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Zwischen Pfahlhütten und Riesenfarnen. – Bethanienstunden bei den Schwestern von St. Paul. – Beim Morgenopfer. – Besuch bei den Anamitinnen. – Ein anamitisches Lisieux. – Tropenwunder der Tier- und Pflanzenwelt. – Kirchliches Leben.
Nach kaum 40stündiger Fahrt taucht wieder Land vor uns auf. Es ist das Cap St. Jacques, dessen Forts die Hauptstadt der schönsten französischen Kolonie Indochina und die Mündung des Mekongstromes schützen. Die waldigen Kuppen ringsum sind mit anmutigen Villen besät, wohin sich die Europäer aus dem feuchtheißen Binnenland zeitweilig zur Erholung zurückziehen.
Ein Lotse steuert unsern «Porthos» durch die mächtigen Meanderwindungen 80 km weit den Saigonstrom hinauf, wohin bereits ein Kanonenschuß Grüße des fernen Mutterlandes voraussendet.
Zwischen Pfahlhütten und Riesenfarnen. Beiderseitig am Ufer betrachten wir die Pfahlhütten der Eingeborenen, den dichten Dschungel aus Gesträuch und riesigen Farnkräutern, worüber schlanke Palmwipfel sich wiegen, ein Wald über dem Walde; dann weite Reisfelder und grüne Matten. Wiederholt winken uns die schlanken Türme der Kathedrale, die das Landschaftsbild weithin überragen.
Endlich um 3 Uhr legen wir im geräumigen Flußhafen an. Seit heute morgen hatte an Bord eine stets wachsende Bewegung geherrscht, die bis ans Fieberhafte sich steigerte; denn für die meisten Passagiere war Saigon die Endstation. Alte und neue Kolonisten, Urlauber und Neulinge der Beamtenschaft, vielfach mit ihren Familien, waren hier an ihren vorläufigen Zielen. Daher auf Deck und am Kai ein lebhaftes Grüßen und Winken, dann ein ungeheures Gedränge, das sich allmählich auf unzähligen Autos in die verschiedenen Verkehrsadern der Stadt ergoß.
Ein Pater der Missionsprokuratur holte die Missionäre ab. Wir blieben fast allein an Bord und gedachten schon, uns für die dreitägige Rast einzurichten. Viel Angenehmes versprachen wir uns bei dem beständigen Gepolter des Aus- und Einladens, dem wirbelnden Kohlenstaub und der erdrückenden Treibhausatmosphäre nicht.
Nach einer Stunde erschien unerwartet eine Schwester von S. Paul und lud uns in liebenswürdigster Weise ein, in ihr Kloster zu kommen. Es sei so Brauch, und sie rechneten es sich stets zur Ehre an, durchreisenden Schwestern Gastfreundschaft zu gewähren. Wir wollten uns erst bedenken und erbaten uns einstweilen die Vergünstigung, am Morgen in ihrer Kapelle der hl. Messe beiwohnen zu dürfen.
Um halb 6 Uhr aber kamen zwei Patres aus der Prokuratur, die aus sich selbst die Schwestern von unserer Anwesenheit benachrichtigt hatten, und erklärten, es sei nicht schicklich und würde ein schlechtes Licht auf die Mission werfen, wenn Missionäre an Bord blieben. Wir müßten unbedingt im Kloster der Schwestern Aufenthalt nehmen.
Bethanienstunden bei den Schwestern von St. Paul. Gerührt und erbaut über die unter den Missionären so selbstverständlich geübte brüderliche Liebe, folgten wir unseren Führern auf Rickschas durch die bereits hellerleuchteten Straßen von Saigon. Es muß bemerkt werden, daß hier, in der Nähe des Aequators, Tag und Nacht immer gleich lang sind. Es gibt keine Dämmerzeit, sondern, wenn abends 6 Uhr die Sonne untergeht, ist's, als ob eine Lampe ausgelöscht würde: es wird fast plötzlich dunkel.
An der Klosterpforte empfingen uns drei freundliche Schwestern; sie geleiteten uns in die Kapelle und dann in die hohen luftigen Räume, die uns beherbergen sollten, rings von offenen Verandas umgeben.
Als wir uns nach dem Abendessen, wobei uns drei anamitische Schwestern sehr freundlich bedienten, zurückgezogen hatten, ertönte von der nahen Kathedrale herüber die Aveglocke. Welch beseligendes Gefühl, dieser Mariengruß in der feierlichen Stille einer hinterindischen Tropennacht! – –
Draußen in Busch und Gras zirpen silberhell die Heimchen und singen die Zikaden dem Schöpfer ihren Abendgruß. Von der Kapelle herüber tönt das Nachtgebet der Kleinen in den melodischen anamitischen Weisen.
Erst spät kam der erquickende Schlaf. Aber schon um 4 Uhr hören wir, wie die Schwestern aus dem anstoßenden Schlafsaal sich zur Kapelle begeben zum gemeinsamen Chorgebet, das wie ein Frühopfer mit den Wohlgerüchen des Tropengartens zum Throne Gottes steigt und Gnade und Segen herabruft auf die noch schlafende Stadt und das Land ringsumher.
