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Meiner Infelice Antlitz, Stirn und Auge, Der Wange Grübchen: und so seltne Kunst Floß aus dem Pinsel des geschickten Malers! Die Lippe, frisch, lebendig, gleicht der ihren; Die falsche Farbe überlebt die wahre. Die Rosen all, die ihre Wangen schmückten, Die Anmuth all, die einst ihr Aug' umglänzte, Die Musik all, die ihre Stimm' gehaucht, – Das all, was über Frauenwerth erhaben, Ihr weißer Busen barg; das Alles, sieh, Umfaßt die bunte Tafel! |
Dekker. |
Ein altenglisches Familien-Wohnhaus ist ein fruchtbarer Gegenstand für Studien aller Art. Es ist voll von Erläuterungen früherer Zeiten und Spuren des mannigfaltigen Geschmacks, der Launen und Sitten aufeinander folgender Geschlechter. Die Veränderungen und Zusätze bei den verschiedenen Stylen der Baukunst; Möbel, Geschirr, Bilder, Tapeten; die kriegerischen und Jagdgeräthschaften der verschiedenen Zeitalter und Moden; alles gibt Stoff zu sonderbaren, unterhaltenden Forschungen. Da der Squire alle Familien-Reliquien sehr sorgfältig sammelt und aufbewahrt, so ist die Halle voll von Andenken dieser Art. Wenn ich im Hause umhersehe, kann ich mir dabei von dem Charakter und den Gewohnheiten, die zu verschiedenen Perioden der Familiengeschichte vorherrschend gewesen sind, ein lebendiges Bild machen. Ich habe bei einer früheren Gelegenheit der Rüstung des Kreuzfahrers gedacht, welche in dem großen Saale aufgehängt ist. So finden sich hier auch mehrere Reiterstiefeln mit ungeheuern dicken Sohlen und hohen Absätzen, welche Kavalieren gehörten, die zur Zeit der Covenanters die Halle mit dem Klange und Geräusch ihrer Waffen erfüllten. Eine Menge ungeheurer Trinkgefäße von alter Form; große venetianische Trink- und grüne Rheinweingläser, mit den Aposteln in halb erhabener Arbeit darauf, sind noch als Denkmale eines oder zweier Geschlechter vorhanden, die ein Leben voll tobender Völlerei führten und zuerst das Podagra in die Familie einführten.
Ich übergehe mehrere solcher Anzeichen der Neigungen von Seiten der Vorfahren des Squire; aber ich kann nicht unterlassen, des Hirschgeweihes in dem großen Saale zu gedenken, eines der Siegeszeichen eines wohlberittenen Squire aus frühern Zeiten, welcher der Nimrod dieser Gegend war. Manche Erzählungen von seinen wundervollen Thaten als Jäger sind jetzt noch gäng' und gebe, die der alte Christy, der Jäger, erzählt, der es überaus übel nimmt, wenn man sie im Geringsten bezweifelt. In der That, einige wenige Meilen von der Halle ist eine furchtbare Kluft, welche unter dem Namen des Squire-Sprunges bekannt ist, weil er in der Hitze der Jagd darüber hinweggesetzt haben soll; auch kann gar kein Zweifel an der Sache obwalten, denn der alte Christy zeigt die Spuren der Roßhufe auf den Felsen zu beiden Seiten der Kluft.
Meister Simon hält das Andenken dieses Squire in großen Ehren, und weiß eine Menge wunderbarer Geschichten von ihm zu erzählen, die er bei allen Jagdschmausereien wiederholt; und ich höre, daß sie mit der Zeit immer wunderbarer werden. Er besitzt auch ein Paar in Rippon gemachte Sporen, welche diesem mächtigen alten Jäger gehörten, und die er nur bei besonderen Gelegenheiten trägt.
