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Eine lebende Galerie alter Bäume.
Zu den Gegenständen, auf welche der Squire mit Vorliebe und mit Stolz blickt, gehören die edeln Bäume auf seinem Gute, welches in der That einige der schönsten aufweisen kann, die ich in England gesehen habe. Es liegt etwas Erhabenes und Feierliches in den großen Gängen stattlicher Eichen, welche ihre Zweige hoch in der Luft verschränken und die Fußgänger unter ihnen zu wahren Zwergen machen. »Eine Allee von Eichen oder Ulmen,« sagte der Squire, »ist der wahre Säulengang, wie er allein zu eines Gutsbesitzers Hause führen kann. Was Stein und Marmor betrifft, so kann sie Jeder aufrichten, dieß ist das Werk von Tagen; ich aber halte mich an die Saulengänge, die mit der Familie alt und groß geworden sind und durch ihre Größe verkündigen, wie lange die Familie bestanden hat.«
Der Squire hat eine große Verehrung vor gewissen ehrwürdigen, mit Moos bedeckten Bäumen, welche er als den alten Adel seines Besitzthums ansieht. Hier sind die Trümmer einer ungeheuren Eiche, die von der Zeit und den Stürmen so mitgenommen und zerzaust worden, daß kaum noch etwas davon übrig geblieben ist, ob er gleich behauptet, Christy müsse sich noch aus seiner Kindheit erinnern, sie gesund und blühend gesehen zu haben, bis sie vom Blitze getroffen wurde. Sie ist jetzt ein bloßer Stamm mit einem knotigen Aste, der in die Luft emporragt, und an dessen Ende ein grüner Zweig herauswächst. Diese mannhafte Ruine wird von dem Squire sehr hoch gehalten; er nennt sie seinen Fahnenträger, und vergleicht sie mit einem ergrauten Krieger, der in der Schlacht zu Boden gestürzt worden ist, aber sein Banner bis um letzten Augenblicke noch emporhält. Er hat wirklich ringsumher ein Gitter errichten lassen, um sie soviel als möglich von fernerer Beschädigung zu sichern.
Nur mit großer Schwierigkeit kann der Squire dahin gebracht werden, einen Baum auf seinem Gute fällen zu lassen. Einige betrachtet er mit Ehrfurcht, da sie von seinen Vorfahren gepflanzt worden sind; andere mit einer Art väterlicher Zärtlichkeit, da er sie selbst gesetzt hat; und er hat eine gewisse Scheu, mit wenigen Hieben der Axt umzustürzen, was aufzubauen Jahrhunderte gekostet hat. Ich gestehe, in gewissem Grade die Gefühle des guten Squire zu theilen. Obgleich in einem Lande aufgewachsen, das mit Wäldern bedeckt ist, wo man die Bäume wohl nur als Hindernisse betrachtet und sie ohne Zögern und Gewissensbisse fällt, konnte ich doch nie einen schönen Baum ohne Betrübniß umhauen sehen. Die Dichter, von Natur Freunde der Bäume, so wie von Allem, das schön ist, haben kunstvoller Weise einen großen Antheil zu ihren Gunsten erweckt, indem sie sie als die Wohnsitze der Waldgottheiten dargestellt haben, so daß jeder große Baum seinen Schutzgeist oder eine Nymphe haben soll, deren Dasein auf seine Dauer beschränkt ist. Evelyn macht in seiner »Sylva« einige sehr liebliche, geistreiche Anspielungen auf diesen Glauben. »Denn der Fall einer sehr alten Eiche,« sagt er, »der wie ein Donnerschlag kracht, wird oft mehrere Meilen weit gehört, und ich kann mich, obgleich ich die Bäume oft zu meinem großen Widerwillen fällen lassen muß, nie erinnern, das Seufzen dieser Nymphen (welche darüber klagen, daß man sie ihrer alten Wohnungen beraubt) ohne einige Bewegung und ohne Mitleid gehört zu haben.« Und wieder, wo er eines heftigen Sturms erwähnt, der die Wälder verwüstet, sagt er: »Mir däucht ich höre noch, es ist gewiß, daß ich es noch fühle, das traurige Stöhnen unserer Wälder; der neuliche schreckliche Orkan hat so manche Tausende herrlicher Eichen umgestürzt, die Bäume dahingestreckt, und sie liegen nun in gräßlicher Unordnung da, wie ganze Regimenter, welche in der Schlacht unter dem Schwerdte des Eroberers gefallen sind, und haben Alles zerschmettert, was unter ihnen wuchs. Nach den öffentlichen Nachrichten,« setzt er hinzu: »sollen nicht weniger als drei Tausend wackere Eichen, in einem einzigen Theile des Waldes von Dean, niedergestürzt worden sein.«
