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Während unsere früheren Reisenden sich in Genua auf Dampfern des Norddeutschen Lloyd einschifften, mußten wir diesmal die Fahrt auf dem etwas teureren «Porthos» der Messageries Maritimes machen, denn das in Aussicht genommene deutsche Schiff war gestrandet – besser ohne als mit uns! – und somit wäre die Ausreise unliebsam hinausgeschoben worden.
Wie jedes Ding seine gute Seite hat, so sollte auch dieses kleine Mißgeschick für uns und unsere Leser den Vorteil haben, mit einigen neuen Ländern und Menschentypen bekannt zu werden, welche unsere Vorgängerinnen nicht zu Gesicht bekommen hatten. Die französischen Passagierdampfer laufen nämlich außer den üblichen Haltestationen noch Djibouti in Afrika und besonders das prächtige Saigon in Indochina an, bei denen wir deshalb etwas länger verweilen werden, während wir über die besser bekannten allgemeinen Ankerplätze rascher hinweggehen können.
Bei der Drachenbezwingerin. – Im Lichtglanz des Meeressternes. – Purpurrosen und Siegespalmen. – Einzug in die schwimmende Stadt. – Letzter Gruß an den «Meeresstern».
Bei der Drachenbezwingerin. Nach der ergreifenden Abschiedsfeier in der Kirche unseres Mutterhauses, deren einzigartiger Eindruck besser gefühlt als beschrieben werden kann, verließen wir am Abend des 14. September 1929 unsere Lieben, Mitschwestern, Familien, Freunde, Vaterland – kurz alles, was einem die Heimat wert und teuer macht.
Es wäre unaufrichtig, wollte man leugnen, daß die schwache Natur das Opfer nicht fühlte. Aber der Herr hat uns gerufen, er, der versprochen hat, alles hundertfältig wiederzugeben, was man um seinetwillen verläßt. Und er tat es schon gleich, durch die rührende und begeisterte Teilnahme unseres braven katholischen Volkes und den tröstenden Blick in die Zukunft.
Es war gerade Kreuz-Erhöhung, ein sinnreiches, hoffnungsfrohes Festgeheimnis für abreisende Missionäre, welche berufen sind, das hl. Kreuz und seine Segnungen in ferne Länder zu tragen und in seiner sieghaften Kraft aufzupflanzen und zur Geltung zu bringen.
In der Franziskanerkirche zu Metz, wo zwei für China bestimmte junge Patres im Kreise ihrer Mitbrüder Abschied feierten, konnten wir noch einem feierlichen Segen beiwohnen, doppelt rührend wegen der späten Nachtstunde.
Dann ging's zur Bahn, wo wir unsern lieben Mitschwestern, die uns bis hierher das Geleite gegeben, ein letztes Lebewohl sagten und in stiller Nacht davondampften in die finstere Ferne.
Nach Anhörung der hl. Messe und kurzer Rast in Paris ging's weiter gen Süden. Wir machten den kleinen Umweg über Lourdes, um unsere Reise und unsere Mission unter den Schutz der Unbefleckten Mutter zu stellen.
Das Wetter war uns wenig hold, das Gedränge der zahlreichen Pilger machte unsern Aufenthalt auch nicht sonderlich bequem. Das war aber gerade recht. Denn es sollte keine Vergnügungsreise, sondern eine Buß- und Betwallfahrt sein.
Dank der freundlichen Führung eines Landsmannes hatten wir aber das Glück, dem letzten noch lebenden Bruder der sel. Bernadette, einem schlichten Greise, einen Besuch zu machen und von ihm das Versprechen besondern Gebetes für unsere Mission, sowie ein von ihm unterschriebenes Bildchen seiner verherrlichten Schwester zum Andenken zu erhalten.
Dann nahmen wir Abschied von der Gnadenstätte derjenigen, welche der höllischen Schlange den Kopf zertreten. Möge sie uns stets begleiten mit ihrem mächtigen Schutz auf unserm Wege zum Lande des Drachen und in unserm Kampf gegen dessen finstere Tyrannenherrschaft.