Der Ort jedoch, welcher die meisten Andenken an vergangene Zeiten aufzuweisen hat, ist die Gemälde-Galerie; und es ist etwas besonders Angenehmes, wenn gleich Melancholisches, in dem Anschauen dieser langen Reihen von Portraits, welche den größten Theil der Sammlung ausmachen. Sie bilden eine Art von Lebensbeschreibung der ausgezeichneteren Familien-Glieder, die ich, mit Hülfe der ehrwürdigen Haushälterin, welche die Familien-Chronistin ist, und gelegentlich von Meister Simon unterstützt wird, zu lesen im Stande bin. Hier ist, zum Beispiel, das ganze Leben einer schönen Frau, in mehreren Bildern. Das eine stellt sie als ein kleines Mädchen, mit langer Taille und Reifrock dar; sie hat ein Kätzchen auf dem Arme und blickt den Zuschauer aus den Augenwinkeln an, als ob sie den Kopf nicht herumdrehen könnte. Auf einem andern finden wir sie in der Frische jugendlicher Schönheit, zu der Zeit, wo sie eine berühmte »belle« und so hartherzig war, daß mehrere unglückliche Anbeter darüber in Verzweiflung geriethen und schlechte Verse machten. Auf einem andern ist sie als eine stattliche Frau, in der Reife ihrer Reize, dargestellt, neben dem Bilde ihres Gatten, eines tapfern Obersten mit einer Wolkenperücke und goldbesetztem Hute, der im Auslande getödtet wurde, und endlich ist in der Kirche, deren Thurmspitze man aus dem Fenster sehen kann, ihr Grabdenkmal, auf welchem man ihr Bildniß in Marmor sehen kann, das sie als eine ehrwürdige Dame von sechsundsiebenzig Jahren darstellt.
So habe ich auch einige von den großen Männern aus der Familie durch eine Reihe von Bildnissen, von ihrer frühesten Kindheit bis zu dem amtlichen Gewande oder dem Kommandostab, und so stufenweise weiter verfolgt, bis sie in der allgemeinen Ruhestätte der benachbarten Kirche beigesetzt worden.
Hier ist eine Gruppe, die mich ganz besonders anzieht. Sie besteht aus vier Schwestern von beinahe gleichem Alter, welche vor ungefähr einem Jahrhundert blühten, und die, wenn ich nach ihren Bildern urtheilen darf, ungemein schön waren. Ich kann mir denken, welch' ein fröhlicher und romantischer Schauplatz dieses alte Haus gewesen sein muß, als sie in der Blüthe ihrer Reize waren; als sie, gleich anmuthigen Erscheinungen, durch seine Säle glitten, oder zu den Tönen der Musik, bei den Festen und Tänzen in der Cedergalerie, leicht dahin schwebten, oder ihre zarten Füße der sammtnen Grüne dieser Rasengänge ihre Spuren eindrückten! Wie müssen die treuen Familienbedienten sie mit einem Gemisch von Liebe und Stolz und Ehrfurcht betrachtet, und die geblendeten Augen der eifersüchtigen Bewunderer sie mit beinahe peinlicher Bewunderung verfolgt haben! Wie müssen Melodie und Gesang und zärtliche Serenaden in diesen Höfen gehaucht und ihr Nachhall den zögernden Schritt der Geliebten umflüstert haben! Wie müssen selbst diese Thürme die Herzen der jungen Wildfänge, wenn sie sie aus der Ferne aus den Bäumen sich erheben sahen, und wenn sie sich die Schönheiten wie Edelsteine in diesen Mauern verborgen dachten, entflammt haben! Wirklich, ich habe an dem Orte einige schwache Spuren dieses Reiches der Liebe und der Romantik, als die Halle noch eine Art Hof der Schönheit war, entdeckt. Mehrere von den alten Romanen in der Bibliothek enthalten Randglossen, Mitgefühl und Beifall aussprechend, wo lange Reden sich finden, in welchen die Reize der Frauen erhoben werden, oder welche Versicherungen ewiger Treue, oder