Washington Irving
Bracebridge Hall oder die Charaktere
Washington Irving

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Der Verbrecher.

Vor Feuer, vor Wasser und aller Gefahr
Eines ehrlichen Richters Haus bewahr'!
Die Wittwe.

Die Heiterkeit in der Halle ist plötzlich durch einen sehr bedeutenden Vorfall unterbrochen worden. Im Laufe dieses Morgens sah man einen Trupp Landleute die Allee heraufkommen. Knaben liefen mit lautem Geschrei voraus. Als er näher kam, sahen wir Hans Baargeld Tibbets daherschreiten, seinen Knittel in einer Hand schwingend, und mit der andern einen langen Kerl am Kragen festhaltend, in welchem wir, als der Haufen nahe war, den furchtbaren Zigeunerhelden, den Sternlicht-Thomas, erkannten. Er war indeß jetzt ganz furchtsam und demüthig, und sein Muth schien in der eisernen Hand des löwenherzigen Hans ganz und gar gebrochen zu sein.

Die ganze Bande der Zigeuner-Weiber und Kinder kam langsam hinten nach. Einige in Thränen, Andere mit heftigem Geschrei gegen den alten Baargeld, der indeß schweigend mit seiner Beute vorwärts schritt, und sich an ihr Schimpfen so wenig kehrte, als ein Falke, der einen Scheunenthor-Helden gepackt hat, sich um das Geschrei und Gegakel seines ganzen befiederten Serails kümmert.

Er war auf dem Wege nach der Halle durch das Dorf gezogen und hatte natürlich in diesem leicht erregbaren Orte, wo jede Begebenheit Neugierde und Gerede erzeugt, ein gewaltiges Aufsehen verursacht. Wie ein Lauffeuer verbreitet sich das Gerücht, daß der Sternlicht-Thomas verhaftet worden sei. Die Aletrinker verließen sogleich die Schenkstube; Slingsby's Schule stürmte hinaus, und Lehrer und Schüler vergrößerten die Fluth, die dem alten Baargeld und seinem Gefangenen nachströmte.

Der Lärm vermehrte sich, wie sie sich der Halle näherten; er brachte die ganze Besatzung von Hunden, und den Schwarm dazu gehöriger Herumtreiber, in völligen Aufruhr. Der große Bullenbeißer bellte aus dem Hundehause; der Hühnerhund, der Windhund und der Wachtelhund kamen bellend aus der Thür der Halle, und die kleinen Hunde von Mylady Lillycraft lärmten und bellten aus den Wohnzimmerfenstern. Ich bemerkte indeß, daß die Hunde der Zigeuner alle diese Drohungen und Beleidigungen unbeantwortet ließen, sich dicht an die Bande hielten, mit einer schuldbewußten, wilddiebsartigen Miene um sich blickten, und nur dann und wann einen ungewissen Blick auf ihre Herren warfen; welches deutlich zeigt, wie die moralische Würde, selbst bei Hunden, in schlechter Gesellschaft zu Grunde gehen kann!

Als der Haufe an die Vorderseite des Hauses gekommen war, ward er durch eine Art von Vortrab angehalten, der aus dem alten Christy, dem Wildhüter, und zwei oder drei Hausbedienten bestand, die, durch den Lärm erschreckt, herausstürzten. Der gemeine Haufe aus dem Dorfe wich ehrerbietig zurück; die Jungen wurden von Christy und seinen Genossen hinweggejagt; während Hans Baargeld seinen Platz und seinen Gefangenen behauptete, und dabei von dem Schneider, dem Schulmeister und mehreren anderen Würdenträgern des Dorfes, so wie von der vorlauten Brut der Zigeuner umringt blieb, die weder zum Stillschweigen zu bringen, noch zu verschüchtern war.

Unterdessen war die sämmtliche Hausgenossenschaft an die Thüren und Fenster, und der Squire an das Portal gekommen. Hans Baargeld, der den Gefangenen ertappt hatte, wie er eben auf seinem Grund und Boden einen Schafdiebstahl begehen wollte, und ihn nun hierher brachte, damit er von dem Squire, der zum Friedensgericht gehört, zur Untersuchung gezogen werde, verlangte eine Audienz.

