Washington Irving
Bracebridge Hall oder die Charaktere
Washington Irving

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Als der Tanz geendet war, näherte sich ein Pärchen aus der Gesellschaft Antonio und Inez; das Mädchen begann eine sanfte, zärtliche, maurische Ballade, welche der Mann mit der Guitarre begleitete. Sie spielte auf die Geschichte des Gartens, die Leiden der schönen Königin von Granada und das Unglück der Abencerragen an. Es war eine der alten Balladen, welche man in diesem Theile von Spanien häufig hört, und welche wie Echo's um die Trümmer maurischer Größe schweben. Inez' Herz war in diesem Augenblicke jeder zärtlichen Regung offen; die Thränen drangen in ihre Augen, während sie der Erzählung zuhörte. Die Sängerin trat ihr näher: sie hatte eine ausgezeichnete Gestalt; war jung, lieblich und in ihren schönen schwarzen Augen lag ein Gemisch von Wildheit und Schwermuth. Sie heftete diese trauernd und ausdrucksvoll auf Inez, ging dann plötzlich in eine andere Weise über, und sang nun eine zweite Ballade, welche von naher Gefahr und Verrath handelte. Alles dieß würde leicht für eine zufällige Laune der Sängerin haben gelten können, hätte nicht in ihrem Blick, ihrer Weise und Geberde etwas gelegen, welches Allem Bedeutung gab und Aufmerksamkeit erregte.

Inez war im Begriff, sich nach dem Sinne dieser offenbar persönlichen Beziehung des Gesanges zu erkundigen, als sie von Antonio unterbrochen wurden, der sie sanft von dem Orte wegzog. Während sie in Bewunderung der Musik verloren war, hatte er im Schatten der Bäume einen Haufen von Männern bemerkt, die mit einander flüsterten. Sie waren in die bei den Spaniern so häufigen weiten Mäntel gehüllt, trugen große Hüte und schienen, während sie ihn und Inez sehr scharf beobachteten, sich der Aufmerksamkeit geflissentlich entziehen zu wollen. Da Antonio sie und ihre Absicht nicht kannte, eilte er einen Ort zu verlassen, wo die dichter werdenden Abendschatten ihn selbst und Inez Zudringlichkeit und Beleidigungen aussetzen konnten. Als sie am Abhange des Hügels durch das Ulmengehölz mit Pappeln und Oleandern vermischt, welches sich an der von der Alhambra hinuntergehenden Straße hinzieht, entlang gingen, bemerkte Antonio abermals diese Leute, welche dem Anschein nach ihnen in der Entfernung folgten; später erblickte er sie noch einmal zwischen den Bäumen am Darro. Er sagte darüber weder Inez noch ihrem Vater irgend etwas, denn er wollte nicht unnöthige Unruhe erregen, war aber ungewiß, wie er die Pläne, welche gegen die hülflosen Bewohner des Thurmes geschmiedet zu werden schienen, enthüllen oder abwenden solle.

Er nahm spät am Abend Abschied von ihnen, voll quälender Besorgniß. Als er das schauerliche alte Gebäude verließ, sah er Jemanden im Schatten der Mauer stehen, der offenbar seine Bewegungen beobachtete. Er eilte der Gestalt nach, sie glitt indessen dahin und verschwand zwischen einigen Trümmern. Kurz darauf hörte er ein leises Pfeifen, das in einiger Entfernung beantwortet wurde. Er hatte nun keinen Zweifel mehr, daß irgend etwas Unheilbringendes im Werke sei, und eilte daher zum Thurme zurück, die Bewohner desselben zu benachrichtigen, auf ihrer Hut zu sein. Kaum hatte er sich aber umgewandt, als er sich hinterrücks mit herkulischer Stärke niedergerissen fühlte. Vergebens sträubte er sich; er war von Bewaffneten umringt. Einer von diesen warf ihm einen Mantel über, der seine Stimme erstickte, umhüllte ihn damit, und nun ward er mit unwiderstehlicher Schnelligkeit fortgerissen.

Der nächste Tag verging, ohne daß Antonio bei dem Alchymisten erschien. Ein zweiter und ein dritter folgte, und er kam noch nicht, auch hatte man in seiner Wohnung nichts von ihm vernommen. Seine Abwesenheit gab Anfangs zu Erstaunen und Vermuthungen Anlaß, und erregte endlich Besorgniß. Inez erinnerte sich der sonderbaren Winke der Balladensängerin auf dem Berge, welche sie vor bevorstehender Gefahr zu warnen schien, und ihre Seele erfüllten unbestimmte Ahnungen. Sie lauschte auf jeden Ton am Thore, auf jeden Fußtritt auf der Treppe; sie nahm ihre Guitarre und schlug ein paar Töne an, allein es wollte nicht helfen; ihr Herz unterlag der Spannung und der Angst. Sie hatte nie zuvor gefühlt, was es heißt, wirklich verlassen zu sein. Sie ward sich jetzt erst der ganzen Stärke der Neigung bewußt, die ihr Herz erfüllte; denn wir wissen nicht eher, wie sehr wir lieben, und wie nothwendig der Gegenstand unserer Liebe zu unserem Glücke ist, als bis wir die traurige Leere der Trennung empfinden.