Im Lichtglanz des Meeressterns. Am Abend des 18. September kamen wir in Marseille an und genossen für die letzten Tage und Stunden auf europäischem Boden die herzliche schwesterliche Gastfreundschaft der weißen Franziskanerinnen. Ihr Kloster liegt auf einer luftigen Anhöhe, umgeben von einem großen Park mit schattigen Pinien, von wo man einen wundervollen Ausblick hat auf die geschäftige Weltstadt, deren Getöse jedoch nicht heraufdringt in diese traute Einsamkeit: ein liebes Plätzchen zum Beten und Betrachten.
Nachdem wir uns gehörig ausgeruht, pilgerten wir am nächsten Morgen zu dem berühmten Heiligtum von Notre-Dame de la Garde, das mit seiner monumentalen, fast 10 m hohen Muttergottesstatue auf hohem Turm, den höchsten Hügel krönt und als Wahrzeichen von Marseille segnend und grüßend hinausragt, weithin über die Stadt und den Hafen und das Meer.
Es war uns reichlich Gelegenheit zur Buße geboten, denn der Regen ergoß sich in Strömen, als wir betend und betrachtend und schweißtriefend die 260 Stufen zur Basilika emporstiegen.
Wie schön ist es aber da oben, wie traut und stille im Heiligtum, wo hie und da ernste Beter knieten, die meisten wohl Auswanderer wie wir, die um eine glückliche Fahrt und Heimkehr flehten, oder vielleicht der Lieben gedachten, die sie verlassen auf Nimmerwiedersehen.
Wieviel Hunderte, Tausende von Missionären haben schon hier gekniet, haben gebetet, gehofft, geopfert in geheimer Zwiesprache mit Jesus und seiner Mutter? Ja, wieviele Märtyrer, blutige, und noch mehr unblutige? Wieviele Heilige, bekannte, und noch mehr unbekannte?
Sie beteten hier, auf heimatlichem Boden, zum letzten Mal, zum letzten Mal! ...
Wie fühlt man sich da gehoben im Bewußtsein, dieser großen Prozession von Glaubensherolden sich anschließen zu dürfen, und wie gedemütigt im Gefühl seiner Unwürdigkeit, und wie gedrückt im Angesichte seiner Schwachheit?
Ueberwältigt von diesen Gedanken, kann man nur danken und bitten und vertrauen. Ruft nicht der Meister vom Tabernakel her: «Fürchte dich nicht, du kleine Schar! ... (Luk. 12, 32). Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt, daß ihr hingehet und Früchte bringet (Joh. 15, 16). Denn siehe, ich bin bei euch bis ans Ende der Welt! ...» (Mt. 28, 20). – Emmanuel! Gott mit uns! so jauchzt die Seele, auch die allerschwächste, auf und schaut mutig in die Zukunft.
Als wir nach Anhörung von drei hl. Messen in unser Heim zurückkehrten, fanden wir dort die zwei lothringischen Patres, die sich während der Lourdesreise von uns getrennt hatten.
Dann kam eine Ueberraschung, für die wir von unserer Wallfahrt die richtige Stimmung mitgebracht. Schon vor der Abreise hatten wir erfahren, daß P. Tiburtius in Ichang von Räubern getötet worden sei. Jetzt kamen die neuesten amtlichen Telegramme aus Hankow, China: «Bischof Trudo Jans, die Missionäre Bruno Van Weert und Rupert Fynaerts nebst mehreren chinesischen Christen von kommunistischen Banden ermordet. Man sucht die Leichen der Opfer. Stationen in West-Hupeh geplündert. Französisches Kanonenboot landete Truppen in Ichang. Militärische Operationen im Gebirge unmöglich.»
So die lapidaren Sätze!
Allgemeine Sprachlosigkeit ...
Endlich brach einer der Metzer Missionäre das Schweigen: «Msgr. Jans? das ist ja unser Bischof! ... Das Gebirge von Shihnan im westlichen Hupeh, das ist ja gerade das uns zugedachte Missionsgebiet!»
Wiederum Schweigen. Eine Wucht von Gedanken!
Werden die beiden Patres nicht umkehren? Auf bessere Zeiten warten? Sich für ein ruhigeres Arbeitsfeld entschließen? – Wie mancher «gute» Freund hätte ihnen den einen oder den andern dieser klugen Ratschläge gegeben.