Es ward sogleich in dem Bedientensaale eine Art Gericht gehalten, einem großen Zimmer, mit steinernem Fußboden und einem langen Tische in der Mitte, an dessen einem Ende, gerade unter einer ungeheueren Wanduhr, des Squire's Gerichtsstuhl stand, während Meister Simon, als Gerichtsschreiber, seinen Platz am Tische nahm. Der alte Christy hatte es versucht, die Zigeunerbande abzuhalten, aber vergebens, und sie füllten nun, mit den Angesehensten im Dorfe und den Hausgenossen, den halben Saal. Die alte Haushälterin und den Haushofmeister überfiel ein tödtlicher Schrecken bei diesem gefährlichen Einbruche. Sie eilten, alle Sachen von Werth und alles Bewegliche auf die Seite zu schaffen, und hielten ein scharfes Augenmerk auf die Zigeuner, damit sie nicht die Wanduhr oder den eichenen Tisch wegtrügen.

Der alte Christy und sein treuer Gehülfe, der Wildhüter, versahen das Amt der Constabler, den Gefangenen zu bewachen, und triumphirten, daß sie endlich diesen furchtbaren Missethäter in ihre Klauen bekommen hätten. Ich glaube in der That beinahe, der alte Mann konnte es noch nicht vergessen, daß er von dem Zigeuner, bei dem Handgemenge am Maitage, etwas unsanft behandelt worden war.

Meister Simon gebot nun Stillschweigen; allein es war schwer, dies bei einer so gemischten Versammlung zu bewirken. Das Geknurr und Gebell der Hunde wollte kein Ende nehmen, und als es in einer Ecke gedämpft worden war, fing es in der andern wieder an. Die armen Zigeunerhunde, die, wie landstreicherische Diebe, in einem rechtlichen Hause sich nicht breit machen durften, wurden von den Herrn-Hunden aus dem Hause herumgezaust und gemißhandelt, ohne nur den geringsten Widerstand zu leisten, und sogar die Kläffer der Lady Lillycraft bellten sie ungestraft an.

Die Untersuchung ward von dem Squire mit großer Milde und Nachsicht geleitet, theils aus angebornem Wohlwollen, theils, wie ich glaube, weil sein Herz mit dem Verbrecher Mitleiden fühlte, der, wie ich schon bemerkt, große Gnade vor seinen Augen gefunden, wegen der Gewandtheit, die er bei mehreren Anlässen in der Kunst des Bogenschießens, bei dem Mohrentanze und in andern veralteten Geschicklichkeiten entfaltet hatte. Die Beweise waren jedoch zu stark. Hans Baargeld erzählte seine Geschichte in einer schlichten, freimüthigen Art, ungestört durch alles, was ihn umgab. Er hatte oft seinen Schafspferch und seinen Hühnerhof berauben lassen, hatte endlich sich auf die Lauer gestellt und den Verbrecher auf der That ertappt, wie er mit einem Schafe auf den Schultern sich davon machen wollte.

Tibbets wurde während seiner Aussage von der Mutter des Verbrechers, einer wüthenden alten Hexe mit einer gewaltigen Zunge, und die mehrere Male nur mit Mühe abgehalten werden konnte, Zähne und Nägel an ihm zu versuchen, häufig unterbrochen. Auch die Frau des Gefangenen, die er, wie ich höre, alle Woche nicht öfter als ein halbes Dutzend Mal schlägt, gewann durch ihre Thränen und Bitten Lady Lillycraft vollkommen für sich; und mehrere von den anderen Zigeunerfrauen erregten starkes Mitleid unter den jungen Mädchen und den weiblichen Dienstboten im Hintergrunde. Das hübsche schwarzäugige Zigeunermädchen, dessen ich, bei einer früheren Gelegenheit, als der Sibylle erwähnt habe, welche dem General die Zukunft verkündete, suchte den tapfern Krieger auf ihre Seite zu bringen, und wagte sogar einige Annäherungen an ihren alten Bekannten, Meister Simon; wurde aber von diesem mit seiner ganzen amtlichen Würde zurückgewiesen, da er die Miene der Wichtigkeit und des Ernstes angenommen hatte, welche zu dieser Gelegenheit paßten.