Auch der Philosoph fühlte die Abwesenheit seines Schülers fast eben so lebhaft, als seine Tochter. Das belebende Jugendfeuer des Jünglings hatte ihm neue Wärme eingeflößt und seinen Arbeiten den Reiz inniger Genossenschaft gegeben. Indessen besaß er Hülfsquellen und Trostgründe, deren seine Tochter beraubt war. Seine Beschäftigungen waren von der Art, daß sie jeden andern Gedanken verdrängten und den Geist in einem Zustande beständiger Erregung erhielten. Auch hatten sich, in der letzten Zeit, Anzeichen der günstigsten Art offenbart. Vierzig Tage und vierzig Nächte war der Prozeß glücklich fortgeschritten; des alten Mannes Hoffnung wuchs beständig, und er sah jetzt abermals dem entscheidenden Augenblicke entgegen, wo er nicht allein die Major lunaria, sondern auch die Tinctura solaris, das Mittel Gold zu vermehren und das menschliche Leben zu verlängern, finden würde. Er blieb deßhalb beständig in seinem Laboratorium eingeschlossen und bewachte seinen Ofen; denn ein einziger unvorsichtiger Augenblick konnte abermals alle seine Hoffnungen vereiteln.

Er saß eines Abends bei einer seiner einsamen Beobachtungen in Nachdenken versunken; es war spät, und seine Nachbarin, die Eule, schrie von der Zinne des Thurmes, als sich die Thür hinter ihm öffnete. Da er glaubte, daß es seine Tochter sei, die zu ihm komme, sich vor dem Schlafengehen bei ihm zu beurlauben, wie es ihre Sitte war, rief er sie bei Namen, aber eine rauhe Stimme antwortete ihm. Er ward bei dem Arme ergriffen, und erblickte, als er sich umsah, drei fremde Männer im Gemache. Er versuchte, sich von ihnen loszumachen, aber vergebens. Er rief nach Hülfe, aber sie spotteten seines Geschreies.

»Ruhig, Träumer!« sagte der Eine; »glaubst Du, daß die Diener der heiligen Inquisition sich von Deinem Hülferuf werden abschrecken lassen? Fort mit ihm, Kameraden!«

Ohne auf seine Einwendungen und Bitten zu achten, bemächtigten sie sich seiner Bücher und Papiere, nahmen schnell etwas Schriftliches über das Zimmer und die Geräthschaften auf, und führten ihn dann als Gefangenen hinweg.

Inez, sich selbst überlassen, hatte einen traurigen, einsamen Abend zugebracht; an einem Fenster sitzend, welches in den Garten ging, hatte sie gedankenvoll einen Stern nach dem andern am tiefen Blau des Himmels aufblinken sehen und einer Menge angstvoller Gedanken nach ihrem Geliebten Raum gegeben, bis ihre Thränen zu fließen begannen. Plötzlich ward sie durch den Laut von Stimmen aufgeschreckt, welche aus einem entfernten Theile des Gebäudes zu kommen schienen. Nicht lange darauf hörte sie das Lärmen mehrerer Leute, welche die Treppe hinabstiegen. Verwundert über diese ungewöhnlichen Töne in ihrer einsamen Wohnung, blieb sie einige Augenblicke in dem Zustande besorgter, aber ungewisser Spannung, als die Dienerin mit Schrecken in allen Zügen in das Zimmer stürzte und ihr meldete, ihr Vater werde so eben von Bewaffneten hinweggeführt.

Inez hörte sie nicht weiter an, sondern flog die Treppe hinab, die Fortgehenden einzuholen. Kaum war sie über die Schwelle des Hauses getreten, als sie sich von Fremden festgehalten sah. »Hinweg! hinweg!« rief sie wild, »haltet mich nicht auf, laßt mich meinem Vater folgen.«

»Wir kommen, Euch zu ihm zu führen, Señora,« sagte einer von den Männern ehrfurchtsvoll.

»Und wo ist er?«

»Er ist nach Granada gegangen,« erwiederte der Mensch, »ein unerwarteter Vorfall macht seine Gegenwart daselbst nothwendig, allein er ist unter Freunden.«

»Wir haben keine Freunde in Granada,« sagte Inez, indem sie zurücktrat; in diesem Augenblick fiel ihr aber Antonio ein, und daß etwas, mit dessen Schicksal in Beziehung stehendes, ihn dahin gerufen haben möge. »Ist Señor Antonio de Castros bei ihm?« fragte sie hastig.

»Ich weiß es nicht, Señora,« erwiederte der Mann. »Es ist sehr möglich. Ich weiß nur, daß Euer Vater sich unter Freunden befindet und wünscht, daß Ihr ihm folgt.«

»So laßt uns gehen,« sagte sie schnell. Die Männer führten sie zu einem nicht entfernten Orte, wo ein Maulthier bereit stand, halfen ihr in den Sattel und geleiteten sie langsam nach der Stadt.