Klagen über die Grausamkeit irgend einer tyrannischen Schönen enthalten. Die Zusammenkünfte und Erklärungen und Abschiedsscenen zärtlicher Liebenden, tragen ebenfalls Spuren vom häufigen Lesen, sind eingeschlagen, mit bewundernden Noten versehen, und haben auf den Rändern Anfangsbuchstaben; bei den meisten solcher Anmerkungen steht der Tag des Monats und das Jahr. Auch in mehrere Fenster sind mit Diamanten Bruchstücke von Poesie eingeschnitten, die aus den Schriften der schönen Mrs. Philipps, der einst berühmten Orinda entlehnt sind. Einige von diesen scheinen von Liebenden geschrieben zu sein; andere, mit zarter und unsicherer Handschrift und ein wenig unrichtig in der Orthographie, rühren offenbar von den jungen Damen selbst, oder von Freundinnen her, welche auf der Halle zum Besuche waren. Mrs. Philipps scheint ihre Lieblingsschriftstellerin gewesen zu sein, und sie haben die Namen ihrer Helden und Heldinnen unter ihre genaueren Bekannten vertheilt. Zuweilen klagt der Vers, von einer männlichen Hand, über die Grausamkeit der Schönen und die Leiden einer beständigen Liebe; während die weibliche Hand sich spröde darauf beschränkt, über die Trennung von ihren Freundinnen zu jammern. Das Erkerfenster meines Schlafzimmers, welches ohne Zweifel von einer dieser Schönheiten bewohnt worden ist, hat verschiedene solcher Inschriften. Ich habe in diesem Augenblick eine vor mir, unter dem Titel: »Camilla, von Leonora scheidend:«
Wie rasch die Freude mir verschwand, Wie eilt die Gegenwart! Was tröstet, was ist von Bestand, Wenn diese nicht verharrt? |
Und dicht dabei steht eine andere, vielleicht von einem kühnen Liebhaber geschrieben, der sich während der Abwesenheit der Dame in ihr Zimmer geschlichen hatte:
Theodosius an Camilla. |
Lieber in deiner Gunst leb' ich, Als in Unsterblichkeit; Und jeden Namensruhm geb' ich Für die Glückseligkeit. |
Theodosius, 1700. |
Wenn ich diese schwachen Denkmale der Galanterie und Zärtlichkeit betrachte, wenn ich die verblichenen Bilder dieser schönen Mädchen ansehe, und dann noch daran denke, daß sie schon seit langer Zeit geblüht haben, alt geworden, gestorben und dahingegangen sind, und mit ihnen alle ihre Annehmlichkeiten, ihre Triumphe, ihre Eifersucht, ihre Bewunderer; das ganze Reich der Liebe und des Vergnügens, in welchem sie herrschten – »Alles todt, Alles begraben, Alles vergessen,« so fühle ich, daß eine Wolke der Schwermuth sich über die gegenwärtige Fröhlichkeit stiehlt. Ich betrachtete, in Nachdenken versunken, gerade diesen Morgen das Bild der Dame, deren Gatte im Auslande blieb, als die schöne Julie, auf den Arm des Capitains gelehnt, in die Galerie trat. Die Sonne strahlte durch die Reihe von Fenstern auf sie, wie sie da entlang ging und abwechselnd in Glanz aufzutauchen und in Schatten zu versinken schien, bis sich die Thür am Ende der Galerie hinter ihr schloß. Ich fühlte eine gewisse Traurigkeit des Herzens bei dem Gedanken, daß dieß ein Bild ihres Looses sei: noch einige wenige Jahre Sonnenschein und Schatten, und all dieses Leben, diese Lieblichkeit, diese Wonnen werden vorüber, und nichts mehr vorhanden sein, um an dies schöne Wesen zu erinnern, als ein vergängliches Bild mehr, das vielleicht nur die alltäglichen Betrachtungen irgend eines künftigen Müßiggängers, wie ich, veranlassen wird, wenn ich und mein Gekritzel längst unser kurzes Dasein durchlebt haben und vergessen sein werden.