Aber niemand riet, niemand fragte: «Was nun?» – Alles war so selbstverständlich. Heute sind sie in den Bergen von Shihnan! –
Und nun sei es uns vergönnt, etwas vorauszugreifen in unserer Erzählung und den Schleier der Zukunft ein wenig zu lüften. Wir werfen im Geiste nur einen flüchtigen Blick in die Kathedrale von Mecheln. Das katholische Belgien hält seinen neuesten Blutzeugen einen nationalen Trauerdienst ab, der aber eher einem Triumphe gleicht.
Tags darauf knieen in derselben Metropole an der Stelle des Katafalks sechs jugendliche Franziskanerpatres, empfangen das Missionskreuz und reisen nach China, ins «blutige» Hupeh: also acht neue Missionäre für drei Gefallene Auch der ermordete Bischof Jans erhielt mittlerweile einen Nachfolger in der Person des Msgr. Gubbels, eines Veteranen der Ichang-Mission, der lange Jahre in Rom eine segensreiche Tätigkeit im Dienste der Missionen entfaltete. Der Präfekt der hl. Propaganda, Kardinal Van Rossum, hat ihn am 11. Mai 1930 persönlich zum Bischof geweiht. Er hatte seine Missionstätigkeit begonnen unter Bischof Verhaegen, der 1904 als Märtyrer starb und dessen Seligsprechungsprozeß im Gange ist. Msgr. Gubbels schrieb s. Zt. dessen Biographie. Er folgt also zwei Märtyrerbischöfen nach. Im Dezember 1930 erreichte er seine Residenz Ichang, nachdem er unterwegs wiederholt von kommunistischen Banden beschossen worden war..
So ergänzt sich die Kämpferschar des himmlischen Königs. So denkt und handelt die Kirche Christi von Anbeginn, das ist das Geheimnis ihres Sieges.
Die Antwort war echt katholisch, wie auch das päpstliche Blatt «Osservatore Romano» rühmend hervorhob.
«Ja, das sind Männer,» sagen sich unsere Leser. «Aber die armen, schwachen Schwestern?»
Gut! rasch zurück in die Wirklichkeit zu den Luxemburger Franziskanerinnen in Marseille! ....
Lange wurde kein Wort gesprochen. Solche Kunde, zu solcher Stunde!
Auch unsere erste Station liegt in Hupeh: zwar im östlichen Teil, aber die Gefahr zieht näher. Und Hunan, die zweite Mission, ist nur Nachbarprovinz, ohnedies schon übel berüchtigt.
Sollen wir dennoch reisen? Oder abwarten?
Noch ist es Zeit. Jede Schwester weiß es, sie darf zurück in die Heimat. Sofort!
Es sind alles Freiwillige, nur Freiwillige.
Keine mußte mit. Aus den vielen, die wollten, durften nur diese wenigen.
Und sie wissen, worum es geht. Nichts ist ihnen verheimlicht worden, nichts verschönert. Im Gegenteil! –
Jetzt diese Botschaft, ein Blitz aus heiterem Himmel!
Ein Wink von oben? – Eine letzte Warnung? –
Ist es nicht unklug, unverzeihlich, diese jungen Menschenkinder solchen Gefahren auszusetzen, sie in den Tod zu führen? Unnützerweise! Und in der Heimat, da brauchte man sie; da könnten sie so schön wirken! Und sich auch heiligen! ...
Ist's nicht der Widerhall weiser Ratschläge, wohlmeinender Freunde in der Heimat, treu besorgt wie der gute hl. Petrus um seinen lieben Meister (Matth. 16, 22)? – Aber dem gegenüber die strenge Antwort des Herrn (ebenda) und das Wort der Kirche Siehe oben, Einleitung, Seite 12..
Solche und ähnliche Gedanken stiegen auf, drängten sich, hetzten sich, überstürzten sich: Zweifel, Qualen, Angst und Tränen! – – –
Aber das alles nur bei einer Schwester, einer einzigen! Nur sie allein war schwach, schwankend. Diese Bedauernswerte war – die Generaloberin.