Granada war an diesem Abend der Schauplatz eines phantastischen Festes. Es war eines der Feste der Maestranza, einer Verbindung des Adels zur Aufrechthaltung der edeln Gebräuche des alten Ritterthums. Auf einem der Plätze war ein Turnier gehalten worden; die Straßen erschallten noch von Zeit zu Zeit von dem Lärm einer einzelnen Trommel oder dem Geschmetter einer Trompete, welche ein herumziehender Haufe lustigen Volks ertönen ließ. Zuweilen begegneten sie Cavalieren, die mit reicher alterthümlichen Kleidung angethan, von ihren Waffenträgern begleitet wurden; ein Mal kam sie auch bei einem glänzend beleuchteten Palaste vorüber, aus welchem Geräusch von Musik und Tanz erschallte. Kurz darauf erreichten sie den Platz, wo das seltsame Turnier gehalten worden war. Er war dicht mit den untern Klassen des Volks bedeckt, welche sich um die Buden drängten, wo Erfrischungen verkauft wurden, und der Schein der Fackeln beleuchtete die für dieses Fest errichteten Galerien, die buntfarbigen Gezelte, die Trophäen und das übrige Zubehör der Festlichkeit. Inez' Führer waren bemüht, sich der Beachtung zu entziehen und einen dunkeln Theil des Platzes zu durchschneiden, wurden aber an einer Stelle durch das Gedräng der Menge aufgehalten, die einen Haufen herumziehender Musiker umgab, die eine jener Balladen sangen, welche die Spanier so leidenschaftlich lieben. Die Fackeln, welche Einige aus der Menge trugen, warfen einen hellen Schein auf Inez, und der Anblick eines so holden Wesens, ohne Mantilla oder Schleier, so verstört aussehend, und von Männern geführt, welche die sie umgebende Fröhlichkeit keinesweges zu theilen schienen, erweckte die Neugierde. Eine von den Balladensängerinnen näherte sich, schlug ihre Guitarre mit besonderm Ernste an, und begann ein klagendes Lied voll düsterer Ahnungen zu singen. Inez bebte vor Ueberraschung. Es war dieselbe Balladensängerin, welche sich in dem Garten des Generalife an sie gewendet hatte. Es war auch dasselbe Lied, das sie damals gesungen. Es sprach von drohenden Gefahren; und diese schienen allerdings sich um sie zu sammeln. Sie wünschte eifrig, mit dem Mädchen zu reden, und zu erfahren, ob sie eine bestimmtere Kenntniß von einem Uebel habe, das ihr drohe; als sie sich ihr aber nähern wollte, ergriff einer ihrer Begleiter hastig das Maulthier, welches sie ritt, beim Zügel, und führte es durch das Gewühl, während ein anderer drohende Worte an die Balladensängerin richtete. Letztere erhob warnend ihre Hand, als Inez sie aus dem Gesicht verlor.

Während sie noch in Erstaunen über diese sonderbare Begebenheit verloren war, hielt man am Thore eines großen Gebäudes still. Einer ihrer Begleiter pochte an, die Thür öffnete sich, und man betrat nun einen gepflasterten Hof. »Wo sind wir?« fragte Inez ängstlich. »In dem Hause eines Freundes, Señora,« antwortete der Mensch. »Steigt diese Treppe mit mir hinan, und Ihr werdet in einem Augenblick Euern Vater finden.«

Man stieg eine Treppe hinauf, welche zu einer Reihe glänzender Zimmer führte. Sie gingen durch mehrere derselben, bis sie zu einem innern Gemache kamen. Die Thür öffnete sich, Jemand trat näher: wie groß war aber der Schrecken des Mädchens, als sie nicht ihren Vater, sondern Don Ambrosio vor sich erblickte!

Die Leute, welche sich des Alchymisten bemächtigt hatten, waren wenigstens der Wahrheit treuer geblieben. Sie waren allerdings Diener der Inquisition. Er wurde in tiefem Schweigen in das finstere Gefängniß dieses furchtbaren Gerichts geführt. Dieß war ein Ort, dessen Anblick schon die Freude erstarren ließ und jeder Hoffnung beinahe den Zugang wehrte. Es war eines jener scheußlichen Gemächer, welche die schlechten Leidenschaften der Menschen in diese schöne Welt herauf beschwören, um den fabelhaften Höhlen der Dämonen und der Verdammten hienieden Etwas an die Seite stellen zu können.

Ein Tag nach dem andern ging trüb dahin, ohne daß das Fortschreiten der Zeit anders bemerklich geworden wäre, als durch das Verschwinden und die Wiedererscheinung des Lichts, welches schwach durch das enge Fenster des Kerkers dämmerte, worin der unglückliche Alchymist eher begraben, denn eingeschlossen war. Sein Gemüth quälte Ungewißheit und Besorgniß über das Schicksal seiner verlassenen hülflosen Tochter. Er suchte von dem, der ihm seine tägliche Nahrung brachte, Nachricht über sie einzuziehen. Der Mensch starrte ihn an, als wundere er sich, daß man in der Wohnung des Schweigens und des Geheimnisses eine Frage thun könne, entfernte sich aber, ohne ein Wort zu sagen. Jeder folgende Versuch war gleich fruchtlos.

Den armen Alchymisten drückten manchfache Sorgen; und es war nicht sein geringster Kummer, daß er in seinen Arbeiten wieder unterbrochen worden war, als er dem Gelingen derselben so ganz nahe zu sein glaubte. Nie war ein Alchymist dem goldenen Geheimnisse näher gewesen, – noch eine kurze Zeit, und alle seine Hoffnungen hätten sich erfüllt. Der Gedanke an diese Vereitelung seiner Aussichten quälte ihn mehr, als die Furcht vor allem dem, was die erbarmungslose Inquisition ihn leiden lassen möchte. Die Gedanken, denen er wachend nachhing, verfolgten ihn auch in seinen Träumen. Er sah sich dann in sein Laboratorium versetzt, wieder mit Retorten und Destillirkolben beschäftigt, und von Lully, d'Abano, Olybius und den anderen Meistern der erhabenen Kunst umgeben. Der Augenblick der Projection war da: eine seraphische Gestalt stieg aus dem Ofen empor, und zeigte ihm ein Gefäß, welches das kostbare Elixir enthielt; ehe er aber die Beute ergreifen konnte, erwachte er und fand sich in einem Gefängniß.