Wir fanden uns ein in der prächtigen, dreischiffigen Kapelle, wo zwei hl. Messen stattfinden. Daß es uns an diesem Morgen an der gewöhnlichen Sammlung fehlte, wird der liebe Heiland uns nicht verübelt haben. Es gab ja soviel Neues zu sehen, soviel Erhebendes und Erbauendes, daß wir uns in der Liebe zu Gott und im Eifer für die Verherrlichung seines Namens mächtig gefördert fühlten.
Bald nach uns erscheint im Heiligtum ein ganzer Schwarm kleiner Mädchen von 6-14 Jahren, barfuß, in langen, weiten, schwarzen Hosen und Jacken. Ihnen folgen, zwei und zwei, in derselben Tracht, aber mit aufgestecktem, schwarzglänzendem Haar, etwa 20 Aspirantinnen in sehr andächtiger Haltung; nach diesen eine ebenso zahlreiche Gruppe Postulantinnen, die aber weiße Strümpfe und niedrige Schuhe, lange Röcke. Pelerinen und eine weiße Kopfhülle tragen, ähnlich der der Schwestern; endlich folgen die Novizinnen, die das ganze Ordenskleid tragen.
Von einer anderen Seite her kommen gleichzeitig die Schülerinnen des Pensionats, europäische und einheimische, in langem, herabhängendem Haar, alle recht bescheiden und andächtig. Auch die heidnischen Kinder nehmen an den Gottesdiensten und Gebeten teil.
Ein anamitischer Priester las die hl. Messe, wobei zwei sehr geweckte Anamitenbüblein dienten; während derselben wurde in der wohlklingenden Landessprache gebetet. Viele Kinder gehen täglich zur hl. Kommunion. –
Besuch bei den Anamitinnen. Im Laufe des Vormittags besichtigten wir die Anstalt. Es ist hier das Zentralhaus für die Ausbildung einheimischer Schwestern und der Sitz der Provinzialin für Indochina.
Das Haus der anamitischen Postulantinnen ist geräumig, aber einfach; einfach auch die ganze Einrichtung. Neben jedem Gedeck – einem einfachen Teller – des Speisesaals liegen einige Bananen, wie bei uns daheim das Brot.
Am meisten interessieren uns die anamitischen Waisenkinder, die gerade in der Schule sind und sich mit Lesen, Schreiben, Rechnen und sogar mit etwas Französischlernen abplagen. Es sind allerliebste, treuherzig dreinschauende Wesen, denen Friede und Freude aus den Augen strahlt.
Größere Mädchen sind in den verschiedenen Arbeitsräumen mit Nähen, Flicken und dgl. beschäftigt.
Die Wäscherei untersteht einem Mann, der mit seinem aufgerollten Haarschopf und seinen schneeweißen Zähnen uns so treuherzig anlacht und uns gerne seine Kunstgriffe zeigt.
Auf Zinkformen werden die einzelnen Wäschestücke, nachdem sie vorher in Reiswasser getaucht worden, von der Sonne gebügelt, ohne Schaden zu leiden.
Ueberhaupt dauert das Trocknen hier höchstens 1-3 Stunden und ist gleichzeitig eine vorzügliche Bleiche.
Da die mannigfaltigen, meist roh genossenen Tropenfrüchte wie Bananen, Ananas, Mango, Papayas usw. einen Hauptbestandteil der Nahrung bilden, so ist die Küche auch einfach.
Mit großem Interesse sahen wir einigen kräftigen Burschen beim Enthülsen des Reises zu. Er wurde zu diesem Zweck mit einem großen hölzernen Stößer gestampft. In der Heimat essen wir den schönen weißen Reis, ohne zu bedenken, wieviel Schweiß und Arbeit er unsern braunen Brüdern gekostet hat. – – –
Ein anamitisches Lisieux. Wir machten auch dem dortigen Karmeliterinnenkloster einen Besuch. Mit zwei oder drei Ausnahmen sind alle Nonnen Anamitinnen, darunter Töchter der vornehmsten Familien des Landes, die hier die Regel der hl. Theresia in ihrer ganzen Strenge befolgen, was in dem Tropenklima nicht leicht ist. Auch bei Nacht ruft das Glöcklein zum Chorgebet. Die französische Priorin gestand, daß sie während ihres mehr als 25jährigen Aufenthaltes von Saigon und den Tropen noch nichts gesehen, als ihr Klostergärtchen. In ihrer Kirche sind immer fromme Beter, besonders in der neugebauten, an Lisieux erinnernden Theresienkapelle.
Die Kathedrale ist ein geräumiger hoher Bau mit zwei gothischen Türmen; sie erhebt sich auf einem großen, schattigen Platz. Die zahlreichen Seitenkapellen sind den französischen Nationalheiligen geweiht. Aber auch der Allerweltsheilige St. Antonius von Padua hat hier seinen Platz und seine Verehrer; denn sein Altar ist, wie derjenige der kleinen Theresia, stets mit Blumen und Kerzen geschmückt.
