüllt, die Stow, in seiner Beschreibung von London, von den Festtagsfeierlichkeiten in den Rechtsschulen, den Weihnachts-Vermummungen, und den Maskeraden und Freudenfeuern auf den Straßen gibt. London, sagt er, glich zu jenen Zeiten den Städten des festen Landes in seinen malerischen Sitten und Vergnügungen. Der Hof pflegte bei öffentlichen Festen nach dem Mittagsessen zu tanzen. Nach dem Krönungsmahle von Richard II., zum Beispiel, tanzte der König, die Prälaten, die Edelleute, die Ritter und die übrige Gesellschaft in der Westminster-Halle nach der Musik der Minstrels. Die mittleren Klassen folgten dem Beispiele des Hofes, und so herab bis zum Niedrigsten, und das ganze Volk war ein tanzendes, lustiges Volk. Er führt ein Bild der Stadt in jenen Zeiten an, wie es bei Stow zu finden ist, und das dem gleicht, was man jetzt noch oft in der muntern Stadt Paris sehen kann, denn er sagt, an Festtagen, nach dem Abendgebet, hätten sich die Mädchen in London, im Angesicht ihrer Gebieter und Gebieterinnen, vor den Thüren versammelt und, während eine das Tambourin schlug, um Blumengehänge, die quer über die Straße gezogen waren, ihre fröhlichen Tänze aufgeführet.
»Wo finden wir heutiges Tages so fröhliche Gruppen?« pflegt der Squire dann auszurufen, indem er traurig den Kopf schüttelt; »und dann die Kleiderpracht, die unter allen Klassen der Gesellschaft herrschte, und sogar die Straßen so schön und malerisch machte? Ich habe selbst, sagte Gervasius Markham, einen gewöhnlichen Kellner gesehen, mit seinen seidenen Strümpfen, Strumpfbändern, reich mit goldenen Tressen besetzt, die übrige Kleidung dazu passend, und darüber einen mit Sammet besetzten Mantel! Auch Nashe, der 1593 schrieb, ruft bei seinen Bemerkungen über den Aufwand der Kleidung des Volkes aus: England, die Schaubühne der Prachtanzüge, der Affe aller Ueberflüssigkeiten anderer Völker, dieses fortdauernd in alle mögliche ausländische Kleidungen verlarvte England!«
Dieß sind einige wenige von den Quellen, welche der Squire anführt, um die geglaubte frühere Lebendigkeit des Volks seinem gegenwärtigen einförmigen Charakter recht grell gegenüberzustellen. »John Bull,« pflegt er zu sagen, »war damals ein fröhlicher Cavalier, mit einem Degen an der Seite und einer Feder auf dem Hute; aber er ist jetzt ein grübelnder Bürger, in tabaksfarbigem Rocke und Gamaschen.«
Nebenher bemerkt, es scheint sich in dem Volkscharakter wirklich etwas geändert zu haben seit den Tagen, von welchen der Squire so gern spricht; seit den Tagen, wo dieß kleine Eiland seine alte Lieblingsbenennung des »lustigen Englands« erhielt. Dieß mag zum Theil dem wachsenden Druck der Zeiten und der Nothwendigkeit beizumessen sein, die ganze Aufmerksamkeit auf die Mittel zum Unterhalt zu wenden: aber Englands fröhlichste Gewohnheiten herrschten zu der Zeit, wo das gemeine Volk verhältnißmäßig wenig von den Bequemlichkeiten und Annehmlichkeiten genoß, deren es sich jetzt erfreut. Es mag noch mehr der allgemeinen Begierde nach Gewinn und dem berechnenden Wesen zuzuschreiben sein, wozu der Handel Gelegenheit gegeben hat; am meisten bin ich geneigt, es dem allmähligen Wachsthum der Freiheit der Unterthanen und der zunehmenden Unbeschränktheit und Regsamkeit der öffentlichen Meinung zuzuschreiben.
Ein freies Volk ist gewöhnlich ernst und nachdenkend. Große, wichtige Gegenstände beschäftigen seinen Geist. Es fühlt, daß es sein Recht, sein Vortheil, seine Pflicht ist, sich in die öffentlichen Angelegenheiten zu mischen, und über das allgemeine Wohl zu wachen. Die beständige Beschäftigung des Geistes mit politischen Gegenständen gibt überhaupt zu viel schärferm Denken Anlaß, und verleiht ein ernsteres, gemesseneres Wesen. Ein Volk wird weniger fröhlich, aber geistig thätiger und kräftiger. Es zeigt eine weniger lebendige Phantasie, aber mehr Stärke der Einbildungskraft; weniger Geschmack und Zierlichkeit, aber mehr Größe des Geistes; weniger reges Leben, aber dafür eine tiefere Begeisterung.
Wenn die Menschen durch eine despotische Regierung von dem Bereiche männlichen Denkens ausgeschlossen werden, wenn es gefahrvoll wird, einen ernsten erhabenen Gegenstand zu erörtern, und schon darüber nachzudenken: dann wenden sie sich zu den unschädlicheren Beschäftigungen des Geschmacks und der Unterhaltung; Kleinigkeiten steigen zu Wichtigkeit, und beschäftigen die heißhungerige Thätigkeit des Verstandes. Kein Wesen ist leerer an Sorge und Ueberlegung, als ein Sklave; keines tanzt fröhlicher in den Ruhestunden: macht ihn aber frei, gebt ihm Rechte und Interessen zu bewachen, und er wird nachdenkend und arbeitsam werden.
Die Franzosen sind ein fröhlicheres Volk als die Engländer. Warum? Theils schon aus natürlicher Anlage; aber besonders, weil sie immer an Regierungen gewöhnt gewesen sind, welche die freie Ausübung des Denkvermögens mit Gefahren umgaben, und wo der nur sicher war, der Augen und Ohren gegen öffentliche Vorfälle verschloß, und sich mit der vorübergehenden Freude des Tages beschäftigte. In den letzteren Jahren haben sie mehr Gelegenheit gehabt, ihren Geist zu üben; und in den letzteren Jahren hat sich ihr Nationalcharakter wesentlich geändert. Die Franzosen haben nie einen solchen Grad von Freiheit genossen, wie gegenwärtig; und die Franzosen sind jetzt ein verhältnißmäßig ernstes Volk.