Alle Kunstgriffe des inquisitorischen Scharfsinns wurden angewandt, den alten Mann zu verstricken, und von ihm ein Geständniß zu erhalten, das man gegen ihn brauchen könnte und das die heimliche Auskunft bestätigte, die man über ihn sich zu verschaffen gewußt hatte. Er war beschuldigt worden, schwarze Kunst und Sterndeuterei getrieben zu haben, und man hatte insgeheim eine Menge scheinbarer Beweise zusammengebracht, um dieser Beschuldigung Gehalt zu geben. Es würde überflüssig sein, alle anscheinend bekräftigenden Umstände anzuführen, welche der geheime Ankläger mit großem Geschicke hingestellt hatte. Das Stillschweigen, welches um den Thurm herrschte, seine Verfallenheit, ja selbst die Ruhe seiner Bewohner, wurden als Beweise angeführt, daß etwas Unheimliches darin vorgehe. Des Alchymisten Unterredungen und Selbstgespräche im Garten waren belauscht und in einem falschen Lichte dargestellt worden. Das Licht und die sonderbaren nächtlichen Erscheinungen im Thurme wurden mit gewaltigen Uebertreibungen berichtet. Geschrei sollte von dort aus sich um Mitternacht haben hören lassen, wo, wie man bestimmt versicherte, der alte Mann durch seine Zaubereien Geister hervorrufe, und selbst die Todten zwinge, sich aus ihren Gräbern zu erheben und auf seine Fragen zu antworten.

Der Alchymist blieb, nach dem Gebrauche der Inquisition, in gänzlicher Unwissenheit über seinen Ankläger; über die gegen ihn aufgestellten Zeugen; ja selbst über die Verbrechen, deren man ihn beschuldigte. Er wurde im Allgemeinen befragt, ob er wisse, warum man ihn eingezogen habe, und ob er sich irgend einer Schuld bewußt sei, welche die Beachtung des heiligen Gerichts verdiene? Man befragte ihn genauer über sein Vaterland, sein Leben, seine Gewohnheiten, seine Beschäftigungen, seine Handlungen und Meinungen. Der alte Mann war offen und frei in seinen Antworten: er war sich keiner Schuld bewußt, keiner Künste fähig und in keiner Verstellung geübt. Nachdem er eine allgemeine Ermahnung erhalten, bei sich zu überlegen, ob er keine Handlung begangen, welche Strafe verdiene, und sich durch Eingeständniß der wohlbekannten Milde des Gerichts würdig zu machen, ward er in seine Zelle zurückgeschickt.

Er ward nun in seinem Kerker von verschmitzten Dienern der Inquisition besucht, welche unter dem Vorwande der Theilnahme und des Wohlwollens kamen, ihm in seinem Gefängniß durch freundliche Unterredung die langwierige Zeit zu verkürzen. Sie brachten wie zufällig das Gespräch auf Alchymie, die sie mit großer Vorsicht und anscheinender Gleichgültigkeit berührten. Es bedurfte dieser List nicht. Des ehrlichen Schwärmers Seele kannte keinen Argwohn: kaum hatten sie seinen Lieblingsgegenstand berührt, als er sein Unglück und seine Gefangenschaft vergaß und sich in eine feurige Lobrede auf diese göttliche Kunst ergoß.

Die Unterhaltung wurde künstlich auf die Erörterung über elementarische Wesen gelenkt. Der Alchymist bekannte alsbald, daß er an sie glaube und daß es Beispiele gebe, wo sie Weltweisen beigestanden und ihren Wünschen dienstbar gewesen. Er erzählte manche Wunder, welche von Apollonius Thyaneus durch den Beistand von Geistern oder Dämonen bewirkt worden, so daß ihn die Ungläubigen dem Messias gegenüber gestellt, ja manche Christen ihn mit Ehrfurcht betrachtet hatten. Die Diener fragten hastig, ob er Apollonius für einen echten und würdigen Philosophen halte. Die kunstlose Frömmigkeit des Alchymisten schützte ihn in seiner Einfalt; denn er verdammte Apollonius als Zauberer und Lügner. Keine Kunst konnte ihm ein Geständniß entlocken, daß er die Hülfe der Geister je bei seinen Arbeiten angewendet oder angerufen habe, obgleich er sich zu der Ansicht bekannte, er sei durch ihr unsichtbares Einwirken öfters gehindert worden.

Die Inquisitoren wurden nicht wenig verlegen darüber, daß sie nicht im Stande waren, ihn zu einem verfänglichen Geständnisse zu bringen; sie maßen das Mißlingen ihrer Pläne der List, dem Eigensinne, jeder andern Ursache, nur nicht der wahren bei, nämlich daß der harmlose Schwärmer kein Verbrechen zu bekennen hatte. Sie besaßen hinlängliche Beweise geheimer Art gegen ihn; allein es war der Gebrauch der Inquisition, daß man das Geständniß der Gefangenen zu erhalten suchte. Ein Auto da Fé war vor der Thüre, die ehrwürdigen Väter wünschten sehnlichst, den Angeklagten überführen zu können, denn sie hatten immer gern eine bedeutende Anzahl von Verbrechern zur Hand, welche zum Scheiterhaufen verdammt waren, um diese Triumphe mit gehörigem Gepränge begehen zu können. Er ward zuletzt zu einem End-Verhöre vorgefordert.

Das Zimmer, worin dieß gehalten wurde, war groß und düster. An dem einen Ende stand ein großes Kruzifix, das Zeichen der Inquisition. Ein langer Tisch, an welchem die Inquisitoren und ihr Schreiber saßen, nahm die Mitte des Zimmers ein; an dem andern Ende stand ein Sessel für den Gefangenen.

Er ward, wie gewöhnlich, mit entblößtem Haupte und barfuß eingeführt. Einkerkerung und Gram, unablässiges Brüten über das Schicksal seiner Tochter und die unglückliche Unterbrechung seiner Versuche hatten ihn geschwächt. Er setzte sich zusammengebückt und theilnahmlos nieder; sein Haupt sank auf seine Brust; sein ganzes Aeußere war das eines Mannes, der »hoffnungslos und verlassen, sich selbst aufgegeben hat.«

Die Anklage wurde nun in gehöriger Form vorgebracht; er ward bei seinem Namen, Felix de Vasquez, ehemals wohnhaft in Castilien, aufgerufen, um sich auf die Beschuldigungen der schwarzen Kunst und Geisterbannerei zu rechtfertigen. Mau eröffnete ihm, daß die Anklagen hinlänglich begründet wären, und fragte ihn, ob er bereit sei, durch ein volles Bekenntniß die wohlbekannte Gnade der heiligen Inquisition in Anspruch zu nehmen.

