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Ich werd' ein stilles, betrachtendes, einsames Leben führen. |
Der Köhler von Croydon. |
Ich saß einen dieser Morgen in meinem Zimmer und las, als Jemand an der Thür klopfte und Meister Simon hereintrat. Er sah ganz jugendlich aus; er hatte einen hellgrünen Reitrock angethan, einen Veilchenstrauß im Knopfloch, und sah eben wie ein alter Junggeselle aus, der es versucht, sich zu verjüngen. Er hatte jedoch seine gewöhnliche Munterkeit und Lebendigkeit nicht; sondern schlenderte mit einem gewissen zerstreuten Wesen im Gemache umher, brummte das alte Lied: »geh', hübsche Rose, sag' ihr an, wie sich und mir sie schadet,« lehnte sich dann an ein Fenster, blickte ins Freie und stieß einen sehr vernehmlichen Seufzer aus. Da ich gar nicht gewohnt war, Meister Simon in nachdenkender Stimmung zu sehen, glaubte ich, irgend etwas Unangenehmes nage ihm am Herzen, und bestrebte mich, dem Gespräch eine erheiternde Wendung zu geben; aber er war nicht in der Laune, ihr zu folgen, und schlug mir einen Spaziergang vor.
Es war ein schöner Morgen, von jener sanften Frühlingswärme, welche allen Frost in unserem Blute aufzuthauen und die ganze Natur in Gährung zu bringen scheint. Selbst die Fische fühlten ihren Einfluß: die vorsichtige Forelle wagte sich aus ihrer dunkeln Vertiefung hervor, um ihr Männchen zu suchen, die Plötze und der Weißfisch stiegen zur Oberfläche des Baches empor, um sich zu sonnen, und der verliebte Frosch quackte zwischen den Binsen heraus. Wenn ja eine Auster wirklich Liebe fühlen kann, wie es in einem Sprüchwort oder in einem Gesange heißt, so muß es an einem solchen Morgen sein.
Das Wetter übte gewiß seinen Einfluß selbst auf Meister Simon, denn er schien seiner nachdenklichen Stimmung hartnäckig nachzuhängen. Statt kräftig einherzugehen, mit seiner Hundepeitsche zu knallen, drollige Lieder zu pfeifen oder Jagdanekdoten zu erzählen, lehnte er sich auf meinen Arm und sprach von der herannahenden Vermählung, von der aus er mehrere Abschweifungen über den Charakter der Frauen machte, die zärtliche Neigung ein wenig berührte, und mehrere vortreffliche, wenn gleich etwas abgenützte Bemerkungen über Unglück in der Liebe machte. Es war klar, daß er etwas auf dem Herzen hatte, das er mitzutheilen wünschte, allein er war ungewiß, wie er es einleiten sollte. Ich war neugierig, zu sehen, wohin diese Laune führen würde; aber ich war auch entschlossen, ihm nicht zu Hülfe zu kommen. In der That, ich suchte boshafter Weise das Gespräch zu wenden, und redete von seinen gewöhnlichen Unterhaltungsgegenständen, Hunden, Pferden und Jagd; aber er war sehr kurz in seinen Antworten, und kam unabänderlich, entweder geradezu oder durch Umschweife, in seine empfindsame Laune zurück.
Endlich gelangten wir zu einer Gruppe von Bäumen, welche über einen murmelnden Bach hingen und an deren Fuß eine massive Bank stand. Die Bäume waren schrecklich mit Buchstaben und Sprüchen, welche mit der Rinde aus aller Form und Gestalt herausgewachsen waren, bedeckt, und es schien, als ob dieses Gebüsch seit undenklichen Zeiten zu einer Art Familienregister gedient habe. Hier blieb Meister Simon stehen, riß einen Busch Blumen aus, warf sie eine nach der andern in das Wasser, und fragte mich endlich, indem er sich etwas abgebrochen zu mir wandte: ob ich je verliebt gewesen sei. Ich muß gestehen, daß mich die Frage in einige Verlegenheit setzte, da ich meine verliebten Thorheiten eben nicht sehr gern eingestehe, und vor allem nie daran denken würde, meinen Freund, Meister Simon, zum Vertrauten zu wählen. Er erwartete jedoch meine Antwort nicht; die Frage war ein bloßes Vorspiel zu einem Bekenntniß von seiner Seite, und nach mehreren Umschweifen und sonderbaren Einleitungen, erzählte er mir eine ganz artige Geschichte von seinem Unglück in der Liebe.