Sie fühlte die Last der Verantwortung, zentnerschwer. Sie zagte, zauderte, zitterte für ihre teuren Töchter! ...
Diese sahen den inneren Kampf. Sie verstanden das nagende Leid ihrer Mutter, die einer jeden einzelnen prüfend ins Auge schaute.
Sie wußten es, die Mutter heischte Antwort.
Und die Antwort wurde gegeben, stumm wie die Frage. Ohne Worte. Und doch so deutlich.
Sie blitzte, leuchtete aus dem Auge, dem Fenster der Seele. Sie brannte auf den glühenden Gesichtern, flehentlich, sehnsüchtig: «Kein Zurück! Vorwärts, für Gott und die Seelen! Jetzt erst recht!» –
Wie waren doch ihre Gedanken so sorgenfrei im Vergleich zu denen der Mutter!
Eine jede dachte dasselbe. Ein Wunsch, ein Ideal machte alle erbeben.
Keine sprach das Wort aus. Auch nachher nicht. Es galt ja nur Ihm im Tabernakel. Von Ihm kam es. Für Ihn war es. Nur Er sollte es wissen.
Aber die Mutter ahnte es doch. Heimliche Freudentränen verrieten es. Aber sie wird das ungesprochene Wort nicht aussprechen, das Geheimnis ihrer Töchter nicht niederschreiben, ihr Herzenskleinod nicht enthüllen. – – –
Eines aber ist sicher: wenn je einer hl. Agnes, Luzia, Agatha und der ganzen palmentragenden Heldenschar mit heiligem Neid gedacht wurde, so war es an jenem 19. September 1929 in Marseille! – –
Das war die Wirkung des Bombentelegramms, das bei den Frommen und Frömmsten der Heimat soviel Bestürzung und Besorgnis hervorgerufen hatte. –
Ich dachte bei dieser Gelegenheit unwillkürlich an die Worte eines alten Missionärs: «Die bestgesinnten Christen sind oft unbewußt unsere Gegner. Sie fürchten wir würden zuviel Geld ins Ausland schleppen, das man daheim besser verwenden könnte. Es gäbe auch da Sünder und Neuheiden genug zu bekehren. Es sei tollkühn, sich bei den ‹Wilden› so großen Gefahren für Gesundheit und Leben auszusetzen und dergl. – Sie meinen es sicher gut, sind eifrige Pfarrkinder im Bereiche ihres Kirchturms, wohltätig bis zu den Grenzpfählen, katholisch bis ans Mittelländische Meer ...
Die Armen! Sie kennen die Missionen und ihre Nöten nicht. Sie haben den Missionsberuf nicht erhalten. Sie ahnen nicht, welcher Reichtum besonderer Gnaden, welche Fülle übernatürlicher Kraft, welche Schätze weltweiter Gottes- und Nächstenliebe das Herz eines katholischen Missionärs erfüllen ...» – – –
So ergreifend das Intermezzo dieses Vormittags auch gewesen war, es trug nur dazu bei, die letzten Reste der Müdigkeit zu bannen, und dem fast bis zum unschuldigen Uebermut gesteigerten Frohsinn eine höhere Weihe zu geben.
So kam die letzte Nacht auf europäischem Boden. Ob mit ruhigem Schlaf? Die freudige Erregung führte wohl manche Phantasie in ein Traumland mit Amphitheatern, Foltermaschinen, Henkerbeilen, blutigen Bestien und – ewigen Palmenhainen.
Am frühen Morgen stiegen wir wieder zur Basilika empor. Dort lasen die zwei Franziskanerpatres die hl. Messe für uns.
Aber wie viel gehobener fühlten wir uns heute! Auf diesen selben Stufen war auch P. Bruno geschritten im November 1923, und P. Rupert, vor kaum zwei Jahren. Dort, am selben Altare, hatten sie ihr letztes Opfer, das göttliche und das ihrige, dargebracht. Und schon folgen sie triumphierend dem göttlichen Lamme auf den Gefilden des himmlischen Jerusalems und singen das ewig neue Lied des errungenen Sieges. In der Sakristei schrieben sie ihre Namen in das Register der hier zelebrierenden Priester, Namen, die jetzt schon im Buche des Lebens stehen, und hoffentlich auch bald im Verzeichnis der seligen Märtyrer.