Der Philosoph war über die Beschaffenheit der Anklage ein wenig erstaunt, erwiederte aber einfach: »ich bin unschuldig.«

»Welchen Beweis könnt Ihr für Eure Unschuld beibringen?«

»Es kommt Euch eher zu, Eure Beschuldungen zu erweisen,« antwortete der Alte. »Ich bin in diesem Lande fremd, habe mich nur eine Zeitlang hier aufgehalten, und kenne Niemand außerhalb der Schwelle meiner Wohnung. Ich kann zu meiner Rechtfertigung nichts weiter beibringen, als das Wort eines Edelmannes und eines Castilianers.«

Der Inquisitor schüttelte den Kopf und begann von neuem die Fragen über seine Lebensart und seine Beschäftigungen zu wiederholen. Der arme Alchymist war zu schwach und seine Seele zu gebeugt, als daß er mehr denn kurze Antworten hätte geben können. Er bat, daß irgend ein wissenschaftlicher Mann sein Laboratorium und alle seine Bücher und Papiere untersuchen möge, woraus hinlänglich klar werden würde, daß er nur mit dem Studium der Alchymie beschäftigt gewesen sei.

Auf diese Vertheidigung bemerkte der Inquisitor, daß Alchymie ein bloßer Deckmantel für heimliche und todeswürdige Sünden geworden sei. Daß die ihr Ergebenen sich kein Bedenken über die Mittel machten, ihren ungeordneten Durst nach Gold zu befriedigen. Einige hätten unter Zaubersprüchen und gottlosen Gebräuchen die Hülfe böser Geister angerufen, ja sogar ihre Seelen dem Erbfeinde des Menschengeschlechts verkauft, damit sie während ihrer Lebenszeit in unermeßlichem Reichthume schwelgen könnten.

Der arme Alchymist hatte Alles geduldig, oder wenigstens ruhig mit angehört. Er hatte es verschmäht, seinen Namen anders, als durch sein Wort zu vertheidigen; er hatte über die Anschuldigung der Zauberei gelächelt, so lange sie sich auf ihn selbst beschränkte; als aber die erhabene Kunst, welche das Studium und die Leidenschaft seines ganzen Lebens gewesen war, angegriffen ward, konnte er nicht länger stumm zuhören. Sein Haupt erhob sich von seiner Brust; ein flüchtiges Roth überzog in einzelnen Streifen seine Wangen, erschien, verschwand, kehrte wieder, und ward am Ende zu einer brennenden Gluth. Der kalte Schweiß verschwand von seiner Stirn; seine Augen, die beinahe erloschen gewesen, flammten wieder auf, und brannten in ihrem gewöhnlichen, schwärmerischen Feuer. Er ging in eine Rechtfertigung seiner Kunst ein. Seine Stimme war anfangs schwach und gebrochen; allein sie gewann Stärke, als er weiter sprach, bis sie in einem tiefen, melodischen Umfang ertönte. Während seiner geistigen Erhebung richtete er sich allmählig von seinem Sitz auf; er warf den dünnen schwarzen Mantel zurück, in den er sich bis jetzt eingehüllt hatte; selbst das Fremdartige seines Ansehens und seiner Blicke gab dem, was er sprach, etwas noch Eindringlicheres: es war, als ob ein Todter plötzlich belebt worden sei.

Er wies mit Verachtung die Beschuldigungen zurück, welche von den Unwissenden und dem gemeinen Haufen der Alchymie gemacht wurden. Er behauptete, daß sie die Mutter aller Künste und Wissenschaften sei, und führte die Meinung des Paracelsus, Sandivogius, Raimund Lully und Anderer, zur Unterstützung seiner Behauptungen an. Er bestand darauf, daß sie rein und unschuldig und ehrenvoll in ihren Mitteln und Zwecken sei. Was war ihr Ziel und Streben? die Erhaltung des Lebens und der Jugend und die Hervorbringung des Goldes. »Das Elixir des Lebens« sagte er, »ist kein Zaubertrank, sondern nur ein Concentriren der Elemente der Lebenskraft, welche die Natur in ihren Werken zerstreut hat. Der Stein der Weisen, oder die Tinktur, oder das Pulver, wie es verschiedentlich genannt wird, ist kein nekromantischer Talisman, sondern besteht einfach aus jenen Theilen, welche das Gold zu seiner Wiederhervorbringung in sich selbst enthält; denn das Gold hat, wie andere Dinge, seinen Samen in sich selbst, obgleich es mit unbegreiflicher Festigkeit, durch die Kraft der eingebornen festen Salze und Schwefel, in sich verbunden ist. Wenn wir also das Elixir des Lebens zu entdecken suchen,« fuhr er fort, »so bemühen wir uns nur, einige von den Mitteln der Natur selbst gegen die Krankheit und Hinfälligkeit, denen unser Körper unterworfen ist, anzuwenden; und was thut der Arzt anders, wenn er seine Kunst aufbietet, und seine Zusammensetzungen und künstliche Abkochungen braucht, um unsere sinkenden Kräfte wieder aufzufrischen und den Streich des Todes auf einige Zeit von uns abzuwenden?«

