Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

5. Auch Glücksheim in Ehren.

Heiliger Neid. – Ruhe vor dem Sturm. – Der Ueberfall. – Ins schützende Waldesdickicht. – Geld oder Leben. – Auf der Suche nach Klosterschätzen. – Der Fluch der bösen Tat. – Im Glutenbrand der Feuertaufe. – Der rote Besuch beim Pfarrherrn von Glücksheim. – Im Feuer gestählt.


Kaum hatte der Dulder Job einen Unglücksboten entlassen und sich in das gottgesandte Ungemach ergeben, so traf ihn schon ein neuer Schlag. Job, 1, 16.

Auch unsere obengeschilderte Prüfung sollte nicht die einzige sein. Wir hatten schon die tröstliche Kunde von der Rückkehr und dem Wiederaufbau in Händen und dankten Gott.

Heiliger Neid.

Die Schwestern unserer zweiten Kommunität in Hunan verfolgten mit dem regsten Interesse das Schicksal, das ihr altes Heim am Yangtzekiang getroffen, und aus ihren Trostbriefen klingt es wie ein edler Neid, nicht die Mißgunst der Bösen, sondern eine wetteifernde Sehnsucht, welche die Seele beflügelt und himmelwärts hebt.

Ist es nicht ein heiliger Wunsch, wenn der Ungetaufte den Getauften um sein Gnadenglück beneidet – und selbst es zu erlangen sucht? – –

Unser Waldnazareth in Hunan erfreute sich indes großer Ruhe und schwelgte im üppigsten Sommerglück, nach innen und außen.

In treuherziger Einfalt schrieb uns Schwester AI.: «Man sagt, die Kommunisten seien – nach den Juligreueln in Changsha Vgl. oben, VI, 2. Stromabwärts – aus dieser Provinz abgezogen. Wir sind um eine süße Hoffnung ärmer ...»

Getrost, gutes Kind, der Heiland wird euch nicht vergessen, wenn er seine Liebesgaben, Kreuz und Leiden, unter seine Getreuen austeilt.

Ruhe vor dem Sturm.

Stiller Abend im August. Würzige Waldluft weht durch Glücksheim.

Das Aveglöcklein war verklungen, hatte den ewigen Engelsgruß hinaus in den dämmernden Hain gesungen.

In der Kapelle flehen reine Kinderstimmen empor zu ihr, der Waisenmutter, und gehen dann hinab zum schlichten Mahle, das die Vorsehung, die das Wild des Waldes nährt, auch ihren Lieblingen bereitet hat, heut wie alle Tage.

Die Schwestern knieen vor dem Tabernakel. Es ist die Zeit des betrachtenden Gebetes, eine Feierstunde in Heilandsnähe. Wie nach des Tages Hitze und Jagen der lechzende Hirsch sich erquickt am Borne, so labt sich die Seele hier an der Quelle des Lebens. (Ps. 41, 2, – Is. 12, 3.)

Leises Flüstern. Die Schwester Oberin geht hinaus, eilt ans Lager eines sterbenden Kindes. Sechs Jahre alt, und schon von der Sense des Todes getroffen, fleht es um einen letzten Trost: es will sterben, gerne sterben, aber in den Armen der Mutter ...

In einem eigenen Zimmer teilt Schwester M. Paul zwölf andern Kranken eine stärkende Zukost aus und bringt ein schwerleidendes Kind, das nicht mehr essen kann, in sein Bettchen.

So dienen im stillen Klösterlein Maria und Martha in liebendem Wetteifer dem Meister.

Draußen im dunklen Hag schallt des Finken süßer Schlag. Er singt in frommer Weise dem Schöpfer seinen Abendgruß.

Wahrlich, hier ist gut sein!

Doch nicht auf des Tabors Höhen, sondern auf Kalvaria steht des Heiles Zeichen; und das Segensholz des Kreuzes ist wohl auch in einem Wald gewachsen. – –

Der Ueberfall.

Schüsse fallen! scharfe, schnelle Schüsse, im nahen Hain!

Verwirrt ist das Konzert der Vögelein; sie flattern zwitschernd durch Busch und Bäume.

« Toufei lailio! Toufei lailio! Räuber! Räuber! die Räuber kommen!» hallt der grelle Schreckensruf plötzlich durch die stillen Räume.

Nichts hält mehr die geängstigten Kinder zurück. Weinend und zu Tode erschrocken stürzen sie in den Hof hinaus, eine gehetzte Lämmerherde, und drängen nach dem Tore, das zum Walde führt.

Im Hause drinnen lautes Wimmern der Kranken und der Kleinen, die nicht entfliehen können.