Mit welcher Inbrunst wird heute zelebriert, kommuniziert, gebetet. – – –
Einzug in die schwimmende Stadt. Mit dem Heiland im Herzen und dem Segen der Gnadenmutter gingen wir endlich nach Hause.
Wir hatten noch einen schweren Tag vor uns, den letzten, mit all dem Trubel des Packens und Rüstens zur Einschiffung. Um 4 Uhr sollte der «Porthos» in See gehen, um 2 Uhr bereits alle Passagiere an Bord sein. Daher fuhren wir nach dem Mittagstisch zum Hafen. War das ein Treiben, ein Kommen und Gehen, ein Drängen und Hasten und Jagen hin und her, von bunten Trachten und Typen, Herrenmenschen und Lastenträgern, eine Welt im kleinen, die den «Porthos» bevölkern sollte!
Da lag er, der Ozeanriese, behaglich am Hafendamm ausgestreckt mit seinem 161 m langen Körper, der sich hoch emporrichtete wie ein mehrstöckiger Palast, überragt von zwei riesigen Schloten, aus denen wuchtige Rauchwolken hervorqualmten. Auf einer breiten hölzernen Brücke konnte man leicht auf Deck gelangen. Ganze Berge von Kisten und Koffern verschwanden im Schiffsrumpf.
Auch wir waren reichlich mit Gepäck versehen, hatten wir doch eine neue Missionsstation einzurichten, Sakristei, Kapelle, Haus; und dann unserer Schutzbefohlenen, der Kinder, Kranken usw. zu gedenken.
Ganze Listen von Wünschen waren von den ersten Schwestern im Mutterhaus eingelaufen. Wenn es schon schwer ist, all das nur zu fassen, zu verstehen, wie schwierig wird es erst, alles zu beschaffen, zu verpacken, zu versenden ... Das alles kostet Geld, Arbeit, Sorge, Mühe und tausend ungeahnte Opfer. Und notwendig ist's, Gott weiß es, alle Missionäre wissen es, wir erfuhren es vom ersten bis zum letzten Tage unserer Missionsfahrt.
Die gute Vorsehung in Menschengestalt, die uns diese materiellen Sorgen abgenommen und für uns getragen hat, ist unsere nimmermüde Schwester M. Klara, die mit Hilfe edler Wohltäter und Missionsfreunde wie ein treubesorgtes Mütterlein ihres Amtes als Prokuratorin waltet. Jetzt war sie da, brachte die kostbare Fracht sachgemäß unter und gönnte sich keine Ruhe, bis unsere Kabinen für die lange Fahrt so wohnlich als möglich eingerichtet waren. Und sie hat alles vorgesehen, nichts vergessen. Aber die dankbaren Missionärinnen werden auch ihrer nie vergessen. –
Letzter Gruß an den «Meeresstern». Immer mehr Menschen sammelten sich auf dem Verdeck des Schiffes. Wir standen noch zusammen und plauderten. Die scheidende Liebe hat ja soviel zu sagen. Da ertönte der grausame schrille Ton der Schiffsglocke zum dritten Male. Jetzt gab's kein Zögern mehr, aber viele Tränen, zerrissene Herzen. Nicht bei uns, die wir uns vereint wußten in Gott und seiner Liebe, trotz Raum und Zeit. Auf Wiedersehen! Auf Wiedersehen!
Die Gäste mußten gehen. Die Brücke wurde abgebrochen, die Taue gelöst. Ein Wassergraben tat sich auf zwischen der Mole und der Schiffsflanke, ein Graben, der immer breiter wurde wie ein Strom, ein See, und dann zur Unendlichkeit des Ozeans sich weitete.