Ich war Anfangs ein wenig erstaunt, als ich den ehrlichen Slingsby, den Schulmeister, seinem alten Spießgesellen Tibbets fast entgegen, und als eine Art Anwalt für den Beklagten auftreten sah. Es schien, daß er an der unglücklichen Lage des Sternlicht-Thomas Antheil genommen, und auf dem ganzen Wege nach dem Dorfe hin seine Beredsamkeit zu dessen Gunsten, wiewohl ohne Wirkung, versucht hatte. Während Hans Baargeld's Verhör stand Slingsby wie das »niedergeschlagene Erbarmen an seiner Seite,« dann und wann durch ein vermittelndes Wort seinen Zorn zu besänftigen, oder irgend einen harten Ausdruck zu mildern suchend. Er wagte jetzt einige wenige Bemerkungen an den Squire zu richten, um das Verbrechen des Schuldigen zu beschönigen; aber der arme Slingsby sprach mehr aus dem Herzen als aus dem Kopfe, und war augenscheinlich nur von einem allgemeinen Mitleiden mit jedem armen Teufel im Gedränge und von einer freisinnigen Nachsicht gegen alle Arten landstreicherischen Daseins erfüllt.

Auch die Frauen, groß und klein, mit der Herzensweichheit ihres Geschlechtes, waren ganz auf der Seite der Gnade, und verwandten sich sehr bei dem Squire, so daß der Gefangene, da er sich unerwartet von lauter Freunden umgeben fand, abermals Muth faßte, und auf einige Zeit das Ansehen der gekränkten Unschuld annehmen zu wollen schien. Allein der Squire war bei aller seiner Herzensgüte und seiner geheimen Sympathie für den Gefangenen, zu gewissenhaft, als daß er von dem geraden Pfade der Gerechtigkeit hätte abweichen sollen. Es kamen eine Menge Beweise zusammen, welche die Schuld unwidersprechlich darthaten, und ein Verhaftsbefehl wider den Sternlicht-Thomas ward folglich ausgefertigt.

Der Antheil der Frauen ward jetzt lebendiger als je; sie wagten sogar einige Versuche Hans Baargeld's Zorn zu besänftigen; allein dieser störrische Machthaber war durch die wiederholten Einfälle der Diebsbande des Sternlicht-Thomas in sein Gebiet auf das höchste entrüstet, und entschlossen, wie er sagte, »das Schelmenungeziefer« aus der Gegend zu vertreiben. Um allen weiteren Behelligungen auszuweichen, gürtete er, als der Verhaftsbefehl ausgefertigt war, seine Lenden, und schritt nach seiner Residenz zurück, begleitet von seinem vermittelnden Freunde, Slingsby, und verfolgt von einem Trupp der Zigeunerbande, der sich an ihn hängte, ihn theils mit Bitten, theils mit Verwünschungen belagernd.

Die Frage war nun, was man mit dem Gefangenen anfangen sollte; eine Sache von großer Bedeutung in diesem friedlichen Orte, wo ein so furchtbarer Mensch, wie der Sternlicht-Thomas, wie ein Falke war, der in einem Taubenschlage gefangen worden. Da der Lärm und die Untersuchung eine bedeutende Zeit weggenommen hatten, so war es zu spät geworden, ihn nach dem Gefängnisse der Grafschaft zu schicken, und das des Dorfes war, da es seit langer Zeit nicht in Gebrauch gewesen, ganz außer Stande. Der alte Christy, der an dem Vorgange großen Antheil nahm, schlug vor, daß der Verbrecher die Nacht über auf einen oberen Boden einer Art Thurm, welcher zu den Wirthschaftsgebäuden gehörte, gebracht werden solle, wo er und der Wildhüter Wache halten wollten. Nach langer Berathung ward diese Maaßregel angenommen; das in Rede stehende Verließ ward untersucht und sicher gemacht, und Christy und sein treuer Verbündeter, der Eine mit einer Vogelflinte, der andere mit einer alten Donnerbüchse bewaffnet, zogen in das Gefängniß auf Wache. Dieß ist die wichtige Begebenheit, welche sich so eben ereignet hat, und sie ist in der That in dieser stillen kleinen Welt zu bedeutsam, als daß diese nicht dadurch hätte um und um gekehrt werden sollen. Die Arbeit steht still. Das Haus war den ganzen Abend ein Schauplatz beständiger Unruhe. Zigeunerfrauen, mit ihren Kindern auf dem Rücken, haben es unter Jammern und Wehklagen belagert; während das alte Mannweib, die Mutter, auf dem Rasenplatze vor dem Hause auf und ab rennt, mit dem Kopfe schüttelnd und bei sich murmelnd, und dann und wann in einen Ausbruch von Wuth gerathend, die Faust gegen die Halle erhebend und alles mögliche Unglück auf Hans Baargeld und sogar auf den Squire selbst herabwünschend.