Die Oberin eilt herbei. Eine Gruppe Männer kommt aufs Haus zu, von der Priesterwohnung her. Schnell wird die Türe verriegelt.

Sie will nach den andern Schwestern sehen.

«Mutter, Mutter, bleiben Sie unten, daß die Soldaten Sie nicht sehen!» flehten die Jungfrauen und Mädchen.

Aber auch die andern Schwestern waren durch den Lärm aufgeschreckt worden. Mit einem plötzlichen Krach fährt die Tür auf: eine Rotte wilder Männer dringt ein, mit Gewehren.

Zwei Schwestern flüchten sich oben auf die Veranda. Die Räuber schießen hinauf, durch Decken und Dach, doch ohne zu treffen.

Während die Schwester Oberin in einem abgelegenen Zimmer, wo zwei schwerkranke Mädchen liegen, halbtot zusammensinkt, ist Schwester Andrea allein in einem andern Raum, umringt von grinsenden Rohlingen, die mit Flinten und Revolvern ständig schießen und sie mit dem Tode bedrohen.

Die Kinder wollen zum Gartentor hinaus. Es ist verschlossen. Schwester M. Paul soll den Schlüssel holen im Oberstock. Eben erst hatten die Kinder gefleht: «Geht nicht hinauf!»

– «Nun, wenn ich sterbe, so ist's in Erfüllung meiner Pflicht, feige will ich nicht sein,» sagte sich die Schwester, während sie im Kugelregen die Treppen hinansteigt.

Ins schützende Waldesdickicht.

Angst gibt auch dem Schwachen Kraft. Die Kinder drücken das Tor aus den Angeln und fliehen, fliehen, die armen Kleinen, verkriechen sich im dichten Dorngestrüpp, ducken sich zwischen Farn und Binsen, kauern in finstern, feuchten Felsengrotten.

Schwester M. Paul kommt mit dem Schlüssel. Alles leer. Das Tor steht weit auf, nirgends eine Schwester zu sehen. Nur ein halblahmes Mädchen von drei Jahren war im Hofe sitzengeblieben und streckt weinend die Händchen nach ihr aus.

Wohin? ...

Sie eilt dem Walde zu. Vor dem Tore trifft sie Schwester Aloysia, die eben die fünfjährige, schreckgelähmte Balbina vom Boden aufrafft, selber bleich wie Kreide, und doch ums Kind besorgt.

So waren wenigstens zwei Schwestern zusammen. Zu ihnen gesellte sich ein größeres Mädchen, Agatha, sonst ein Wildfang ohnegleichen, heute aber voll Heldenmut und rührender Treue.

«Wo sind die andern Schwestern?» fragt Schwester M. Paul.

«Ich weiß es nicht; vielleicht hinaus mit den Kindern,» antwortete Schwester Aloysia und zeigte nach dem Walde.

«Wo wollen wir jetzt hin?»

«Um keinen Preis ins Haus zurück! es sind viele wilde Männer drin.»

«Also den Kindern nach!»

«Bitte, Schwester, lassen Sie mich nicht allein.»

Als sie zurückschauten, gewahrten sie einen weißgekleideten Banditen im Hof, der auf sie zueilt.

«Schwester, legen Sie doch das kranke Kind ins Gebüsch, denn ihm wird nichts geschehen,» sagte die chinesische Jungfrau.

Schwester Aloysia zögerte. Es war schon zu spät, der Räuber hatte sie eingeholt, setzt ihr das Gewehr auf die Brust und droht mit Erschießen, wenn sie um Hilfe riefe oder zu fliehen versuche.

Geld oder Leben?

Das kranke Kind weinte und winselte im Grase. Aber dieser Mensch kannte kein Erbarmen. Silber forderte er, Silber, viel Silber, sonst würde er die Schwester ermorden. Sie hatte keinen Pfennig bei sich, nichts als den Rosenkranz in der Tasche ....

Ein kurzer Pfiff des Räubers ruft zwei andere Spießgesellen herbei, welche die Schwester M. Paul einholen. Der eine schlägt mit einem knorrigen Knüttel auf sie ein, um sie zum Stehenbleiben zu veranlassen, der andere droht mit Erschießen.

Mit roher Gewalt wird sie zu Schwester Aloysia zurückgeführt. Die Büttel wollen Agatha wegtreiben.

«Ihr möget mich erschießen,» rief ihnen das mutige Mädchen zu, «ich werde nimmer von den Siudau lassen!» Es wich nicht von ihrer Seite.

Unter Schimpfen, Schlägen, Stößen treiben die drei Unholde die Gefangenen vor sich her, ins Haus zurück.