Ich bin mehr als einmal in den Wildnissen von Amerika stehen geblieben, die Verwüstung eines Windstoßes zu beobachten, der von den Wolken herabgebrauset zu sein schien und sich einen Weg mitten durch die Waldungen gebahnt hatte; er entwurzelte, zerspaltete und zersplitterte die stärksten Bäume, und ließ überall Zeichen seiner Bahn zurück. Es lag etwas Furchtbares in der gewaltigen Zerstörung, welche unter diesen riesenhaften Pflanzengestalten angerichtet war; und wenn ich ihre prachtvollen Ueberreste betrachtete, wie sie so gewaltsam zerrissen und zerschmettert da lagen, herabgestürzt von ihrer Höhe, um auf ihrem heimischen Boden frühzeitig zu Grunde zu gehen, ward ich derselben starken Gefühle der Mitleidenschaft inne, welche Evelyn so gefühlvoll ausgesprochen hat. Eben so erinnere ich mich, daß ein Reisender von poetischem Gemüthe mir den Schauer schilderte, den er empfunden, als er an den Ufern des Missouri eine Eiche von wunderbarer Größe von einem ungeheuern wilden Weinstock überwältigt sah. Der Weinstock hatte seine gewaltigen Ranken um den Stamm geschlungen und von dort hatte er sich um jeden Ast und Zweig gewunden, bis der mächtige Baum in seiner Umarmung erstickt war. Er schien, wie Laokoon, vergeblich aus den scheußlichen Windungen des Ungeheuers Python sich herauszuwickeln bemüht. Es war der Löwe der Bäume, der in den Umschlingungen einer Pflanzen-Boa seinen Untergang fand.
Ich höre gern der Unterhaltung gebildeter Engländer über ländliche Gegenstände zu, und sehe freudig, mit wie vielem Geschmacke und Scharfsinn, und mit welchem großen, aufrichtigen Antheil sie über Sachen reden, welche in anderen Ländern nur Forst- und Landleuten überlassen werden. Ich habe einen edeln Grafen über Park- und Wald-Gegenden mit der Kennerschaft und dem Gefühle eines Malers reden hören. Er ließ sich über die Gestalt und die Schönheit einzelner Bäume auf seinem Gute mit so vielem Stolze und technischer Bestimmtheit aus, als ob er die Schönheiten von Statuen in seiner Sammlung hätte erörtern wollen. Ich fand, daß er sogar sehr weite Ausflüge gemacht hatte, um Bäume zu sehn, die bei den Liebhabern landschaftlicher Gegenstände berühmt waren; denn es scheint, daß Bäume wie Pferde ihre bestimmten Zeichen der Schönheit haben, und daß es in England einige gibt, welche ihrer Vollkommenheit wegen einer großen Berühmtheit unter den Baumliebhabern genießen.
Es liegt etwas edel Einfaches und Reines in einem solchen Geschmacke; ein so lebendiges Gefühl für die Schönheiten der Pflanzenwelt, und eine solche Freundschaft für die wackeren glorreichen Söhne des Waldes zeugt, wie mich dünkt, von einer sanften, edeln Gemüthsart. Es liegt in diesem Theile der Landwirthschaft eine gewisse Großartigkeit des Gedankens. Ich möchte ihn beinahe den heroischen Theil des Landbaues nennen. Er ist freisinniger, freigeborner und unternehmender Männer würdig. Wer eine Eiche pflanzt, blickt auf die kommenden Geschlechter, und pflanzt für die Nachkommenschaft. Nichts kann weniger selbstsüchtig sein als dieses. Er kann nicht hoffen, daß er einst in ihrem Schatten sitzen oder sich ihres Schutzes erfreuen werde; aber er frohlockt in dem Gedanken, daß die Eichel, welche er in die Erde gelegt, einst zu einem himmelanstrebenden Baum emporwachsen, und lange noch, nachdem er seine väterlichen Felder zu betreten aufgehört. blühen, wachsen und den Menschen nützen werde. Es liegt überhaupt in dem Wesen solcher Beschäftigungen, den Gedanken eine Richtung über das bloß Weltliche hinaus zu geben. So wie die Blätter der Bäume alle schädliche Dünste einfangen und eine reinere Luft aushauchen sollen, so scheint es mir auch, als ob sie alle selbstsüchtigen, leidenschaftlichen Gesinnungen aus uns herauszögen, und Friede und Menschenliebe aushauchten. Es ist in den Waldgegenden eine heitere, ruhige Majestät, welche in die Seele eindringt, sie erweitert und erhebt, und mit edeln Regungen erfüllt. Auch sind die alten erblichen Wälder, welche diese Insel umlauben, meistens voll geschichtlicher Erinnerungen. Sie werden besucht von dem Andenken großer Geister verflossener Jahrhunderte, welche in ihnen, nach dem Geräusch der Waffen oder den Mühseligkeiten der Staatsgeschäfte, Erholung suchten, oder in ihrem Schatten den Musen lebten. Wer kann, ohne seine Seele bewegt zu fühlen, in den stattlichen Hainen von Penshurst wandeln, wo Sidney seine Jugend zubrachte; oder ohne Vorliebe den Baum betrachten, der an seinem Geburtstage gepflanzt worden sein soll; oder unter den klassischen Laubengängen von Hagley wandeln, oder in den einsamen Forsten von Windsor ruhen, und die gewaltigen, grauen Eichen betrachten, die wie die alten Thürme des Schlosses von der Zeit benagt sind, und sich nicht wie von den Denkmälern langdauerndes Ruhmes umgeben fühlen! Aus diesem Gesichtspunkte betrachtet, haben angepflanzte Gebüsche, stattliche Alleen, wohlgepflegte Parks allerdings einen Vortheil über die üppigeren Schönheiten der freien Natur. Ja, sie sind eine Fundgrube neuer Gedankenverbindungen, und geben der ewig anziehenden Geschichte des menschlichen Daseins ein neues Leben.