»Wenn wir die edlen Metalle zu vervielfältigen streben, suchen wir gleichfalls nur durch natürliche Mittel eine besondere Gattung von Erzeugnissen der Natur hervorzubringen und zu vervielfältigen; und was thut der Landmann anders, wenn er, das Wetter und die Jahreszeit berathend, und gewissermaßen durch einen natürlichen Zauber, durch das bloße Ausstreuen seiner Hand, eine ganze Ebene mit goldenen Früchten bedeckt? Die Geheimnisse unserer Kunst sind, es ist wahr, tief und in Dunkelheit gehüllt; aber um so mehr bedarf es der Unschuld und Reinheit der Gedanken, um in sie einzudringen. Nein, Vater! der wahre Alchymist muß rein sein an Körper und Geist; er muß mäßig, geduldig, keusch, wachsam, sanftmüthig, demüthig. fromm sein. »Mein Sohn,« sagt Hermes Trismegistus, der große Meister unsrer Kunst, »mein Sohn, ich empfehle Dir vor allen Dingen Gott zu fürchten.« Und in der That wird der Alchymist nur durch fromme Kasteiung der Sinne und durch Reinigung der Seele geschickt, in die heiligen Gemächer der Wahrheit einzugehn. »Arbeite, bete und lies« ist der Wahlspruch unserer Wissenschaft. Wie de Nuysment sehr richtig bemerkt, so wird diese hohe und besondere Gnade nur den Söhnen Gottes, das heißt, den Tugendhaften und Frommen, gewährt, welche, unter seinem väterlichen Segen, die Eröffnung derselben von der helfenden Hand der Königin der Künste, der göttlichen Philosophie, erlangt haben. In der That hat man die Eigenschaft dieser Kenntniß für so heilig gehalten, daß wir lesen, sie sei viermal ausdrücklich dem Menschen von Gott mitgetheilt worden, indem sie einen Theil der kabbalistischen Weisheit bildete, welche Adam eröffnet wurde, um ihn für den Verlust des Paradieses zu entschädigen; dann dem Moses im Busche, Salomon im Traume, und dem Esra durch den Engel.«

»Weit entfernt, daß die Dämonen und bösartigen Geister die Freunde und Gehülfen des Alchymisten sein sollten, sind sie vielmehr die steten Feinde, mit denen er zu kämpfen hat. Es ist ihr beständiges Bemühn, die Zugänge zu jenen Wahrheiten zu verschließen, welche ihn in den Stand setzen würden, sich aus der Niedrigkeit, zu der er herabgesunken ist, zu erheben, und jene Vortrefflichkeit wieder zu erlangen, welche sein natürliches Erbrecht ist. Denn was würde der Zweck dieser Länge der Lebenstage und dieses überschwenglichen Reichthums sein, als der, ihre Besitzer in den Stand zu setzen, von Kunst zu Kunst, von Wissenschaft zu Wissenschaft fortzuschreiten, mit Kräften, welche durch keine Krankheit beschränkt, von keinem Tode unterbrochen werden? Dafür haben Weise und Philosophen sich in ihre Zellen und Einöden abgeschlossen; sich in Höhlen und Schluchten der Erde vergraben; den Freuden des Lebens und den Vergnügungen der Welt entsagt; Verachtung, Armuth und Verfolgung ertragen. Deßwegen ward Raimund Lully in Mauretanien zu Tode gesteinigt. Deßwegen erlitt der unsterbliche Pietro d'Abano Verfolgungen in Padua und ward, als ihn der Tod seinen Verfolgern entriß, schmachvoller Weise im Bilde verbrannt. Deßwegen haben ausgezeichnete Männer aller Völker unerschrocken das Märtyrthum erduldet. Deßwegen haben sie, wenn man sie unbelästigt gelassen, auch die letzte Stunde, den letzten Pulsschlag ihres Daseins noch unermüdlich zur Arbeit angewandt, bis zuletzt hoffend, daß sie den Preis, um welchen sie kämpften, erringen, und sich aus dem Rachen des Todes erretten würden!«

»Denn, wenn einmal der Alchymist das Ziel seiner Anstrengungen erreicht haben, wenn das erhabene Geheimniß vor seinen Blicken eröffnet sein wird, wie glänzend wird sich da sein Zustand verändern! Er wird herausbrechen aus seiner Zurückgezogenheit, wie die Sonne aus der finstern Kammer der Nacht, und mit seinen Strahlen die Erde erleuchten! Mit ewiger Jugend und grenzenlosem Reichthum begabt, welche Höhe der Weisheit kann er dann erreichen! Wie wird er ununterbrochen den Faden des Wissens verfolgen können, der bis jetzt durch den Tod eines jeden Philosophen abgerissen wird! Und da die Vermehrung der Weisheit auch die der Tugend ist, wie kann er zum Wohlthäter seiner Mitmenschen werden; mit freigebiger, doch vorsichtiger und sichtender Hand den unerschöpflichen Reichthum vertheilend, welcher ihm zu Gebote steht, die Armuth, welche der Grund so vielen Kummers und so vieler Verderbtheit ist, verbannend, Entdeckungen fördernd und alle die Mittel eines tugendhaften Genusses vervielfältigend! Sein Leben wird das Band von Geschlechtern werden. Die Geschichte wird sein Andenken unvergänglich machen; entfernte Jahrhunderte werden noch mit seiner Zunge reden. Die Völker der Erde werden ihn als ihren Lehrer betrachten, und Könige zu seinen Füßen sitzen und Weisheit lernen. O ruhmvolle, o himmlische Alchymie!«

Hier wurde er von dem Inquisitor, der ihn ruhig hatte fortreden lassen, um aus seiner arglosen Begeisterung vielleicht irgend etwas schöpfen zu können, unterbrochen. »Señor,« sagte er, »alles dieß ist nichts als eine herumschweifende, schwärmerische Rede. Ihr seid der Zauberei angeklagt, und gebt uns zu Eurer Vertheidigung eine Lobrede der Alchymie: könnt Ihr nichts Besseres zu Eurer Rechtfertigung vorbringen?«

Der alte Mann nahm langsam seinen Sitz wieder ein, würdigte aber die Frage keiner Antwort. Das Feuer, das in seinen Augen gebrannt hatte, erlosch allgemach. Seine Wange überzog wiederum die gewohnte Blässe; aber er fiel nicht in das Irrereden zurück. Er saß da mit festem, heiterm, geduldigem Blicke, wie Einer, der bereit ist, nicht zu kämpfen, sondern leidend zu dulden.