Tropenwunder der Tier- und Pflanzenwelt. Man zeigte uns auch den für jedermann unentgeltlich offenstehenden botanischen und zoologischen Garten, mit den wunderbarsten Blumen, Pflanzen und Bäumen. Unter letzteren sahen wir wahre Riesen, mit meterdicken Stämmen und baumstarken Aesten, von denen wieder Ausläufer zur Erde krochen, Wurzel faßten und neue Bäume bildeten, sodaß aus einem Stamm ein Wald entsteht. Dazwischen bilden die sonderbarsten Lianen und Schlingpflanzen ein fast undurchdringliches Dickicht.
In diesem Garten befinden sich hie und da große eiserne Käfige mit allerlei Tieren: Affen, Löwen, Leoparden, Tigern usw. Letztere sind besonders kräftig, befinden sie sich doch hier in ihrer Heimatluft. Auch der gemütliche Elefant ist hier vertreten, aber nur durch einen niedrigen Zaun eingefriedigt, was ihn nicht hindert, die Besucher anzubetteln. Krokodile liegen träge in abgeschlossenen Wassertümpeln. In besonderen Kasten finden sich aber auch viele giftige Schlangen und anderes Gewürm, die an die Schattenseiten der Tropenwelt erinnern. Für Missionäre, die in diesen Gegenden wirken, ist das Studium der einheimischen Tierwelt eine Notwendigkeit.
Mehr als diese Naturwunder der heißen Zone interessierte uns, was wir über die hiesigen Bewohner und Religionsverhältnisse hörten.
Kirchliches Leben. Die Anamiten sind von kleinem, schwächlichem Körperbau, aber doch zähe, dabei geduldig und friedfertig. Sie sind religiös, mit einer Neigung zum Innenleben (Mystizismus), weshalb man hier eine unverhältnismäßig hohe Zahl religiöser und beschaulicher Ordensberufe findet. Sogar die Trappistenregel hat ihre Anhänger gefunden. Neuerdings sind auch Redemptoristen und Franziskaner eingezogen. Die Mission ist die bestentwickelte von ganz Asien (mit Ausnahme der fast ganz katholischen Philippinen) und zählt rund über eine halbe Million Christen.
Die Kolonie hat eine ruhmvolle Geschichte, die in die Glanzzeit der französischen Missionstätigkeit fällt, eine Zeit, da das offizielle Frankreich noch katholisch war und katholisch und missionsfördernd wirkte. Hätte die Loge diese segensvolle Kulturarbeit nicht behindert, das ganze Land wäre jetzt katholisch und würde mit seinen kommunistisch separatistischen Tendenzen den Regierungsmännern nicht soviel zu schaffen machen.
Leider sind auch jetzt noch die Staatsschulen «neutral». Doch der gesunde Sinn des Volkes – selbst der Heiden – weiß den Wert einer religiös-sittlichen Erziehung zu schätzen und vertraut ihre Kinder den Schwestern und Schulbrüdern an. Letztere erziehen in ihren Kollegien Tausende junger Anamiten.
Selbst die regierungsfrommen Kolonialbeamten und die europäischen Geschäftsleute fürchten sich vor den Studenten der Regierungsschulen und ziehen ihnen bei Anstellungen die Zöglinge der Missionsschulen vor, sodaß letztere sich eines stets wachsenden Einflusses erfreuen.
Das kirchliche Leben der Eingeborenen ist sehr intensiv. Zwei Drittel des Weltklerus sind Einheimische, die übrigen gehören dem Pariser Seminar an, das mit Recht stolz ist auf diese herrliche Mission, die vom Blut zahlreicher Märtyrer befruchtet und geheiligt ist.
Die Stadt hat mehrere gut organisierte Pfarreien. In der nächsten Umgebung ist das religiöse Leben nicht minder blühend, wie die schönen geräumigen Pfarrkirchen beweisen. Die prächtigste dürfte wohl die der Vorstadt Cholon sein, an der ein chinesischer Pfarrer seine zahlreichen katholischen Landsleute betreut. Sie ist das Geschenk eines einheimischen christlichen Ehepaares, das in einer Marmorkapelle hinter dem Chor seine Ruhestätte gefunden hat. Dieses herrliche Gotteshaus mit seinem reichen Marmorschmuck würde jeder katholischen Großstadt Europas zur Zierde gereichen. –
Mit Dank gegen Gott und unsere edlen Gastgeberinnen, die uns den Aufenthalt in Saigon so angenehm und interessant gemacht, zogen wir am Abend des dritten Tages wieder auf unsern «Porthos», wo es jetzt viel stiller und gemütlicher war, zumal einige von uns eine geräumigere, luftigere Kabine erhielten.
In der Morgenfrühe des 19. Oktober fuhren wir wieder ins offene Meer hinaus, mit Kurs auf China!