In den Tiefen des Schiffes Poltern, Rasseln, Kettenklirren. Ein schriller Pfiff! Dann Stille! Langsam, sachte beginnt der Mastenwald des Hafens sich zu bewegen, der Kai sich zu entfernen ... Täuschung! Unser «Porthos» ist's, der entgleitet, gezogen von zwei fauchenden Schleppern, seewärts. Niemand kümmert sich um die gewichtig tuenden Zwerge. Alles schaut landwärts, sucht in der fuchtelnden Menge einen lieben Punkt, an dem die Augen haften. Für uns ist es Schwester M. Klara, die langsam dem Schiffe folgt, am Endpunkt der Kaimauer stehen bleibt, und winkt und späht nach einer immer kleiner werdenden dunklen Gruppe am Geländer des «Porthos» ...
Hüben und drüben erlahmt das Winken, wird zwecklos, weil unsichtbar. Aber wir fühlen es, ihr Herz folgt uns übers Meer, ihre fürsorgende Liebe erlahmet nicht.
Im Geiste schaut sie ihre teuren Kisten, muß sehen, wie rauhe Matrosenhände sie wälzen und schieben, in Staub und Schmutz lagern; wie braungelbe Kulis sie von Kahn zu Kahn schleppen, sie als Stuhl und Tisch und Lager benutzen, bis endlich die letzten müden Träger sie ungalant hinwerfen vor einem kreuzgeschmückten Tore am Strand des Blauen Flusses, oder im Hofe einer Buschwohnung tief drinnen in Hunan. Die armen Kisten, wie sehen sie aus nach all den Strapazen, Stößen und Stürzen! ... Aber getrost: trotz Schrammen und Beulen blieben sie solid und wahrten treu die ihnen anvertrauten Schätze.
Jetzt ist alles überstanden, sie sind wieder zuhause, wenn auch in fremdem Land. Sanfte Schwesternhände packen sie sorgsam aus, Schachteln und Schächtelchen. Welche Ueberraschungen! Dankesworte, Segenswünsche, eine lange, lange Litanei. Freudestrahlende Gesichter ringsum: die Sakristanin, die Krankenschwester und erst die lieben Kleinen! Welch ein Jubel, wenn ein Bündel bunter Rosenkränze hervorkommt oder ein wollenes Wämschen, die frostblauen Glieder zu wärmen.
Welche Feststimmung bringt so eine Kiste in eine Missionsstation! Wieviel Gebete läßt sie aufsteigen zum Himmel, wieviel Segen niedertauen auf die Wohltäter, große und kleine, bekannte und unbekannte!
Unbekannte? Einer kennt sie alle, und ihre Namen und Opfer stehn wohlverwahrt im Buche des Lebens. – Wenn schon das Empfangen solche Freude auslöst, wie groß muß erst die Seligkeit der Geber sein. Ist sie nicht schon ein Vorgeschmack des Lohnes, der ihrer wartet im Jenseits? ...
Was ist das?! ...
Ein erschütterndes Poltern und Beben reißt uns plötzlich aus unsern Träumen! Der «Porthos», der sich fast eine halbe Stunde so gehorsam und willenlos dahinschleppen ließ, wird auf einmal unbändig wild, wie ein erwachender Riese, der sich auf seine eigene Kraft besinnt. Wie ein mächtiger Puls rollt und hämmert es in seinen Tiefen. Die Schiffsschraube wühlt weißschäumende Wasserwirbel auf. Wie erschrocken dampfen die Schlepper in weitem Bogen davon, die langen Taue hinter sich schleifend.
Der «Porthos» macht eine mächtige Wendung gegen Südost, wird ruhiger und gleitet nun dahin, gradaus, erst langsam, dann schneller, immer schneller, und nun gleichmäßig und majestätisch: er ist in seinem Element, wir sind auf dem Meere. – –
Wo ist der Kai?
Alles verschwunden! Nur der «Meeresstern» grüßt noch herab.
War es da nicht natürlich, daß der Gesang des himmlisch schönen Ave maris Stella zu ihr emporstieg, so kindlich und innig wie kaum je in einer Kirche?
Allmählich versinken auch die letzten blauen Spitzen der Küste in Dunst und Nebel. Die Trennung von der trauten, alten Heimat, in die uns Gott gesetzt, ist nun vollendet – auf immer. Unsere Herzen wenden sich der neuen fernen Heimat zu, die wir selbst erkoren – für Gott und die Seelen ...