Die großen und edlen Gemüther eines alten Volks sind also verpflichtet, die heiligen Haine, welche ihre altväterlichen Sitze umgeben, sorgfältig zu unterhalten und sie auf ihre Nachkommen fortzupflanzen. Als geborener Republikaner, der zumal in republikanischen Grundsätzen und Gewohnheiten auferzogen wurde, kann ich nichts von der knechtischen Verehrung von Rang und Titel empfinden, bloß weil sie dieß sind; aber ich bin, erachte ich, bei meinem Glaubensbekenntniß weder Sauertopf noch Frömmler. Ich kann es sehr gut begreifen und fühlen, wie erbliche Auszeichnung, wenn sie einem edlen Gemüthe anheimfällt, dieß zu wahrhaftem Adel emporheben kann. Es gehört zu den Wirkungen des erblichen Ranges, wenn er so glücklich von dem Zufall verliehen wird, die Pflichten seines Besitzers zu vervielfältigen und seinem Dasein gleichsam eine größere Ausdehnung zu geben. Er fühlt sich dann nicht mehr als ein einzelnes Glied in der Schöpfung, das nur für seine kurze Lebensspanne verantwortlich ist. Er verfolgt sein Dasein in stolzer Erinnerung zurück, und dehnt es in einem ehrenvollen Vorgefühl auf die Zukunft aus. Er lebt in seinen Vorfahren, und er lebt in seinen Nachkommen. Beiden fühlt er sich in hohem Grade verantwortlich. Da er von Denen, die ihm vorausgegangen sind, viel überkommen hat, so hält er sich auch verpflichtet, Denen viel zu hinterlassen, die ihm nachfolgen werden. Seine Unternehmungen iunerhalb seines Hauswesens scheinen auf ein längeres Dasein, als die gewöhnlicher Menschen berechnet; Niemand baut und pflanzt lieber für künftige Geschlechter, als hochsinnige Leute, die ihr Erbtheil von vergangenen Jahrhunderten erhalten haben.
Ich kann also der Vorliebe und dem Stolze nur meinen Beifall geben, womit ich Engländer von edlem Gemüth und hohen aristokratischen Gesinnungen jene prachtvollen Bäume, welche wie Thürme und Pyramiden mitten aus ihren väterlichen Ländereien hervorragen, betrachten sehe. Es ist eine Verwandtschaft zwischen allen großen Naturen, belebten und unbelebten; die Eiche scheint mir, in dem Stolze und der Kraft ihres Wuchses, in Einer Reihe mit dem Löwen und dem Adler zu stehen, und sich wiederum, in der Großartigkeit ihrer Eigenschaften, dem heldenmüthigen und verständigen Menschen zu nähern. Mit ihrer mächtigen Säule, welche gerade zum Himmel aufsteigt, ihre Blätterkrone weit über die Unreinigkeiten der Erde emporträgt und sie oben in der freien Luft und in dem herrlichen Sonnenscheine entfaltet, ist sie ein Sinnbild von dem, was ein wahrer Edelmann sein sollte; eine Zuflucht für den Schwachen, ein Schutz für den Unterdrückten, ein Schild für den Vertheidigungslosen, welche sie vor dem Ungestüm des Sturmes oder den sengenden Strahlen der Willkühr schützt. Wer das ist, ist ein Schutz und ein Segen für sein Geburtsland. Wer das nicht ist, mißbraucht seine großen Vortheile, mißbraucht die Größe und die Kraft, die er in dem Schooße seines Vaterlandes empfangen hat. Wenn Ungewitter entstehen und der Sturm ihn entwurzelt, wer wird über seinen Fall trauern? Drückt ihn die starke Hand der Macht darnieder, wer wird über sein Schicksal seufzen? – »was schadet's dem Lande?«