Unter dem Tore gewahren sie Schwester Honorata, die ein anderer Räuber am Gürtel vorwärtszerrt. Sie war ergriffen worden, als sie ein Krüppelkind, das im Hofe einsam saß, in die Schule zurückgetragen hatte, und nun, von den Schüssen der Banditen verfolgt, in den Wald entfliehen wollte.

Oben auf der Treppe erblickten sie auch die vierte, Schwester Andrea, umgeben von drei Wüterichen. Es war für alle ein großer Trost, wenigstens zu vieren sich wiederzusehen in ihrem Heim, wenn auch als hilflose Gefangene.

Denn bisher war jede allein gewesen, voll banger Ungewißheit über das Los der andern. Nun waren sie zusammen, sich gegenseitig zu ermutigen – zum Opfertode, wenn es Gott gefiele ....

Nur eine Sorge drückte alle: wo war die Fünfte, die gute Mutter Oberin? Sie wußten, daß sie herzleidend war, und nun fehlte sie in dieser feierlichen Stunde ....

Hatte sie schon ausgekämpft??

Auch die Räuber suchten nach der Fünften, schrieen, schössen, schlugen Türen ein.

Mit solchen Bestien läßt sich nicht paktieren, das war den Schwestern klar.

Alle rüsten sich zum Sterben, erneuern ihre Gelübde, ihr Missionsversprechen.

Auf der Suche nach Klosterschätzen.

Doch zuerst wollen die Frevler noch die reichen Klosterschätze bergen. Geld fordern sie, Geld und wieder Geld! Sie reißen mit rauher Hand den Bräuten Christi die Ringe von den Fingern.

«Wo ist das Geld? Geld heraus, oder wir erschießen euch auf der Stelle!» brüllen sie in einem fort und schwingen dräuend ihre Waffen.

Um sie zu besänftigen, führt Schwester Honorata sie zur Hauskasse.

Im Arbeitszimmer, durch das sie zogen, stand der Flickkorb. Ein wuchtiger Fußtritt wirft ihn zur Seite. Doch nur Zwirnspulen, Scheren, Stoffreste – keine Banknoten noch Goldbarren finden die Räuber.

Die Schwester zeigt die Geldlade: es sind nur etwa 40 Dollar drin, winzig wenig für die ungeheuere Raubgier! Die Enttäuschung macht die Diebe rasend.

Der Häuptling selber kommt und findet auch nicht mehr. Er läßt Schränke und Truhen durchwühlen: kein Geld!

Nun werden die vier wehrlosen Opfer hinausgeführt auf die Veranda, dort müssen sie stehenbleiben, beständig bedroht von schußbereiten Gewehren.

Es waren schreckliche Minuten.

Unterdessen fliegen ein paar Bündel mit Wäsche und Decken über den Balkon in den Hof hinab. Sonst gab es nichts zu stehlen in dem armen Heim.

Höchstens noch Geiseln! – – – –

Der Gedanke, verschleppt zu werden, war schrecklich für die armen Opfer. Sie wandten sich der Kapelle zu, flehten inbrünstig um Kraft. Felsenfest und einmütig stand ihr Entschluß: «Widerstand bis zum Tode!» Doch der gute Hirte wachte vom Tabernakel aus über seine treuen Bräute.

Der Fluch der bösen Tat.

Zwei schrille Pfiffe riefen die Banditen zusammen.

Plötzlich ein Knall im nahen Busch!

Von wem??

Die Bösewichter erschrecken, werden verwirrt,

Wölfen gleich, die tief im Walde
Hastig einen Raub verzehren
Und in jedem Blätterrauschen
Hund und Jäger kommen hören.

(Dreizehnlinden.)

Sie eilen achtlos an den Schwestern vorbei, stürzen die Treppe hinab und verschwinden im Gehege, mit vierzig Silberstücken, vier geweihten Ringen und einigen Bündeln, der Habe der Armen, verfolgt von dem Bewußtsein einer frechen Freveltat, die um Rache schrie.

Der ganze Ueberfall hatte 30–40 Minuten gedauert, aber es waren schauerliche Minuten gewesen, eine Ewigkeit voll Qual und Bangen.

Rasch faßten sich die Schwestern, suchten und fanden ihre Oberin, die sich von ihrem Nervenschock etwas erholt hatte, aber noch tagelang zu leiden hatte und sogar das Schlimmste befürchten ließ. Zum Glück genas sie wieder nach ein paar Wochen Ruhe und Pflege.

In der Schule waren die kleineren Kinder und die an der Flucht gehinderten Kranken unter Tische und Bänke gekrochen und weinten und bebten vor Schrecken. Erst als die Schwestern sie mit Namen riefen und liebkosend auf die Arme nahmen, beruhigten sie sich und schmiegten sich zutraulich an sie.