Der Leser wird wahrscheinlich glauben, diese beziehe sich auf die muntere Wittwe, die ihn, vor nicht gar langer Zeit, auf dem Pferderennen von Doncaster zum Besten hatte; – nichts der Art! Sie betraf eine empfindsame Neigung, die er zu einer schönen jungen Dame gefaßt hatte, welche Verse machte und die Harfe spielte. Er pflegte ihr Serenaden zu bringen, und beschrieb wirklich mehrere zärtliche, verliebte Auftritte, worin er sich offenbar, in seinen geistigen Augen, als irgend einen zierlichen Romanenhelden erblickte, obgleich ich, zum Unglück für seine Erzählung, ihn nur als einen knappen, kleinen, alten Junggesellen vor mir stehen sah, mit einem Gesichte, wie ein Apfel, der mit der Röthe darauf vertrocknet ist.
Welches die genaueren Umstände dieses zärtlichen Romans waren, habe ich bereits vergessen; freilich hörte ich ihn mit einem wahren Kieselsteinherzen an, denn es ward mir schwer, ein Lächeln zu verbergen, während Meister Simon den Verliebten spielte, dann und wann einen Seufzer ausstieß, und sich Mühe gab, empfindsam und melancholisch auszusehen.
Alles, dessen ich mich erinnere, ist, daß die Dame, seiner Erzählung zufolge, gewiß ein wenig gerührt war; denn sie pflegte alle Musik anzunehmen, die er für sie abschrieb, und alle Muster, die er für ihren Putz zeichnete; und er fing, nach einer lange fortgesetzten Aufmerksamkeit, bereits an, sich zu schmeicheln, er habe eine zärtliche Flamme in ihrem Herzen angefacht, als sie plötzlich die Hand eines reichen, tobenden, fuchsjagenden Baronets annahm, der ohne Musik und ohne Empfindsamkeit nach einem vierzehntägigen Courmachen sie mit Sturm einnahm.
Meister Simon konnte nicht umhin, mit irgend einer Bemerkung über »bescheidenes Verdienst,« und die Macht des Goldes über das andere Geschlecht zu schließen. Als ein Andenken von seiner Leidenschaft zeigte er auf ein in die Rinde eines der Bäume eingeschnittenes Herz, welches jedoch im Laufe der Zeit gewaltig ausgewachsen war; er zeigte mir auch eine Locke von ihrem Haar, die er, in einem Liebesknoten, in einer großen goldenen Brustnadel trug.
Ich habe selten einen alten Junggesellen getroffen, der nicht, zu irgend einer Zeit, seine alberne Stunde gehabt hätte, wo er zärtlich und empfindsam wurde, von Herzensangelegenheiten sprach, und irgend ein Geständniß von zärtlicher Beschaffenheit zu machen hatte. Beinahe jeder Mann hat eine gewisse romantische Zeit in seinem Leben gehabt, auf die er mit Liebe zurückblickt und über die er dann und wann sehr gesprächig werden kann. Er denkt sich, wie er zu jener Zeit war, jung und leichtfertig, und vergißt, daß seine Zuhörer keinen andern Begriff von dem Helden der Erzählung haben, als wie er ihnen zur Zeit erscheint, wo er sie vorträgt, vielleicht ein verschrumpfter, grillenhafter, spindelbeiniger alter Herr. Bei verheiratheten Männern ist das gewiß nicht so leicht der Fall, ihre verliebte Romantik sinkt gewöhnlich nach der Heirath; warum, weiß ich um's Leben nicht zu sagen: bei einem Junggesellen erstirbt sie aber nie, wenn sie auch schlummern mag. Es werden immer gewisse vorübergehende Spuren davon bei ihm wieder sichtbar werden, und niemals mehr, als an einem Frühlingsmorgen auf dem Lande; oder an einem Winterabende, wenn er in seinem einsamen Zimmer sitzt, das Feuer aufschürt und von Heirathen spricht.
Sobald Meister Simon sich seines Bekenntnisses entledigt, oder, wie man gewöhnlich sagt, »sein Gewissen erleichtert hatte,« war er wieder ganz der alte. Er hatte den Punkt festgestellt, welcher ihm den Kopf verwirrte, und hielt sich ohne Zweifel überzeugt, daß er sich mir als einen Mann von Gefühl dargestellt habe. Ehe wir unsern Morgenspaziergang beendigt hatten, sang er schon wieder fröhlich wie ein Grashüpfer, pfiff seinen Hunden und erzählte närrische Geschichten; und ich erinnere mich, daß er an diesem Tage bei Tische über das Heirathen besonders scherzhaft war, und mehrere vortreffliche Späße sagte, die nicht in Joe Miller zu finden sind, und bei denen die Braut erröthete und vor sich nieder sah, welche aber bei den alten Herren am Tische ein lautes Gelächter hervorriefen, und namentlich dem General Thränen in die Augen lockten.