Lady Lillycraft hat der weinenden Frau des Verbrechers an der Thür der Halle wiederholte Audienzen gegeben, und die Dienstmädchen haben sich hinausgeschlichen, um mit den Zigeunerfrauen unter den Bäumen Rath zu halten. Was die kleinen Damen aus der Familie betrifft, so sind sie alle erbittert auf Hans Baargeld, den sie wie einen tyrannischen Riesen in den Feenmährchen betrachten. Phöbe Wilkins ist, gegen ihre sonstige Art, die Einzige, welche kein Erbarmen kennt. Sie meint, daß Herr Tibbets vollkommen Recht habe und daß die Zigeuner eine strenge Bestrafung verdienen, weil sie sich an den Schafen der Tibbets vergriffen hätten.

Die Frauen der Familie haben unterdessen alle die sorgliche Güte des Geschlechts bewährt, das immer bereit ist, den Bedrängten beizuspringen und zu helfen, sie mögen nun Recht oder Unrecht haben. Lady Lillycraft hat eine Matratze nach dem Wirthschaftsgebäude bringen lassen, und man hat dem Gefangenen alle mögliche Bequemlichkeiten und Leckerbissen zugetragen; selbst die kleinen Mädchen haben ihren Kuchen und ihr Zuckerwerk hingeschickt, so daß ich wette, der Landstreicher ist nie besser daran gewesen. Der alte Christy hat indeß auf alles ein scharfes Augenmerk; schreitet mit seiner Donnerbüchse, wie ein alter Kriegsknecht, auf und ab, und steht kaum Jemanden Rede. Die Zigeunerfrauen wagen es nicht, auf Schußweite heranzukommen, und jeder Lump von Jungen ist aus dem Park gejagt worden. Der alte Bursche ist entschlossen, den Sternlicht-Thomas mit eigenen Händen in das Gefängniß abzuliefern, und hofft, wie er sagt, Einen von der Wilddiebs-Bande zu sehen, an dem einmal ein Exempel statuirt werde.

Bei allem dem weiß ich doch nicht, ob nicht der würdige Squire bei der Sache am meisten leidet. Sein edler Sinn für Recht und Pflicht bestimmt ihn, strenge zu sein, aber das Uebermaß des Wohlwollens seines Charakters macht, daß ihn dieß einen gewaltigen Kampf kostet.

Er ist in seinem wahrhaft patriarchalischen Gebiete nicht gewohnt, solche Ansprüche auf seine Gerechtigkeit gemacht zu sehen, und es thut seinem wohlwollenden Gemüthe weh, daß er, während Gedeihen und Glück sich über ihm so segenreich sammelt, Elend über ein Mitgeschöpf verhängen soll.

Er ist den ganzen Abend über unruhig und niedergeschlagen gewesen; nahm von der Familie, als er zu Bett ging, statt seines sonstigen herzlichen, liebevollen Tones, mit einem Seufzer Abschied, und wird wahrscheinlich eine weit schlaflosere Nacht haben, als sein Gefangener. Diese widerwärtige Begebenheit hat wahrlich das ganze Haus in eine trübe Stimmung versetzt, da es die allgemeine Meinung zu sein scheint, daß der unglückliche Verbrecher an den Galgen kommen werde.

Am Morgen. – Die Wolken des vergangenen Abends haben sich alle verzogen. Dem Squire ist eine Last vom Herzen genommen, und jedes Antlitz lächelt nun wieder. Der Wildhüter erschien schon früh, ganz beschämt und niedergeschlagen. Der Sternlicht-Thomas war in der Nacht entwischt; wie er von dem Boden gekommen ist, weiß Niemand: der Teufel, meinen sie, muß ihm geholfen haben. Der alte Christy war so ärgerlich, daß er sich gar nicht sehen lassen wollte, sondern sich in seine starke Festung, den Hundestall, eingeschlossen hatte und sich von Niemanden sprechen ließ. Was den Squire vorzüglich beruhigt hat, ist, daß nur geringe Wahrscheinlichkeit vorhanden ist, den Verbrecher wieder eingebracht zu sehen, da er sich auf einem der besten Jagdpferde des alten Herrn davon gemacht hat.


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