Dann liefen die Missionärinnen in den Wald. Es war schon dunkel geworden. Auf ihren Ruf kamen die Mädchen aus ihren Verstecken hervor und kehrten ins Haus zurück.

Nur die kleine Balbina ward erst gegen Mitternacht gefunden. Sie hatte sich zwischen Dornbüschen verkrochen, ihr Gesichtchen war blutig, und sie konnte infolge der ausgestandenen Angst mehrere Tage weder sprechen noch essen.

Zwei andere Kinder waren am nächsten Morgen tot. –

Im Glutenbrand der Feuertaufe.

Als die ganze Familie wieder beisammen war, wurde vor dem Tabernakel ein dankendes Te Deum gehalten.

Schmerzlich vermißten die Schwestern ihre Ringe. Aber wenn auch das äußere Zeichen fehlte, die Stunde der Prüfung hatte einen andern Ring geschmiedet, der sie umso inniger in klösterlicher Liebe vereinigte und sie umso fester mit ihrem gekreuzigten Bräutigam verband, einen Ring, den keine Frevlerhand ihnen je wird stehlen und entreißen können.

Mit flammender Begeisterung stimmten sie ihr Profeßlied an, das wohl selten einen so tief ergreifenden, passenden Sinn hatte, wie heute:

Jesu Herz, wir schwören Treu'
Ew'ge Liebe dir aufs neu'!
Treu im Leben, treu im Tod,
Ob die Hölle uns auch droht!
Laut geloben wir aufs neue,
Jesu Herz, dir ew'ge Treue!

Ewige Treue dem Ewigtreuen! das ist das schönste Gelöbnis einer Gottesbraut, einer Missionärin, an ihrem Ehrentage, am Tage ihrer Feuertaufe.

So hatte auch diese Heimsuchung nur den einen Erfolg, die Schwestern mit neuer Liebe und Hingabe an ihren hehren Beruf zu erfüllen, und in ihren Seelen ein süßes Sehnen und stilles Hoffen nach einer andern Taufe anzufachen ...

Der rote Besuch beim Pfarrherrn von Glücksheim.

Dem P. Othmar war es in der Zwischenzeit nicht besser ergangen.

Sein Haus wurde zuerst überfallen und umstellt, damit er den Schwestern keine Warnung schicken könnte.

Sie wußten genau, daß er die Lohngelder für die Ammen bereitgestellt hatte. Sonst fanden sie nicht viel.

Aus ihrem ganzen Gebahren erhellte, daß es Ortsräuber, von den sog. «kleinen» Roten waren, die sich aus dem Gesindel der Umgegend rekrutierten und es lediglich auf Raub abgesehen hatten, aber auch vor Mord nicht zurückschreckten.

Der Streich in Fukiatsung war ihr letzter: sie wurden erkannt und gefaßt und von der rächenden Gerechtigkeit erschossen. So endeten die frechen Schützen.

Im Feuer gestählt.

Trotz der Schläge, die sie bekommen, – vielleicht gerade deswegen –, sind alle Schwestern guten Muts und begeisterter denn je; denn Leiden und Todesgefahren läutern und erheben die Seele.

Um keinen Preis möchten sie ihr idyllisches Heim verlassen. Nach den Berichten der Missionäre geht von dort aus ein belebender Hauch, ein Gnadenwehen, durch die Gemeinden der ganzen Umgegend. –

Indes war dieser Zwischenfall des 20. August für die Obern ein neuer Anstoß, die geplante Verlegung des Waisenhauses nach der Zentralstadt zu beschleunigen.


Als wir unsere Expedition nach Hunan führten, hatte uns der Apost. Administrator P. Jesacher in seinem väterlichen Willkommbriefchen geschrieben (20. 10. 29):

«Besonderen Dank muß ich Ihnen aussprechen, daß Sie die Mühe nicht gescheut, die guten Lämmlein selbst auf den Berg Moriah zu geleiten und auf den Altar zu legen. Der Segen Gottes über Abraham wird auch Ihnen gegeben werden ...»

Waren es Prophetenworte? –

Die Schwestern hatten, gleich Isaak, auf dem waldigen Berge von Fukiatsung das Opfer ihres Lebens angeboten, Todesängste durchgekostet.

Möge nun auch der andere Teil der Weissagung sich erfüllen, vom Patriarchensegen, daß Gott die Zahl hochgemuter, opferfreudiger Missionärinnen stets vermehre, wie die Sandkörner am Meere ...


 << zurück weiter >>