Seine Untersuchung zog sich, mit grausamer Verspottung der Gerechtigkeit, lange hinaus, denn bei diesem Gerichtshofe wurden die Zeugen nie dem Angeklagten gegenübergestellt, und dieser mußte sich immer im Dunkel vertheidigen. Ein unbekannter, mächtiger Feind hatte gegen den unglücklichen Alchymisten eine Anschuldigung vorgebracht; wer es sei, vermochte er nicht zu ergründen. Ein Fremdling, wie er, der nur einen einstweiligen Aufenthalt im Lande gesucht, abgeschieden und harmlos bei seinen Beschäftigungen, wie konnte dieser zu einer solchen Feindseligkeit Anlaß gegeben haben? Die Macht der geheimen Aussage gegen ihn war jedoch zu groß; er war des Verbrechens der Zauberei überführt und verurtheilt, bei dem bevorstehenden Auto da Fé auf dem Scheiterhaufen seine Sünden zu büßen.

Während dem unglücklichen Alchymisten in den Gefängnissen der Inquisition der Prozeß gemacht wurde, war seine Tochter nicht weniger harten Prüfungen ausgesetzt. Don Ambrosio, in dessen Hände sie gefallen, war, wie schon oben gesagt worden, einer der unternehmendsten, ruchlosesten Wüstlinge in Granada. Er war ein Mann von heißem Blute und gewaltiger Leidenschaft, der sich von keinem Hindernisse abhalten ließ, seine Wünsche zu befriedigen; er besaß dabei eine Leichtigkeit des Benehmens, Gewandtheit und Talente, welche ihm bei dem schönen Geschlechte ausgezeichnetes Glück verschafft hatten. Seine Eroberungen erstreckten sich von dem Palaste bis zu der Hütte; seine Serenaden störten die Hälfte der Ehemänner von Granada im Schlummer; kein Balkon war zu hoch, den er nicht zu erklimmen gewagt, keine Hütte für seine gefährlichen Netze zu niedrig. So leidenschaftlich er aber war, so unbeständig war er auch: das Glück hatte ihn eitel und launisch gemacht; er hatte kein Gefühl, das ihn an die Opfer seiner Künste knüpfte und manche bleiche Wange, manches erloschene Auge, welches zwischen dem Scheine der Juwelen matt aufblickte, manches brechende Herz, das unter dem ländlichen Mieder schlug, zeugte von seinen Triumphen und von seiner Treulosigkeit.

Er war jedoch durch leichte Eroberungen gesättigt, und eines Lebens überdrüssig, das eine fortdauernde und schnelle Gewährung darbot. Seine Angriffe auf Inez waren mit einem Grade von Schwierigkeiten und mühseligen Anstalten verknüpft gewesen, welche er vorher nicht gekannt hatte. Dieß erweckte ihn auf einmal aus der Eintönigkeit eines rein sinnlichen Lebens und ließ ihn den Reiz des Abenteuers empfinden. Er war ein Feinschmecker in der Wollust geworden, und jetzt, wo er diese spröde Schönheit in seiner Macht hatte, war er entschlossen, seinen Genuß durch die allmählige Besiegung ihrer Bedenklichkeiten und den langsam herbeigeführten Fall ihrer Tugend zu verlängern. Er war eitel auf seine Person und seine Gewandtheit, der, wie er glaubte, kein Weib lange widerstehen könne; und es war eine Art Probe seiner Gewandtheit, durch Kunst und Bezauberung zu gewinnen, was er zu jeder Zeit durch Gewalt erhalten konnte. Als mithin Inez durch seine Miethlinge vor ihn gebracht wurde, stellte er sich, als ob er ihre Schrecken und ihre Ueberraschung nicht bemerkte, sondern empfing sie mit förmlicher, gemessener Höflichkeit. Er war ein zu gewandter Vogelsteller, als daß er den Vogel hätte erschrecken sollen, wenn er sich so eben erst in dem Netze verstrickt hatte. Auf ihre angelegentlichen, verstörten Nachfragen nach ihrem Vater antwortete er nur durch die Bitte, sich nicht zu beunruhigen; er sei wohlbehalten, und würde schon erschienen sein, wenn er nicht mit einer wichtigen Angelegenheit beschäftigt wäre, von der er bald zurückkehren müsse; unterdessen habe er aber melden lassen, daß sie ruhig seine Rückkehr abwarten möge. Nach einigen abgemessenen Worten bloßer allgemeiner Höflichkeit machte Don Ambrosio eine ehrerbietige Verbeugung und entfernte sich.

Inez' Gemüth war voll von Angst und Ungewißheit. Die abgemessene Förmlichkeit Don Ambrosio's kam ihr so unerwartet, daß sie auf einmal die Anklagen und Vorwürfe unterdrückte, die ihren Lippen zu entströmen im Begriff waren. Hätte er böse Absichten gehabt, würde er sie mit dieser kalten Höflichkeit behandelt haben, da sie sich in seiner Gewalt befand? Aber warum hatte man sie in sein Haus gebracht? Stand nicht das geheimnißvolle Verschwinden Antonio's damit in Verbindung? Ein Gedanke durchzuckte plötzlich ihre Seele. Antonio war Don Ambrosio abermals in den Weg getreten – sie hatten sich geschlagen – Antonio war verwundet – lag vielleicht im Sterben! – Zu ihm hatte ihr Vater sich begeben. – Auf seine Bitte hatte Don Ambrosio nach ihnen gesendet, ihm seine letzten Augenblicke zu versüßen! Diese und tausend ähnliche schreckliche Vermuthungen beunruhigten ihr Gemüth; aber vergebens suchte sie von den Bedienten Aufklärung zu erhalten; sie wußten nichts, als daß ihr Vater da gewesen, weggegangen sei, und bald zurückkehren würde.

So ging eine Nacht in wildem Gedankensturme und unbestimmten, doch quälenden Besorgnissen hin. Sie wußte nicht, was sie thun, nicht, was sie glauben, nicht, ob sie fliehen oder bleiben sollte; versuchte sie zu entfliehen, wie sollte sie von hier entkommen? und wo sollte sie ihren Vater aufsuchen? Als der Tag anbrach, und immer keine Nachricht von ihm kam, nahm ihre Unruhe zu; endlich kam eine Botschaft von ihm, des Inhalts, daß Umstände ihn verhinderten, zu ihr zu kommen, daß er sie aber bitte, ohne Verzug zu ihm zu eilen.

Mit sehnendem, klopfenden Herzen begab sie sich mit den Männern, welche sie zu ihm führen sollten, auf den Weg. Sie gedachte jedoch kaum, daß sie dieses Gefängniß nur mit einem andern vertauschen sollte. Don Ambrosio fürchtete, daß man die Spur seiner That bis zu seinem Palaste in Granada verfolgen, oder daß er dort gestört werden möge, ehe er seinen Verführungsplan ausführen könnte. Er ließ Inez deßwegen jetzt nach einem Hause bringen, das er in einer der abgelegenen Berggegenden in der Nähe von Granada besaß; einem einsamen, aber schönen Landsitze. Vergebens sah sie sich bei ihrer Ankunft nach ihrem Vater oder nach Antonio um; nur fremde Gesichter begegneten ihren Blicken; ehrfurchtsvolle Diener, die aber nur das wußten und sahen, was ihrem Herrn beliebte.

Kaum war sie angekommen, als auch Don Ambrosio erschien, weniger abgemessen in seinem Benehmen, sie aber doch noch mit derselben Zartheit und Achtung behandelnd. Inez war zu sehr erregt und beunruhigt, als daß seine Höflichkeit sie hätte täuschen sollen, und wurde ungestüm in ihren Fragen nach ihrem Vater.

Don Ambrosio nahm jetzt die Miene der größten Verlegenheit und Bewegung an. Nach einigem Zögern und vieler scheinbaren Verwirrung, gestand er ihr endlich, daß die Hinwegführung ihres Vaters eine bloße Kriegslist gewesen sei; ein bloßer falscher Lärm, um ihm die gegenwärtige Gelegenheit zu verschaffen, sich ihr zu nähern, und die Härte und das Widerstreben zu mildern und zu bekämpfen, die, wie er erklärte, ihn beinahe zur Verzweiflung getrieben hätten.

Er versicherte sie, daß ihr Vater wieder zu Hause in Sicherheit sei, und seinen gewöhnlichen Beschäftigungen obliege, da er vollkommen überzeugt sei, daß sich seine Tochter in guten Händen befinde und bald wieder zu ihm zurückkehren werde. Vergebens warf sich Inez ihm zu Füßen, und flehte ihn an, ihr die Freiheit zu geben: er antwortete ihr nur durch sanfte Bitten, ihm die anscheinende Gewaltthätigkeit zu verzeihen, zu der er gezwungen sei, und nur noch kurze Zeit seiner Ehre zu vertrauen. »Ihr seid hier,« sagte er, »unumschränkte Gebieterin über Alles: nichts soll gesagt oder gethan werden, was Euch beleidigen kann; ich will Euch sogar nicht einmal mit der unglücklichen Leidenschaft lästig fallen, welche mein Herz verzehrt. Solltet Ihr es verlangen, so will ich mich sogar aus Eurer Nähe entfernen; aber Euch in dem Augenblicke gänzlich zu verlassen, wo Euer Gemüth voll von Zweifeln und Unwillen ist, würde mir härter als der Tod sein. Nein, schöne Inez, Ihr müßt mich erst besser kennen lernen, und durch mein Benehmen Euch überzeugen, daß meine Leidenschaft für Euch eben so zart und ehrerbietig als heftig ist.«

Die Versicherung von dem Wohlbefinden ihres Vaters hatte Inez von einem Gedanken quälender Besorgniß nur befreit, um die Furcht über ihr eigenes Schicksal desto mächtiger in ihr zu wecken. Don Ambrosio fuhr jedoch fort, sie mit einer geheuchelten Ehrerbietung zu behandeln, welche ihre Besorgnisse unmerklich zum Schweigen brachten. Sie fühlte zwar, daß sie eine Gefangene sei, allein ihre Hülflosigkeit schien sie keinen Angriffen Preis zu geben. Sie beruhigte sich mit dem Gedanken, daß eine kleine Zeit hinreichen würde, Don Ambrosio von der Trüglichkeit seiner Hoffnungen zu überzeugen, und daß er sich bewegen lassen würde, sie wieder zurückzuschicken. Ihr Schrecken und ihre Unruhe wichen daher nach wenigen Tagen einer stillen, aber tiefen Schwermuth, mit der sie dem sehnsüchtig erwarteten Ereigniß entgegensah.


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